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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2000


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Ludger Radermacher


I. Völkerrecht und innerstaatliches Recht

       1. In seinem Urteil vom 25.2.1999 erkannte der BGH (I ZR 118/96 - JZ 1999, 1000 ff.), daß aufgrund der in jüngster Zeit gestiegenen Bedeutung der von öffentlichen Zentralbibliotheken betriebenen Kopienversanddienste es u.a. die Art. 9 Abs. 2 der Revidierten Berner Übereinkunft (im folgenden: RBÜ)3, Art. 9, 13 des TRIPS-Übereinkommens4 sowie die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG verlangen, daß der Urheber angemessen am wirtschaftlichen Nutzen seines Werkes zu beteiligen ist. Zugrunde lag dem Urteil eine Klage des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e.V., der sich gegen die Praxis der in Trägerschaft des beklagten Landes stehenden Technischen Informationsbibliothek Hannover wandte, auf Bestellung auswärtiger Nutzer Kopien von Zeitschriftenbeiträgen anzufertigen, die mittels Post oder Fernkopie übersandt wurden. Der BGH führte aus, daß gemäß Art. 9 Abs. 1 RBÜ die Urheber von Werken der Literatur und Kunst, die durch die Berner Übereinkunft geschützt sind, das ausschließliche Recht zur Verwertung ihrer Werke genießen. Es bleibe nach Art. 9 Abs. 2 RBÜ der Gesetzgebung der Verbandsländer lediglich vorbehalten, die Vervielfältigung in gewissen Sonderfällen zu gestatten, wenn eine solche Vervielfältigung weder die normale Auswertung des Werkes beeinträchtigen noch die berechtigten Interessen des Urhebers unzumutbar verletzen würde. Ein solcher Sonderfall sei auch die Vervielfältigung geschützter Werke auf Einzelbestellung im Rahmen eines Kopienversanddienstes. Die berechtigten Interessen der Urheber würden aber unzumutbar beeinträchtigt, wenn diesen bei der Nutzung ihrer Werke durch Kopienversanddienste eine angemessene Beteiligung versagt bliebe. Dies gelte gerade deshalb, weil sich der Kopienversand nunmehr als Vertriebsweg anböte, der nach dem erreichten Stand der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung zur Massennutzung geeignet sei. Die Vorschrift des Art. 9 Abs. 2 RBÜ lasse es in ihrem auf Sonderfälle beschränkten Anwendungsbereich zu, eine unzumutbare Verletzung der berechtigten Interessen des Urhebers durch die Zuerkennung eines Vergütungsanspruchs zu beseitigen. Den Anforderungen des Konventionsrechts könne nur entsprochen werden, wenn den Urhebern ein zusätzlicher, auf Werknutzungen der streitgegenständlichen Art zugeschnittener Vergütungsanspruch zugestanden werde. Auch aus Art. 9, 13 des TRIPS-Übereinkommens ergebe sich, daß Vervielfältigungen in der hier vorgenommenen Art nicht vom Ausschließlichkeitsrecht des Urhebers freigestellt werden dürfen, ohne daß diesem ein Anspruch auf eine angemessene Vergütung gewährt werde. Infolge der neueren technischen und wirtschaftlichen Entwicklung sei somit nachträglich eine Gesetzeslücke entstanden, die durch rechtsanaloge Anwendung des § 27 Abs. 2 und 3 UrhG, des § 49 Abs. 1 UrhG sowie des § 54 a Abs. 2 i.V.m. § 54 h Abs. 1 UrhG zu schließen sei.

