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2001


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J. Christina Gille


XII. Europäische Gemeinschaften

5. Dienstleistungsfreiheit

      78. Mit Urteil vom 9.10.2001 (B 1 KR 26/99 R - BSGE 89, 34) vertrat das BSG die Ansicht, daß es nicht gegen EG-Recht, insbesondere die Freiheit des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs, verstößt, eine Kostenerstattung an den Versicherten für eine im EG-Ausland durchgeführte, nach deutschem Recht ihrer Art nach unzulässige Behandlung auszuschließen. Zwar gelte die in Art. 59 EGV gewährleistete Dienstleistungsfreiheit auch für Tätigkeiten im Bereich des Gesundheitswesens und müsse von den Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit beachtet werden. Die Erbringung oder Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen zwischen Mitgliedstaaten dürfe danach nur ausnahmsweise aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit oder aus anderen zwingenden Gründen des Allgemeinwohls erschwert werden.207 Der vorliegende Fall sei jedoch hiervon zu differenzieren. Es gehe nicht um eine Behandlung an sich, sondern um eine bestimmte Art der Durchführung, konkret die ambulant durchgeführte Radiojodtherapie, die nach deutschem Recht nicht zulässig sei und deshalb nicht zum Leistungsumfang der Krankenversicherung zähle. Bei ambulanter Erbringung werde diese Therapie von der Krankenkasse weder im Inland noch im Ausland bezahlt, so daß es an einer unterschiedlichen Behandlung von Dienstleistungen zwischen Mitgliedstaaten gegenüber gleichartigen innerstaatlichen Dienstleistungen fehle. Im übrigen stünden die deutschen Vorschriften zum Verbot der ambulanten Radiojodbehandlung ihrerseits mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang, so daß in dem Ausschluß der Kostenerstattung auch deshalb kein Verstoß gegen Art. 59 EGV gesehen werden könne. Bei den hier einschlägigen Richtlinien zum Schutz der Gesundheit der Arbeitskräfte und der Bevölkerung gegen die Gefahren durch ionisierende Strahlen208 handele es sich um bloße Grundnormen209 i.S.v. Art. 30 EAGV210, durch die einheitliche Mindeststandards für den Bereich der Union festgelegt worden seien, ohne daß den Mitgliedstaaten verwehrt sei, eigene strengere Bestimmungen zu erlassen.




      207 EuGH, Urteil vom 28.4.1998 (C-158/96, Kohll/Union des caisses de maladie - Slg. 1998, I-1931); EuGH, Urteil vom 12.7.2001 (C-368/98, Vanbraekel u.a. - Slg. 2001, I-5363); EuGH, Urteil vom 12.7.2001 (C-157/99, Smits/Peerbooms - Slg. 2001, I-5473).

      208 Richtlinie 96/29/Euratom des Rates vom 13.5.1996 zur Festlegung der grundlegenden Sicherheitsnormen für den Schutz der Gesundheit der Arbeitskräfte und der Bevölkerung gegen die Gefahren durch ionisierende Strahlungen, ABl.EG 1996 L 159/1; sowie Richtlinie 97/43/Euratom des Rates vom 30.6.1997 über den Gesundheitsschutz von Personen gegen die Gefahren ionisierender Strahlung bei medizinischer Exposition und zur Aufhebung der Richtlinie 84/466/Euratom, ABl.EG 1997 L 180/22.

      209 Siehe hierzu EuGH, Urteil vom 25.11.1992 (C-376/90, Kommission/Belgien - Slg. 1992, I- 6153, Rn. 20 ff.).

      210 Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft vom 25.3.1957, BGBl. 1957 II, 753, 1014, 1678.