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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


950. ASYLRECHT UND ASYLGRUNDRECHT

Nr.88/1

Nach Art.16 Abs.2 Satz 2 GG können Verfolgungsmaßnahmen auch dann, wenn sie an andere als die in Art.1A Nr.2 der Genfer Flüchtlingskonvention ausdrücklich genannten Merkmale und Eigenschaften anknüpfen, als politische Verfolgung einzustufen sein. Dies gilt etwa für die auf eine irreversible und schicksalhafte homosexuelle Prägung abzielende Todesstrafe im Iran.

Under Art.16 (2) (2) of the Basic Law, acts of persecution can be qualified as political persecution even if they are based on features and characteristics other than those expressly mentioned in Art.1A (2) of the Geneva Convention Relating to the Status of Refugees. This applies, for instance, to the imposition of the death penalty in Iran on the basis of an irreversible and predetermined homosexual character.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15.3.1988 (9 C 278.86), BVerwGE 79, 143 (ZaöRV 50 [1990], 94)

Einleitung:

      Nach dem Islamischen Strafgesetzbuch des iranischen Staats vom 25. August 1982 wird der Geschlechtsverkehr unter erwachsenen Männern mit dem Tode bestraft. Andere sexuelle Handlungen zwischen erwachsenen Männern ziehen eine Strafe von 100 Peitschenhieben nach sich; im dreimaligen Wiederholungsfall wird ebenfalls die Todesstrafe verhängt. Die homosexuelle Veranlagung als solche wird nicht bestraft. Der bis dahin im Iran nicht aufgefallene homosexuell veranlagte Kläger kam 1980 in die Bundesrepublik. Seine Klage gegen die Ablehnung seines Asylantrags hatte in allen Instanzen Erfolg.

Entscheidungsauszüge:

      Aufgrund dieses Sachverhalts ... ergibt sich in rechtlicher Hinsicht, daß der Kläger politisch Verfolgter i.S. des Art.16 Abs.2 Satz 2 GG ist, weil ihm aufgrund seiner homosexuellen Prägung bei einer Rückkehr in den Iran mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht und er hierdurch auch in der bei ihm bestehenden Veranlagung getroffen werden soll.
      Entgegen der Ansicht des Bundesbeauftragten steht der Eigenschaft des Klägers als eines politisch Verfolgten nicht von vorneherein entgegen, daß nach dem Wortlaut des Art.1A Nr.2 GK der Begriff des Flüchtlings eine begründete Furcht vor Verfolgung "wegen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung" zur Voraussetzung hat. Es kann dabei dahinstehen, ob ... diese Aufzählung persönlicher Merkmale und Eigenschaften nach Auffassung der Vertragsstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention abschließend sein sollte und ob unter dieser Voraussetzung ... Homosexuelle als Angehörige einer bestimmten sozialen Gruppe angesehen werden könnten, was in der Tat zweifelhaft erscheint. Der Bundesbeauftragte übersieht nämlich, daß nicht eine unmittelbare Anwendung des Art.1A Nr.2 GK auf die Person des Klägers in Rede steht, sondern der Begriff des politisch Verfolgten i.S. des Art.16 Abs.2 Satz 2 GG auszulegen ist. Dieser von der Verfassung nicht näher abgegrenzte Begriff ist allerdings in ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in enger Anknüpfung an den Regelungsinhalt des Art.1A Nr.2 GK näher bestimmt worden ... Das bedeutet indessen nicht, daß eine politische Verfolgung i.S. des Art.16 Abs.2 Satz 2 GG ausschließlich und allein auf Zugriffe wegen der in Art.1A Nr.2 GK ausdrücklich genannten persönlichen Merkmale beschränkt wäre. Ausschlaggebend für die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfolgte Orientierung des Begriffs des politisch Verfolgten am Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonvention war, daß sich in der grundgesetzlichen Asylgewährung das unmittelbare Erlebnis zahlloser Verfolgungs- und Vertreibungsschicksale vor allem auch während der NS-Zeit und nach 1945 widerspiegelt, die Genfer Flüchtlingskonvention ihrerseits ebenfalls an geschichtlich erfahrene Verfolgungen und Verfolgungsschicksale anknüpft und die in Art.1A Nr.2 GK benannten menschlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen demgemäß solche sind, die nach geschichtlicher Erfahrung die häufigsten und entscheidenden Anknüpfungs- und Bezugspunkte für die Unterdrückung und Verfolgung Andersartiger und Andersdenkender bildeten und weiterhin bilden ...
