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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Carsten Stahn


XI. Europäisches Gemeinschaftsrecht

1. Gemeinschaftsrecht und innerstaatliches Recht

      65. In seinem Urteil vom 10.1.2000 (8 UE 5098/96 = NVwZ 2001, 95) betonte der Hessische VGH, daß weder das Außenwirtschaftsgesetz (AWG)73, noch die Außenwirtschaftsverordnung (AWV)74 gegen europäisches Gemeinschaftsrecht, insbesondere Art. 133 EG, verstößt. Zum einen bestünden Bedenken, ob europarechtliche Regelungen - insbesondere Art. 133 EG - einschlägig seien, weil es sich bei Transithandelsgeschäften um Geschäfte handele, bei denen außerhalb des Wirtschaftsgebietes befindliche Waren durch Gebietsansässige von Gebietsfremden erworben und an Gebietsfremde weiter veräußert würden, wie sich aus � 40 Abs. 4 der Außenwirtschaftsverordnung ergebe. Aber auch dann, wenn man davon ausginge, daß die Vorschriften des AWG und der AWV i.V.m. der Anlage AL zur Außenwirtschaftsverordnung (Ausfuhrliste)75 zur gemeinsamen Handelspolitik i.S.d. Art. 133 Abs. 1 EG gehörten, sei davon auszugehen, daß die deutschen Kontrollvorschriften nicht gegen Europarecht verstoßen. Denn die EG habe durch Erlaß der Verordnung 2603/69 EWG76 von ihrer nach Art. 133 EG-Vertrag bestehenden ausschließlichen Rechtsetzungskompetenz auf dem Gebiet der gemeinsamen Handelspolitik Gebrauch gemacht. Art. 11 der Verordnung lasse Beschränkungen der Freiheit der Ausfuhr in Drittländer zu, die zum Schutz der Gesundheit, des Lebens und der Menschen oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eingeführt worden seien. Darunter falle auch der Schutz der auswärtigen Beziehungen sowie der Schutz des friedlichen Zusammenlebens der Völker77. Im Ergebnis stehe Europarecht daher den deutschen Kontrollvorschriften nicht entgegen. Dies gelte jedenfalls, soweit der Handel mit solchen Gegenständen unterbunden werden solle, die gegen das friedliche Zusammenleben der Völker eingesetzt werden könnten.

      66. Der VGH München stellte in seinem Beschluß vom 3.2.2000 (20 ZB 99.3675 = NVwZ 2001, 246) fest, daß die Erhebung der auf Grund von � 32 Abs. 1 Nr. 1 Nr. 13 LuftVG erlassenen Luftsicherheitsgebühr europarechtskonform ist. Art. 8 Abs. 2 der VO (EWG) Nr. 2408/9278, welche den Zugang von Luftfahrtunternehmen zu Strecken des innergemeinschaftlichen Luftverkehrs regelt, lasse in Bereichen der Sicherheit nationale Regelungen zu, ohne nähere Einzelheiten festzulegen. Danach stehe es den Mitgliedstaaten frei, einzelne Vorschriften auf dem Gebiet der Sicherheit zu treffen. Ferner sei die Erhebung der Luftsicherheitsgebühr auch nicht aus anderen Gründen gemeinschaftswidrig. Insbesondere stelle sie keine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit dar und zwar unabhängig von der noch nicht eindeutig geklärten Frage, ob im Verkehrswesen die Grundsätze des freien Dienstleistungsverkehrs nach Art. 49 anwendbar seien. Wende man Art. 49 EG auf dem Gebiet des Verkehrs entsprechend an, verbiete dieser zwar nicht nur die Beseitigung sämtlicher offener Diskriminierungen von Dienstleistungserbringern, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen, die geeignet seien, die Tätigkeit von Dienstleistungserbringern zu unterbinden oder zu behindern. Doch dies führe nicht zur Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der deutschen Regelung. Die Zurverfügungstellung staatlicher Infrastruktureinrichtungen zur Abwicklung des Verkehrs verursache den Mitgliedstaaten Kosten, die dem Anbieter oder Benutzer von solchen Leistungen aufgebürdet werden könnten. Dies geschehe im Straßenverkehr vielfach durch Steuern (z.B. Mineralölsteuer) oder Gebühren (z.B. Autobahngebühr), durch die gerade auch das Verkehrsnetz ausgebaut und unterhalten werden solle. Die Tatsache, daß das Erbringen von Verkehrsdienstleistungen Kosten verursache und diese Kosten auf den Anbieter umgelegt würden, stelle für sich keine Diskriminierung dar. So hindere Art. 72 EG beispielsweise einen Mitgliedstaat bis zum Inkrafttreten gemeinsamer Verkehrsvorschriften nicht am Erlaß von Maßnahmen, die sich für die inländischen Verkehrsunternehmen und für die Verkehrsunternehmen der anderen Mitgliedstaaten gleich ungünstig auswirken. Entsprechende Steuern und Gebühren seien nur dann unzulässig, wenn sie eine offene oder verdeckte Diskriminierung darstellen würden, was hier aber nicht der Fall sei, da alle Fluggesellschaften von der Gebühr gleich betroffen seien. Es entstehe keiner Fluggesellschaft ein Wettbewerbsvorteil bzw. -nachteil. Schließlich spreche für die Europarechtskonformität der Luftsicherheitsgebühr, daß sie bisher nicht von der Kommission nach Art. 8 Abs. 3 VO (EWG) Nr. 2408/92 beanstandet worden sei, obwohl hierzu seit 1992 die Möglichkeit bestanden hätte.

