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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1051. EUROPÄISCHES ÜBEREINKOMMEN ÜBER DIE RECHTSHILFE IN STRAFSACHEN VOM 20.4.1959 (BGBl. 1964 II S.1369;1976 II S.1799)

Nr.87/1

Wenn ein ausländischer Staat die Rechtshilfe zulässigerweise verweigert, seine Behörden aber den deutschen Behörden informell und nur zu Informationszwecken Protokolle über eine polizeiliche Zeugenvernehmung überlassen, so dürfen diese nicht als Beweismittel verwertet werden, wenn der ausländische Staat einer solchen Verwertung widerspricht.

If a foreign state lawfully denies mutual assistance but its authorities informally, and only for information purposes, supply records of the police interrogation of a witness to German authorities, these records may not be used as evidence over the objection of the foreign state.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 8.4.1987 (3 StR 11/87), BGHSt 34, 334

Einleitung:

      S.490 [87/1]

Entscheidungsauszüge:

      II. ... Zu Recht beanstandet die Revision, daß die Feststellungen im Fall IV 8 gegen ein Beweisverwertungsverbot verstoßen, weil sie auf der unzulässigen Benutzung von Ablichtungen aus niederländischen Polizeiakten beruhen, deren Verwertung der niederländische Justizminister widersprochen hat.
      Die Feststellungen zur Tat sind im Fall IV 8 auf die gemäß §251 Abs.2 StPO verlesenen Übersetzungen der Niederschriften über die niederländischen polizeilichen Vernehmungen der Zeugen Sm. und Se. ... gestützt. Die Protokolle sind, wie es im Urteil heißt, den deutschen Polizeibehörden von den niederländischen Polizeidienststellen zur Verfügung gestellt worden, nach der Behauptung der Revision auf dem "kurzen Dienstweg" über die Zollfahndung K ...
      Die Niederlande lehnen in diesem Fall jede Rechtshilfe ab ...
      Das Landgericht meint: Die bezeichneten polizeilichen Protokolle seien als Beweismittel gemäß §251 Abs.2 StPO verwertbar. Das Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen (EuRHÜbk) vom 20. April 1959 (BGBl. 1964 II S.1369, 1386; 1976 II S.1799), nach dessen Bestimmungen sich der Rechtshilfeverkehr mit den Niederlanden richtet, diene nicht dem Individualschutz. Deshalb komme es für die Frage der Verwertbarkeit der Unterlagen gegen den Angeklagten nicht darauf an, ob und inwieweit die niederländischen Behörden bei deren Übermittlung gegen geltendes Recht verstoßen hätten. Ein kompetenzwidriges Verhalten seiner Organe sei einem Staat (d.h. in diesem Fall: den Niederlanden) jedenfalls insoweit zuzurechnen, als der Verstoß, so wie hier, nicht offenkundig sei. Die Übermittlung und die Entgegennahme der Protokolle seien nicht völkerrechtswidrig. Nach dem Zusammenhang der Urteilsgründe zieht das Landgericht daraus den Schluß, daß die Vernehmungsniederschriften (in Form der Übersetzungen) auch als unmittelbares Beweismittel gegen den Angeklagten benutzt werden dürften.
      Diesem Ergebnis vermag der Senat nicht zuzustimmen, obwohl die Prämissen richtig sein mögen, aus denen es abgeleitet wird. Die Schlußfolgerung geht an der Tatsache vorbei, daß die niederländischen Polizeiprotokolle den deutschen Zoll- und Polizeidienststellen ersichtlich nur zu Informationszwecken, nicht aber zur Verwendung als unmittelbares Beweismittel, insbesondere nicht als Beweismittel im Strafverfahren gegen den Angeklagten, überlassen worden sind. Für eine gegenteilige Annahme bietet der Sachverhalt keine ausreichenden Anhaltspunkte; der Senat hält sie nach den Umständen des Falles für ausgeschlossen. Die Auffassung des Landgerichts berücksichtigt darüber hinaus nicht genügend, daß das Europäische Rechtshilfeübereinkommen völkerrechtliche Bindungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Niederlanden begründet und als Vertragswerk auch dazu dient, die Interessen eines Unterzeichnerstaats in der Rolle als ersuchter Staat zu schützen; daß der ersuchte Staat über die Gewährung oder den Umfang der Rechtshilfe im Einzelfall in einem bestimmten Rahmen nach eigenem Ermessen entscheiden kann, ohne zur Rechtshilfe verpflichtet zu sein, und daß er ein berechtigtes Interesse daran haben