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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1700. ÜBERTRAGUNG VON HOHEITSRECHTEN AUF ZWISCHENSTAATLICHE EINRICHTUNGEN

Nr.92/1

Dienstrechtliche Streitigkeiten zwischen den in Deutschland gelegenen Europäischen Schulen und ihrem Lehrpersonal unterliegen nicht der deutschen Gerichtsbarkeit.

Disputes between European Schools situated in Germany and their teaching staff, arising under the staff regulations, are not subject to the jurisdiction of the German courts.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29.10.1992 (2 C 2.90), BVerwGE 91, 126 = BayVBl.1992, 281 (ausführlicher) (ZaöRV 54 [1994], 490)

Einleitung:

      Der Kläger, der als Lehrer im Landesdienst steht, wurde für einige Jahre an die beklagte Europäische Schule in Karlsruhe abgeordnet. Zum Ende seiner Abordnung erhielt er eine Abgangszulage der Europäischen Schule, doch wurde ihm für das nämliche Jahr das ihm nach deutschem Besoldungsrecht zustehende Weihnachtsgeld gekürzt. Nachdem der Kläger den nach dem Recht der Europäischen Schulen eröffneten Beschwerdeweg erfolglos durchlaufen hatte, suchte er vergeblich Rechtsschutz vor den deutschen Verwaltungsgerichten.

Entscheidungsauszüge:

      Das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, daß der Rechtsweg zu den deutschen Gerichten nicht gegeben ist.
      Der in §45 des Statuts des Lehrpersonals und Beschäftigungsbedingungen für die beauftragten Lehrkräfte (Personalstatut) der Europäischen Schulen vom 1. Juni 1981 geregelte Ausschluß nationaler Gerichtsbarkeit in dienstrechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Lehrpersonal und den Europäischen Schulen beansprucht uneingeschränkte Geltung. Als zwischenstaatliche Einrichtung regelt die Institution Europäische Schulen ihre innerorganisatorischen Angelegenheiten kraft originären Rechts selbst.
      Die Einrichtung Europäische Schulen beruht auf der zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den anderen europäischen Vertragsstaaten abgeschlossenen Satzung der Europäischen Schule vom 12. April 1957 (BGBl.1965 II S.1042) sowie dem Protokoll über die Gründung Europäischer Schulen unter Bezugnahme auf die am 12. April 1957 in Luxemburg unterzeichnete Satzung der Europäischen Schule vom 13. April 1962 (BGBl.1969 II S.1302). Den Verträgen hat der Bundestag mit Gesetzen vom 26. Juli 1965 (BGBl.II S.1041) und vom 25. Juli 1969 (BGBl.II S.1301) zugestimmt.
      Nach dem in der Präambel der Satzung zum Ausdruck gebrachten Ziel des Vertrages dient die Einrichtung Europäische Schulen dem Zweck gemeinsamen Unterrichts und Erziehung der Kinder von EG-Bediensteten unterschiedlicher Nationen. Demzufolge sind ihr durch Vertrag genau bezeichnete Aufgaben und Befugnisse zugewiesen, die sie auf dem Gebiet der Vertragsstaaten wahrnimmt. Ihre Angelegenheiten ordnen die Organe der Einrichtung selbst, in Sonderheit der Oberste Schulrat als höchstes Organ. Sie hat einen eigenen Haushalt und eigenes Vermögen, und sie genießt Steuerprivilegien, die ihr in Ansehung ihrer Eigenschaft als zwischenstaatliche Einrichtung (BR-Drs.206/85), wie für zwischenstaatliche Organisationen üblich, auf der Grundlage des Art.3 des Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen vom 21. November 1947 und über die Gewährung von Vorrechten und Befreiungen an andere zwischenstaatliche Organisationen vom 22. Juni 1954 (BGBl.II S.639) in der Fassung des Art.4 Abs.1 des Gesetzes vom 16. August 1980 (BGBl.II S.941) gewährt wurden (vgl. Verordnung vom 12. August 1985 [BGBl.II S.999]).
      Ebenfalls entsprechend der internationalen Gepflogenheit, zwischenstaatlichen Einrichtungen mit Rücksicht auf die ihnen eigentümliche Verselbständigung gegenüber den Gründer- bzw. Mitgliedstaaten Rechtspersönlichkeit zu verleihen, ist durch Gründungsvertrag (Art.6 Satz 1 der Satzung) der Institution Europäische Schulen die Rechtspersönlichkeit einer öffentlichen Anstalt zwischenstaatlichen Rechts zuerkannt worden ... Als solche ist sie nicht Teil des nationalen Verwaltungsaufbaus und unterliegt nicht der Rechts- und Fachaufsicht des Staates. Die im Wortlaut insoweit mißverständlichen Verordnungen vom 9. Juli 1970 (BGBl.II S.741) und vom 6. November 1979 (BGBl.II S.1146), die mit der Wendung, die Europäische Schule habe die "Rechtsstellung einer inländischen Anstalt des öffentlichen Rechts" die Annahme einer Rechtspersönlichkeit deutschen Rechts nahelegten, sind aufgehoben (§9 der Verordnung vom 12. August 1985 [BGBl.II S.999]). Die Verleihung einer besonderen Rechtspersönlichkeit bewirkt, daß die Institution - beschränkt auf ihren Aufgabenbereich - im nationalen Rechtsverkehr handlungsfähig und vor den nationalen Gerichten beteiligungsfähig (vgl. Art.6 Satz 3 der Satzung) ist.
      Kraft der ihr als zwischenstaatliche Einrichtung zukommenden Personalautonomie hat die Europäische Schule ihre Beschäftigungsverhältnisse als innerorganisatorische Angelegenheit eigenständig geregelt. Dazu gehört herkömmlicherweise auch die Bestimmung des Rechtsschutzes und der Rechtsschutzgewährung bei Streitigkeiten dienstrechtlicher Art. Diesem Grundsatz trägt Art.12 Abs.4 der Satzung Rechnung, wenn er bestimmt, daß der "Rechtsstand des Lehrkörpers" von den Organen der Europäischen Schule in einem Personalstatut geregelt wird. Diese Regelungsbefugnis entspricht einer weitverbreiteten Praxis der Staaten, von ihnen geschaffenen internationalen Organisationen zur Gewährleistung einheitlicher Rechts- und Lebensverhältnisse im innerorganisatorischen Bereich die autonome Regelungs- und Entscheidungsbefugnis hinsichtlich ihrer Bediensteten einzuräumen ..., die namentlich auch die Einrichtung eines den nationalen Rechtsweg ausschließenden besonderen Rechtsschutzsystems umfaßt ... Regelungen dieser Art sind mithin nicht Ausfluß abgeleiteter deutscher öffentlicher Gewalt im Sinne des Art.19 Abs.4 oder Art.20 Abs.2 GG, sondern originäres Recht, das für alle Bediensteten gleichermaßen unabhängig von ihrem Beschäftigungsort und -land dieselbe rechtliche Geltung beansprucht.