      67. In zwei Entscheidungen befaßten sich deutsche Gerichte mit den Folgen des Urteils des EuGH in der Rs. Kreil79 auf das deutsche Recht.80 Das VG Leipzig vertrat in seinem Urteil vom 16.2.2000 (6 K 52/00) die Auffassung, daß die - sich aus dem Kreil-Urteil ergebende - Pflicht zur Zulassung von Frauen zur Bundeswehr weder etwas über eine Dienstverpflichtung von Frauen, noch etwas über die Aufhebung der Dienstverpflichtung von Männern nach Art. 12 a Abs. 1 GG besagt. Die vorzunehmende verfassungsrechtliche Modifikation beschränke sich nach der Entscheidung des EuGH lediglich darauf, daß Frauen hinsichtlich dieser Gegenstände nicht mehr gegen ihren Willen vom Dienst an der Waffe ausgeschlossen werden dürften. Völlig unberührt lasse die Entscheidung hingegen die bisherige Verfassungsrechtslage, wonach Frauen auf keinen Fall gegen ihren Willen zum Dienst mit der Waffe herangezogen werden dürften. Folglich sei auch die Beschränkung der Dienstverpflichtung in Art. 12 a Abs. 1 GG auf Männer nicht berührt.

      Das BVerwG bestätigte dieses Ergebnis in seiner Entscheidung vom 27.12.2000 (6 B 63/00). Zusätzlich betonte es, daß die Entscheidung, Frauen in Friedenszeiten nicht zu einem Pflichtdienst heranzuziehen, auf der Wertung des Art. 12 a GG beruhe, der gleichen verfassungsrechtlichen Rang habe wie Art. 3 Abs. 2. und 3 GG und somit die Beschränkung der Wehr- und Ersatzdienstpflicht auf Männer rechtfertige, wenn man darin eine Benachteiligung i.S.d. Art. 3 Abs. 3 GG sähe.

      68. In seinem Beschluß vom 17.2.2000 (2 BvR 1210/98 = NJW 2000. 2015 = EuGRZ 2000, 175) bestätigte das BVerfG, daß die Rechtsprechung des BVerwG zur Rücknahmeabwägung und zur Nichtanwendung der Jahresfrist des � 48 Abs. 4 S. 1 VwVfg bei der Rückforderung gemeinschaftswidriger Subventionen nicht gegen die Verfassungsgrundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes verstößt. Das Gericht nahm die Verfassungsbeschwerde der gegen die Rücknahme eines Subventionsbescheids klagenden Firma Alcan Deutschland GmbH gegen das letztinstanzliche Urteil des BVerwG vom 23.4.199881 nicht zur Entscheidung an und zog damit einen vorläufigen Schlußstrich unter die Debatte um die Alcan-Rechtsprechung des EuGH.82 Das BVerwG hatte in seinem Urteil vom 23.4.1998 ausgeführt, nach der Rechtsprechung des EuGH stehe fest, daß das Gemeinschaftsrecht den Rückgriff auf die Ausschlußfrist des � 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG nicht zulasse. Das Vertrauensschutzinteresse des Begünstigten trete angesichts des besonderen Gewichts des Rücknahmeinteresses grundsätzlich schon dann zurück, wenn die staatliche Beihilfe ohne Beachtung des in Art. 88 EG zwingend vorgeschriebenen Überwachungsverfahrens, also ohne die Kontrolle der EG-Kommission gewährt worden sei. Eine sichere Grundlage für das Vertrauen auf die materielle Rechtmäßigkeit der Beihilfe könne nur dann bestehen, wenn das Überwachungsverfahren als Voraussetzung der Ordnungsmäßigkeit der Beihilfe eingehalten worden sei. Einem sorgfältigen Wirtschaftsunternehmen sei es regelmäßig möglich, sich zu vergewissern, ob diese Voraussetzung erfüllt ist. Sei das vorgeschriebene Überwachungsverfahren nicht durchgeführt worden, so sei das Vertrauen des Beihilfeempfängers nur ausnahmsweise schutzwürdig, wenn dafür besondere Umstände sprächen. Das BVerfG bestätigte diese Ausführungen. Es bekräftige, daß bei der Rücknahme gemeinschaftsrechtswidriger nationaler Beihilfen neben das mitgliedstaatliche öffentliche Interesse an der Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustands ein öffentliches Interesse der Europäischen Gemeinschaft an der Durchsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsordnung trete. Dieses eigene öffentliche Interesse der Gemeinschaft müsse bei der Rücknahmeabwägung Berücksichtigung finden. Insbesondere stehe nach der Rechtsprechung des EuGH fest, daß das Gemeinschaftsrecht die Rücknahme der Beihilfe auch nach Ablauf der Jahresfrist verlange. Die Entscheidung des BVerwG, die Fristregelung nicht anzuwenden, beruhe auf dem Grundsatz, daß dem Gemeinschaftsrecht Vorrang vor dem einfachen deutschen Recht zukomme und sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Frage nach einem ausbrechenden Rechtsakt i.S.d. Maastricht-Urteils des BVerfG stelle sich nicht. Denn die Entscheidung des EuGH diene allein der Durchsetzung der in Art. 88 Abs. 2 EG ausdrücklich vorgesehenen Befugnis der Kommission, die Rückforderung gemeinschaftsrechtswidriger Beihilfen anzuordnen. Sie wirke damit im Einzelfall und schaffe kein allgemeines gemeinschaftsunmittelbares Verwaltungsverfahrensrecht.

