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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1820. EUROPÄISCHES GEMEINSCHAFTSRECHT UND DEUTSCHES RECHT

Nr.90/1

Irreführende Angaben, welche deutsche Rechtsanwälte auf ihren Geschäftsbögen über ihre geschäftlichen Beziehungen zu französischen Avocats machen, können nach §3 UWG untersagt werden. Dem stehen weder Normen des primären oder sekundären Gemeinschaftsrechts noch Art.10 EMRK entgegen.

Misleading statements in business letterheads which German attorneys make regarding their business relations with French avocats can be prohibited on the basis of §3 of the Unfair Competition Act. This application of German unfair competition law contravenes neither norms of primary nor secondary Community law, nor Art.10 ECHR.

Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 21.6.1990 (4 U 217/88), NJW 1990, 3093 (ZaöRV 52 [1992], 424, 443)

Einleitung:

      Die Beklagten, in einer Sozietät verbundene deutsche Rechtsanwälte, hatten mit einer Gemeinschaft französischer Avocats einen Kooperationsvertrag geschlossen, waren jedoch rechtlich und wirtschaftlich selbständig geblieben, insbesondere keine übergreifende Sozietät eingegangen. Die deutsche Sozietät verwendete seither Geschäftsbögen, auf denen die Namen aller beteiligten deutschen und französischen Anwälte unter der Kopfzeile "Dr. Y & Partner Rechtsanwälte - Avocats" aufgeführt waren. Auch das von ihr benutzte Vollmachtformular enthielt die Namen der französischen Avocats. Die klagende Rechtsanwaltskammer erwirkte gegen die Beklagten beim Landgericht ein Unterlassungsurteil gemäß §3 UWG wegen irreführender Angaben über geschäftliche Verhältnisse. Die Briefbögen erweckten bei den beteiligten Verkehrskreisen den irrigen Eindruck, die beteiligten Rechtsanwälte und Avocats bildeten eine Sozietät. Das Berufungsurteil des Oberlandesgerichts beschäftigt sich mit der Frage, ob eine solche Anwendung des §3 UWG mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht und der EMRK vereinbar sei.

Entscheidungsauszüge:

