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2001


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J. Christina Gille


XIII. Deutschlands Rechtslage nach 1945 und deutsche Wiedervereinigung

2. Wiedervereinigung

c) Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit

      91. Das BVerfG stellte mit Beschluß vom 4.4.2001 (2 BvL 7/98 - BVerfGE 103, 310) fest, daß die Nichtberücksichtigung von Beschäftigungszeiten im öffentlichen Dienst der DDR im Besoldungsdienstalter bei nachfolgender Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) oder das Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) nach § 30 Abs. 1 Satz 2 BesG nicht gegen Art. 3 GG verstößt.249

      Bei Regelungen des Besoldungsrechts habe der Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des BVerfG eine verhältnismäßig weite Gestaltungsfreiheit, so daß das BVerfG hier nur, sofern nicht von der Verfassung selbst getroffene Wertungen entgegenstünden, die Überschreitung äußerster Grenzen beanstanden könne, jenseits derer sich gesetzliche Vorschriften bei der Abgrenzung von Lebenssachverhalten als evident sachwidrig erwiesen. Jede Regelung des Besoldungsrechts sei unvollkommen, müsse zwangsläufig generalisieren und typisieren und bringe unvermeidbare Härten mit sich. Sofern sich aber für die Gesamtregelung ein vernünftiger Grund anführen lasse, seien die sich daraus ergebenden Unebenheiten, Friktionen und Mängel sowie gewisse Benachteiligungen in besonders gelagerten Einzelfällen hinzunehmen.

      Etwas anderes folge auch nicht aus den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums i.S.v. Art. 33 Abs. 5 GG. Hieran gemessen verstoße § 30 Abs. 1 Satz 2 BesG nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. § 30 Abs. 1 Satz 2 BesG nehme Zeiten im öffentlichen Dienst der DDR vor einer Tätigkeit für das MfS/AfNS ebenso wie solche Tätigkeitszeiten selbst von der Gleichstellung bei der Berechnung und Festsetzung des Besoldungsdienstalters nach § 28 Abs. 2 Satz 4 BesG aus. Im System der Berechnung des Besoldungsdienstalters wirke sich § 30 BesG lediglich als Beschränkung der Begünstigung aus, die in der besoldungserhöhenden Anerkennung bestimmter Dienstzeiten eines Beamten liege. Gemeinsamer Grundgedanke von § 30 Abs. 1 und Abs. 2 BesG sei, Dienstzeiten im öffentlichen Dienst der DDR, die durch eine in verschiedener Weise herausgehobene Nähe zum Herrschaftssystem der DDR gekennzeichnet gewesen seien, durch widerlegliche oder unwiderlegliche Vermutungen von der besoldungssteigernden Anrechnung auf das Besoldungsdienstalter auszuschließen. Diese Regelung gehe davon aus, daß solche Dienstzeiten, während derer der Beamte außerhalb des Rahmens einer rechtsstaatlichen Verwaltung tätig geworden sei, nicht mit Tätigkeiten in der rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichteten öffentlichen Verwaltung der Bundesrepublik Deutschland gleichgestellt werden dürften. Der Gesetzgeber könne sich hierfür auf vernünftige, nachvollziehbare Gründe von hinreichendem Gewicht berufen. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands habe der Gesetzgeber vor der Aufgabe gestanden, zahlreiche Vorgänge einer Vergangenheit, die durch ein von der Bundesrepublik Deutschland verschiedenes Herrschafts- und Gesellschaftssystem vollkommen andersartig geprägt gewesen seien, für die Überleitung in das andere Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland normativ erfassen und bewerten zu müssen. Dies habe ein besonders starkes Typisierungsbedürfnis und eine entsprechend weite Typisierungsbefugnis mit sich gebracht. Damit verbundene Härten im Einzelfall seien hinzunehmen. Der Spielraum des Gesetzgebers, im Rahmen verfassungsrechtlich unbedenklicher Typisierung relativ grob abgesetzte Fallgruppen zu bilden, sei unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit um so größer gewesen, als die Folgen der Nichtberücksichtigung der vorliegend in Rede stehenden Dienstzeiten beim Besoldungsdienstalter eng auf die konkrete Bemessung der Besoldung begrenzt seien. Der Ausschluß von Zeiten einer Tätigkeit des Beamten für das MfS von der Gleichstellung nach § 30 Abs. 1 Satz 1 BesG sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Anlaß für die Nichtberücksichtigung dieser Dienstzeiten des Beamten im Rahmen des § 28 Abs. 2 Satz 4 BesG seien begründete Zweifel an der persönlichen Eignung des Beamten i.S.v. Art. 33 Abs. 2 GG in dieser Zeit. Diese Zweifel seien zwar in solchen Fällen nach der Einschätzung des Dienstherrn nicht so gravierend, daß sie zu einer Entlassung nach den Sonderkündigungstatbeständen des Abs. 4 Nr. 1 oder des Abs. 5 Nr. 2 der Anlage I, Kap. XIX, Sachgebiet A, Abschn. III, Nr. 1 des Einigungsvertrages250 geführt hätten. Sie würden jedoch eine "Honorierung" solcher Dienstzeiten durch eine Gleichstellung mit Zeiten einer Tätigkeit in einer rechtsstaatlichen Verwaltung ausschließen. Vor diesem Hintergrund sei auch die Regelung des § 30 Abs. 1 Satz 2 BesG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber habe typisierend davon ausgehen dürfen, daß auch die Vordienstzeiten eines Beamten wegen der nachfolgenden Tätigkeit für das MfS/AfNS bereits von einer besonderen persönlichen Nähe zum System der DDR geprägt gewesen seien.




      249 Zum Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG durch die Ungleichbehandlung der Dienstunfall- und Dienstkrankheitsrenten nach den Sonderversorgungssystemen der DDR gegenüber den ostdeutschen Unfallrenten bezüglich ihrer Überführung in die gesamtdeutsche Unfallversicherung siehe BVerfG, Beschluß vom 21.11.2001 (1 BvL 19/93, 1 BvR 13189, 1513, 2358/94, 308/95 - BVerfGE 104, 126).

      250 Vertrag über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Anm. 246).