      69. Der 11. Senat des VGH Baden-Württemberg entschied in seinem Urteil vom 19.4.2000 (11 S 1387/99 = NVwZ 2000, 1070), daß die als selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübte Prostitution von der Niederlassungsfreiheit bzw. der Dienstleistungsfreiheit des Europäischen Gemeinschaftsrechts erfaßt wird.83 Die Niederlassungsfreiheit erstrecke sich auf die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten jeder Art sowie auf die Gründung und Leitung von Unternehmen, wobei die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat als dem Herkunftsland des Unionsbürgers auf unbestimmte Zeit erforderlich sei. Zwar fielen verbotene - insbesondere strafbare - Tätigkeiten, wie beispielsweise die illegale Tätigkeit als Drogenkurier oder -händler, nicht unter den gemeinschaftsrechtlichen Begriff der Erwerbstätigkeit. Zu diesen Tätigkeiten gehöre die Prostitution jedoch nicht. Vielmehr sei die Ausübung der Prostitution als solche nach geltendem nationalem deutschem Recht auch für Ausländer grundsätzlich nicht verboten. Im ausländerrechtlichen Bereich komme dies dadurch zum Ausdruck, daß der Ausweisungstatbestand des � 10 Abs. 1 Nr. 8 AuslG vom 28.4.196584 - wonach ein Ausländer ausgewiesen werden konnte, wenn er der Erwerbsunzucht nachging - durch die Bestimmung des am 1.1.1991 in Kraft getretenen � 46 Nr. 3 AuslG ersetzt worden sei, die eine Ausweisung wegen Ausübung der Prostitution nicht mehr generell, sondern nur noch dann ermögliche, wenn der Ausländer gegen eine für deren Ausübung geltende Rechtsvorschrift oder behördliche Verfügung verstoßen habe. Auch die weiteren in Deutschland geltenden rechtlichen Regelungen gingen davon aus, daß die Ausübung der Prostitution zwar besonderen Beschränkungen unterworfen werden könne, jedoch nicht allgemein strafbar oder sonst verboten sei. Ferner sei es für die Beurteilung nach dem Europäischen Gemeinschaftsrecht auch nicht erheblich, daß Prostitution (i.S.v. � 46 Nr. 3 AuslG: "Gewerbsunzucht") als sittenwidrige bzw. mit der Menschenwürde nicht zu vereinbarende und sozialwidrige Tätigkeit angesehen werde.85 Vielmehr komme es allein auf den Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Betätigung an, welcher durch das sozialethische Unwerturteil über diese Tätigkeit nicht ausgeschlossen werde. Zwar habe der EuGH bisher nicht ausdrücklich festgestellt, daß Unionsbürger sich zur Ausübung der Prostitution auf die Niederlassungsfreiheit berufen könnten. Er habe jedoch in dem Urteil in der Rs. Adoui und Cornuaille86 ausgesprochen, daß ein Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats nicht auf Grund des in Art. 39 und 46 EG enthaltenen Vorbehalts der öffentlichen Ordnung aus seinem Hoheitsgebiet entfernen oder ihnen die Einreise in sein Hoheitsgebiet verweigern dürfe, wenn dieses Verhaltens bei den eigenen Staatsangehörigen keine Veranlassung zu Zwangsmaßnahmen oder zu anderen tatsächlichen und effektiven Maßnahmen zur Bekämpfung dieses Verhaltens gebe. Darüber hinaus stellte der VGH Baden-Württemberg klar, daß es auch für das Vorliegen einer gemeinschaftsrechtlich geschützten Dienstleistung nicht erheblich sei, wie die Tätigkeit moralisch einzustufen sei. So habe der EuGH den ärztlichen Schwangerschaftsabbruch als Dienstleistung i.S.v. Art. 49 EG gewertet, und darauf hingewiesen, daß das Argument, die Vornahme einer Abtreibung könne nicht als Dienstleistung angesehen werden, da sie höchst unmoralisch sei, diese Beurteilung nicht beeinflussen könne87. Entsprechend der gemeinschaftsrechtlichen Beurteilung der Prostitution als Erwerbstätigkeit i.S.d. Niederlassungsfreiheit bestünden keine rechtlichen Bedenken, diese - gegen Entgelt erbrachte - Tätigkeit auch von der Dienstleistungsfreiheit erfaßt zu betrachten.

      70. Das Brandenburgische OLG nahm in seinem Urteil vom 31.5.2000 (14 U 144/99 = 14 U 144/99) zur Vereinbarkeit der Sitztheorie mit europäischem Gemeinschaftsrecht Stellung (siehe aber auch die Vorlagefrage des BGH [77]). Es befand, daß die Sitztheorie mit europäischem Gemeinschaftsrecht, insbesondere der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften vereinbar ist. Durch die Entscheidung des EuGH in der Rs. Centros88 habe sich an diesem Befund nichts geändert, weil diese Entscheidung nur die Niederlassungsfreiheit einer nach dänischem internationalem Privatrecht wirksam gegründeten ausländischen Gesellschaft betroffen habe, also entsprechend der Vorlagefrage des dänischen Gerichts von der Wirksamkeit dieser Gründung bereits ausgegangen sei. Dementsprechend habe der EuGH in dieser Entscheidung den Mitgliedstaaten die Wahl eines bestimmten Anknüpfungspunkts für das Gesellschaftsstatut nicht vorgeschrieben. Zudem habe der EuGH in seinem Daily Mail-Urteil89 ausdrücklich darauf hingewiesen, daß hinsichtlich des Gesellschaftsrechts in den Mitgliedstaaten erhebliche Unterschiede bestünden und diese Unterschiede nicht in Frage gestellt worden seien. In dieser Entscheidung heiße es: "In einigen Staaten muß nicht nur der satzungsmäßige, sondern auch der wahre Sitz, also die Hauptverwaltung der Gesellschaft, im Hoheitsgebiet liegen; die Verlegung der Geschäftsleitung aus diesem Gebiet hinaus setzt somit die Liquidierung der Gesellschaft mit allen Folgen voraus, die eine solche Liquidierung auf gesellschafts- und steuerrechtlichem Gebiet mit sich bringt. Andere Staaten gestehen den Gesellschaften das Recht zu, ihre Geschäftsleitung ins Ausland zu verlegen, aber einige � beschränken dieses Recht; die rechtlichen Folgen der Verlegung � sind in jedem Mitgliedsland anders. Der EWG-Vertrag trägt diesen Unterschieden in nationalem Recht Rechnung." Damit aber stehe auch die Rechtsprechung des EuGH der Sitztheorie nicht entgegen, die allein dem schutzwürdigen Interesse der Gläubiger und Dritter gerecht werde.

