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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1050. EUROPÄISCHES AUSLIEFERUNGSÜBEREINKOMMEN VOM 13.12.1957 (BGBl. 1964 II S.1371)

Art.11

Nr.93/1

[a] Die Ermessensvorschrift des Art.11 EuAlÜbk hat sich im Lichte des modernen Völkerrechts und des geltenden Verfassungsrechts inzwischen in ein absolutes Auslieferungsverbot für den Fall verwandelt, daß der ersuchende Staat keine ausreichende Zusicherung abgibt, eine dem Verfolgten drohende Todesstrafe nicht zu vollstrecken.

[b] Verlangt der ersuchte Staat eine Zusicherung, daß eine gegen den Verfolgten verhängte Todesstrafe nicht vollstreckt wird, und verspricht die türkische Regierung lediglich, diese Bitte an die türkische Nationalversammlung weiterzuleiten, ist den Anforderungen des Art.11 EuAlÜbk nicht genügt.

[a] In light of modern public international law and effective constitutional law, the discretion provision of Art.11 of the European Convention on Extradition has evolved into an absolute prohibition of extradition if the requesting state does not give a sufficient guar-antee that the death penalty, if it is imposed on the person sought, will not be carried out.

[b] If the requested state demands a guarantee that the death penalty imposed on the person sought will not be carried out and if the Turkish government promises only to refer this request to the Turkish national assembly, the requirements of Art.11 of the European Convention on Extradition are not met.

Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluß vom 23.6.1993 (4 Ausl (A) 221/93 - 87/93 III), MDR 1994, 90f. (ZaöRV 55 [1995], 863f.)

Einleitung:

      Der Generalstaatsanwalt hat die Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft gegen den Verfolgten beantragt. Dem liegt ein Festnahmeersuchen von Interpol Ankara zugrunde, das dem Verfolgten zur Last legt, als Mitglied der PKK an terroristischen Anschlägen beteiligt gewesen zu sein, bei denen mehrere Menschen getötet wurden. Das Oberlandesgericht hat den Antrag abgelehnt.

Entscheidungsauszüge:

      2. Die Auslieferung ist ... deshalb unzulässig, weil dem Verfolgten im Falle seiner Auslieferung die Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe droht. Nach Art.125 des türkischen StGB ist für Taten der vorliegenden Art als Höchststrafe die Todesstrafe vorgesehen. In Anbetracht der Tatumstände, -hintergründe und -zusammenhänge und unter Berücksichtigung der politischen Verhältnisse unterliegt es keinem ernsthaften Zweifel, daß den Verfolgten einerseits die Verhängung dieser Höchststrafe erwartet und andererseits eine solche auch vollstreckt werden wird.
      Zwar erlauben Art.11 EuAlÜbk und §8 IRG eine Auslieferung ausnahmsweise unter den dort genannten Einschränkungen, wobei zu berücksichtigen ist, daß im Hinblick auf §1 Abs.2 IRG bestehende Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen ... vorgehen und §8 IRG deshalb nur subsidiär neben Art.11 EuAlÜbk anwendbar ist ... Allerdings ist nach der gegenwärtigen Rechtslage nicht zu erwarten, daß die türkische Regierung die vom Übereinkommen vorausgesetzte Zusicherung erteilt. Denn die Türkei hat zu Art.11 EuAlÜbk einen Vorbehalt dergestalt abgegeben, daß die Zusicherung auf die Weiterleitung eines von dem ausländischen Staat an die türkische Regierung zu richtenden Umwandlungsersuchens an die Nationalversammlung beschränkt ist. Eine solchermaßen eingeschränkte Zusicherung besitzt indessen keinen derart verbindlichen Charakter, daß ohne weiteres davon ausgegangen werden könnte, eine u.U. verhängte Todesstrafe werde nicht vollstreckt, sondern in jedem Fall in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt.
      Gegenüber §8 IRG, der im Fall des Nichtvorliegens einer völkerrechtlich verbindlichen Zusicherung durch den ersuchenden Staat die Unzulässigkeit der Auslieferung anordnet, sieht Art.11 EuAlÜbk eine zurückhaltendere Regelung vor, indem dort eine Ermessensentscheidung des ersuchten Staates zugrundegelegt wird. Allerdings wandelt sich nach Auffassung des Senats diese Kannregelung im Lichte des modernen Völkerrechts und des geltenden Verfassungsrechts in ein absolutes Auslieferungsverbot. Die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe ist weder mit dem Grundsatz der Menschenwürde (Art.1 Abs.1 GG) noch mit dem Grundrecht auf Leben (Art.2 Abs.2 Satz 1 GG) vereinbar. An diese Grundrechte sind Gerichte ... gebunden, denn Art.1 Abs.3 GG unterscheidet nicht danach, ob die Wirkungen des staatlichen Handelns im Inland oder Ausland eintreten. Art.102 GG enthält eine grundsätzliche Wertentscheidung der deutschen Rechtsordnung, deren Verwirklichung auch im Auslieferungsverkehr sicherzustellen ist. ...
      Demgemäß hindert auch im Rahmen des Art.11 EuAlÜbk eine drohende Verhängung oder Vollstreckung von Todesstrafe die Zulässigkeit der Auslieferung, sofern nicht die sichere Erwartung der Nichtvollstreckung aufgrund einer völkerrechtlich verbindlichen Zusicherung des ersuchenden Staates begründet ist.