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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1200. SEERECHT

Nr.91/1

[a] Es steht mit dem Bestimmtheitsgebot des Art.103 Abs.2 GG im Einklang, wenn der Tatbestand einer deutschen Bußgeldbestimmung auf Festlegungen in einer EWG-Verordnung verweist, die bereits zum Zeitpunkt der Verweisung außer Kraft getreten ist.

[b] Der Begriff der Basislinie und die Methoden ihrer Festlegung werden durch Normen des Völkergewohnheitsrechts, die Bestandteil des Bundesrechts sind (Art.25 GG), hinreichend klar bestimmt.

[a] The principle of certainty in defining the elements of a crime, as contained in Art.103 (2) of the Basic Law, does not prevent the German legislature from imposing an administrative fine for a criminal act whose elements are defined by reference to an EEC Regulation that had already expired when the German statute was enacted.

[b] The term "base line" and the methods of its determination are defined with sufficient certainty by norms of customary international law which are part of the federal law (Art.25 of the Basic Law).

Bundesverfassungsgericht (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschluß vom 19.12.1991 (2 BvR 836/85), NVwZ-RR 1992, 521 (ZaöRV 53 [1993], 373)

Einleitung:

      Beschwerdeführer zu 1) ist der Kapitän eines im Eigentum der Beschwerdeführerin zu 2) stehenden niederländischen Großkutters. Er wurde zu einer Geldbuße verurteilt, weil er vorsätzlich innerhalb der Plattfisch-Schutzzone mit unzulässigem Fanggerät auf Seezungen- und Schollenfang gewesen sei. Grundlage der Verurteilung war Art.6 Abs.1, Abs.3 des Seefischerei-Vertragsgesetzes 1971 in der Fassung vom 10.9.1976 (BGBl.1976 II S.1542) in Verbindung mit §§3 Abs.1, 1 Abs.2, 6 Nr.2 lit.e der Fünften Durchführungsverordnung zum SFVG 1971 vom 15.3.1982. Das bei der Ordnungswidrigkeit verwendete im Eigentum der Beschwerdeführerin zu 2) stehende wertvolle Fanggeschirr wurde eingezogen. Die dagegen erhobenen Verfassungsbeschwerden stützen sich vor allem darauf, daß der der Verurteilung zugrunde gelegte §6 der 5.Durchführungsverordnung von 1982 in seinem Tatbestand auf Art.14 Abs.3 der Verordnung (EWG) Nr.2527/80 verweise, die bereits 1981 außer Kraft getreten sei. Außerdem nehme diese EWG-Verordnung eine "12-Meilen-Zone vor den Küsten ... der Bundesrepublik Deutschland ..., gemessen von den zur Begrenzung der Hoheitsgewässer dienenden Basislinien aus" in Bezug, die nicht hinreichend bestimmt sei. Die Verfassungsbeschwerden wurden mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung angenommen.

Entscheidungsauszüge:

      II. Die angegriffenen Entscheidungen sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
      1. Die von den Fachgerichten zugrunde gelegte Bußgeldvorschrift verstößt nicht gegen das Bestimmtheitsgebot des Art.103 Abs.2 GG.
      a) Art.103 Abs.2 GG enthält die Verpflichtung des Gesetzgebers, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, daß Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen (... BVerfGE 78, 374 [381 f.]). Diese Verpflichtung gilt auch für Bußgeldtatbestände (BVerfGE 71, 108 [114]). Sie dient einem doppelten Zweck. Es geht einerseits um den rechtsstaatlichen Schutz des Normadressaten: Jedermann soll vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist. Andererseits soll sichergestellt werden, daß der Gesetzgeber selbst über die Strafbarkeit entscheidet. ...
      Dem Gesetzgeber ist es von Verfassungs wegen nicht untersagt, durch ein Blankettstrafgesetz die Beschreibung des Straftatbestandes zu ersetzen durch die Verweisung auf eine Ergänzung im gleichen Gesetz oder in anderen - auch künftigen - Gesetzen oder Rechtsverordnungen, die nicht notwendig von derselben rechtsetzenden Instanz erlassen werden müssen. ...
      Das Bundesverfassungsgericht hat bei der auch in anderen Rechtsbereichen vielfach üblichen und notwendigen gesetzestechnischen Methode der Verweisung ferner für erforderlich gehalten, daß die in Bezug genommenen Vorschriften dem Normadressaten durch eine frühere ordnungsgemäße Veröffentlichung zugänglich sind ... Eine solche Verweisung bedeutet rechtlich nur den Verzicht, den Text der in Bezug genommenen Vorschriften in vollem Wortlaut in die Verweisungsnorm aufzunehmen ... Soll der bei Erlaß der Verweisungsnorm oder der zu einem früheren Zeitpunkt geltende Normtext, auf den verwiesen ist, maßgeblich sein, liegt eine "statische" Verweisung vor ... Diese erscheint verfassungsrechtlich unbedenklich, weil der zuständige Gesetzgeber weiß, welchen Inhalt das in Bezug genommene Recht hat, und er prüfen kann, ob er es sich mit diesem Inhalt zu eigen machen will ...
      b) Die Bußgeldvorschrift der Art.3, 6 SFVG 1976 i.V. mit §§3 Abs.1, 1 Abs.2, 6 Nr.2 lit.e der Fünften Durchführungsverordnung zum SFVG vom 15.3.1982 und Art.14 Abs.3 der Verordnung (EWG) Nr. 2527/80 des Rates vom 30.9.1980 wird diesen Anforderungen gerecht.
      aa) Das SFVG 1976 umschreibt in Art.3 und Art.2 Abs.2 Nr. 3 hinreichend bestimmt den Bußgeldtatbestand, der zur Erhaltung und bestmöglichen Nutzung von Fischbeständen das Fangen bestimmter Fische mit bestimmtem Gerät in bestimmten Gebieten erfassen soll und legt in Art.6 Art und Maß der Ahndung fest. Diese vom Gesetzgeber abstrakt umrissenen Vorgaben werden von der Fünften Durchführungsverordnung zum SFVG 1976 dadurch spezifiziert, daß diese (u.a.) Art.14 Abs.3 Unterabsatz 1 der Verordnung (EWG) Nr.2527/80 des Rates vom 30.9.1980 über technische Maßnahmen zur Erhaltung der Fischbestände zum Bestandteil ihrer selbst erklärt, so daß die Verbotszone, die geschützten Fischarten und das untersagte Fanggerät durch diese doppelte Verweisung im einzelnen angegeben werden.
      bb) Ob die Verweisung einer Straf- oder Bußgeldvorschrift auf bereits aufgehobene Regelungen eines anderen Normgebers in jedem Fall der verfassungsrechtlich gebotenen Bestimmtheit und Normklarheit genügt, kann dahinstehen. Im vorliegenden Fall war jedenfalls hinreichend deutlich erkennbar, daß die in Bezug genommenen Bestimmungen vom Willen des Gesetz- und Verordnungsgebers umfaßt waren, obwohl die zugrundeliegende europarechtliche Regelung bereits außer Kraft getreten war. Absicht des Gesetzgebers war es, in Zusammenarbeit mit den anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft gefährdete Fischbestände zu schützen und damit ausreichende Fangmöglichkeiten zu gewährleisten. Das Blankettstrafgesetz selbst zielt in Art.3 Satz 2 SFVG 1976 auf die Durchführung der Vorschriften, die der Rat