      71. Durch Beschluß vom 7.6.2000 (2 BvL 1/97 = BVerfGE 102, 147 = NJW 2000, 3124 = EuGRZ 2000, 328)90 entschied das BVerfG über die Vorlage des VG Frankfurt vom 24.10.1996 zu der Frage, ob die Anwendung der europäischen Bananenmarktordnung in der Bundesrepublik Deutschland mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Der Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG lag die Klage verschiedener Bananenimporteure gegen Beschränkungen beim Import von Drittlandsbananen zugrunde. Nachdem der EuGH entschieden hatte, gegen die Gültigkeit der VO (EWG) Nr. 404/9391 bestünden keine Bedenken, hatte das VG Frankfurt dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob die Anwendung der Einfuhrregelungen für Bananen mit dem Grundgesetz zu vereinbaren ist. Das VG Frankfurt vertrat die Auffassung, die Bestimmungen der Bananenmarktordung verletzten die klagenden Importfirmen in ihren Grundrechten auf Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG), freie Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) und Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG). Infolge der Bananenmarktordnung hätten die Klägerinnen ab dem 1.7.1993 ohne Übergangsregelung nur noch weniger als 50 % der zuvor eingeführten Mengen an Drittlandsbananen in die Bundesrepublik Deutschland einführen können. Dies entwerte ihr Eigentum an den Betriebsanlagen und beschränke ihre Berufsausübungsfreiheit in verfassungswidriger Weise, insbesondere wegen des Fehlens einer Übergangsregelung. Die Vorlage an das BVerfG hatte das VG Frankfurt mit dem Argument begründet, die Rechtsprechung des EuGH stoße an die Grenzen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts i.S.d. Maastricht-Rechtsprechung, da sie den nach dem Grundgesetz zu gewährenden Grundrechtsschutz nicht gewährleiste, die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus dem GATT nicht wahre und einem Handeln des Gemeinschaftsgesetzgebers außerhalb oder unter Verletzung der Vorschriften des EG-Vertrags nicht entgegentrete. Das BVerfG wies die Vorlage als unzulässig zurück. Es betonte, daß Vorlagen zu Regelungen des sekundären Gemeinschaftsrechts entsprechend Art. 100 Abs. 1 GG nur dann zulässig seien, wenn die Begründung im Einzelnen darlege, daß die gegenwärtige Rechtsentwicklung zum Grundrechtsschutz im europäischen Gemeinschaftsrecht den jeweils als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz generell nicht gewährleiste. Diesen Anforderungen genüge die Vorlage des VG Frankfurt nicht. Wie der Senat in seiner Solange II-Entscheidung vom 22.10.1986 (2 BvR 197/83 = BVerfGE 73, 339) festgestellt habe, übe das BVerfG seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht nicht mehr aus, solange die Europäischen Gemeinschaften einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaft generell gewährleisteten, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten sei. Hieran habe der Senat auch im Maastricht-Urteil festgehalten, wo er betont habe, daß das BVerfG seine Zuständigkeit in Kooperation mit dem EuGH ausübe. Der EuGH sei unter den Voraussetzungen, die der Senat in der Solange II-Entscheidung formuliert habe, auch für den Grundrechtsschutz der Bürger der Bundesrepublik Deutschland gegenüber Akten der nationalen (deutschen) öffentlichen Gewalt, die auf Grund von sekundärem Gemeinschaftsrecht ergingen, zuständig. Das BVerfG werde erst und nur dann im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit wieder tätig, wenn der EuGH den Grundrechtsstandard verlassen sollte, den der Senat in der Solange II-Entscheidung festgestellt habe. Diese Rechtsprechung sei durch Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG92 bestätigt worden. Ein deckungsgleicher Schutz in den einzelnen Grundrechtsbereichen des Grundgesetzes durch das europäische Gemeinschaftsrecht und die darauf basierende Rechtsprechung des EuGH sei nicht gefordert. Somit seien nach wie vor Verfassungsbeschwerden und Vorlagen von Gerichten von vornherein unzulässig, wenn ihre Begründung nicht darlege, daß die europäische Rechtsentwicklung einschließlich der Rechtsprechung des EuGH nach Ergehen der Solange II-Entscheidung unter den erforderlichen Grundrechtsstandard abgesunken sei. Die Begründung einer Richtervorlage müsse im einzelnen darlegen, daß der jeweils als unabdingbar gebotene Grundrechtsschutz generell nicht gewährleistet sei. Dies erfordere eine Gegenüberstellung des Grundrechtsschutzes auf nationaler und Gemeinschaftsebene in der Art und Weise, wie das BVerfG sie in der Solange II-Entscheidung geleistet habe. Hieran fehlt es bei der Vorlage des VG Frankfurt. Die Begründung der Vorlage beruhe auf einem Mißverständnis des Maastricht-Urteils und verfehle deshalb die Zulässigkeitsvoraussetzungen. Das vorlegende Gericht meine, das BVerfG übe seine Prüfungsbefugnis nach dem Maastricht-Urteil entgegen der Solange II-Entscheidung ausdrücklich wieder aus, wenn auch in Kooperation mit dem EuGH. Diese Aussage könne dem Maastricht-Urteil nicht entnommen werden. Ein Widerspruch zwischen den Entscheidungen Solange II und Maastricht bestehe nicht. Insbesondere habe der Senat im Maastricht-Urteil an keiner Stelle seine Auffassung über die Abgrenzung der Rechtsprechungszuständigkeit des EuGH im Verhältnis zum BVerfG und umgekehrt aufgegeben.