      Schon dies macht deutlich, daß der Vorschrift des Art.1A Nr.2 GK zwar eine sehr wesentliche, indessen keine strikt abschließende Bedeutung für die Bestimmung politischer Verfolgungsgründe im Rahmen des Art.16 Abs.2 Satz 2 GG zukommt. Dementsprechend hat der Senat bereits im Urteil vom 8. November 1983 (BVerwGE 68, 171) im Hinblick auf kritische Äußerungen im Schrifttum ausdrücklich klargestellt, daß es sich bei der maßgeblich vom Inhalt des Art.1A Nr.2 GK bestimmten Auslegung des Begriffs des politisch Verfolgten in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lediglich um eine "Anlehnung" an den Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonvention handelt, der wegen der gebotenen weiten Auslegung des Asylgrundrechts und des ihm gebührenden Vorrangs vor dem einfachen Recht nur bei einem "sachgerechten Verständnis" eine Erfassung aller denkbaren Fälle politischer Verfolgung ermöglicht. Art.16 Abs.2 Satz 2 GG schließt daher nicht schlechthin aus, auch andere als die in Art.1A Nr.2 GK ausdrücklich genannten Merkmale als asylbegründend anzusehen, wenn sie zum Anknüpfungs- und Bezugspunkt für Verfolgungsmaßnahmen genommen werden. In dieser Hinsicht können solche persönlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen in Betracht kommen, die nach Art und Charakter den asylrechtlich stets erheblichen Merkmalen wie der Rasse, der Nationalität, der Religion oder der politischen Überzeugung vergleichbar sind, was insbesondere dann naheliegt, wenn sie sich in der Vergangenheit ebenfalls bereits als verfolgungsträchtig erwiesen haben. Es leuchtet beispielsweise ohne weiteres ein, daß jemandem, der wegen seiner Hautfarbe verfolgt wird, in gleicher Weise asylrechtlicher Schutz zusteht wie dem, der wegen seiner Rasse oder Nationalität Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt ist. Diese Einsicht ergibt sich daraus, daß die persönlichen Merkmale "Rasse" und "Nationalität" die übergreifende Gemeinsamkeit aufweisen, Eigenschaften zu bezeichnen, die den Betroffenen ohne eigenes Zutun, sozusagen schicksalhaft zufallen ... Allein oder zumindest auch wegen dieser ihnen unabänderlich anhaftenden persönlichen Merkmale werden sie aus der Sicht des Verfolgers als andersartig klassifiziert, und zwar in dem negativen Sinne, daß sie als Folge ihrer Andersartigkeit als minderwertig, lebensunwert, schädlich oder gefährlich eingestuft werden. Der ihnen gewährte asylrechtliche Schutz beruht auf dem allgemeinen Gesichtspunkt, daß derjenige Asyl genießen soll, der Verfolgungsmaßnahmen deshalb befürchten muß, weil er aufgrund unabänderlicher persönlicher Merkmale anders ist, als er nach Ansicht des Verfolgers zu sein hat. In Art.16 Abs.2 Satz 2 GG kommt damit ... unter anderem die allgemeine Rechtsüberzeugung zum Ausdruck, daß kein Staat das Recht haben soll, eine Person wegen ihr unveränderlich anhaftender Eigenschaften an Leib, Leben oder Freiheit zu beeinträchtigen. Aus diesen Überlegungen muß - auch vor dem historischen Hintergrund der in KZ-Lagern vollzogenen "Sonderbehandlung" von Homosexuellen im Dritten Reich ... zu den asylrechtlich relevanten unveränderlichen Eigenschaften auch eine homosexuelle Veranlagung in der Ausprägung, wie sie beim Kläger vorhanden ist, gerechnet werden.
      Das Berufungsgericht hat in dieser Hinsicht im einzelnen festgestellt, daß es sich hierbei nicht um eine bloße Neigung handelt, der nachzugeben mehr oder weniger im Belieben des Klägers stünde, sondern daß in dessen Person im Sinne einer irreversiblen Prägung eine unentrinnbare schicksalhafte Festlegung auf homosexuelles Verhalten gegeben ist, die das Gefühlsleben des Klägers einschließlich seines sexuellen Verhaltens seit seinem 15. oder 16. Lebensjahr bestimmt. ... Einer seiner demnach asylrechtlich relevanten Veranlagung geltenden Verfolgung wird der Kläger bei einer Rückkehr in den Iran auch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt sein.
