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Öffentlich-rechtliche Schiedsgerichtsbarkeit: Grundlagen – Grenzen - Rechtsprinzipien

Über das Projekt:

Klassicherweise obliegt die Streitbeilegung im öffentlichen Recht zuvörderst den staatlichen Gerichten, vor allem, aber nicht ausschließlich, den Verwaltungsgerichten. Öffentlich-rechtliche Schiedsverfahren hingegen sind in Deutschland bisher eine Rarität und finden in der verwaltungs- und verfassungsrechtlichen Diskussion entsprechend wenig Beachtung. Zudem beziehen sich mit §§ 168 Abs. 1 Nr. 5 und 173 Satz 2 VwGO gerade einmal zwei Vorschriften des Verwaltungsprozessrechts auf diese Form der Streitbeilegung. Andererseits beachten aber auch die traditionell aus dem Zivilprozessrecht stammenden Schiedsrechtler Besonderheiten der Beteiligung öffentlich-rechtlicher Rechtsträger an Schiedsverfahren selten bis gar nicht.

Vieles spricht allerdings dafür, dass Schiedsverfahren zur Beilegung öffentlich-rechtlicher Streitigkeiten, insbesondere zwischen Privaten und Verwaltung, mittelfristig eine zunehmend bedeutende Rolle einnehmen werden. Grund für einen Anstieg öffentlich-rechtlicher Schiedsverfahren im Sinne der VwGO ist die Zunahme vertraglicher Kooperation zwischen Verwaltung und Privaten, z. B. im Rahmen von Public Private Partnerships (PPPs). Gerade im Hoch- und Tiefbau, aber auch in anderen Bereichen, wie dem Gesundheits- und Bildungswesen, dem IT- und Dienstleistungssektor oder der Abfallwirtschaft, ist ein beeindruckender Anstieg von PPPs und anderen vertraglichen Kooperationsformen zu verzeichnen. Obwohl keine empirischen Untersuchungen dazu vorhanden sind, ist im Hinblick darauf, was im Ausland im Bereich von PPPs üblich ist, davon auszugehen, dass sich Schiedsklauseln auch in vielen dieser Verträge finden.

Insofern ist das durch die Bundesrepublik im August 2005 auf Grundlage eines Konzessionsvertrages gegen das Betreiberkonsortium des Lkw-Maut-Systems Toll Collect eingeleitete Schiedsverfahren Bundesrepublik Deutschland v. Daimler Financial Services AG, Deutsche Telekom AG und Toll Collect GbR wegen Mautausfall und Konventionalstrafen mit einem Streitwert von über 5 Mrd. Euro voraussichtlich nur der Anfang eines Trends in der Streitbeilegung im Bereich größerer Investitionsprojekte weg von staatlicher Gerichtsbarkeit und hin zu Schiedsverfahren unter Beteiligung öffentlich-rechtlicher Institutionen. In zahlreichen anderen Rechtsordnungen, in Europa wie auch in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern, aber auch auf internationaler Ebene, vor allem in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, zeigt sich bereits jetzt die erheblich praktische Bedeutung der Streitbeilegung zwischen dem Staat und Privaten in Schiedsverfahren. Eine ähnliche Entwicklung ist daher auch in Deutschland zu erwarten. Dies zeigt sich auch an den beiden durch Vattenfall unter dem Energiechartavertrag eingeleiteten Investitionsschiedsverfahren wegen des Atomausstiegs und Umweltauflagen im Zusammenhang mit Betrieb eines Kohlekraftwerkes in Hamburg,

Die aus dieser Entwicklung resultierenden Chancen und Risiken werden aus verfassungs- und verwaltungsrechtlicher Sicht in Deutschland allerdings noch wenig beleuchtet. Dies steht im Gegensatz etwa zur Diskussion in anderen Ländern, allen voran Frankreich, in denen die Streitbeilegung durch Schiedsverfahren im Verwaltungsrecht einen wichtigen, wenngleich kontroversen Diskussionspunkt in der Debatte um die Modernisierung der Verwaltung und der Verwaltungsgerichtsbarkeit darstellt. Das Fehlen einer entsprechenden Debatte in Deutschland stellt ein nicht unerhebliches Defizit dar und kann zu Rechtsunsicherheit sowohl bei Behörden als auch in der Privatwirtschaft führen. Eine entsprechende Untersuchung ist dabei umso wichtiger, als öffentlich-rechtliche Schiedsverfahren zahlreiche, insbesondere verfassungsrechtliche Probleme aufwerfen, allen voran im Hinblick auf Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip.

So wird Schiedsgerichtsbarkeit im Öffentlichen Recht aus staatsrechtlicher Perspektive häufig als Fremdkörper betrachtet. In Fortführung von Otto Mayers Denken, dass „wahre Verträge des Staates auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts überhaupt nicht denkbar“ seien (Otto Mayer, Zur Lehre vom öffentlichrechtlichen Vertrage, AöR 3 (1888), 3, 42), wird daher in der Literatur oft in Frage gestellt, ob und inwieweit der Staat mit Privaten öffentlich-rechtliche Streitigkeiten vor Schiedsgerichten austragen könne. Als Grenzen öffentlich-rechtlicher Schiedsverfahren diskutiert werden dabei insbesondere die Rechtsschutzgarantie, der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, der Grundsatz der Gewaltenteilung, das Bestehen eines staatlichen Rechtsprechungsmonopol, das Prinzip des gesetzlichen Richters und das Demokratieprinzip. Kern des Unbehagens in der öffentlich-rechtlichen Literatur ist dabei die Vermengung von „privat“ und „öffentlich“, die in der öffentlich-rechtlichen Schiedsgerichtsbarkeit stattfindet, da die Rechtmäßigkeit staatlichen Handelns durch ein von den Parteien ernanntes Schiedsgericht überprüft wird. Privatpersonen üben insofern materiell Recht sprechende Funktionen aus.

Vor diesem Hintergrund untersucht das Habilitationsprojekt die verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Grundlagen, Möglichkeiten und Grenzen, von Schiedsgerichtsbarkeit im Öffentlichen Recht in Deutschland. Dabei geht sie auch rechtsvergleichend vor, indem sowohl andere staatliche Rechtsordnungen (insbesondere Frankreich, England, USA, Belgien, Schweiz und Brasilien), als auch internationale Schiedsverfahren mit Beteiligung von Staaten, inbesondere in der völkerrechtlichen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, und die dort geführten rechtswissenschaftlichen Diskurse als Referenzmodelle untersucht werden. Darüber hinaus werden auch das Europarecht und das Recht der Europäischen Menschenrechtskonvention in ihren Auswirkungen auf öffentlich-rechtliche Schiedsgerichtsbarkeit miteinbezogen. Ziel ist es auf dieser Grundlage nicht nur einen Beitrag zum deutschen Verwaltungs- und Verfassungsrecht zu leisten, sondern darüber hinaus Grundsätze (Prinzipien) öffentlich-rechtlicher Schiedsgerichtsbarkeit schlechthin zu entwickeln. Dies ist umso wichtiger als Schiedsgerichtsbarkeit heute in vielen Bereichen eine aus soziologischer Perspektive bereits internationalisierte Disziplin darstellt, die nicht durch die Grenzen nationaler Rechtsordnungen voneinander abgegrenzt werden, sondern spezifischen eigenen Funktionsrationalitäten unterliegt.

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