      72. Das OVG Münster entschied in seinem Urteil vom 30.8.2000 (9 A 5294/97 = NVwZ 2001, 691), daß sich die Zuständigkeit des EuGH für Schadensersatz aus außervertraglicher Haftung der EG nicht auf Ansprüche der EG gegen deutsche Bürger erstreckt, welche auf einem nach EG-Recht geschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhen. In dem Verfahren forderten der Rat und die Kommission der EG (Kläger) von dem Beklagten, einem ehemaligen Nichtvermarkter, die Rückzahlung einer Entschädigungssumme, die sie auf Grund eines Vergleichsvertrages auf der Grundlage der VO (EWG) Nr. 2187/9393 gezahlt hatten. Zuvor hatten die Kläger den Vertrag mit der Begründung gekündigt, dem Beklagten sei zu Unrecht eine endgültige spezifische Anlieferungs-Referenzmenge nach der VO (EWG) Nr. 1639/91 (Slom II-Regelung)94 zugeteilt worden. Die Klage war in erster Instanz als unzulässig abgewiesen worden. Das OVG Münster erachtete die Klage als unbegründet. Es stellte klar, daß - entgegen der Ansicht des VG - nicht der EuGH, sondern die nationalen Gerichte zur Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch zuständig sind. Der EuGH sei nur für die Streitsachen zuständig, für die im EG-Vertrag oder auf Grund vertraglicher Schiedsklauseln seine Zuständigkeit begründet worden sei. Insbesondere folge eine Zuständigkeit des EuGH nicht bereits daraus, daß die Gemeinschaft oder einzelne Organe der Gemeinschaft im Verfahren als Partei fungierten. Die allein in Betracht kommende Zuständigkeitsnorm des Art. 235 EG, welche eine Zuständigkeit des EuGH für Streitsachen über den in Art. 288 Abs. 2 EG vorgesehenen Schadenersatz eröffne, sei nicht erfüllt, da Art. 288 Abs. 2 EG nur den Bereich der außervertraglichen Haftung der Gemeinschaft und die daraus resultierenden Schadenersatzansprüche des Einzelnen gegen die Gemeinschaft betreffe. Im vorliegenden Fall gehe es aber nicht um etwaige gesetzliche Ansprüche des Beklagten gegen die EG auf Schadenersatz, sondern um einen Anspruch der Gemeinschaft bzw. hier ihrer Organe gegen den Beklagten auf Rückzahlung von zu Unrecht geleisteten Zahlungen auf Grund einer gesonderten vertraglichen Vereinbarung. Bei einer Entscheidung über diesen Rückforderungsanspruch seitens eines nationalen Gerichts werde das Entscheidungsmonopol des EuGH nach Art. 235, 288 Abs. 2 EG nicht tangiert. Denn die Frage, ob die Kläger ihre Pflichten aus dem EG-Vertrag verletzt hätten und ob deshalb dem Beklagten gesetzliche Schadenersatzansprüche gegen die EG zustehen könnten, sei nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Deshalb sei für den geltend gemachten Zahlungsanspruch gemäß � 40 Abs. 1 S. 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Der Vertrag zwischen den Klägern und dem Beklagten vom 27.12.1993 sei ein nach EG-Recht öffentlich-rechtlicher Vertrag, welcher der Umsetzung der VO (EWG) Nr. 2187/93 diene. Angesichts des Umstandes, daß sich konkrete Festlegungen weder im Vertrag selbst noch in der Verordnung (EWG) Nr. 2187/93 fänden und sich bisher im EG-Recht noch keine allgemein anerkannten Verfahrensgrundsätze für die Abwicklung öffentlich-rechtlicher Verträge herausgebildet hätten, seien im vorliegenden Fall die deutschen Verfahrensgrundsätze für die Behandlung öffentlich-rechtlicher Verträge nach �� 54 ff. VwVfG anzuwenden.

