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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


500. ORGANE DES DIPLOMATISCHEN UND KONSULARISCHEN VERKEHRS

Nr.90/2

Telefongesprächsaufzeichnungen, die unter Verletzung der völkerrechtlich anerkannten Grundsätze der Immunität von Konsularbeamten eines fremden Staates und der Unverletzlichkeit ihrer Diensträume erlangt worden sind, dürfen in einem Strafverfahren gegen eine Person verwertet werden, die nicht dem konsularischen Dienst angehört und die ihr zur Last gelegte Straftat außerhalb der Räumlichkeiten des Konsulats begangen hat.

Recordings of telephone conversations which have been obtained in violation of the international legal principles of immunity of consular staff of a foreign state and inviolability of consular premises can be used as evidence in criminal proceedings against a person who is not a member of the consular staff, if the criminal offense this person is charged with has been committed outside the consular premises.

Bundesgerichtshof, Beschluß vom 30.4.1990 (3 StB 8/90), BGHSt 37, 30 (ZaöRV 52 [1992], 381)

Einleitung:

      Der Beschuldigte arbeitete als Sozialarbeiter in der Justizvollzugsanstalt Hamburg. Er befindet wegen des dringenden Verdachts geheimdienstlicher Agententätigkeit (§99 Abs.1 Nr.1 StGB) und Fluchtgefahr (§112 Abs.2 Nr.2 StPO) in Untersuchungshaft. Er wird verdächtigt, seit 1988 für den türkischen Geheimdienst Informationen aus dem Bereich der Untersuchungshaftsanstalt Hamburg, insbesondere über die persönlichen Verhältnisse, politischen Einstellungen und Straftaten türkischer und kurdischer Gefangener gesammelt und seinen Verbindungsleuten im türkischen Generalkonsulat in Hamburg übermittelt zu haben. Der dringende Tatverdacht ergibt sich u.a. aus den bei mehreren Durchsuchungen sichergestellten Beweismitteln und den eigenen Angaben des Beschuldigten, die ein weitgehendes Geständnis enthalten. Bei seinen polizeilichen Vernehmungen waren ihm Erkenntnisse vorgehalten worden, die das Landesamt für Verfassungsschutz durch Abhören eines Telefonanschlusses des türkischen Generalkonsulats in Hamburg gewonnen hatte. In einem Beschluß vom 4.4.1990 (500 [90/1]) hatte der BGH festgestellt, daß diese Erkenntnisse wegen Verletzung der völkerrechtlich anerkannten Grundsätze der Immunität der Konsularbeamten und der Unverletzlichkeit ihrer Diensträume grundsätzlich einem strafprozessualen Verwertungsverbot unterliegen. Der BGH lehnte es jedoch ab, dieses Verwertungsverbot auf das Verfahren gegen den beschuldigten Sozialarbeiter zu erstrecken.

Entscheidungsauszüge:

      a) Der in Rede stehende Telefonanschluß des Generalkonsulats wurde ... vom Landesamt für Verfassungsschutz auf Grund einer Maßnahme nach dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G 10) [vom 13.8.1968 - BGBl. I S.949] überwacht. Erkenntnisse, die auf solchem Wege gewonnen werden, dürfen in einem Strafverfahren, das - wie hier - eine Tat nach §99 StGB zum Gegenstand hat, grundsätzlich verwertet werden (Art.1 §2 Abs.1 Nr.3; §7 Abs.3 G 10). Die geheimdienstliche Agententätigkeit gehört zu den Katalogtaten im Sinne dieser Vorschriften.
      b) Der Senat hat die unmittelbare Verwertung derselben Erkenntnisse in einem Beschluß vom 4.April 1990 (BGHSt 36, 396) allerdings in einem Fall beanstandet, in dem es sich um strafrechtliche Ermittlungen gegen zwei Attachés des türkischen Generalkonsulats handelte. Er hat dies damit begründet, daß die Überwachung des bezeichneten, in den Diensträumen des Generalkonsulats eingerichteten Telefonanschlusses mit den Bestimmungen des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen (WÜK) vom 24. April 1963 [BGBl. 1969 II S.1585] jedenfalls dann nicht zu vereinbaren sei, wenn sich der Verdacht auf strafbare Handlungen beziehe, die mit der Wahrnehmung konsularischer Aufgaben zusammenhängen könnten. Demgemäß hat er der Entscheidung als Leitsatz vorangestellt, Erkenntnisse aus einer Telefonüberwachung, die unter Verletzung der völkerrechtlich anerkannten Grundsätze der Immunität der Konsularbeamten und der Unverletzlichkeit ihrer Diensträume erlangt worden seien, unterlägen einem strafprozessualen Verwertungsverbot. Hierauf kann sich der Beschuldigte nach Lage seines Falles aber nicht mit Erfolg berufen.
      Der Senat braucht nicht allgemein zu klären, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Richtung ein Verstoß gegen ein Verbot, ein bestimmtes Beweismittel zu beschaffen, ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht und wie weit ein solches Verbot reichen würde. Die Rechtsprechung stellt bei der Beurteilung dieser Fragen zu Recht auf die Umstände des Einzelfalls, die Art des Verbots und eine Abwägung der einander widerstreitenden Interessen ab ... Bei der Abgrenzung ist zu beachten, daß die Annahme eines Verwertungsverbots einen der wesentlichen Grundsätze des Strafverfahrens einschränkt, nämlich den, daß das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Gegenüber diesem Grundsatz bildet ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift ... oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist ...
      Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen wirkt das in dem Senatsbeschluß vom 4. April 1990 dargelegte Beweisverwertungsverbot nicht zugunsten des Beschuldigten. Eine gesetzliche Verbotsregelung, die ihm zugutekommen könnte, fehlt. Er steht der Völkerrechtsverletzung fern; sie berührt nicht seine rechtlich geschützte Sphäre. Er gehört auch - anders als die türkischen Attachés - nicht zum konsularischen Dienst, dessen Wahrnehmung durch den Grundsatz der Unverletzlichkeit der konsularischen Räumlichkeiten (Art.31 WÜK) vor Beeinträchtigungen geschützt werden soll. Anders als die Attachés war er nicht in den Räumlichkeiten tätig, in denen sich - innerhalb des völkerrechtlichen Schutzbereichs - der überwachte Telefonanschluß befand. Er zählt schließlich nicht zu den Angehörigen des Generalkonsulats, die nach Art.43 Abs.1 WÜK wegen Handlungen, die sie (möglicherweise wenigstens auch) in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommen haben, von den Gerichts- oder Verwaltungsbehörden des Empfangsstaats nicht zur Verantwortung gezogen werden können; für ihn kommen also die Unverletzlichkeit der konsularischen Diensträume und die Immunität der Konsularbeamten als Grundlage eines Beweisverwertungsverbots nicht in Betracht. Diese Gründe, welche die den Beschluß vom 4. April 1990 tragenden rechtlichen Überlegungen auf den Beschuldigten unanwendbar machen, rechtfertigen es, die Frage des Beweisverwertungsverbots bei ihm anders zu beurteilen als bei den Attachés des Generalkonsulats.
      c) Zusätzliche völkerrechtliche Überlegungen führen zu keinem anderen Ergebnis. Aus dem Völkerrecht ergibt sich für den Beschuldigten ein Beweisverwertungsverbot hier auch nicht als Reflexwirkung aus der Verletzung von Interessen eines anderen Staates. Vielmehr ist anerkannt, daß der einzelne, der von einer völkerrechtswidrigen Maßnahme betroffen ist (insbesondere von der Verletzung eines völkerrechtlichen Vertrags, der ihm keine Rechte als Individuum gewährt), sich in einem anschließenden gegen ihn gerichteten inländischen Strafverfahren wegen einer im Inland begangenen Straftat grundsätzlich nicht auf die vom Gewahrsamsstaat verübte Völkerrechtswidrigkeit berufen kann, um daraus strafprozessuale Vorteile für sich herzuleiten (vgl. BVerfG, NJW 1986, 1427; BVerfG, NStZ 1986, 468; BGH, NStZ 1984, 563; 1985, 464; BGHSt 30, 347, 349 f.; BGHR StPO vor §1/Verfahrenshindernis - Hoheitsrechte, fremde 1 u. 2). Der Senat hat für einen Sonderfall zwar ausgesprochen, daß die Verwertung eines Beweismittels, das außerhalb eines vereinbarten Rechtshilfeverkehrs erlangt worden ist, selbst (als Vertragsverletzung) völkerrechtswidrig und deswegen unzulässig sein könne (BGHSt 34, 334, 341 ff., 344 f.). So liegt der Fall hier aber nicht. Vielmehr ist das völkerrechtswidrige Geschehen, das in dem "Lauschangriff" lag, abgeschlossen. Durch die Benutzung der Telefongesprächsaufzeichnungen in dem Ermittlungs- und Strafverfahren gegen den Beschuldigten, der selbst konsularische Funktionen in dem und für das Generalkonsulat nicht ausgeübt hat, werden weder die völkerrechtlich geschützte Unverletzlichkeit der Räumlichkeiten noch die Immunität der Beamten des Generalkonsulats erneut beeinträchtigt.