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2001


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J. Christina Gille


XII. Europäische Gemeinschaften

2. Freier Warenverkehr

      75. Mit Urteil vom 29.5.2001 (5 U 10150/00 - NJW-RR 2002, 113) bekräftigte das KG Berlin, daß der Versand apothekenpflichtiger Arzneimittel (außerhalb des � 47 AMG) durch einen niederländischen Apotheker, der über das Internet derartige Arzneimittel den Verbrauchern in Deutschland anbietet, mit � 43 Abs. 1 Satz 1 AMG unvereinbar und wettbewerbswidrig ist und infolge einer europarechtskonformen einschränkenden Auslegung des � 73 Abs. 2 Nr. 6 a AMG auch nicht ausnahmsweise erlaubt ist.189

Der Internet-Versand von zugelassenen Arzneimitteln stelle vorliegend einen Verstoß gegen � 43 Abs. 1 Satz 1 AMG dar. Daneben liege in dem Internet-Versand von nicht zugelassenen oder registrierten Arzneimitteln an den privaten Endverbraucher nach Deutschland im Geltungsbereich des AMG ein Verstoß gegen � 73 Abs. 1 Nr. 1 AMG vor. Die Anwendung der �� 43 Abs. 1 Satz 1, 73 Abs. 1 Nr. 1 AMG sei auch nicht ausnahmsweise gemäß � 73 Abs. 2 Nr. 6 a, Abs. 4 AMG ausgeschlossen.

      Nach � 73 Abs. 2 Nr. 6 a AMG dürften zulassungspflichtige Arzneimittel von Endverbrauchern in Deutschland aus anderen Mitgliedstaaten der EU bezogen werden, wenn die Arzneimittel im Herkunftsland in den Verkehr gebracht werden dürften und ohne gewerbs- oder berufsmäßige Vermittlung in einer dem üblichen persönlichen Bedarf entsprechende Menge vom Endverbraucher bezogen würden. Beim Internet-Versand von Arzneimitteln sei fraglich, ob die Arzneimittel "ohne gewerbs- oder berufsmäßige Vermittlung" bezogen würden. Der Begriff "Vermittlung" lege das Zwischenschalten einer dritten Person in den Warenabsatz von der Apotheke zum Endverbraucher nahe, das beim Internet-Versand fehle. In Betracht komme allerdings eine einschränkende Auslegung, nach welcher die Bezugsquelle des Endverbrauchers (die EG-ausländische Apotheke) und der "Vermittler" auch personenidentisch sein könnten, diesen Apotheken also insgesamt eine "berufs- und gewerbsmäßige Vermittlung" bei einem grenzüberschreitenden Arzneimittelbezug untersagt sein solle. Eine "berufsmäßige Vermittlung" beinhalte dann eine zusätzliche Tätigkeit zur Vermehrung des Arzneimittelabsatzes, die in der Versendung gesehen werden könne, so daß "ohne berufsmäßige Vermittlung" dann als "ohne berufsmäßigen Versandhandel" gedeutet werden könne. Diese Auslegung sei aber nicht frei von Zweifeln. Die Regelung des � 73 Abs. 2 Nr. 6 a AMG gehe auf zwei Entscheidungen des EuGH190 zurück, in denen sich die Bundesrepublik Deutschland unter Hinweis auf das Apothekenmonopol eindringlich gegen den singulären Arzneimittel-Versand durch EG-ausländische Apotheken an Privatpersonen für den eigenen Bedarf gewehrt habe. Es sei allerdings anzunehmen, daß der deutsche Gesetzgeber, der den Ausnahmecharakter des � 73 Abs. 2 Nr. 6 a AMG betont habe, den durch die EuGH-Entscheidungen gebotenen Ausnahmebereich möglichst eng habe ziehen wollen.

      Bei dem vorliegenden Internet-Versand fehle es aber jedenfalls an der Voraussetzung eines "Beziehens" der Arzneimittel i.S.d. � 73 Abs. 2 Nr. 6 a AMG, das einen Kauf der Arzneimittel unter persönlicher Anwesenheit in der EG-ausländischen Apotheke erfordere, auch wenn die Ware dann zugesendet werde. � 73 Abs. 2 Nr. 6 a AMG sei insoweit einschränkend auszulegen. Der EuGH habe in den beiden genannten Entscheidungen das Apothekenmonopol in Deutschland insoweit als sachlich gerechtfertigt hingenommen, als es eine persönliche Informations- und Beratungsmöglichkeit habe gewährleisten sollen, und jeweils ausdrücklich vorausgesetzt, daß die jeweilige Privatperson die Arzneimittel "in einer Apotheke" im EG-Ausland gekauft hatte. Dieser persönliche Einkauf in einer Apotheke mit anschließender Zusendung der Arzneimittel entspreche bezüglich der Informations- und Beratungsfunktion dem Gebot des Apothekenmonopols. Auch mit Blick auf den Widerstand der Bundesrepublik Deutschland gegen den Arzneimittelversand vor dem EuGH sei diese einschränkende Auslegung von � 73 Abs. 2 Nr. 6 a AMG naheliegend. Zudem spreche das Gebot einer verfassungskonformen Auslegung für die vorgenommene einschränkende Auslegung des Merkmals "beziehen", da diese eine Inländerbenachteiligung aus Art. 28 EGV verhindere, die nach dem Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG nur bezüglich des EG-rechtlich notwendig Gebotenen sachlich gerechtfertigt werden könne.

      Ein etwaiger Verstoß gegen den Grundsatz des freien Warenverkehrs gemäß Art. 28 EGV durch die Beschränkung des � 73 Abs. 2 Nr. 6 a AMG auf den persönlichen Kauf in einer EG-ausländischen Apotheke sei jedenfalls durch Art. 30 EGV gerechtfertigt, der aufgrund der unvollständigen Harmonisierung der nationalen Vorschriften zum Inverkehrbringen von Arzneimitteln vorliegend anwendbar sei. Die Einschränkung sei notwendig zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, den wichtigsten der in Art. 30 EGV geschützten Güter und Interessen191. Folglich greife vorliegend die Ausnahmeregelung des � 73 Abs. 2 Nr. 6 a, Abs. 4 AMG nicht. Anderes ergebe sich auch nicht aus den Bestimmungen der E-Commerce-Richtlinie192 oder der Fernabsatz-Richtlinie193.




      189 Zur gleichen Thematik siehe auch OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 31.5.2001 (6 U 240/00 - GRURInt 2001, 771); sowie den Vorlagebeschluß gemäß Art. 234 EGV des LG Frankfurt a.M. vom 10.8.2001 (3/11 O 64/01 - NJW 2001, 2824).

      190 EuGH, Urteil vom 7.3.1989 (215/87, Schumacher/Hauptzollamt Frankfurt a.M.-Ost - Slg. 1989, 617); sowie EuGH, Urteil vom 8.4.1992 (C-62/90 Kommission/Bundesrepublik Deutschland - Slg. 1992, I-2575).

      191 EuGH, Urteil vom 10.11.1994 (C-320/93, Ortscheit - Slg. 1994, I-5243, Rn. 16).

      192 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8.6.2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt, ABI.EG 2000 L 178/1.

      193 Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5.1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABI.EG 1997 L 144/19.