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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1816.1. HAFTUNG DER MITGLIEDSTAATEN

Nr.92/1

Verhängt die EWG durch eine Verordnung ein Wirtschaftsembargo, so kann sich ein dadurch geschädigtes Unternehmen mit Ersatzansprüchen nur an die EWG halten (Art.215 Abs.2 EWG-Vertrag). Die Bundesrepublik Deutschland ist dagegen nicht ersatzpflichtig, auch wenn sie die entsprechenden Ein- und Ausfuhrverbote der EWG mit Straf- oder Bußgeldsanktionen bewehrt.

If the EEC, by way of a regulation, imposes an economic embargo, an enterprise suffering damage from the embargo only has recourse to the EEC (Art.215 (2) of the EEC Treaty). In contrast, the Federal Republic of Germany will not be liable for damages, even if it enforces the relevant import and export bans of the EEC by imposing criminal sanctions or administrative fines on violators.

Landgericht Bonn, Urteil vom 26.2.1992 (1 O 446/90), EuZW 1992, 455 (ZaöRV 54 [1994], 535)

Einleitung:

      Das klagende deutsche Unternehmen hatte mit dem Irak 1989 einen Vertrag über die Lieferung von hundert Tiefladesattelaufliegern geschlossen und 25 davon bereits geliefert. Zur für August/September 1990 geplanten Lieferung der restlichen Auflieger kam es im Hinblick auf den Ausbruch des zweiten Golfkriegs nicht mehr: In Ausführung der Resolution Nr.661/90 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen untersagte die Verordnung (EWG) Nr.2340/90 (ABl. Nr.L 213/1) ab 7.8.1990 die Ausfuhr aller Erzeugnisse mit Ursprung in der EWG in den Irak. Dieses Verbot wurde durch die 10.Änderungsverordnung zur Außenwirtschaftsverordnung am 9.8.1990 in §69a AWVO wiederholt, um seine Straf- und Bußgeldbewehrung nach deutschem Recht sicherzustellen (Bundesanzeiger Nr.149 vom 11.8.1990). Die Klägerin begehrt von der Bundesrepublik Deutschland Schadensersatz bzw. Entschädigung für die ihr durch das Scheitern ihres Lieferungsvertrags entstandenen Verluste. Ihre Klage blieb erfolglos.

Entscheidungsauszüge:

      Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Sie kann wegen der im Vertrauen auf die Durchführung des Vertrages mit dem Irak getätigten Aufwendungen und des ihr durch die Nichterfüllung des Vertrages entgangenen Gewinns weder Entschädigung aus enteignungsgleichem oder enteignendem Eingriff noch Schadensersatz aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung von der Beklagten verlangen.
      Es scheidet sowohl eine Haftung der Beklagten wegen der Einfügung des §69a AWVO ... aus als auch eine solche wegen übertragung der Hoheitsrechte auf die EG nach Art.24 GG und die Mitwirkung bei Erlaß der Verordnung (EWG) Nr.2340/90. ... [E]inem Entschädigungsanspruch der Klägerin ... steht entgegen, daß das in §69a Abs.1 Nr.2 AWVO ausgesprochene Verbot, Waren nach Irak oder Kuwait zu liefern, keinen schadensursächlichen hoheitlichen Eingriff in ein durch das Grundgesetz geschütztes Rechtsgut der Klägerin darstellt.
      Einen etwaigen Schaden der Klägerin hat nicht die Beklagte, sondern vielmehr die EG verursacht; demzufolge ist die Beklagte für die vorliegend geltend gemachten Ansprüche nicht passivlegitimiert. Bei Inkrafttreten der 10.Verordnung zur Änderung der AWVO der Bundesregierung war bereits die Verordnung (EWG) Nr.2340/90 in Kraft gesetzt, die die Ausfuhr der fraglichen Waren in den Irak mit Wirkung unmittelbar für jeden Bürger in der Bundesrepublik Deutschland gleichfalls verbot.
      Verordnungen der EG sind nach Art.189 Abs.2 EWGV unmittelbar geltendes innerstaatliches Recht mit Vorrang vor dem staatlichen Recht, ohne daß sie einer Transformation durch Bundesgesetz in nationales Recht bedürfen ... Mit ihrem Inkrafttreten entfaltet die Verordnung nicht nur für die Mitgliedstaaten, sondern auch für jeden ihrer Marktbürger unmittelbare Bindungswirkung; einer vorherigen Bekanntgabe nach nationalem Recht bedarf es nicht. Die Mitgliedstaaten sind lediglich für die Vollziehung des Gemeinschaftsrechts zuständig (Art.5 EWGV); sie sind im Rahmen des sogenannten indirekten Vollzuges dazu verpflichtet, die geeignetsten Maßnahmen zu ergreifen ... Als reine Vollzugsmaßnahme hat die Beklagte "zur Gewährleistung der Straf- und Bußgeldbewehrung entsprechender Verbote der Europäischen Gemeinschaften" die neue Vorschrift des §69a AWVO ... eingefügt; nach dem eindeutigen Wortlaut sollte kein eigenständiges Ausfuhrverbot erlassen, sondern lediglich die Anwendbarkeit des §70 AWVO herbeigeführt werden. Der Sanktionsbewehrung kommt nur insoweit Bedeutung zu, als faktisch von ihr eine stärkere Lenkungswirkung ausgeht als von dem zuvor für jeden Bürger der Mitgliedstaaten rechtsverbindlich, aber mangels Kompetenz der EG ohne Sanktionsbewehrung erlassenen EG-Verbot.
      Ob die Verordnung (EWG) Nr.2340/90 aus den von der Klägerin vorgetragenen Gründen rechtswidrig ist, kann dahinstehen; denn auch im Fall der Rechtswidrigkeit des EG-Verbotes würde §69a AWVO keine eigenständige beeinträchtigende Wirkung zukommen. Eine EG-Verordnung entfaltet bis zur Feststellung ihrer Ungültigkeit Wirksamkeit und muß sowohl von den Bürgern der Mitgliedstaaten beachtet als auch von den innerstaatlichen Behörden angewandt werden, selbst dann, wenn gegen die Gültigkeit der Norm schwerwiegende Bedenken bestünden. Bis zu ihrer Aufhebung durch den EuGH (vgl. Art.173, 177 EWGV) muß von der Gültigkeit der Norm ausgegangen werden ... Wegen des EG-Ausfuhrverbotes ist die Klägerin auf mögliche Schadensersatzansprüche gegen die EG nach Art.215 Abs.2 EWGV zu verweisen; die Haftung der Gemeinschaft auch für normatives Unrecht hat der EuGH grundsätzlich anerkannt (vgl. EuGH, Slg.1971, 975 ...).
      Aus der Mitwirkung der Organe und Bediensteten der Beklagten bei der Vorbereitung der Verordnung (EWG) Nr.2340/90 und der anschließenden Beschlußfassung kann eine Haftung der Beklagten nicht hergeleitet werden. Eine Amtspflichtverletzung im Sinne von §839 BGB, Art.34 GG scheitert daran, daß bei der Vorbereitung der Beschlüsse und bei der Beschlußfassung im Rat der EG die nationalen Organe und Bediensteten nur die europäischen und nationalen, nicht aber die Interessen bestimmter Individuen zu beachten haben.
      Daß die Beklagte durch das Zustimmungsgesetz zum EWG-Vertrag Hoheitsrechte auf die EG übertragen hat, vermag eine Haftung der Beklagten ebenfalls nicht zu begründen. Eine mögliche Verletzung des Art.24 Abs.1 GG, die nach Auffassung der Klägerin für den Fall der Rechtmäßigkeit der EWG-Verordnung darin zu sehen ist, daß der bei der Übertragung der Hoheitsrechte nach Art.24 GG zu beachtende Rechtsstaatsgrundsatz des Grundgesetzes für den Fall der Einbeziehung bereits bestehender Verträge in ein Wirtschaftsembargo eine Entschädigungsregelung fordere, kann die Klägerin nicht geltend machen; denn durch den legislativen Akt der Zustimmung ist sie nicht unmittelbar selbst betroffen.

Hinweis:

      Die vorstehende Entscheidung wurde durch den Bundesgerichtshof bestätigt (Urteil vom 27.1.1994 - III ZR 42/92 -, EuZW 1994, 219).