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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Lars-Jörgen Geburtig


XIV. Europäische Gemeinschaften

3. Unionsbürgerschaft

       118. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluß der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19.2.1997 (2 BvR 2621/95 - EuGRZ 1997, 379 = BayVBl. 1997, 499) eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die sich dagegen wandte, daß Unionsbürgern durch die Änderung der Hessischen Gemeindeordnung das aktive und passive kommunale Wahlrecht eingeräumt wurde, sie aber gleichzeitig ihr aktives und passives Wahlrecht bezüglich der Ausländerbeiräte behielten, was zu einem Plus an Wahlrechten und einem stärkeren Einfluß auf die Entscheidungen der Gemeindeorgane führe und den Beschwerdeführer in Art. 3 Abs. 1 GG verletze. Das BVerfG führte aus, daß eine Verfassungsbeschwerde unzulässig ist, wenn sie nur zu einer Veränderung der Rechtslage zum Nachteil anderer führen kann. So liege der Fall hier. Eine Verletzung des Beschwerdeführers in eigenen Rechten sei nicht als möglich dargelegt. Ein subjektives Recht auf Ausschließung anderer von der Wahl gebe es nicht. Es könne auch nicht darauf gestützt werden, daß diese zusätzlich Mitglieder des Ausländerbeirates werden oder diese Mitglieder wählen könnten. Ein Ausschluß der Unionsbürger von den Wahlen zu den Ausländerbeiräten, die eine rein konsultative Tätigkeit ausübten, würde zu keiner Besserstellung des Beschwerdeführers führen.86

       Zum Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs zum Kommunalwahlrecht für Unionsbürger vgl. oben [110].

       119. Das VG Ansbach stellte in seinem Urteil vom 6.11.1997 (AN 4 K 96.01251 - DÖV 1998, 560 = bei VBL 1998, 346) fest, daß der Ausschluß ausländischer Unionsbürger vom passiven Wahlrecht für das Amt des ersten Bürgermeisters gemäß Art. 36 Abs. 1 bay. GLKrWG weder gegen europäisches Gemeinschaftsrecht noch gegen deutsches Verfassungsrecht verstößt. Ein Verstoß gegen den neu eingefügten Art. 28 Abs. 1 Satz 3 GG scheide aus, da er weder nach seiner Entstehungsgeschichte noch nach seinem Wortlaut die Einführung eines Kommunalwahlrechts für Unionsbürger gebiete oder ein solches voraussetze; er sei lediglich eine Öffnungs- bzw. Anwendungsklausel für gemeinschaftsrechtliche Vorschriften. Die maßgeblichen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften seien Art. 8 b EGV in der Fassung des EUV vom 7.2.1992 und die Richtlinie 94/80/EG des Rates vom 19.12.1994. Art. 5 Abs. 3 dieser Richtlinie verstoße als sekundäres Gemeinschaftsrecht nicht gegen das Primärrecht aus Art. 8 b EGV. In Art. 8 b Abs. 1 Satz 2 EGV sei ausdrücklich normiert, daß das Wahlrecht aus Satz 1 vorbehaltlich der Einzelheiten ausgeübt wird, die vom Rat vor dem 31.12.1994 einstimmig auf Vorschlag der Kommission und der Anhörung des europäischen Parlaments festzulegen sind bzw. waren. Art. 5 Abs. 3 der Ratsrichtlinie enthalte die Regelung einer solchen Einzelheit im Sinne des Art. 8 b Abs. 1 Satz 2 EGV. Angesichts der unterschiedlichen Strukturen der Kommunen in den Mitgliedstaaten und der verschiedenen Wahlsysteme habe der europäische Gesetzgeber es für erforderlich gehalten, den Begriff der Kommunalwahl in der Ratsrichtlinie im Sinne einer Einzelheit näher zu bestimmen und bereits bei dieser Definition auf länderspezifische Besonderheiten - einschränkend - Rücksicht zu nehmen. Gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie seien danach unter "Kommunalwahlen" die allgemeinen unmittelbaren Wahlen zu verstehen, die darauf abzielen, die Mitglieder der Vertretungskörperschaften und gegebenenfalls gemäß den Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaates den Leiter und die Mitglieder des Exekutivorgans einer lokalen Gebietskörperschaft der Grundstufe zu bestimmen. Bereits aus der ausdrücklichen Erwähnung der genannten zwei Alternativen ergebe sich, daß der europäische Gesetzgeber den Problemkreis, daß nämlich in einzelnen Mitgliedstaaten die Besetzung der Leitungsfunktionen nicht unter das allgemeine aktive und passive Wahlrecht der Unionsbürger fallen solle bzw. müsse, gesehen und angesprochen habe. Primärrechtlich sei gerade in Kenntnis der spezifischen mitgliedstaatlichen Unterschiedlichkeiten und der von einzelnen Staaten geäußerten Vorbehalte in Art. 8 b Abs. 1 und 2 EGV die Ermächtigung für den Rat ausgesprochen worden, in den "Einzelheiten" der Ratsrichtlinie das Wahlrecht der Unionsbürger näher auszugestalten. Daß sich diese Ausgestaltungsbefugnis folglich nicht nur auf die Bestimmung von Wahlmodalitäten, sondern gerade auf substantielle Bestimmungen bezieht, ergebe sich zudem daraus, daß die das Primärrecht setzenden vertragschließenden Mitgliedstaaten exakt auch diejenigen sind, die durch die von ihnen entsandten und mitgliedstaatlich weisungsgebundenen Ratsmitglieder einstimmig über das das Primärrecht konkretisierende Sekundärrecht zu entscheiden hatten. Die Umsetzung der Ratsrichtlinie durch den bayerischen Gesetzgeber begegne ebenfalls keinen Bedenken. Nach Art. 5 Abs. 3 und Abs. 1 der Richtlinie können die Mitgliedstaaten bestimmen, daß nur ihre eigenen Staatsangehörigen in die Ämter des Leiters des Exekutivorgans, seines Vertreters oder eines Mitglieds des leitenden kollegialen Exekutivorgans einer lokalen Gebietskörperschaft der Grundstufe unter den dort weiter genannten Voraussetzungen wählbar sind. Die genannten kommunalen Wahlämter können entsprechend dieser Ermächtigung den eigenen Staatsangehörigen vorbehalten bleiben. Das Gemeinschaftsrecht erschließe den Mitgliedstaaten insoweit also eine Option. Der bayerische Gesetzgeber habe für die Bürgermeister- und Landratswahlen dahin optiert, daß nur deutsche Staatsangehörige gewählt werden können. Der Ausschluß der ausländischen Unionsbürger vom diesbezüglichen passiven Wahlrecht werde von Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie gedeckt.

      



      86 Mit ähnlicher Begründung hatte dieselbe Kammer mit Beschluß vom 8.1.1997 (BvR 2862/95 - EuGRZ 1997, 380) eine Verfassungsbeschwerde gegen die baden-württembergische Umsetzung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger nicht zur Entscheidung angenommen.