kann, die Entscheidung über die Gewährung aus gegebenem Anlaß in dem vertraglich vereinbarten Verfahren zu prüfen. Wenn das Europäische Rechtshilfeübereinkommen andere als die darin vorgesehenen Formen der Zusammenarbeit zwischen Strafverfolgungsbehörden auch nicht ausschließt, es den Unterzeichnerstaaten also unbenommen ist, einander - wie hier geschehen - "außervertraglich" Rechtshilfe zu leisten, so müssen die vertraglichen Bestimmungen des Übereinkommens zwischen ihnen doch eingehalten werden, sobald eine Seite es allgemein oder im Einzelfall mit Wirkung ex nunc verlangt. Die andere Seite kann dann aus einer vorangegangenen einverständlichen formlosen Überlassung von Unterlagen nicht mehr Rechte herleiten, als ihr bei der Übergabe erkennbar eingeräumt worden sind. In einem Fall, in dem polizeiliche Akten ohne den Willen der Justizbehörden des ersuchten Staates außerhalb des geregelten Rechtshilfeverkehrs lediglich zu Informationszwecken in die Verfügungsgewalt eines anderen Vertragsstaates gegeben werden, dürfen sie deshalb in einem dort anhängigen Strafverfahren als Beweismittel jedenfalls dann nicht verwertet werden, wenn und sobald der ersuchte Staat eindeutig zum Ausdruck gebracht hat, daß er einer solchen Verwertung widerspricht und die Rechtshilfe verweigert, und wenn er nach dem Rechtshilfeübereinkommen und zusätzlichen Vereinbarungen zu einer solchen Verweigerung berechtigt ist. Unter im übrigen gleichen Voraussetzungen wären die überlassenen Akten auch dann unverwertbar, wenn sie (wie möglicherweise hier) im Einvernehmen mit dem zuständigen Staatsanwalt außerhalb des förmlichen Rechtshilfeverkehrs dem ersuchenden Staat zwar für ein bestimmtes Verfahren zu Ermittlungszwecken zur Verfügung gestellt worden sind, aber später von ihm in einem anderen Strafverfahren als Beweismittel gegen einen anderen Beschuldigten verwendet werden sollen. In beiden Fällen darf der ersuchende Staat die Unterlagen nur zu dem Zweck gebrauchen, der bei der (nicht völkerrechtswidrigen) Überlassung erkennbar vorgesehen war, ähnlich wie er bei einer Auslieferung an den Inhalt der Auslieferungsbewilligung gebunden ist. Die darüber hinausgehende Benutzung als unmittelbares Beweismittel entgegen dem ausdrücklich erklärten Willen des ersuchten Staates wäre eine völkerrechtliche Vertragsverletzung, die er und seine Organe zu unterlassen haben. Das gilt auch für die Gerichte. Auf die Unterlassung hat ein Beschuldigter zwar keinen individualrechtlichen Anspruch. Sie kann sich aber als völkerrechtlicher Reflex zu seinen Gunsten auswirken, wenn er der Tat nur deshalb nicht überführt werden kann, weil andere Beweismittel nicht zur Verfügung stehen.
      ... [Die Niederlande] lehnen in diesem Fall befugterweise jede Rechtshilfe ab. Nach Artikel 2 Buchst.b EuRHÜbk kann die Rechtshilfe verweigert werden, wenn der ersuchte Staat der Ansicht ist, daß die Erledigung des Ersuchens geeignet ist, die Souveränität, die Sicherheit, die öffentliche Ordnung oder andere wesentliche Interessen seines Landes zu beeinträchtigen. Die Niederlande haben sich hierzu in der Ratifikationsurkunde zum Rechtshilfeübereinkommen insbesondere das Recht vorbehalten, einem Rechtshilfeersuchen nicht stattzugeben, sofern sich das Ersuchen auf eine Strafverfolgung bezieht, die mit dem Grundsatz "ne bis in idem" unvereinbar ist, oder sofern das Ersuchen Ermittlungen über Handlungen betrifft, deretwegen der Beschuldigte in den Niederlanden verfolgt wird (BGBl. 1976 II S.1807). Diese Bestimmungen sind in ihrer Gesamtheit geeignet, die Verweigerung der Rechtshilfe aus der maßgebenden Sicht der Niederlande zu rechtfertigen, weil der Angeklagte Niederländer ist und die Tat in den Niederlanden begangen hat. In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, daß gegen ihn wegen eines Falles, der zeitlich in den Fortsetzungszusammenhang fällt, im Jahre 1981 ein niederländisches Urteil ergangen ist ... Nach seinem Sinn und Zweck hindert es das dargelegte Beweisverwertungsverbot, den Inhalt der niederländischen polizeilichen Protokolle durch die Vernehmung z.B. eines deuschen Polizeibeamten zu ersetzen, der die Protokolle gelesen hat.