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2001


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J. Christina Gille


VII. Asylrecht

4. Verfahrensfragen

      41. Das OVG Nordrhein-Westfalen stellte durch Beschluß vom 26.7.2001 (14 A 1989/01.A - DVBl. 2001, 1547) klar, daß die bloße Nichteinhaltung der Frist des Art. 11 Abs. 5 des Dubliner Übereinkommens97 (DublÜ) zur Überstellung eines Asylbewerbers an den für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat nicht zur Änderung der Staatenzuständigkeit führt. Wenn eine Überstellung eines Asylsuchenden in einen Vertragsstaat des Dubliner Übereinkommens nicht möglich sei, sei der Staat, in dem der Asylantrag gestellt worden sei, zur Durchführung des Asylverfahrens verpflichtet. Eine solche Unmöglichkeit sei aber nicht bereits dann anzunehmen, wenn der Asylbewerber nicht innerhalb der Monatsfrist des Art. 11 Abs. 5 DublÜ in den Mitgliedstaat überstellt worden sei. Dies ergebe sich schon aus der Systematik der Regelungen über das Übernahmeverfahren im Dubliner Übereinkommen. Nach Art. 11 Abs. 1 DublÜ könne ein Mitgliedstaat, der einen anderen Mitgliedstaat für die Prüfung eines gestellten Asylantrags für zuständig halte, diesen innerhalb von sechs Monaten ersuchen, den Asylbewerber aufzunehmen. Der ersuchte Mitgliedstaat müsse nach Art. 11 Abs. 4 DublÜ binnen drei Monaten über das Aufnahmegesuch entscheiden. Liege bei Ablauf dieser Frist keine Antwort vor, so komme dies einer Annahme des Aufnahmegesuchs gleich. Die Nichteinhaltung der Fristen in Art. 11 Abs. 1 und 4 DublÜ löse somit jeweils exakt umschriebene Rechtsfolgen aus. Für den Fall, daß die Überstellung des Asylbewerbers nicht innerhalb eines Monats nach Annahme des Aufnahmegesuchs erfolge, seien aber in Art. 11 Abs. 5 DublÜ keine Konsequenzen vorgesehen. Insbesondere sehe die Vorschrift keine Auswirkungen auf die Bestimmung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Staates vor. Auch nach Sinn und Zweck der Regelungen komme ein solches Normverständnis nicht in Betracht. Angesichts der differenzierten Verfahrensregelungen in Art. 11 Abs. 1 bis 4 DublÜ könne nicht angenommen werden, daß der Fortbestand des dadurch gewonnenen verfahrensrechtlichen Ergebnisses, nämlich die Bestimmung des zuständigen Staates, durch bloße Nichteinhaltung der Überstellungsfrist unabhängig vom Willen der beteiligten Staaten von Zufälligkeiten bei der Durchführung der Rückführung abhängen oder gar in der Hand des Asylbewerbers oder der Ausländerbehörde liegen solle.