      Allerdings stellen die im Iran bestehenden, die Homosexualität betreffenden Verbotsnormen als solche noch keinen hierauf abzielenden Eingriff dar. Nach ihrem vom Berufungsgericht festgestellten Inhalt knüpfen sie eindeutig nicht schon an die homosexuelle Veranlagung, sondern an ein bestimmtes äußeres Verhalten an ... Damit ist jede einverständliche sexuelle Betätigung unter erwachsenen Männern untersagt. Wie das Berufungsgericht aufgrund der von ihm verwerteten Erkenntnisquellen weiterhin festgestellt hat, ist homosexuelles Verhalten mit islamischen Ordnungs- und Moralvorstellungen schlechthin unvereinbar. Die bestehenden Verbote sollen daher ... zum Schutz der öffentlichen Moral davon abhalten, sich homosexuell zu betätigen. Die Verbotslage im Iran entspricht damit im wesentlichen der Verbotslage, wie sie bis zum Erlaß des Ersten Strafrechtsänderungsgesetzes vom 25. Juni 1969 (BGBl.I S.645) auch in der Bundesrepublik Deutschland bestanden hat. ...
      Das Bundesverfassungsgericht hat dies von Verfassungs wegen nicht beanstandet. Es hat ausgeführt, homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen gingen über den "engsten Intimbereich" hinaus; sie lägen im Grenzbereich zwischen privatem und sozialem Bereich, in den der Gesetzgeber auch mit Strafnormen eingreifen dürfe, wenn er sich dafür auf das Sittengesetz als rechtliche Schranke der freien Entfaltung der Persönlichkeit berufen könne. Gleichgeschlechtliche Betätigung unter Männern verstoße jedoch eindeutig gegen das Sittengesetz (BVerfGE 6, 389 [433 f.]). ... In gleicher Weise geht auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem zu Art.8 EMRK ergangenen Urteil vom 22. Oktober 1981 (EuGRZ 1983, 488) als Grundsatz davon aus, daß eine gewisse Regelung des männlichen homosexuellen Verhaltens i.S. des Art.8 Abs.2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutze der Moral notwendig sein könne. Die Grundfunktion des Strafrechts in diesem Bereich sei es, die öffentliche Ordnung und Sitte zu erhalten und die Bürger vor Belästigung und Beleidigungen zu schützen. Die Notwendigkeit einer gewissen Kontrolle könne sogar einverständliche Handlungen des Privatbereichs umfassen. Ob dies in einem Lande der Europäischen Menschenrechtskonvention tatsächlich notwendig sei, hänge davon ab, ob aufgrund der in dem betreffenden Lande herrschenden Moralvorstellungen ein dringendes öffentliches Bedürfnis bestehe. Dabei ist es aus der Sicht des Art.16 Abs.2 Satz 2 GG ohne Bedeutung, ob sich in der Bundesrepublik nach der Liberalisierung des Sexualstrafrechts durch das Erste und Vierte Strafrechtsänderungsgesetz die sittlichen Anschauungen über homosexuelle Verhaltensweisen allgemein gewandelt haben. Dies würde nämlich nichts für die Beurteilung homosexueller Betätigung durch andere Länder und ein durch die dort herrschenden Vorstellungen vorhandenes Bedürfnis eines Verbots aus Gründen der öffentlichen Moral ergeben. Das Asylrecht hat nicht die Aufgabe, möglicherweise gewandelte moralische Anschauungen in der Bundesrepublik über homosexuelles Verhalten in anderen Staaten durchzusetzen. Aus diesen Gründen kann der Untersagung einverständlicher homosexueller Betätigung unter Erwachsenen im Heimatland des Asylsuchenden aus Gründen der dort herrschenden öffentlichen Moral für sich allein keine asylrechtliche Bedeutung beigemessen werden. Der Zwang, sich entsprechend den in dieser Hinsicht herrschenden sittlichen Anschauungen zu verhalten und hiermit nicht im Einklang stehende Verhaltensweisen zu unterlassen, stellt für denjenigen, der sich ihm beugt, keine politische Verfolgung i.S. des Art.16 Abs.2 Satz 2 GG dar. Der Kläger kann deshalb nicht allein schon deshalb als Asylberechtigter anerkannt werden, weil er sich bei einer Rückkehr in den Iran mit den dort bestehenden Verboten konfrontiert sehen würde.
      Seine politische Verfolgung ergibt sich jedoch aufgrund der im vorliegenden Fall vom Berufungsgericht festgestellten besonderen Umstände, die zum einen in der Person des Klägers begründet sind und sich zum anderen aus den gegenwärtigen politischen Verhältnissen im Iran ergeben. Danach muß revisionsgerichtlich davon ausgegangen werden, daß der Kläger bei einer Rückkehr in den Iran - erstens - für seine Person in die Gefahr gerät, mit schweren Leibesstrafen sowie der Todesstrafe belegt zu werden, und - zweitens - mit deren Verhängung und Vollstreckung auch seine homosexuelle Veranlagung getroffen werden soll.