      73. In seinem Urteil vom 27.9.2000 befand das OVG Münster (5 A 4916/98 = DÖV 2001, 217), daß das Verbot von Laserspielen in einem Laserdrome, bei denen Menschen zum Objekt simulierter Tötungshandlungen gemacht werden, mit der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit vereinbar ist. Das Gericht begründete seine Auffassung damit, daß unterschiedslose Hemmnisse für den freien Dienstleistungsverkehr bzw. die freie Niederlassung nach der Rechtsprechung des EuGH jedenfalls dann zulässig seien, wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt seien. Dies sei in Bezug auf laserbetriebene Kampfspiele der Fall, bei denen simulierte Tötungshandlungen den Hauptgegenstand öffentlich veranstalteter Unterhaltungsspiele darstellten. Denn durch das Verbot derartiger Spiele solle der Abbau von Hemmschwellen im Bereich von Gewalt- und Tötungsdelikten verhindert werden. Das Verbot diene damit dem vorbeugenden Schutz gegen Gewaltdelikte und gehöre zu den Anliegen der Sozialpolitik und Verbrechensbekämpfung, die vom EuGH als zwingende Gründe des Allgemeininteresses angesehen worden seien. Ferner bestehe in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ein allgemeiner Konsens über die hinter dem Verbot stehenden Werte und Normen, nämlich die Menschenwürde, das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie das staatliche Gewaltmonopol. Unterschiedlich werde lediglich die Frage beurteilt, in welcher Art und Weise Gewaltdelikte vorbeugend bekämpft werden sollten. Insoweit habe der EuGH den Mitgliedstaaten jedoch Ermessen darüber eingeräumt, wie weit sie in ihrem Gebiet den Schutz der Sozialordnung ausdehnen wollten. Dem jeweiligen Mitgliedstaat obliege deshalb die Beurteilung, ob es im Rahmen des angestrebten Ziels notwendig sei, die in Rede stehende Variante des Laserspiels zu verbieten. Allein der Umstand, daß ein Mitgliedstaat ein anderes Schutzsystem als ein anderer Mitgliedstaat gewählt habe, habe keinen Einfluß auf die Beurteilung der Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit des Verbots, das allein im Hinblick auf die von den jeweiligen nationalen Stellen verfolgten Ziele und das von ihnen angestrebte Schutzniveau zu beurteilen sei.

      74. In seinem Urteil vom 12.10.2000 (III R 35/95 = BFHE 193, 204 = NVwZ 2001, 715) mußte sich der BFH mit der Frage auseinandersetzen, ob die rückwirkende Absenkung von steuerrechtlichen Beihilfen nach Feststellung ihrer Unvereinbarkeit mit EG-Recht verfassungsrechtlich zulässig ist. Der Kläger hatte am 23.7.1993 für im Laufe des Jahres 1992 angeschaffte Wirtschaftsgüter eine Investitionszulage von 12 % auf der Grundlage des Investitionszulagengesetzes für Berlin-West von 1991 beantragt. Nachdem die Europäische Kommission in ihrer Entscheidung vom 31.7.1992 im Hauptprüfverfahren nach Art. 88 Abs. 2 EG jedoch festgestellt hatte, daß eine Investitionszulage von mehr als 8 % unzulässig ist, war der Investitionszulagensatz durch Art. 13 des Verbrauchssteuer-Binnenmarktgesetzes (VerbrBinmG)95 rückwirkend, d.h. mit Wirkung für das 1. Halbjahr 1992, auf 8 % gesenkt worden. Der Kläger wehrte sich gegen die Festsetzung seiner Investitionszulage durch das Finanzamt nach Maßgabe der in Art. 13 VerbrBinmG 8 % und machte geltend, das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der vom deutschen Gesetzgeber erlassenen Gesetze erscheine jedenfalls für kleinere und mittlere Unternehmen selbst bei einem Verstoß gegen die Notifizierungsverpflichtung nach Art. 88 Abs. 3 EG als schützenswert. Auch überragende Gründe des Gemeinwohls könnten eine echte Rückwirkung der gesetzlichen Änderungen nicht rechtfertigen, da die Notwendigkeit gemeinschaftstreuen Verhaltens bisher vom BVerfG nicht als dem Gemeinwohl dienender Grund anerkannt worden sei. Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück. Er führte aus, die Änderung des InvZulG 1991 a.F. durch das VerbrBinmG verstoße nicht gegen die verfassungsrechtlichen Grenzen einer Rückwirkung von belastenden Gesetzen. Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab für die Beurteilung rückwirkender Gesetze sei das aus Art. 20 Abs. 3 GG abgeleitete Rechtsstaatsprinzip. Die Rechtslage bei der rückwirkenden Änderung des InvZulG 1991 durch Art. 13 VerbrBinmG sei ähnlich wie bei der rückwirkenden Ersetzung einer ungültigen oder verfassungswidrigen Norm durch den Gesetzgeber. Der Änderung des InvZulG 1991 sei die Entscheidung der Kommission vom 31.7.1992 vorausgegangen, mit der diese u.a. festgestellt habe, daß die von der Bundesrepublik nach �� 3 S. 1 Nr. 1, 5 Nr. 1 und 11 Abs. 2 InvZulG 1991 a.F. gewährte Investitionszulage unter Verstoß gegen Art. 88 Abs. 3 EG in Kraft gesetzt worden sei und primäres Gemeinschaftsrecht verletzte, soweit der Zulagensatz mehr als 8 % betrage. Diese Entscheidung der Kommission sei bestandskräftig geworden, da weder die Bundesrepublik noch ein von der Entscheidung unmittelbar und individuell betroffener Steuerpflichtiger innerhalb der Klagefrist des Art. 230 Abs. 5 EG Nichtigkeitsklage gemäß Art. 230 Abs. 4 EG beim EuGH erhoben hätten. Stünden nationale Beihilfevorschriften indes im Widerspruch zu unmittelbar in den Mitgliedstaaten der EU geltenden Bestimmungen der EG, komme den primären Gemeinschaftsrechtsnormen Vorrang zu vor nationalem Recht. Deshalb sei der deutsche Gesetzgeber verpflichtet gewesen, das InvZulG 1991 in dem von der Kommission festgestellten Umfang, d.h. rückwirkend zu ändern. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts gewährleiste im Beihilfenrecht u.a., daß es einem durch Wettbewerbsverzerrungen betroffenen Mitgliedstaat oder der Kommission ermöglicht werde, vor dem EuGH den gemeinschaftswidrig handelnden Staat wegen Vertragsverletzung zu verklagen. Wegen des Risikos eines Klageverfahrens bei Nichtbeachtung der Kommissionsentscheidung sei die rückwirkende Änderung des InvZulG 1991 durch Art. 13 VerbrBinmG auch aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls geboten. Ein Betroffener sei nicht rechtsschutzlos, obwohl er die Bestandskraft der Kommissionsentscheidung hinnehmen müsse, die zu der rückwirkenden Änderung des InvZulG 1991 durch Art. 13 VerbrBinmG geführt habe. Das Verbot der echten Rückwirkung, das der Kläger gegen die rückwirkende Änderung des InvZulG 1991 geltend mache, finde seinen Grund und seine Grenze im Grundsatz der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Deshalb sei das mitgliedstaatliche öffentliche Interesse an der Wiederherstellung eines mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbaren Zustands in Bezug auf das InvZulG 1991 a.F. zusammen mit dem öffentlichen Interesse der EG an der Durchsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsordnung abzuwägen gegen Vertrauensschutzgesichtspunkte des Klägers. Doch seien im vorliegenden Fall keine durchschlagenden Vertrauensschutzgesichtspunkte zugunsten des Klägers erkennbar. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG entfalle auch bei einer echten Rückwirkung das schutzwürdige Vertrauen in den Bestand der bisherigen gesetzlichen Regelung in der Regel schon im Zeitpunkt des endgültigen Gesetzesbeschlusses des Deutschen Bundestages über die Neuregelung. Zwar sei im Streitfall der Gesetzesbeschluß des Deutschen Bundestages über die Änderung des InvZulG 1991 a.F. erst nach dem ersten Halbjahr 1992 gefaßt worden, doch könne selbst vor der Entscheidung der Kommission über die Rechtmäßigkeit der Beihilfen kein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen entstehen, sobald der Bundesminister der Finanzen die Einleitung eines Hauptprüfungsverfahrens durch die Kommission wegen der Beihilfen mitgeteilt habe und er deshalb angeordnet habe, die Beihilfen abweichend vom Gesetz nur noch in geringerer Höhe zu gewähren. Dies sei am 17.2.1992, d.h. noch vor Antragstellung des Klägers vom 23.7.1993 geschehen. Das BVerfG gewähre angesichts der Ankündigung einer rückwirkenden Gesetzesänderung durch die Bundesregierung sogar dann keinen Vertrauensschutz für die Betroffenen mehr, wenn die Bundesregierung zunächst einen späteren Anfangszeitpunkt für die Rückwirkung beschlossen habe, der Gesetzgeber den Beginn der Rückwirkung aber auf den Beschluß der Bundesregierung verlegt habe. Ähnlich müsse der Vertrauensschutz für die Betroffenen mit dem Zeitpunkt der Ankündigung des zuständigen Bundesministers entfallen, daß wegen der Einleitung eines Hauptprüfverfahrens durch die Kommission eine rückwirkende Gesetzesänderung geboten sein könne und daher das geltende Gesetz nur noch in der Fassung der möglicherweise gebotenen Änderung angewendet werden dürfe.