      Zu dem von der Personalhoheit umfaßten autonomen Regelungsbereich gehören namentlich auch die finanziellen Beziehungen zwischen der Institution Europäische Schulen und ihren Bediensteten. Dementsprechend enthält das vom Obersten Schulrat, dem Gesamtorgan der zwischenstaatlichen Einrichtung, erlassene Personalstatut Bestimmungen über die Gewährung finanzieller Leistungen (Residenzzulage, Abgangsgeld oder Mietzulage) während und bei Beendigung der Beschäftigungszeit. Der Erlaß dieser Vorschriften und ihre Anwendung im Einzelfall ist ebenfalls Ausübung nicht-deutscher öffentlicher Gewalt ..., bezüglich deren die Rechtsschutzgarantie des Art.19 Abs.4 GG keine Wirkung entfaltet. Dies auch dann nicht, wenn der Rechtsschutz gegen Maßnahmen der zwischenstaatlichen Einrichtung, gemessen an innerstaatlichen Anforderungen, unzulänglich sein sollte. Art.19 Abs.4 GG gewährleistet keine internationale "Auffangzuständigkeit" deutscher Gerichte (vgl. BVerfGE 58, 1 [28 m.w.N.]; 59, 63 [86]; 73, 339 [373]).
      [Die folgende in der Amtlichen Sammlung nicht abgedruckte Passage wird nach BayVBl.1993, 281 (282) zitiert: Sind, wie ausgeführt, Vorschriften zur Regelung des Beschäftigungsverhältnisses als internes Organisationsrecht kraft der zwischenstaatlichen Einrichtungen obliegenden Personalhoheit originäres Recht, so dringt die zwischenstaatliche Einrichtung mit diesen Organisationsinterna ordnenden Normen nicht in den Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland ein. Diese Vorschriften stellen einen eigenen, neben den nationalen Rechtsbereich tretenden, ihn nicht berührenden autonomen zwischenstaatlichen Rechtskreis dar ... Daraus folgt, daß bei Streitigkeiten einer zwischenstaatlichen Einrichtung und ihrer Bediensteten der Rechtsweg zu den nationalen Gerichten, sofern er nicht ausdrücklich eröffnet ist, nicht, auch nicht bei unzulänglicher Rechtsschutzgewährung, gegeben ist. Denn eine Schutzfunktion im Sinne einer Kompensation kann Art.24 Abs.1 GG nur dort entfalten, wo in Frage steht, ob die bei der Rücknahme der Hoheitsgewalt zu beachtenden verfassungsrechtlichen Grenzen (vgl. dazu BVerfGE 37, 271/279 f., 291, 296 ...) beachtet worden sind. Danach gilt in Fällen dieser Art: Derjenige, der sich freiwillig in den Dienst einer von der Bundesrepublik Deutschland mitgetragenen zwischenstaatlichen Einrichtung begibt, kann bei dienstrechtlichen Streitigkeiten Rechtsschutz nicht auf dem innerstaatlichen Rechtsweg erlangen. Dies gilt erst recht dann, wenn dieser - wie hier - ausdrücklich ausgeschlossen ist.]
      Im übrigen entspricht der dem Kläger gewährleistete Rechtsschutz - auch an verfassungsrechtlichen Maßstäben gemessen - rechtsstaatlichen Anforderungen. [Die folgende in der Amtlichen Sammlung nicht abgedruckte Passage wird nach BayVBl.1993, 281 (282) zitiert: Art.19 Abs.4 GG gewährleistet dem Einzelnen lückenlosen Rechtsschutz gegen behauptete rechtswidrige Eingriffe der öffentlichen Gewalt in seine Rechte. Der danach eröffnete Rechtszug zu den Gerichten erfordert allerdings nicht die Gewährleistung eines innerstaatlichen (weiteren) Instanzenzuges ... . Art.19 Abs.4 GG fordert nicht, daß in bezug auf Akte der öffentlichen Gewalt einer unter Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland errichteten zwischenstaatlichen Einrichtung ein Rechtsschutzsystem vorgesehen werden müßte, das in Umfang und Wirksamkeit in jeder Hinsicht dem Rechtsschutzsystem gleichkommt, wie es in bezug auf Akte der deutschen öffentlichen Gewalt von Verfassungs wegen gewährleistet ist ... Danach ist es als hinreichend zu erachten, wenn der Rechtsschutz dem des Grundgesetzes im wesentlichen gleichkommt, wofür jedenfalls in aller Regel ein Individualrechtsschutz durch unabhängige Gerichte geboten sein dürfte (so BVerfGE 73, 339/376 ...).]
      Zum Wesen der rechtsstaatlichen Rechtsschutzgewährung gehört die Ausstattung des Spruchkörpers mit einer dem Rechtsschutzbegehren angemessenen Prüfungs- und Entscheidungsmacht über tatsächliche und rechtliche Fragen, eine Entscheidung aufgrund gehörigen Verfahrens, dem Streitgegenstand angemessene Angriffs- und Verteidigungsmittel, die Möglichkeit der Beiziehung eines frei gewählten kundigen Beistands sowie die Möglichkeit der Verhängung einer wirksamen Sanktion (vgl. zum ganzen BVerfGE 73, 339 [376 f.]). Nicht hingegen ist es im Blick auf die Wertordnung des Grundgesetzes, in Sonderheit der Rechtsschutzsicherung, von Verfassungs wegen geboten, daß ein gerichtlicher Spruchkörper mit mindestens einem Berufsrichter besetzt sein muß ... Der Verfassung liegt auch im übrigen kein Leitbild des Inhalts zugrunde, daß jedem gerichtlichen Spruchkörper mindestens ein Berufsrichter angehören muß ...