      42. In einem Beschluß vom 5.3.2001 (A 4 K 12393/00 - InfAuslR 2001, 249) entschied das VG Sigmaringen, daß Art. 5 Abs. 2 DublÜ auch dann anwendbar ist, wenn es sich bei einem Asylantrag um einen Folgeantrag nach dem Asylverfahrensgesetz handelt. Der im Bundesgebiet nach Aus- und erneuter Einreise gestellte Asylfolgeantrag nach � 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG stelle einen neu zu prüfenden Antrag i.S.d. Art. 11 Abs. 3 DublÜ dar. Dies folge aus der vertraglichen Definition des Art. 1 Abs. 1 lit. b DublÜ, nach welcher Asylantrag i.S.d. Dubliner Übereinkommens ein Antrag sei, mit dem ein Ausländer einen Mitgliedstaat um Schutz unter Berufung auf den Flüchtlingsstatus i.S.v. Art. 1 GFK98 ersuche. Um einen solchen Antrag handele es sich sowohl bei einem erstmaligen Asylgesuch in der Bundesrepublik Deutschland als auch bei einem dort gestellten Folgeantrag, der einen eigenständigen Antrag i.S.d. � 13 AsylVfG und Art. 1 Abs. 1 lit. b DublÜ darstelle und lediglich erhöhte formelle Anforderungen erfüllen müsse. Gleiches folge aus Art. 10 Abs. 4 DublÜ. Hiernach würden die Pflichten aus Art. 10 Abs. 1 lit. a bis e DublÜ erlöschen, wenn der für die Prüfung des Asylantrags zuständige Staat nach der Ablehnung des Antrags die erforderlichen Maßnahmen getroffen und durchgeführt habe, damit der Ausländer in sein Heimatland zurückkehre. Die Regelung des Art. 10 Abs. 4 DublÜ sei dahin gehend verallgemeinerungsfähig, daß ein Asylverfahren mit der Ablehnung des Antrags und der daran anschließenden Aufenthaltsbeendigung für das Dubliner Übereinkommen als abgeschlossen gelte und ein dann folgender erneuter Antrag nach erneuter Einreise ein völlig neues Verfahren in Gang setze. Somit sei die mitgliedstaatliche Zuständigkeit neu zu bestimmen. Etwas anderes folge auch nicht aus der Regelung des Art. 11 Abs. 3 DublÜ, nach der bei der Bestimmung des zuständigen Staates von der Situation ausgegangen werde, die zu dem Zeitpunkt gegeben sei, zu dem der Asylbewerber einen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stelle. Im Einklang mit Art. 10 Abs. 3 und Abs. 4 DublÜ bedeute diese Regelung nicht, daß auch bei einem erneuten Asylantrag auf die Zuständigkeit abzustellen wäre, die bei dem ersten Asylantrag nach dem Dubliner Übereinkommen bestanden habe. Die Regelung des Art. 10 Abs. 4 DublÜ zwinge vielmehr dazu, Art. 11 Abs. 3 DublÜ so zu verstehen, daß dieser für jeden einzelnen zu betrachtenden Asylantrag die jeweils mit der ersten Antragstellung entstandene Zuständigkeit perpetuiere.

      43. Das VG Schwerin erklärte in einem Beschluß vom 27.11.2001 (1 B 942/01 As - ZAR 2002, 245), daß es bei der Prüfung der Unbeachtlichkeit eines Asylantrags wegen der Übernahme der Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens durch einen sicheren Drittstaat nicht auf die Einhaltung der Bestimmungen des Dubliner Übereinkommens99 durch den übernehmenden Staat ankommt.100 Eine Prüfung der Einhaltung der Bestimmungen des Dubliner Übereinkommens durch den übernehmenden Staat sei nach � 29 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG nicht erforderlich und würde dazu führen, daß ein deutsches Gericht die Entscheidung einer ausländischen Behörde einer rechtlichen Kontrolle unterziehen könnte. Hoheitliche Maßnahmen ausländischer Staaten unterlägen jedoch nicht der deutschen Gerichtsbarkeit. Im übrigen könnte die Übernahme eines Asylverfahrens entgegen den Bestimmungen des Dubliner Übereinkommens durch den Betroffenen auch mangels Antragsbefugnis nicht geltend gemacht werden. Jedenfalls die Fristbestimmungen des Dubliner Übereinkommens dienten nicht dem Schutz einzelner Asylbewerber. Ein Asylbewerber habe keinen Anspruch auf Durchführung eines Asylverfahrens nach Art. 3 Abs. 1 DublÜ durch einen "gesetzlichen" Vertragsstaat. Diese Normen seien völkerrechtlicher Natur und wendeten sich ausschließlich an die beteiligten Vertragsstaaten. Anderes folge auch nicht durch Transformation des Dubliner Übereinkommens in innerstaatliches Recht. Subjektive Rechte einzelner könnten auch in diesen Fällen nur entstehen, soweit ein Vertrag dies vorsehe. Aus dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 DublÜ und Art. 11 Abs. 1 DublÜ ergebe sich, daß diese Bestimmungen sich nur an die Vertragsstaaten richteten. Ebenfalls folge aus Sinn und Zweck von Art. 16 a Abs. 5 GG, � 29 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG und den Bestimmungen des Dubliner Übereinkommens, daß dem Asylsuchenden nur in einem Vertragsstaat, der sicherer Vertragsstaat i.S.d. Art. 16 a Abs. 2 GG, � 26 a AsylVfG sei, ein Asylverfahren nach dem europäischen Mindeststandard gewährleistet werden solle.




      97 Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags vom 15.6.1990, BGBl. 1994 II, 791.

      98 Genfer Flüchtlingskonvention (Anm. 56).

      99 Dubliner Übereinkommen (Anm. 97).

      100 Zum Fehlen subjektiver Rechte des Asylbewerbers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 4 Satz 1 DublÜ durch einen bestimmten Vertragsstaat siehe VG Saarlouis, Beschluß vom 20.6.2001 (12 F 47/01.A - Juris).