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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1500. DEUTSCHLANDS RECHTSLAGE NACH 1945

Nr.90/1

Auch im Verhältnis zur DDR gilt der Grundsatz, daß Enteignungen durch einen fremden Staat anzuerkennen sind, soweit sie im Hoheitsgebiet des Enteignungsstaates belegene Vermögensgegenstände betreffen.

The principle that expropriations by a foreign state must be recognized, as far as they relate to assets located in the territory of the expropriating state, also applies in relation to the German Democratic Republic.

Landgericht Braunschweig, Urteil vom 28.3.1990 (9 O 30/90), DtZ 1990, 214 (ZaöRV 52 [1992], 457) (rechtskräftig)

Einleitung:

      Die Verfügungsklägerin, ein westdeutscher Verlag, versucht, durch einstweilige Verfügung einen Wettbewerber dazu zu zwingen, die geschäftliche Kooperation mit dem Volkseigenen Betrieb (VEB) G. in der DDR zu unterlassen. Die Verfügungsklägerin, die ihr Stammhaus in G. in der DDR hatte, war dort 1952 enteignet worden. Das Stammhaus wurde als VEB G. weitergeführt. Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung hatte keinen Erfolg, weil das Landgericht einen Unterlassungsanspruch der Verfügungsklägerin verneinte.

Entscheidungsauszüge:

      3. Schließlich sind auch keine deliktischen Ansprüche ... gegeben, die das erhobene Unterlassungsbegehren rechtfertigen könnten. Denn es ist nicht zu ersehen, daß durch das angegriffene Kooperationsverhalten der Verfügungbeklagten unzulässige Eingriffe in absolut geschützte Rechtspositionen der Verfügungsklägerin drohen.
      a) Es ist nicht dargetan, daß die Verfügungsklägerin gegenwärtig auf dem Gebiet der DDR derartige Rechtspositionen, insbesondere Eigentumsrechte an dem einmal enteigneten Unternehmen innehat, in welche die Verfügungsbeklagte durch eine Kooperation ... mit G eingreifen könnte. Zwar würde eine entschädigungslose Enteignung (Konfiskation) der Klägerin wegen eines Verstoßes gegen den hiesigen ordre public (Art.30 EGBGB a.F.) für das Gebiet der Bundesrepublik nicht anerkannt werden (BGHZ 31, 168 [172 ff.] ...; BGHZ 34, 345 [347 ff.] ...). Vorliegend geht es jedoch ungeachtet etwaiger Rückwirkungen im Inland nur um die Behandlung von Vermögen, welches nach wie vor auf dem Gebiet der DDR belegen ist und welches allein von den in Rede stehenden Kooperationsmaßnahmen erfaßt werden soll. Daß die vollzogenen Enteignungen bereits nach dem seinerzeit geltenden Recht der DDR - Art.23, 27 Abs.1 DDR-Verf. 1949 lassen übrigens bei entsprechender gesetzlicher Grundlage entschädigungslose Enteignungen durchaus zu - oder nach dem alternativ in Betracht kommenden damaligen sowjetischen Besatzungsrecht unwirksam waren ..., ist nicht aufgezeigt. Ebenso folgt daraus, daß eine solche Konfiskation möglicherweise als völkerrechtswidrig anzusehen wäre und auf jeden Fall nicht mit dem bundesdeutschen ordre public zu vereinbaren ist, noch nicht ohne weiteres die Annahme einer Unwirksamkeit für das Gebiet der DDR. Insoweit gilt vielmehr, daß eine Enteignung gebietsheimischer, d.h. im Gebiet des enteignenden Staates belegener Sachen nach dem Territorialitätsprinzip, welches im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der DDR mittlerweile sogar eine vertragliche Anerkennung in Art.6 des Grundlagenvertrages gefunden hat ..., als grundsätzlich wirksam anerkannt wird; das Territorialitätsprinzip wird also als ungeschriebener Bestandteil des deutschen Kollisionsrechts gewertet mit der Folge, daß fremdstaatliche Enteignungen grundsätzlich anzuerkennen sind, soweit sie Vermögensgegenstände betreffen, die sich im Hoheitsgebiet des Enteignungsstaates befinden (... OLG Bremen, ArchVR 9 [1961/62], 318 [351 ff.] ...).
      Zwar ist es vermittels des bundesdeutschen ordre public gelegentlich dann zu Durchbrechungen des so umschriebenen Territorialitätsprinzips gekommen, wenn Gegenstände, die auf dem Gebiet der DDR enteignet worden waren, in den Wirkungsbereich der hiesigen Rechtsordnung verbracht worden sind und den Anlaß von Rechtsstreiten gebildet haben (vgl. jüngst etwa KG, NJW 1988, 341 ff. - insoweit offengelassen von BGH, NJW 1989, 1352 [1353] ...), oder wenn Rechtspositionen, die der hiesigen Rechtsordnung entspringen, beansprucht worden sind, um sie hier zur Wirkung zu bringen, obgleich die DDR sie für ihre Rechtsordnung im Wege der Konfiskation einem anderen Rechtssubjekt zugewiesen hatte (vgl. BGH, JR 1965, 258 [259 f.]). Dennoch ist für diese Fallgestaltungen aber klargestellt worden, daß unbeschadet der Nichtanwendung des auf dem Gebiet der DDR bestehenden Enteignungsrechts in der Bundesrepublik die tatsächlichen Auswirkungen der dortigen Machtansprüche nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben, sondern daß hieraus die nach inländischem Recht gebotenen Schlußfolgerungen gezogen werden müssen ... Der bundesdeutsche ordre public wird also stets nur nach dem Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs in die lex causae durchgesetzt. Die Zuweisung des Rechtsverhältnisses an den anstößigen ausländischen Rechtssatz wird daher nicht voll außer Kraft gesetzt. Die Anwendung der ordre public-Klausel hat vielmehr nur zur Folge, daß in einem bestimmten Zeitpunkt beim Vorhandensein bestimmter Binnenbeziehungen und in bestimmten Zusammenhängen der Rechtssatz von den Gerichten des Forumstaates nicht zur Anwendung gebracht werden darf, so daß insoweit Rechtsschutz für ein durch den ausländischen Rechtssatz begründetes Recht nicht gewährt wird. Die ordre public-Klausel nötigt hingegen nicht dazu, den Umstand, daß der Urheberstaat der anstößigen ausländischen Norm diese Norm als anwendbar betrachtet, und den Umstand, daß