      Eine Verfolgungsgefahr liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor, wenn dem Asylsuchenden für seine Person bei verständiger, nämlich objektiver, Würdigung der gesamten Umstände seines Falles - politische - Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, so daß ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren (vgl. z.B. .... BVerwGE 55, 82 [83]; ... BVerwGE 70, 169). Die "verständige Würdigung aller Umstände" hat dabei eine Prognose zum Inhalt, die nicht allein darauf abstellen darf, was im maßgebenden Zeitpunkt gegenwärtig geschieht oder als unmittelbar bevorstehend erkennbar ist ... Im Rahmen dieser Prognose ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es ist maßgebend, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Asylsuchenden Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Eine in diesem Sinne wohlbegründete Furcht vor einem Ereignis kann deshalb auch dann vorliegen, wenn aufgrund einer "quantitativen" oder statistischen Betrachtungsweise weniger als 50 % Wahrscheinlichkeit für dessen Eintritt besteht (vgl. Urteil des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten, UNHCR-Zeitschrift "Flüchtlinge", August-Nr. 1987, S.8, 9). Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist deshalb dann anzunehmen, wenn bei der im Rahmen der Prognose vorzunehmenden "zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts" ... die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist es rechtlich nicht ausgeschlossen, bei der Prognose, die die Wahrscheinlichkeit künftiger Geschehensabläufe bei einer hypothetisch zu unterstellenden Rückkehr des Asylsuchenden in seinen Heimatstaat zum Gegenstand hat, auch ein die Verfolgung erst auslösendes zukünftiges eigenes Verhalten des Asylsuchenden in seinem Heimatstaat jedenfalls dann zu berücksichtigen, wenn es mehr oder weniger zwangsläufig zu erwarten ist und damit die Gefährdung des Asylsuchenden in so greifbare Nähe gerückt ist, daß sie wie eine unmittelbar drohende Gefahr als asylrechtlich beachtlich eingestuft werden muß.
      Nach diesen Maßstäben läßt sich zunächst die ... Prognose des Berufungsgerichts nicht beanstanden, der Kläger werde sich bei einer Rückkehr in den Iran einer strafbaren homosexuellen Betätigung aller Voraussicht nach nicht enthalten. ... Weiterhin hat das Berufungsgericht festgestellt, ... daß es sich bei der homosexuellen Prägung des Klägers um eine schicksalhafte Festlegung des Sexualtriebes handelt, die spätestens mit dem 18. Lebensjahr abgeschlossen, nicht mehr umkehrbar und damit unentrinnbar ist. Damit hat das Berufungsgericht der Sache nach festgestellt, daß sich der Kläger bei einer Rückkehr in den Iran in der gleichen Lage befindet, in der sich ein Heterosexueller befinden würde, wenn jedes heterosexuelle Verhalten unter Strafe stünde. Seine Folgerung, es bestehe deshalb eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, daß der Kläger trotz der bestehenden Strafnormen seinem unentrinnbaren Geschlechtstrieb auf absehbare Zeit mehr oder weniger zwangsläufig nachgeben werde, hält sich im Rahmen der bei der Sachverhalts- und Beweiswürdigung zu beobachtenden allgemeinen Grundsätze. Ein Verstoß gegen die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze liegt darin nicht. ...
      Der Senat teilt im Ergebnis auch die Auffassung des Berufungsgerichts, daß die dem Kläger in seiner Person bei einer Rückkehr in den Iran somit in absehbarer Zeit entweder sogleich oder im Anschluß an mehrmalige Auspeitschungen drohende Todesstrafe als politische Verfolgung zu werten ist.
      Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann politische Verfolgung auch dann gegeben sein, wenn die Durchführung von Normen, die für sich betrachtet asylrechtlich unerheblich sind, oder ein Fehlverhalten gegenüber solchen Normen allgemein oder im Einzelfall zum Anlaß genommen werden, auf asylrechtlich bedeutsame persönliche Merkmale oder Eigenschaften zuzugreifen ... Hiervon ausgehend muß ungeachtet des Umstandes, daß die im Iran bestehenden Verbote einverständlicher homosexueller Betätigung unter Erwachsenen als solche die Aufrechterhaltung der öffentlichen Moral bezwecken, aufgrund der vom Berufungsgericht festgestellten gegenwärtigen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Iran angenommen werden, daß derjenige, der sich ... infolge seiner schicksalhaften homosexuellen Prägung nicht an die bestehenden Verbote hält, durch Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe auch in seiner homosexuellen Veranlagung als einer asylrechtlich erheblichen Eigenschaft getroffen werden soll. Hierfür ist, wie das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler angenommen hat, diese "hadd-Strafe", von der der Richter nicht abweichen darf, schon für sich allein ein Indiz ... Sie ist nicht bloß in einem von der Rechtsordnung der Bundesrepublik noch hinnehmbaren Maße besonders streng, sondern offensichtlich unerträglich hart (vgl. BVerfGE 75, 1 [16/17]) und unter jedem denkbaren Gesichtspunkt schlechthin unangemessen zur Ahndung eines Verstoßes gegen die öffentliche Moral, der sich im Grenzbereich zwischen privatem und sozialem Bereich ereignet. Bereits dies deutet ... darauf hin, daß mit der Verhängung und tatsächlich auch praktizierten Vollstreckung der Todesstrafe mehr beabsichtigt ist als nur die Ahndung einer Verletzung der öffentlichen Sittlichkeit.
      Weiterhin hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler angenommen, daß hierfür auch die von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen über den Charakter des gegenwärtigen iranischen Staates im allgemeinen und über sein Verhältnis zu Homosexuellen im besonderen sprechen. Danach ist die islamische Republik Iran nach den derzeitigen Gegebenheiten ein religiös-totalitärer Staat, dessen hauptsächlicher Zweck in der rigorosen Durchsetzung islamischer Ordnungs- und Moralvorstellungen besteht, die die Beseitigung und Ausrottung von Menschen, die sich mit diesen Vorstellungen nicht in Einklang bringen lassen, einschließt. Vor diesem allgemeinen Hintergrund hat das Berufungsgericht ohne Rechtsverstoß dem Umstand besondere Bedeutung beigemessen, daß in Abweichung vom traditionellen islamischen Beweisrecht und im Gegensatz zu anderen ebenfalls mit der Todesstrafe bedrohten Verstößen gegen die öffentliche Moral, wie etwa Ehebruch oder sonstiger außerehelicher Geschlechtsverkehr, die nur mit den in der Praxis schwer zu erlangenden herkömmlichen Beweismitteln nachgewiesen werden können, speziell zum Nachweis homosexueller Betätigung das "eigene Wissen" des Richters als neues Beweismittel eingeführt worden ist. Es hat die in dieser Beweiserleichterung für homosexuelles Verhalten liegende unterschiedliche Behandlung moralischen Fehlverhaltens rechtsfehlerfrei als weiteres wesentliches Indiz dafür gewertet, daß mit der Strafverfolgung gerade desjenigen, der sich homosexuell betätigt hat, Absichten verfolgt werden, die über die Ahndung einer Verletzung der öffentlichen Moral hinausgehen. Diese Absichten hat das Berufungsgericht zutreffend den sich aus den verwerteten Erkenntnisquellen ergebenden Äußerungen maßgebender staatlicher iranischer Stellen entnommen. Danach stehen Homosexuelle den "konterrevolutionären Verbrechern" gleich, mit denen das Regime kein Mitleid kennt. Sie sind aus der Sicht des iranischen Staats "Verkommene", die "unter den Fluch Gottes" fallen; sie zählen zu den "Korrupten dieser Erde", haben "satanische Gelüste", so daß die Notwendigkeit besteht, "die Wurzeln der Homosexualität auszurotten". Hieraus hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei die Erkenntnis gewonnen, daß der iranische Staat derzeit gegen homosexuelles Verhalten aus ganz ähnlichen Gründen vorgeht wie gegen Personen, die wegen ihrer politischen Auffassungen als Regimegegner gelten. Wenn die "satanischen Gelüste" nach außen durch homosexuelle Betätigung in Erscheinung getreten sind, sollen mit dem radikalen Mittel der Todesstrafe auch die "Wurzeln der Verderbtheit", nämlich die homosexuelle Prägung des Betroffenen, ausgetilgt werden. Das bedeutet aus der Sicht des Art.16 Abs.2 Satz 2 GG, daß der straffällig gewordene Homosexuelle im Iran nicht nur als Störer öffentlicher Ordnung und Moral bestraft, sondern zugleich auch in seiner als besonders verderbnisstiftend angesehenen homosexuellen Veranlagung als einer persönlichen Eigenschaft getroffen werden soll.