      75. Das LG Frankfurt entschied in seinem Urteil vom 9.12.2000 (2-03 0 366/00 = CR 2001, 185), daß weder das nach deutschem Recht zulässige Verbot des gewerblichen Versandhandels mit Arzneimitteln, noch das Verbot, für den Online-Versand von Arzneimitteln zu werben, gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, weil es für einen wirksamen Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen notwendig ist. Das Gericht betonte, daß ein möglicher Verstoß gegen Art. 28 EG jedenfalls nach Art. 30 EG gerechtfertigt sei, der Einfuhr- und Durchfuhrbeschränkungen zum Schutz der Gesundheit und des menschlichen Lebens zulasse. Der Kammer sei nicht ersichtlich, wie unter den derzeit gegebenen rechtlichen Voraussetzungen der Schutz der öffentlichen Gesundheit auf weniger einschneidende Weise als durch das Verbot des gewerblichen Versandhandels erreicht werden könne. Zwar sei der Kammer bewußt, daß das deutsche Verbot des Versandhandels mit Arzneimitteln via Internet möglicherweise nicht für alle Zukunft aufrechterhalten werden könne. Denkbar sei es, den Versandhandel mit Medikamenten in eingeschränktem Umfang zuzulassen und durch Rechtsvorschriften genaue Vorgaben für derartige Versandhandelstatbestände zu machen, die auch strenge Qualitätskontrollen beinhalten müßten. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei das gewerbliche Versandhandelsverbot jedoch noch erforderlich. Durch das Verbot solle in erster Linie sichergestellt werden, daß dem Endverbraucher beim Kauf eines Arzneimittels die Möglichkeit einer persönlichen und qualifizierten Beratung durch einen Apotheker zur Verfügung stehe. Hierfür stelle das Versandhandelsverbot eine geeignete Maßnahme dar. Beim Versand von Arzneimitteln aus Apotheken könne der Schutz der menschlichen Gesundheit nicht ebenso gut gewährleistet werden wie bei der Übergabe des Arzneimittels in den Apothekenbetriebsräumen. Die persönliche Beratung, welche ein Patient in der Apotheke erfahre, sei von anderer Qualität als die Beratung, die im Rahmen des Internethandels angeboten werde. Insbesondere sei dem Kunden im Rahmen der persönlichen Beratung möglich, sofort Rückfragen zu stellen, während er beim Kauf in der Internetapotheke versucht sei, Fragen auf sich beruhen zu lassen und das Medikament einzunehmen, ohne mögliche Bedenken vorher abgeklärt zu haben. Ferner sei der Medikamentenmißbrauch bei der Bestellung von Arzneimitteln via Internet leichter möglich als beim Kauf des Medikaments in den Apothekenräumen. Hinzu komme, daß bei dem Versand von Arzneimitteln, welche die Internetapotheke aus Kostengründen häufig aus dem Ausland beziehe, nicht gewährleistet sei, daß der deutsche Kunde zu dem von ihm bestellten Medikament einen Beipackzettel erhalte, der die notwendigen Informationen in deutscher Sprache enthalte. Dies wiederum erhöhe die Gefahr des Arzneimittelfehlgebrauchs. Auch berge der Versandhandel im Hinblick auf Durchführung der notwendigen Kontrollen betreffend die Haltbarkeit, Lagerungsfähigkeit und sonstige Qualitätsmerkmale Risiken in sich, die beim Verkauf in den Apothekenräumen nicht einträten. Schließlich stehe einem wirksamen Gesundheitsschutz auch die Tatsache entgegen, daß beim Versand von Medikamenten aus dem EU-Ausland teilweise in Deutschland nicht zugelassene Medikamente eingeführt würden. Nicht umsonst erlaube � 73 Abs. 3 AMG nur ganz ausnahmsweise die Einfuhr von in Deutschland nicht zugelassenen Medikamenten durch Apotheken, sofern sie auf Einzelbestellung von Patienten und Ärzten beruhten.