der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art.4 der Verordnung (EWG) Nr.101/76 vom 19.1.1976 über die Einführung einer gemeinsamen Strukturpolitik für die Fischwirtschaft erläßt, um die Gefahr einer allzu intensiven Ausbeutung der Fischbestände in den Gewässern eines Mitgliedsstaates abzuwehren. Die in der Fünften Durchführungsverordnung zum SFVG in Bezug genommene Verordnung (EWG) Nr.2527/80 des Rates ... ist eine solche Vorschrift zum Schutz der Fanggründe und Fischbestände. Aus der gemeinsamen Zielsetzung der beiden genannten europarechtlichen Verordnungen und des SFVG 1976, nämlich gefährdete Fischbestände durch koordinierte Maßnahmen der Mitgliedsstaaten zu schützen, kann entnommen werden, daß die Verweisung des deutschen Gesetzgebers auf europarechtliche Normen auch dann gelten sollte, wenn die Mitgliedsstaaten sich nur zeitweilig auf gemeinsame Maßnahmen haben verständigen können und die entsprechende europarechtliche Vorschrift deshalb zwischenzeitlich außer Kraft getreten ist.
      Der Wille des deutschen Normgebers, eine nicht mehr geltende europarechtliche Vorschrift im nationalen Recht aufzunehmen, ist ersichtlich. Nachdem sich der Rat der Europäischen Gemeinschaften über eine Verlängerung der Verordnung (EWG) vom 30.9.1980 ..., deren Geltungsdauer zeitlich befristet war, nicht einigen konnte, hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaften die Mitgliedsstaaten aufgefordert, bis zum Inkrafttreten eines neuen Ratsbeschlusses die ausgelaufene Regelung weiterhin als nationales Recht anzuwenden. Dem hat die Fünfte Durchführungsverordnung zum SFVG entsprochen. ...
      dd) Das Verbot, bestimmte Fischarten innerhalb einer 12-Meilen-Zone vor der Küste der Bundesrepublik Deutschland, gemessen von den zur Begrenzung der Hoheitsgewässer dienenden Basislinien aus, zu fangen, war auch hinsichtlich des Merkmals "Basislinien" gesetzlich bestimmt i.S. des Art.103 Abs.2 GG. Für den der Deutung bedürftigen Begriff der Basislinien lassen sich mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden hinreichende Anhaltspunkte für eine den Anforderungen des Art.103 Abs.2 GG genügende Eingrenzung gewinnen.
      aaa) Der Begriff der Basislinie und die Methoden zu ihrer Bestimmung werden durch Regeln des Völkergewohnheitsrechts festgelegt, die als allgemeine Regeln des Völkerrechts über Art.25 GG Bestandteil des Bundesrechts sind. Nach geltendem Völkergewohnheitsrecht können Staaten ihre zur seewärtigen Begrenzung von Küstenmeer-, Fischerei- und Wirtschaftszonen dienenden Basislinien im wesentlichen nach zwei Methoden festlegen. Die "normale" Basislinie entspricht der Niedrigwasserlinie entlang der Küste. Bei Küsten, die tiefe Einschnitte und Einbuchtungen aufweisen oder vor denen sich in unmittelbarer Nähe eine Inselkette erstreckt, besteht die Möglichkeit, sogenannte gerade Basislinien auszuweisen. Dazu werden Basispunkte an der Küste bestimmt, zwischen denen gerade Verbindungslinien gezogen werden ...
      bbb) Die Bundesrepublik Deutschland wendet für die stark gegliederte Nordseeküste mit ihren vorgelagerten Inseln seit 1970 das Verfahren der geraden Basislinien an. Im Auftrag des Bundesministers für Verkehr gibt das Deutsche Hydrographische Institut, eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr, die Grenzkarten für die Nordsee heraus. Für den Zeitpunkt der Ordnungswidrigkeit galt die Seegrenzkarte SK 50 "Deutsche Bucht", 4. Ausg. 1978, III, mit Berichtigungen vom 7.3.1982, die den Verlauf der Niedrigwasserlinie, der geraden Basislinien, der seewärtigen Begrenzung der 12-Seemeilen-Zone und die Koordinaten aller Basispunkte als Ausgangspunkte der geraden Basislinien enthielt. Die Ausgabe dieser Karte wurde in den Nachrichten für Seefahrer vom 7.11.1981 unter Nr.4070 vom Deutschen Hydrographischen Institut bekanntgemacht. Diese amtlichen Festlegungen boten eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der in Rede stehenden Bußgeldvorschrift ...