      II.2.e) Dieses sich aus §3 UWG ergebende Unterlassungsgebot verstößt weder gegen Europarecht, noch verletzt es die Beklagten in ihren Grundrechten.
      aa) Mit der Rüge eines Verstoßes gegen Art.52, 58 bis 60 EWGV können die Beklagten schon deshalb nicht durchdringen, weil diese Vorschriften auf das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien keine Anwendung finden. Die Vertragsbestimmungen über die Niederlassung und den Dienstleistungsverkehr greifen für rein interne Verhältnisse eines Mitgliedstaates nicht ein. Eigene Staatsangehörige können sich in ihrem Staat auf die Vertragsbestimmungen nur dann berufen, wenn sie sich ihm gegenüber in einer Situation befinden, die derjenigen von Angehörigen anderer EG-Länder vergleichbar ist, weil sie in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind und dort auch eine nach Gemeinschaftsrecht anerkannte Qualifikation erworben haben oder in einem anderen Mitgliedstaat wohnen (EuGH, NJW 1979, 1761 - Knoors; NJW 1979, 1762 - Auer; NJW 1985, 1275 - Klopp; BGH, NJW 1990, 108 ...).
      Auch vorliegend handelt es sich um einen rein inländischen Sachverhalt; denn das Klagebegehren richtet sich ausschließlich gegen die Art und Weise, wie die Beklagten ihre Anwaltskanzlei im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland bezeichnen. Es betrifft in keiner Weise die Tatsache oder die Art der Zusammenarbeit mit französischen Rechtsanwälten. Vielmehr würde ersichtlich Unterlassung auch dann verlangt werden, wenn ein vergleichbarer Kooperationsvertrag mit deutschen Anwälten bestände und diese trotz Fehlens einer Sozietät als Partner bezeichnet würden. Die Dienstleistung der Beklagten gegenüber französischen oder in Frankreich wohnenden deutschen Mandanten wird von dem geltend gemachten Anspruch ebenfalls nicht berührt.
      Abgesehen davon wären die Art.52, 58-60 EWGV selbst dann nicht einschlägig, wenn man sie für anwendbar hielte, denn die Bestimmungen betreffen nur die Freiheit der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs. Einschränkungen in diesem Bereich sind mit dem Klagebegehren aber nicht verbunden; denn dieses zielt lediglich darauf ab, daß die Beklagten durch die Gestaltung ihres Briefbogens nicht den Anschein eines Zusammenschlusses mit französischen Rechtsanwälten begründen, der in Wahrheit nicht besteht. Die Gestaltung ihrer Tätigkeit, insbesondere auch der Einbeziehung der französischen Kollegen in eigene Mandate, bleibt also unberührt.
      bb) Auf das Diskriminierungsverbot (Art.7 [a.F.] EWGV) können sich die Beklagten bei dem gegebenen rein inländischen Sachverhalt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ebenfalls nicht berufen (EuGH, NJW 1979, 1763 - Saunders; NJW 1983, 2751 - Morson; BGH, NJW 1990, 108). Allerdings wird im Schrifttum aus Art.7 EWGV teilweise das Verbot der sogenannten Inländerdiskriminierung hergeleitet (Grabitz, Kommentar zum EWGV, Art.7, RdNr.6; Prütting, JZ 1989, 705 [711]; Gornig, NJW 1989, 1120 [1127]). Die Frage kann hier auf sich beruhen; denn das Verbot irreführender Werbung gilt für alle EG-Angehörigen in Deutschland gleichermaßen. Ihm stehen, wie unten cc) noch auszuführen ist, auch keine Vorschriften des EG-Rechts entgegen.
      cc) Das Unterlassungsgebot verstößt nicht gegen die Richtlinie Nr.84/450 des Rates vom 10.9.1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung. Gem. Art.2 Nr.2 der Richtlinie ist "irreführende Werbung" jede Werbung, die Personen, an die sie sich richtet oder die von ihr erreicht werden, zu täuschen geeignet ist und die infolge der ihr innewohnenden Täuschung ihr wirtschaftliches Verhalten beeinflussen kann. Aus den Darlegungen des Senats zu §3 UWG [hier nicht wiedergegeben] folgt, daß die angegriffene Bezeichnung alle Tatbestandsmerkmale auch dieser Norm zweifelsfrei erfüllt. ... Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage des EG-Rechts, die zu einer Vorlage an den EuGH gem. Art.177 EWGV führt, besteht somit nicht. Im übrigen hindert die Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht, Bestimmungen aufrechtzuerhalten oder zu erlassen, die einen weiterreichenden Schutz auch der einen freien Beruf ausübenden Personen sowie der Allgemeinheit vorsehen (Art.7). Folglich könnten die Beklagten das aus §3 UWG folgende Verbot selbst dann nicht angreifen, wenn es über den durch Art.2-4 der Richtlinie gezogenen Rahmen hinausginge.
