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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


700. DIPLOMATISCHER SCHUTZ

Nr.89/1

Die Gerichte dürfen nicht selbst über die Erfolgsaussichten von Maßnahmen der auswärtigen Gewalt und deren Auswirkungen auf die zwischenstaatlichen Beziehungen urteilen, sondern müssen die Einschätzungen der zuständigen Bundesorgane grundsätzlich hinnehmen.

Courts may not on their own authority evaluate the chances of success of foreign policy measures or the effects which such measures may have in international relations. Rather, courts must generally accord deference to an assessment by the competent bodies of the federal government.

Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 24.1.1989 (7 B 102.88), Buchholz 11 Art.32 GG Nr.1 (ZaöRV 51 [1991], 194)

Einleitung:

      Der Kläger verlangt von der beklagten Bundesrepublik Deutschland die Gewährung von diplomatischem Schutz. Die Schweiz hatte das Vermögen zweier dort ansässiger Aktiengesellschaften, an denen er beteiligt war, entschädigungslos eingezogen, weil diese dazu gedient hätten, die Beschränkungen des Grundstückserwerbs in der Schweiz durch Ausländer ("lex Furgler") zu umgehen. Diplomatische Schritte der Bundesrepublik blieben erfolglos. Der Kläger will erreichen, daß die Bundesrepublik ihm weitergehenden Schutz gewährt (Erhebung einer Klage vor dem IGH oder Einleitung eines Schiedsverfahrens). Seine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gegen das klageabweisende Berufungsurteil blieb erfolglos.

Entscheidungsauszüge:

      Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß vom 16.12.1980 (BVerfGE 55, 349 [364f., 367f.]) ausgeführt, der Bundesregierung stehe hinsichtlich der Frage, ob und in welcher Weise sie einem deutschen Staatsangehörigen Auslandsschutz gewährt, ein weites Ermessen zu; die Verwaltungsgerichte seien folglich darauf beschränkt, die Handlungen und Unterlassungen der Bundesregierung auf Ermessensfehler hin nachzuprüfen. Da die Gestaltung auswärtiger Verhältnisse und Geschehensabläufe nicht allein vom Willen der Bundesrepublik Deutschland bestimmt werden könne, gewähre das Grundgesetz den Organen der auswärtigen Gewalt einen sehr weiten Spielraum in der Einschätzung außenpolitisch erheblicher Sachverhalte wie der Zweckmäßigkeit möglichen Verhaltens. Soweit sich im Zusammenhang mit der Gewährung von Auslandsschutz völkerrechtliche Fragen stellten, seien auch diese nicht von den Gerichten, sondern von der Bundesregierung zu beantworten. Ein Ermessensfehler sei insoweit allenfalls dann in Betracht zu ziehen, wenn sich die Einnahme der fraglichen Rechtsauffassung als Willkür gegenüber dem Bürger darstelle, also unter keinem - auch außenpolitischen - vernünftigen Gesichtspunkt mehr zu verstehen wäre. Die Bundesregierung habe im Streitfall erwogen, ob rechtliche Argumente überhaupt erfolgversprechend seien und welche Auswirkungen sich daraus für die Belange des Beschwerdeführers und der Bundesrepublik Deutschland ergeben könnten. Es sei nicht Sache der Gerichte, ihre Einschätzung möglicher Wirkungen solcher Schritte auf internationaler Ebene an die Stelle der Einschätzung durch die Organe der auswärtigen Gewalt zu setzen. Daß die Einschätzung seitens der Bundesregierung auch im Hinblick auf die für den Beschwerdeführer auf dem Spiel stehenden Verfassungsgüter unter keinem vernünftigen Gesichtspunkt mehr verständlich erscheine, lasse sich nicht feststellen.
      In demselben Sinn heißt es in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 24.2.1981 (BVerwGE 62, 11 [15 f.]), der Beklagten stehe hinsichtlich der Frage, in welcher Weise sie Auslandsschutz gewähre und welche konkreten Maßnahmen sie ergreife, ein weites politisches Ermessen zu. Bei der Ausübung dieses Ermessens dürfe und müsse sie neben den Grundrechten des Betroffenen auch ihre außenpolitischen Interessen in Rechnung stellen. Sie dürfe hierbei auch die Erfolgsmöglichkeiten eines denkbaren Vorgehens und damit die Zweckmäßigkeit eines möglichen Verhaltens abschätzen. Es müsse ihrer außenpolitischen Einschätzung und Abwägung überlassen bleiben, inwieweit sie die von dem damaligen Kläger begehrten Maßnahmen zu dessen Freilassung für geeignet und mit Rücksicht auf die Belange der Allgemeinheit wie auch auf die Interessen des Klägers selbst für angebracht halte.
      Diese Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts und Bundesverwaltungsgerichts sind in ihrem Kern nicht auf die Besonderheiten des damals zu beurteilenden Sachverhalts [Fall Rudolf Hess] zugeschnitten. Sie sind vielmehr von dem Bestreben geleitet, das Schutzbedürfnis des Bürgers, der durch Maßnahmen eines fremden Staats in seinen Grundrechten betroffen ist, mit der der Beklagten obliegenden Aufgabe der Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten (vgl. Art.32 Abs.1 GG) und der hieraus abzuleitenden Forderung nach hinreichender außenpolitischer Handlungsfähigkeit der Beklagten zum Ausgleich zu bringen, und können daher auf andere Fallgestaltungen - einschließlich der hier vorliegenden - übertragen werden.
      Die Beklagte hat in ihrem Schreiben vom 30. Juli 1984 das Verlangen des Klägers nach Klageerhebung gegen die Schweiz unter Hinweis darauf abgelehnt, die sich aus dem Vertrag mit der Schweiz vom 31. Oktober 1910 ergebende Rechtlage sei nicht eindeutig und die Bundesregierung müsse bei der Gestaltung ihrer außenpolitischen Beziehungen zur Schweiz auf deren Interesse Rücksicht nehmen, einen "Ausverkauf der Heimat" an Ausländer zu verhindern. Die ablehnende Haltung der Beklagten beruht mithin auf der Annahme, daß die Erfolgsaussichten der vom Kläger erstrebten Klage offen seien und daß die Klageerhebung überdies eine Störung der Beziehungen zur Schweiz nach sich ziehen könne. Diese Entscheidungskriterien sind nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfasungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts nicht zu beanstanden und daher vom Oberverwaltungsgericht zu Recht gebilligt worden. Die Beschwerde beruft sich demgegenüber erneut auf die offensichtliche Völkerrechtswidrigkeit der "lex Furgler" und führt aus, daß die Einleitung eines Verfahrens zur Klärung der bestehenden Völkerrechtslage durch ein hierzu eingesetztes unabhängiges Gericht die Beziehungen zur Schweiz keinesfalls erschüttern könne. Sie vernachlässigt dabei, daß die Gerichte nicht selbst über die Erfolgsaussichten von Maßnahmen der auswärtigen Gewalt und deren Auswirkungen auf die zwischenstaatlichen Beziehungen urteilen dürfen, sondern die Einschätzungen der zuständigen Organe der Beklagten grundsätzlich hinnehmen müssen. Daß der Beklagten bei der Ablehnung der hier streitigen Maßnahmen keine willkürlichen und damit rechtswidrigen Fehleinschätzungen unterlaufen sind, hat das Oberverwaltungsgericht im einzelnen zutreffend dargelegt.