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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1112. EINZELNORMEN DER EMRK

Art.6 Abs.1 Satz 1 EMRK (Verfahrensdauer)

Nr.87/1

Eine Art.6 Abs.1 Satz 1 EMRK widersprechende Verfahrensverzögerung muß bei der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten berücksichtigt werden.

A procedural delay contrary to Art.6 (1) clause 1 of the ECHR must be taken into account in favor of the defendant when determining the sentence.

Bundesgerichtshof, Beschluß vom 20.1.1987 (1 StR 687/86), JZ 1987, 528 (ZaöRV 48 [1988], 746 f.)

Entscheidungsauszüge:

      Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muß im Rahmen der Strafzumessung eine der Vorschrift des Art.6 Abs.1 Satz 1 EMRK zuwiderlaufende Verfahrensverzögerung zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt werden (BGH NStZ 1982, 291, 292 ...; 1983, 167 ...) ... Im vorliegenden Verfahren ist das in Art.6 Abs.1 Satz 1 EMRK garantierte Recht des Angeklagten auf gerichtliche Entscheidung innerhalb angemessener Frist verletzt worden.
      Die Tat ... hat der Angeklagte im Jahre 1981 begangen. Sie wies keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf, die eine mehrjährige Verfahrensdauer rechtfertigen könnten. Für die Verfahrensverzögerung ist der schon im Ermittlungsverfahren geständig gewesene Angeklagte nicht verantwortlich. Das hätte bei der Bemessung der Einzelstrafe angemessen strafmildernd berücksichtigt werden müssen.
      Die Bildung der Gesamtstrafe weist denselben Rechtsfehler auf. Zwar sind die Schuldsprüche hinsichtlich der weiteren vier Diebstahlstaten und die in diesen Fällen verhängten Einzelstrafen bereits rechtskräftig ... Doch auch für diesen Teil ist das Verfahren im Sinne des Art.6 Abs.1 Satz 1 EMRK erst dann abgeschlossen, wenn die Gesamtstrafe gemäß §54 StGB rechtskräftig gebildet ist (vgl. EGMR in EuGRZ 1983, 371, 380 - Fall Eckle). Die Verletzung des Beschleunigungsgebotes mußte auch bei der Zumessung der Gesamtstrafe zu Gunsten des Angeklagten gewertet werden. Das ist nicht geschehen.
      Der neue Tatrichter wird bei der Zumessung der Einzelstrafe und der Gesamtstrafe dem besonderen Strafmilderungsgrund, der aus der Verletzung des Art.6 Abs.1 Satz 1 EMRK folgt, angemessen Rechnung tragen müssen und dabei zu beachten haben, daß auch die Verfahrensdauer bis zu seiner Entscheidung weiterhin unangemessen im Sinne des Art.6 Abs.1 Satz 1 EMRK ist, weil der Angeklagte auch diese neuerliche Verfahrensverzögerung nicht verschuldet hat.