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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Lars-Jörgen Geburtig


V. Staatsangehörigkeit

4. Staatenlosigkeit

       28. Mit Gerichtsbescheid vom 17.1.1997 (RO 2 K 96.0069 - InfAuslR 1997, 114) entschied das BayVG Regensburg über den Anspruch einer in Lettland geborenen Staatsangehörigen der früheren UdSSR auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung. Das VG stellte zunächst fest, daß der Erteilung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis nicht der Versagungsgrund der ungeklärten Staatsangehörigkeit entgegensteht, da kein Staat die Klägerin nach seinem Recht als Staatsangehörige ansehe und diese daher staatenlos sei. Eine sowjetische Staatsangehörigkeit existiere nach dem Zerfall der Sowjetunion nicht mehr. Die lettische Staatsangehörigkeit besitze die Klägerin - obwohl sie in Riga geboren wurde - nicht, da nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz der Republik Lettland lettischer Staatsangehöriger nur ist, wer am 17.6.1940 bereits lettischer Staatsangehöriger war oder Nachkomme einer solchen Person ist, was bei der Klägerin nicht der Fall sei. Dementsprechend erkenne die Republik Lettland die Klägerin nicht als eigene Staatsangehörige an. Die Klägerin besitze derzeit auch nicht die Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation. Zwar habe die Russische Föderation die völkerrechtliche Nachfolge der Sowjetunion im Grundsatz übernommen. Diejenigen russischen Volkszugehörigen, denen eine Staatsangehörigkeit der übrigen Nachfolgestaaten nicht zuerkannt wurde, erwürben die russische Staatsangehörigkeit aber nicht unmittelbar, sondern durch Registrierung bei einer russischen Auslandsvertretung. Solange eine solche Registrierung nicht erfolgt sei, betrachteten die russischen Behörden die betreffende Person als staatenlos. Da sich derzeit auch kein anderer Staat finde, der die Klägerin als Staatsangehörige ansieht, sei sie staatenlos im Sinne des Art. 1 Abs. 1 StlÜbk. Unerheblich sei dabei, ob ein Staatenloser die Möglichkeit hat, seine Staatenlosigkeit in zumutbarer Weise zu beseitigen, da er hierzu weder völkerrechtlich noch nach nationalem deutschen Recht verpflichtet ist35. Der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung stehe abweichend von § 8 Abs. 1 Nr. 3 AuslG auch nicht entgegen, daß die Klägerin keinen gültigen Paß mehr besitzt. Der Paßlosigkeit von Staatenlosen solle mit Art. 28 S. 1 StlÜbk begegnet werden, der einen unmittelbaren Rechtsanspruch auf Erteilung eines Staatenlosenausweises gewährt. Er setze aber einen reccfmäßigen Aufenthalt voraus, was sich an nationalem Recht orientiere. In Deutschland sei die Erteilung eines Staatenlosenausweises folglich vom Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung abhängig. Würde § 8 Abs. 1 Nr. 3 AuslG auf Staatenlose unbeschränkt Anwendung finden, würde diesen Unmögliches abverlangt: Die Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung wäre wegen der Paßlosigkeit verwehrt. Den einzigen Paß, den diese bekommen könnten, nämlich den Staatenlosenausweis, würde man ihnen aber wegen der fehlenden Aufenthaltsgenehmigung verweigern. § 8 Abs. 1 Nr. 3 AuslG könne daher zumindest dann keine Anwendung finden, wenn die Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung die Erteilung eines Staatenlosenausweises zur Folge hätte.

      



      35 BVerwG 16.7.1996, DVBl. 1997, 177 ff.; vgl. Schillhorn (Anm. 2), [22].