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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Carsten Stahn


VII. Asylrecht

2. Anderweitiger Verfolgungsschutz, Drittstaaten-Regelung

      40. Der Bayrische VGH (19 ZB 00.31870 = BayVBl. 2001, 86) hatte in seiner Entscheidung vom 7.9.2000 darüber zu befinden, ob die Erteilung eines Schengen-Visums in einem anderen EG-Staat einem Asylantrag in Deutschland entgegensteht. Der Kläger hatte für seine Einreise in die Europäische Union von der Französischen Botschaft in Teheran ein Schengen-Visum beantragt und auch erhalten. Nach seiner Einreise nach Europa stellte er in Deutschland einen Asylantrag. Der Bayrische VGH erachtete den Antrag gemäß � 29 Abs. 3 AsylVfG als unbeachtlich, da aufgrund des Dubliner Übereinkommens Frankreich als sicherer Drittstaat i.S.d. � 26 a Abs. 2 AsylVfG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sei und die Zuständigkeit durch ein Schreiben des Innenministeriums auch übernommen habe. Wie Art. 16 a Abs. 2 GG zu entnehmen sei, könne sich auf den Grundsatz, daß politisch Verfolgte Asyl genießen, derjenige nicht berufen, der aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union einreise. Insoweit beschränke die Drittstaatenregelung den Schutzbereich des Grundrechts auf Asyl und begrenze den Kreis der Asylberechtigten von vornherein auf diejenigen politisch Verfolgten, die des Schutzes gerade in Deutschland bedürften. Dies gelte ebenfalls bei Ausstellung eines Schengen-Visums durch einen Mitgliedstaat der EG, das den Ausländer zur Einreise in diesen Mitgliedstaat berechtige, weshalb er nicht mehr schutzbedürftig i.S.d. Art. 16 a Abs. 1 GG sei. Soweit dort das formelle Asylverfahren anders geregelt sei als in der Bundesrepublik, könne dies zu keinem anderen Ergebnis führen, da entscheidungserheblich sei, ob die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der EMRK sichergestellt sei.

      41. Der Hessische VGH setzte sich in seinem Beschluß vom 6.10.2000 (10 ZU 4042/98.A = AuAS 2001, 139) mit der Frage auseinander, ob bei Einreise auf dem Luftweg über einen sicheren Drittstaat i.S.v. � 26 a AsylVfG schon dann von der Einreise aus dem sicheren Drittstaat auszugehen ist, wenn dort lediglich ein kurzer Zwischenstopp ohne weitere Inlandsberührung stattgefunden hat. Das Gericht entschied, daß die Drittstaatenregelung bereits dann Anwendung findet, wenn der Asylbewerber das Flugzeug während eines Zwischenstopps auf dem Flughafen eines Nachbarstaates der Bundesrepublik nicht verlassen hat, obwohl er dazu die Möglichkeit gehabt hätte. Für die Anwendung der Drittstaatenregelung komme es in erster Linie darauf an, ob der Ausländer tatsächlichen Gebietskontakt zu dem sicheren Drittstaat gehabt habe, ohne daß maßgeblich sei, ob er im Rechtssinne in den Drittstaat "eingereist" und von dort in die Bundesrepublik Deutschland "ausgereist" sei. Anknüpfungspunkt für eine europäische Lastenverteilung, die mit der Drittstaatenregelung bezweckt sei, sei das Betreten des Staatsgebiets durch den Ausländer. Bereits dieses Betreten begründe nicht nur die Sicherheit des Ausländers, sondern zugleich die Verantwortlichkeit des Drittstaates für die Behandlung eines etwaigen Schutzersuchens. Insoweit komme es auf die tatsächliche Möglichkeit des Anbringens eines Schutzgesuchs durch den Ausländer nicht an. Dies habe das BVerwG bereits für den Fall eines Asylbewerbers entschieden, der einen sicheren Drittstaat in einem verschlossenen und verplombten LKW durchquerte und dabei in Kauf nahm, sein Schutzgesuch nicht vorbringen zu können.46 Ferner unterscheide sich die Fallgruppe des Flugzeugzwischenstopps deutlich von Situationen, in denen eine Kontaktaufnahme mit dem sicheren Drittstaat objektiv nicht möglich sei.47 Denn bei einer Zwischenlandung, im Rahmen welcher der Asylbewerber das Flugzeug verlassen könne, sei der tatsächliche Gebietskontakt zu dem sicheren Drittstaat hergestellt.




      46 BVerwGE 105, 194 ff. = NVwZ 1999, 313 ff.

      47 Siehe dazu BVerfGE 94, 49 (94).