die Parteien sich nach dem Standpunkt des Urheberstaates der Norm richten, in ihrer Eigenschaft als Fakten zu ignorieren ... Das hat zur Folge, daß bei einer Kollision zwischen einem in Betracht kommenden völkerrechtlich legitimen, aber faktisch unwirksamen und einem zwar völkerrechtlich anfechtbaren, faktisch aber herrschenden Recht die Enteignungswirkungen im enteignenden Staat in der Regel nur nach dem Recht beurteilt werden können, nach dem sich die Beteiligten einrichten mußten und tatsächlich auch eingerichtet haben (vgl. BGH, NJW 1967, 36 [38 f.]). Im Ergebnis erkennt man also trotz Eingreifens der ordre public-Klausel im Interesse der internationalen Ordnung als rechtens an, was im Enteignungsstaat geschehen ist, und fügt lediglich nichts hinzu, nimmt also die Enteignungswirkungen - aber auch nur insoweit - für den Rechtsverkehr im enteignenden Staat hin ...
      Ungeachtet der weiteren Frage, ob der bundesdeutsche ordre public nicht auch wegen des lange zurückliegenden Enteignungsvollzuges zurücktreten müßte ..., kann in den angegriffenen Kooperationshandlungen, die auf Herbeiführung von Rechtswirkungen auf dem Gebiet der DDR gerichtet sind, deshalb infolge Anerkennung der jedenfalls dort eingetretenen Enteignungswirkungen kein Delikt gesehen werden, da auf diesem Territorium gegenwärtig keine der Verfügungsklägerin ausschließlich zugewiesenen Rechte mehr existieren, in die eingegriffen werden könnte. Für die bundesdeutsche Rechtsordnung besteht deshalb, auch wenn sie für ihren Bereich die Rechtswirkungen der eingetretenen Enteignungen anders beurteilt als der Enteignungsstaat, keine Veranlassung, der Rechtsordnung der DDR zuwider für deren Bereich drohende Eingriffe in dort nicht anerkannte Eigentumsrechte zu verbieten. Denn der hiesige ordre public liefert keine Handhabe dafür, der DDR mit Wirkung für deren Rechtsverkehr in zudem völkerrechtlich bedenklicher Handhabung die Rechtsfolgen, die sich aus einer in der Bundesrepublik vorgenommenen Rechtszuweisung ergeben, einfach durch Ausspruch entsprechender, dort wirksam werdender Verhaltensgebote aufzunötigen ...
      b) Die Vefügungsklägerin hat darüber hinaus nicht darzutun vermocht, daß das angegriffene Kooperationsverhalten im Zuge einer Vereinigung der beiden deutschen Staaten unzulässig in ihr dann jedenfalls zuwachsende Rechtspositionen eingreifen wird. Ihr ist zwar zuzugeben, daß ihr die früheren Eigentumsrechte an ihrem G-Stammhaus wieder uneingeschränkt zustehen würden, wenn die bundesdeutsche Rechtsordnung in einem vereinigten Deutschland insoweit unverändert übernommen würde ... Gerade diese Prämisse einer in dieser Frage ungebrochenen Übernahme der bundesdeutschen Rechtsordnung bewegt sich gegenwärtig jedoch nur im Bereich der Spekulation. Nach dem gegenwärtigen Stand der rechtspolitischen Diskussion deutet vielmehr alles darauf hin, daß es im Zuge einer Vereinigung der beiden deutschen Staaten jedenfalls für Enteignungsmaßnahmen, die vor 1972 stattgefunden haben, zu einer rechtlichen Neubewertung kommen wird, durch die man einerseits dem hier herrschenden ordre public, andererseits aber auch der Macht des Faktischen gerecht zu werden sucht.
      Danach kommt entgegen der Auffassung der Verfügungsklägerin im Zuge des zu treffenden Ausgleichs der beteiligten Interessen bei weitem nicht nur eine Rückgabe des enteigneten Vermögens im Wege einer Nichtanerkennung des Enteignungsaktes oder einer Ersatzleistung durch Naturalrestitution in Betracht. [N]aheliegender erscheinen zur Zeit vielmehr Lösungen, die darauf abzielen, die Enteignungsfolgen für alle Beteiligten erträglich zu halten, wodurch der in Rede stehende Fragenkreis zwangsläufig eine Wendung auf eine Sanktionierung der vollzogenen Konfiskationen durch die nachträgliche Anordnung von Entschädigungspflichten hin erhält ... Abgesehen von Vorbildern in der völkerrechtlichen Vertragspraxis (dazu etwa Kegel, [Internationales Privatrecht, 5. Aufl. 1985] S.687 f.) ist übrigens selbst das deutsche Verfassungsrecht sogar schon einmal einen vergleichbaren Weg gegangen, indem es etwa in Art.138 Abs.1 Weimarer Reichsverfassung Staatsleistungen als Ersatz für säkularisiertes Kirchengut vorgesehen und auf diese Weise einen Ausgleich für die geschehene Einziehung von Kirchenvermögen unter gleichzeitiger Legalisierung der vollzogenen Säkularisationsmaßnahmen geschaffen hat (vgl. dazu Isensee, HdbStKirchR II 1975, S.51 [53 ff.]).