      dd) Die von den Beklagten weiter herangezogene Richtlinie des Rates vom 22.3.1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte (Nr.77/249) wird, wie oben schon zu Art.52 ff. EWGV ausgeführt, vom Klagebegehren nicht tangiert. Streitgegenstand ist nicht die Verwendung der Berufsbezeichnung "Avocat" durch Personen, die die dafür erforderliche berufliche Qualifikation erworben haben (Art.1 Abs.2 der Richtlinie). Angegriffen und untersagt wird die Bezeichnung ausschließlich, weil gegenwärtig kein zur Sozietät der Beklagten gehörender Anwalt die Berufsbezeichnung "Avocat" führen darf. ...
      ff) ... Die angegriffene Firmierung ist auch nicht durch Art.10 EMRK gedeckt. Die Beklagten berufen sich für ihre gegenteilige Ansicht zu Unrecht auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 25.3.1985 (Fall Barthold - NJW 1985, 2885). Gemäß Art.10 Abs.2 EMRK kann die Ausübung der Meinungsfreiheit vom Gesetz vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die in einer demokratischen Gesellschaft u.a. im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung und des Schutzes der Rechte anderer notwendig sind. Wie der EGMR in dem genannten Urteil ausgeführt hat, verweist das Adjektiv "notwendig" auf ein dringendes soziales Bedürfnis, wobei der Eingriff, gemessen an dem verfolgten Ziel, verhältnismäßig sein muß. Der Schutz der Allgemeinheit vor irreführender Werbung stellt, wie schon der Erlaß der erörterten europarechtlichen Normen auf diesem Gebiet zeigt, ein solches dringendes Bedürfnis dar. §3 UWG in der vom Senat vertretenen Auslegung enthält auch keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Meinungsfreiheit der Beklagten; denn diesen wird lediglich angesonnen, dem rechtssuchenden Publikum gegenüber nicht einen falschen Anschein über den Umfang und die Gestaltung ihrer Sozietät aufrechtzuerhalten, der geeignet ist, wesentliche Belange der Mandanten zu beeinträchtigen. Anders als im vorliegenden Rechtsstreit ging es im Fall Barthold ganz entscheidend um die Zulässigkeit eines Presseartikels. Im Mittelpunkt jenes Berichtes stand eine die Öffentlichkeit wesentlich interessierende Frage. Die Information der Öffentlichkeit war das Hauptanliegen des Artikels, dem gegenüber der Werbeeffekt zugunsten des Beschwerdeführers deutlich untergeordnete Bedeutung besaß. Der EGMR hat deshalb lediglich das Kriterium der Entscheidung des OLG Hamburg, eine Absicht, zu Zwecken des Wettbewerbs i.S. des §1 UWG zu handeln, bestehe immer dann, wenn diese Absicht nicht völlig hinter sonstigen Beweggründen verschwinde, als zu streng und deshalb gegen die Freiheit der Meinungsäußerung verstoßend verworfen. Hier steht dagegen lediglich eine die Rechtsanwaltspraxis der Beklagten betreffende, in wesentlichem Maße zu Werbezwecken getroffene Aussage in Streit, der schon infolge der irreführenden Wirkung keine entsprechende Schutzbedürftigkeit zukommen kann. ...
      IV.2. Das Vollmachtformular ist irreführend, weil es den Eindruck erweckt, die französischen Rechtsanwälte seien in demselben Umfang zur Vertretung des Mandanten vor deutschen Gerichten befugt wie ihre deutschen Kollegen. Eine solche Gleichstellung besteht jedenfalls insoweit nicht, als der deutsche Gesetzgeber von der in Art.5 der Richtlinie Nr.77/249 vom 22.3.1977 gegebenen Befugnis, den ausländischen Rechtsanwälten als Bedingung aufzuerlegen, im Einvernehmen mit einem bei dem angerufenen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt zu handeln, der gegebenenfalls diesem Gericht gegenüber die Verantwortung trägt, Gebrauch gemacht hat. Zwar hat der Europäische Gerichtshof im Urteil vom 25.2.1988 einzelne Punkte der vom deutschen Gesetzgeber getroffenen Regelung als Verstoß gegen Art.59, 60 EWGV und die Richtlinie Nr.77/249 beanstandet (NJW 1988, 887). Dies ändert aber nichts daran, daß die Bindung des Rechtsanwalts an das Einvernehmen des beim Gericht zugelassenen deutschen Kollegen in dem dort näher beschriebenen Umfang ... rechtmäßig ist und daher von einer Gleichstellung ausländischer Anwälte mit denjenigen Rechtsanwälten, die bei dem betreffenden Gericht zugelassen sind, keine Rede sein kann ...

Hinweis:

      Zur Vereinbarkeit eines Werbeverbots für Rechtsanwälte mit Art.10 EMRK vgl. das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 24.2.1994 (8/1993/403/481) im Fall Casado Coca gegen Spanien (Publications de la Cour européenne des Droits de l'Homme, Série A: Arrêts et décisions, Vol. 285).