       2. Das OVG Greifswald unterstrich in einem Beschluß vom 22.12.1999 (2 M 99/99 - DVBl. 2000, 1972 ff.), daß auch Kirchengemeinden als rechtlich selbständige Untergliederungen der Kirche eine Verletzung von Rechten der Kirche hinsichtlich ihres Zuständigkeitsbereiches geltend machen können. Bei der Klage gegen eine als Allgemeinverfügung erlassene Bäder- und Fremdenverkehrsregelung vermittele Art. 7 bzw. Art. 23 der in Landesrecht transformierten Staatskirchenverträge des Landes M.-V. mit dem heiligen Stuhl und den evangelischen Landeskirchen den Kirchen ein subjektiv-öffentliches Recht, das über den in Art. 139 WRV gewährleisteten Schutz der staatlich anerkannten Feiertage hinausgehe. Dem Fall zugrunde lag das Begehren zweier Kirchengemeinden auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen gegen eine als Allgemeinverfügung erlassene "Bäder- und Fremdenverkehrsregelung". Hiernach dürften Verkaufsstellen in genauer bezeichneten Städten und Gemeinden während der Jahre 1999 bis 2003 vom 1.1. bis zum 30.11. samstags bis 20.00 Uhr und sonn- und feiertags von 11.00 Uhr bis 18.30 Uhr für den Verkauf von Gegenständen des täglichen Gebrauchs sowie von Souvenirartikeln geöffnet sein. Das VG lehnte den Antrag ab, während das OVG auf die dagegen gerichtete Beschwerde die aufschiebende Wirkung bejahte. Das OVG führte aus, daß das Bestehen eines subjektiven Rechts voraussetzt, daß die in Frage stehenden Rechtssätze zumindest auch dem Schutz der Individualinteressen des Klägers zu dienen bestimmt sind. Eine Klagebefugnis lasse sich hier aus Art. 7 bzw. Art. 23 der in Landesrecht transformierten Verträge zwischen dem Land M.-V. und dem Heiligen Stuhl bzw. der Ev. Luth. Landeskirche Mecklenburgs und der Pommerschen Evangelischen Kirche ableiten. Soweit einer vertragsgeschützten Kirche in einem Kirchenvertrag konkret fixierte öffentlich-rechtliche Ansprüche eingeräumt worden seien, könnten diese vom betroffenen Rechtsträger in einem Verwaltungsverfahren durchgesetzt werden. Die Auslegung der Kirchenverträge lasse auf eine über den durch Art. 139 WRV i.V.m. Art. 9 Abs. 1 Verf. M.-V. gewährleisteten Sonn- und Feiertagsschutz hinausgehende Schutzgewährleistung insoweit schließen, als der Schutz hiermit den Kirchen selbst gewährt werde und nicht etwa nur dem allgemeinen Wohl diene. Die Klagebefugnis stehe dabei auch den einzelnen Kirchengemeinden als rechtlich eigenständigen Untergliederungen der Kirchen zu.

       3. Der BGH unterstrich mit Beschluß vom 24.2.1999 (IX ZB 2/98 - JZ 1999, 1117), daß nach dem Maßstab des EuGVÜ5 bei der Frage der Zulässigkeit einer Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Entscheidung in Deutschland im Hinblick auf das Grundrecht des Bürgen auf Selbstgestaltung seiner Rechtsverhältnisse regelmäßig nur geprüft werden kann, ob der Schuldner wegen besonders krasser struktureller Unterlegenheit durch die Vollstreckbarkeit zweifelsfrei zum wehrlosen Objekt der Fremdbestimmung gemacht wird und hierdurch auf unabsehbare Zeit auf das wirtschaftliche Existenzminimum der Pfändungsfreigrenzen verwiesen wird. Im Fall verbürgte sich ein später nach Deutschland verzogener Franzose für ein Darlehen und wurde nach ausbleibender Tilgung durch das Landgericht Straßburg im Verfahren der einstweiligen Verfügung zur Zahlung verurteilt. Auf Antrag der Gläubigerin ordnete ein für den Schuldner zuständiges deutsches LG an, daß der Beschluß mit der deutschen Vollstreckungsklausel zu versehen ist. Das durch den Schuldner angerufene OLG sah durch die Vollstreckbarerklärung jedoch Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ verletzt. Dieser Auffassung trat der BGH entgegen. Er führte aus, daß die Entscheidung eines anderen Vertragsstaates nach Art. 34 Abs. 2 i.V.m. Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ dann nicht in Deutschland für vollstreckbar erklärt wird, wenn dies der inländischen öffentlichen Ordnung widerspricht. Gerade die Vollstreckbarerklärung müsse gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts verstoßen, was regelmäßig bei Grundrechtsverletzungen anzunehmen sei. Hingegen sei es in erster Linie Sache des französischen Gerichts, in einem Erkenntnisverfahren und auf der Grundlage französischer Grundrechtsvorstellungen den nach französischem Recht geschlossenen Vertrag in seinem allgemeinen Inhalt im Hinblick auf eine mögliche strukturelle Unterlegenheit einer Vertragspartei zu untersuchen. Es komme einer unzulässigen Überprüfung der Gesetzmäßigkeit einer ausländischen Entscheidung gleich, wenn hier am Maßstab des § 138 Abs. 1 BGB geprüft würde, ob nach deutschen Vorstellungen ein Leistungsurteil des vorliegenden Inhalts hätte erlassen werden können. Habe sich die Bundesrepublik Deutschland gegenüber anderen Staaten mit gleichartiger, rechtsstaatlicher und freiheitlich-demokratischer Grundordnung verpflichtet, deren Urteile ohne inhaltliche Überprüfung anzuerkennen, so müsse Entscheidungsmaßstab sein, ob gerade die Unterwerfung des Schuldners unter das ausländische Zahlungsgebot seine Handlungsfreiheit in verfassungswidriger Weise einschränken würde [Es folgt der eingangs erwähnte Leitsatz]. Wegen der durchgeführten streitigen mündlichen Verhandlung liege auch eine Entscheidung i.S. des Art. 25 EuGVÜ vor, da als solche auch einstweilige Verfügungen anerkannt seien, wenn sie aufgrund eines zweiseitig angelegten Verfahrens ergingen.