      Diesen Anforderungen genügt die Rechtsschutzgewährleistung des Art.45 des Personalstatuts. [Die folgende in der Amtlichen Sammlung größtenteils nicht abgedruckte Passage wird nach BayVBl.1992, 281 (282) zitiert: Nach Art.45 Abs.1 des Personalstatuts ist bei Streitigkeiten zwischen Lehrpersonal und Schule in Anwendung des Personalstatuts, soweit finanzielle Bestimmungen in Frage stehen, zunächst Verwaltungsbeschwerde beim Verwaltungsrat (Art.7 Nr.3, Art.21 Nr.3 der Satzung) einzulegen. Dieses Verfahren ist vergleichbar dem - verwaltungsinternen - Vorverfahren, wie es nach §126 Abs.3 BRRG bei Beamten stets geboten ist, um dem Dienstherrn Gelegenheit zu geben, die von ihm getroffene Entscheidung zu überprüfen. Gegen Entscheidungen des Verwaltungsrats ist das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben, über die die Beschwerdekammer entscheidet, die von der Institution Europäische Schulen eingerichtet ist. Ihr gehören drei Juristen an, die vom Obersten Schulrat auf Vorschlag der Mitgliedstaaten unter Juristen unterschiedlicher Staatsangehörigkeit ausgewählt und für drei Jahre ernannt sind. Eine Wiederbestellung ist zulässig. Eines der Mitglieder der Beschwerdekammer muß Erfahrung auf dem Gebiet des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaft haben. Eine besondere Verfahrensordnung, die "Regelung über die Arbeitsweise der Beschwerdekammer", bestimmt den Verfahrensgang. Die Entscheidungen der Beschwerdekammer sind endgültig (Art.45 Abs.2 des Personalstatuts).
      Die Beschwerdekammer, in Art.40 Abs.3 Buchst.b des Personalstatuts auch als Schiedsgericht bezeichnet, stellt einen gerichtsförmigen Rechtsschutz sicher. Unerheblich ist insoweit, daß die zur Entscheidung berufenen drei Juristen keine Richter sind bzw. daß sie ihre Aufgabe ehrenamtlich wahrnehmen. Entscheidend ist hingegen, daß sie sachlich wie persönlich unabhängig sind (vgl. Art.1 Abs.3 der Regelung der Arbeitsweise der Beschwerdekammer). Die Ernennung der Juristen zu Mitgliedern der Beschwerdekammer durch die Institution Europäische Schulen ist für sich genommen nicht geeignet, ihre persönliche Unabhängigkeit in Frage zu stellen. Die persönliche Unabhängigkeit fordert nicht, daß keine personale Verbindung zwischen den Mitgliedern der Beschwerdekammer und der Institution Europäische Schulen bestehen muß. Das Rechtsverhältnis muß allerdings so ausgestaltet sein, daß die persönliche Unabhängigkeit der Mitglieder der Beschwerdekammer stets gewährleistet ist. Hierzu bedarf es nicht unbedingt einer Bestellung auf Lebenszeit. So kennt auch das innerstaatliche Rechtssystem den für einen bestimmten Zeitraum gewählten Richter. Auch im Hinblick darauf, daß das Amt grundsätzlich ehrenamtlich ausgeübt wird, mithin nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts der Mitglieder der Beschwerdekammer beiträgt, ist nicht davon auszugehen, daß die mit der kurzen Amtszeit einhergehende Möglichkeit einer Wiederbestellung die persönliche Unabhängigkeit der Mitglieder der Beschwerdekammer zu gefährden geeignet ist. Der angefochtenen Entscheidung (des deutschen Verwaltungsgerichts) sind schließlich auch keine Feststellungen zu entnehmen, die den Schluß zulassen, daß dem Gebot einer umfassenden Nachprüfung des Verfahrensgegenstandes in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht sowie einer dem Rechtsschutzbegehren angemessenen Entscheidungsart und -wirkung ... hier nicht Genüge getan wäre.].

Hinweis:

      Vgl. zur Frage der Rechtsschutzgewährung durch das Bundesverfassungsgericht teilweise anders das Bundesverfassungsgericht im Maastricht-Urteil vom 12.10.1993 - BVerfGE 89, 155 (175): "Auch Akte einer besonderen, von der Staatsgewalt der Mitgliedstaaten geschiedenen öffentlichen Gewalt einer supranationalen Organisation betreffen die Grundrechtsberechtigten in Deutschland. Sie berühren damit die Gewährleistungen des Grundgesetzes und die Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts, die den Grundrechtsschutz in Deutschland und insoweit nicht nur gegenüber deutschen Staatsorganen zum Gegenstand haben (Abweichung von BVerfGE 58, 1 [27])."