      73 BGBl. 1961 I, 481.

      74 Verordnung zur Durchführung des AWG vom 18.12.1986, BGBl. 1986 I, 2671, i.d.F. v. 22.11.1993, BGBl. 1993 I, 1934.

      75 BAnz. Nr. 125 sowie BT-Drs. 14/1414.

      76 Verordnung (EWG) Nr. 2603/69 des Rates vom 20.12.1969 zur Festlegung einer gemeinsamen Ausfuhrregelung, ABl. EG Nr. L. 324, 25, zuletzt geändert durch VO (EWG) Nr. 3918/91, ABl. EG Nr. L 372 vom 31.12.1991, 31.

      77 Vgl. � 7 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AWG.

      78 VO (EWG) Nr. 2408/92 des Rates vom 23.7.1992 über den Zugang von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft zu Strecken des innergemeinschaftlichen Flugverkehrs (ABl. EG Nr. L 240, 8).

      79 EuGH, Urteil vom 11.1.2000 - Rs. C-285/98, Slg. 2000, I-69 = NJW 2000, 497 - Kreil.

      80 Siehe dazu auch C. Stahn, Streitkräfte im Wandel - Zu den Auswirkungen der EuGH Urteile Sirdar und Kreil auf das deutsche Recht, EuGRZ 2000, 121.

      81 BVerwGE 106, 328. Siehe dazu auch Ziegler, Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1998 [99], 244.

      82 EuGH, Urteil vom 20.3.1997, Rs. C-24/95, Slg. 1997, 1591.

      83 Noch offenlassend hingegen das Urteil des 13. Senats des VGH Baden-Württemberg vom 1.3.2000 (13 S 159/00 = InfAuslR 2000, 272).

      84 BGBl.1965 I, 353.

      85 So aber - und von daher eine Freizügigkeit verneinend - BVerwG, Urteil vom 15.7.1980, BVerwGE 60, 284 = NJW 1981, 1168.

      86 EuGH, Urteil vom 18.5.1982, Rs. 115 und 116/81, Slg. 1982, 1665 = NJW 1983, 1250 - Adoui und Cornuaille.

      87 EuGH, Urteil vom 4.10.1991, Rs C-159/90, Slg. 1991, S. I-4685 - Grogan.

      88 EuGH, Urteil vom 9. 3.1999, Rs. C-212/97, Slg.1999, I-1459 = NJW 1999, 2027 - Centros.

      89 EuGH, Urteil vom 27. 9. 1988, Rs. 81/87, Slg. 1988, 5483 = NJW 1989, 2186 - Daily Mail.

      90 Vgl. dazu die Anm. von F. C. Mayer, EuZW 2000, 425 und C. Schmid, NVwZ 2001, 249.

      91 VO (EWG) Nr. 404/93 des Rates vom 13.2.1993 über die gemeinsame Marktordnung für Bananen, ABl. EG, Nr. L 47 vom 25.2.1993.

      92 Eingefügt durch Gesetz vom 21.12.1992, BGBl. 1992 I, 2086.

      93 VO (EWG) Nr. 2187/93 des Rates vom 22.7.1993, ABl. EG Nr. L 196, 6.

      94 VO (EWG) Nr. 1639/91 des Rates vom 13.6.1991 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 857/84 über Grundregeln für die Anwendung der Abgabe gemäß Art. 5 c der VO (EWG) Nr. 804/68 im Sektor Milch und Milcherzeugnisse, ABl. EG Nr. L 150/35.

      95 BGBl. I 1992, 2150.