       4. Nach dem Urteil des OLG Düsseldorf vom 28.1.1999 (5 U 128/98 - ZIP 1999, 1521) ist die Anwendung des § 23 ZPO (Gerichtsstand des Vermögens) für das Eilverfahren nicht durch das EuGVÜ6 ausgeschlossen. Nach Art. 24 EuGVÜ könnten im Recht eines Vertragsstaats vorgesehene einstweilige Maßnahmen bei einem Gericht dieses Staats auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Vertragsstaats aufgrund des Übereinkommens zuständig sei. Nur für das Hauptverfahren sei durch Art. 3 Abs. 2 EuGVÜ die Anwendung des § 23 ZPO ausgeschlossen. Eine derartige Einschränkung enthalte Art. 24 EuGVÜ für das einstweilige Verfügungsverfahren aber gerade nicht. Die dadurch entstehende Möglichkeit, daß im Eilverfahren ein nationales Gericht entscheiden könne, das keine Zuständigkeit für das Hauptverfahren habe, sei durch Art. 24 EuGVÜ gerade gedeckt.

       5. Der Beklagte läßt sich nach einem Urteil des OLG Frankfurt vom 9.9.1999 (4 U 13/99 - IPRax 2000. 525 ff.) - abweichend von der Regelung des § 39 ZPO - dann rügelos auf das Verfahren i.S. des Art. 18 EuGVÜ7 ein, wenn er in seiner schriftlichen Klageerwiderung gemäß §§ 275, 277 ZPO zu einem anderen Aspekt als dem der internationalen Zuständigkeit Stellung nimmt. Eine die internationale und örtliche Zuständigkeit begründende Einlassung im Sinne des Art. 18 EuGVÜ liege dann vor, wenn die Rüge der fehlenden Zuständigkeit nach Abgabe derjenigen Stellungnahme erhoben wird, die nach dem innerstaatlichen Prozeßrecht als das erste Verteidigungsvorbringen vor dem angerufenen Gericht zu sehen sei. In dem hier gegebenen Fall der Anordnung einer Frist zur schriftlichen Klageerwiderung gemäß §§ 275, 277 ZPO sei diese Klageerwiderung ersichtlich das erste Klagevorbringen vor dem angerufenen Gericht. Zwar verlange § 39 ZPO nach innerstaatlichem Recht zur Begründung der von Amts wegen zu prüfenden örtlichen und sachlichen Zuständigkeit ein rügeloses mündliches Verhandeln vor dem an sich unzuständigem Gericht. Daraus ergebe sich jedoch nicht, daß das den Gegenstand der mündlichen Verhandlung bestimmende Verhandeln zur Sache als erstes Verteidigungsvorbringen im Sinne von Art. 18 EuGVÜ zu gelten hätte. Das in seinem Geltungsbereich vorrangige internationale Recht habe durch den EuGH eine klare Definition erfahren, mit der ersichtlich nicht auf die gesamten hochstreitigen Prinzipien der nationalen Rechte der Vertragsstaaten habe verwiesen werden sollen.




      3 Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst vom 9.9.1886, zuletzt revidiert in Paris am 24.7.1971, BGBl. 1973 II 1071, geändert durch Beschluß vom 2.10.1979, BGBl. 1985 II 81.

      4 Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums vom 15.4.1994 (TRIPS-Übereinkommen: Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights), BGBl. 1994 II 1730.

      5 Übereinkommen der Europäischen Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968, BGBl. 1972 II 773, i.d.F. des dritten Beitrittsübereinkommens vom 26.5.1989, BGBl. 1994 II 3707.

      6 Ibid.

      7 Ibid.