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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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1700. ÜBERTRAGUNG VON HOHEITSRECHTEN AUF ZWISCHENSTAATLICHE EINRICHTUNGEN

Nr.87/1

Nach Art.24 Abs.1 GG durfte die Bundesrepublik Deutschland der Sprachregelung für europäische Patente, wonach die Patentschrift in der Verfahrenssprache ohne deutsche Übersetzung veröffentlicht werden kann, zustimmen.

By virtue of Art.24 (1) of the Basic Law, the Federal Republic of Germany was authorized to assent to the phraseology for European patents according to which the patent specification may be published in the language of the proceedings without a German translation.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 3.11.1987 (X ZR 27/86), BGHZ 102, 118 (ZaöRV 48 [1988], 721f.)

Einleitung:

      Die Klägerin meint, das in englischer Sprache abgefaßte Streitpatent könne in der Bundesrepublik Deutschland keine Rechtswirkungen entfalten. Die Bundesrepublik habe der Sprachenregelung des Europäischen Patentübereinkommens zugestimmt, ohne von den Ermächtigungen nach Art.65 Abs.1 bis 3 und Art.70 Abs.3 und 4 EPÜ Gebrauch zu machen, eine Übersetzung der vollständigen europäischen Patentschrift vorzusehen. Darin liege eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art.2, 3, 12 und 103 Abs.2 GG und damit eine Überschreitung der Befugnisse aus Art.24 Abs.1 GG. Die Nichtigkeitsklage blieb auch in der Berufungsinstanz erfolglos.

Entscheidungsauszüge:

      Die Wirkung eines für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents beruht auf der im Gesetz über internationale Patentübereinkommen [vom 21.6.1976 - BGBl.II S.658] erteilten Zustimmung des deutschen Gesetzgebers zum Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ). Das Europäische Patentübereinkommen bestimmt, daß das europäische Patent in der Verfahrenssprache veröffentlicht wird (Art.14 Abs.7) und diese auch die verbindliche Fassung darstellt (Art.70 Abs.1); außerdem enthält die Patentschrift eine Übersetzung der Patentansprüche in den anderen Amtssprachen (Art.14 Abs.7, zweiter Halbsatz, EPÜ). Das Übereinkommen ermächtigt die Vertragsstaaten aber zugleich, die Einreichung einer Übersetzung in die eigene Amtssprache vorzuschreiben (Art.65 Abs.1 Satz1), den Eintritt der Wirkungen des Patents in diesem Staat von der Einreichung der Übersetzung abhängig zu machen (Art.65 Abs.3) und sogar vorzuschreiben, daß die Fassung der Übersetzung in diesem Staat außer für das Nichtigkeitsverfahren die maßgebende Fassung ist, wenn der Schutzbereich der Übersetzung enger ist als der des Patents in der Verfahrenssprache (Art.70 Abs.3 ...).
      Die Klägerin hält die Regelung, die der deutsche Gesetzgeber durch das Gesetz über internationale Patentübereinkommen dadurch getroffen hat, daß er einerseits der Sprachenregelung des Europäischen Patentübereinkommens zugestimmt (Art.I Nr.3), es aber andererseits unterlassen hat, von den Ermächtigungen der Art.65 Abs.1 und 3, 70 Abs.3 und 4 EPÜ Gebrauch zu machen, für verfassungswidrig. Dem vermag der erkennende Senat nicht zu folgen.
      Mit der Zustimmung zum Europäischen Patentübereinkommen und seiner Ausführungsordnung gemäß Art.I Nr.3 IntPatÜG hat die Bundesrepublik Deutschland das Hoheitsrecht, europäische Patente mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland zu erteilen, im Sinne von Art.24 Abs.1 GG der Europäischen Patentorganisation überlassen.
      Nach Art.24 GG ist die Öffnung der bundesdeutschen Rechtsordnung zugunsten zwischenstaatlicher Einrichtungen indessen nicht ohne verfassungsrechtliche Schranken. Es darf dabei nicht in das Grundgefüge der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland eingebrochen werden; die sie konstituierenden wesentlichen Strukturen dürfen nicht aufgegeben oder ausgehöhlt werden; die zum Grundgefüge der Verfassung zählenden Essentiale des Grundrechtsteils dürfen nicht relativiert und die Grundrechte nicht in ihrem Wesensgehalt angetastet werden (BVerfGE 73, 339, 375f. ...). Die Grundrechte stehen jedoch im Gefüge der Verfassung als einer normativen Sinneinheit und sind demgemäß im Einklang und in Abstimmung mit anderen von ihr normierten oder anerkannten Rechtsgütern, wie z.B. dem Bekenntnis zu einem vereinten Europa und den besonderen Formen supranationaler Zusammenarbeit, auszulegen und anzuwenden (BVerfGE aaO S.386). Die rechtliche Ausgestaltung einer zwischenstaatlichen Einrichtung ist im Hinblick auf die in Art.24 Abs.1 GG zum Ausdruck kommende Verfassungsentscheidung für eine internationale Zusammenarbeit nicht schon deshalb mit dem Grundgesetz unvereinbar, weil sie für die in der Bundesrepublik Deutschland tätigen Gewerbetreibenden Erschwerungen bei der Durchsetzung ihrer Rechte und bei der Beachtung von Rechten Dritter zur Folge hat (vgl. BVerfGE 58, 1, 41f.). Die Notwendigkeit einer vermehrten Mühewaltung bei der Ermittlung ihres gewerblichen Handlungsspielraums führt allein noch nicht zu einem Einbruch in das Grundgefüge der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland.
      Die Regelung, die der Gesetzgeber dadurch getroffen hat, daß er einerseits in Art.I Ziff.3 IntPatÜG dem Europäischen Patentübereinkommen zugestimmt, andererseits in der Sprachenfrage nicht von den Ermächtigungen des Europäischen Patentübereinkommens Gebrauch gemacht hat, ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Wirksamkeit der [vom] Europäischen Patentamt für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patente, deren Patentschriften in englischer oder in französischer Sprache, jedoch mit ins Deutsche übersetzten Patentansprüchen veröffentlicht sind (Art.2 Abs.2; 14 Abs.7; 64 Abs.1 EPÜ), beeinträchtigt weder die grundrechtlich abgesicherte freie Entfaltung der Persönlichkeit der Gewerbetreibenden noch deren freie Berufsausübung, noch verstößt sie gegen das Gleichheitsgrundrecht oder rechtsstaatliche Prinzipien. Das Grundgesetz schreibt nicht vor, daß alle einen Gewerbetreibenden berührenden Verhaltensnormen durchweg und in allen Einzelheiten in deutscher Sprache abgefaßt sein müssen ... Durch die Veröffentlichung der Patentansprüche europäischer Patente in deutscher Übersetzung ist dem Gebot der Rechtsklarheit hinreichend Genüge getan. Die Notwendigkeit, bei Zweifeln über die Tragweite der in deutscher Sprache mitgeteilten Patentansprüche im Einzelfall die in den gängigen Fremdsprachen Englisch oder Französisch veröffentlichte Beschreibung heranzuziehen, nötigt Sprachunkundige zwar, sich diese zuverlässig übersetzen zu lassen, um sich ein zutreffendes Bild über den Schutzbereich des europäischen Patents machen zu können. Damit ist indessen keine solche Erschwerung der gewerblichen Tätigkeit verbunden, die unter Berücksichtigung der Belange einer internationalen Zusammenarbeit im Hinblick auf den Grundrechtsschutz nicht mehr hingenommen werden könnte.
      Das Europäische Patentübereinkommen und dessen Ausführungsordnung geben eine ausreichende Gewähr dafür, daß die Patentansprüche europäischer Patente es nicht an Rechtsklarheit fehlen lassen ... Bei der Schaffung des Europäischen Patentübereinkommens handelten die Vertragsstaaten in dem Bestreben, die Zusammenarbeit zwischen den europäischen Staaten auf dem Gebiet des Schutzes von Erfindungen zu verstärken (siehe die Präambel des EPÜ). Sie wollten einen im wesentlichen gleichen Inhalt der für alle Vertragsstaaten entstehenden Verbotsrechte gewährleisten ... und dafür ein kostengünstiges Verfahren bereitstellen ...
      Die Sprachenregelung nach dem Europäischen Patentübereinkommen führt zwar zu einer wirtschaftlichen Mehrbelastung mit den für eine zuverlässige Übersetzung der Patentbeschreibung entstehenden Kosten. Das erschwert es den deutschen Gewerbetreibenden jedoch nicht übermäßig, den Gegenstand europäischer Patente, die nicht vollständig in deutscher Sprache veröffentlicht sind, zu ermitteln und ihre Tragweite zuverlässig abzuschätzen ...
      Es kann auch nicht anerkannt werden, daß die Strafvorschrift des §142 PatG in Verbindung mit Art.2 Abs.2 EPÜ bei den hier in Rede stehenden europäischen Patenten zu unbestimmt wäre (Art.103 Abs.2 GG); die Ermittlung ihres Gegenstandes ist allenfalls in Einzelfällen mit einem noch zumutbaren Mehraufwand zu ermitteln.