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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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1823. RECHTSSCHUTZ GEGEN DEUTSCHE MITWIRKUNGSAKTE AN BESCHLÜSSEN VON GEMEINSCHAFTSORGANEN

Nr.92/1

Der Akt der Mitwirkung der Bundesregierung an der Setzung sekundären Gemeinschaftsrechts kann nicht mit einer Verfassungsbeschwerde angegriffen werden.

The act of participation of the federal government in the making of secondary Community law cannot be challenged by way of a constitutional complaint.

Bundesverfassungsgericht (3.Kammer des Zweiten Senats), Beschluß vom 9.7.1992 (2 BvR 1096/92), BayVBl.1992, 588

Einleitung:

      Die Beschwerdeführerin stellt sog. Feinschnittrollen her. Dies sind gepreßte Tabakstränge, die mangels Umhüllung als solche nicht geraucht werden können, aus denen ein Verbraucher indessen durch einfaches Einschieben in eine Papierhülse Zigaretten anfertigen kann. Nach bisheriger Rechtslage galten Feinschnitt-rollen tabaksteuerrechtlich nicht als Zigaretten, sondern unterlagen dem günstigeren Steuersatz für Feinschnittabak. Inzwischen hatte aber die EG-Kommission dem Rat der Europäischen Gemeinschaften einen Entwurf zur Änderung der einschlägigen EWG-Richtlinie 79/32 vorgelegt, durch die Feinschnittrollen steuerrechtlich als Zigaretten eingestuft würden.
      Die Beschwerdeführerin sieht sich durch eine solche Rechtsänderung in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Sie möchte deshalb mit ihrer Verfassungsbeschwerde, verbunden mit einem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung (§32 BVerfGG), verhindern, daß die Bundesrepublik Deutschland durch den sie im Rat vertretenden Minister dieser Richtlinienänderung zustimmt. Da die Verfassungsbeschwerde als unzulässig nicht zur Entscheidung anzunehmen war, erledigte sich zugleich der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung.

Entscheidungsauszüge:

      Die Beschwerdeführerin kann sich mit der Verfassungsbeschwerde nicht gegen die Mitwirkung der Bundesregierung an der Entstehung sekundären Gemeinschaftsrechts wenden, weil deren Zustimmung keinen sie unmittelbar beschwerenden Hoheitsakt darstellt (BVerfG, ... EuGRZ 1989, 339). Diese Mitwirkung der Bundesregierung ist kein Akt öffentlicher Gewalt gegenüber der Beschwerdeführerin, sondern trägt lediglich zum Entstehen einer Richtlinie bei, die erst nach ihrem Inkrafttreten und nach ihrer Umsetzung in nationales Recht die Beschwerdeführerin beschwert.
      Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht im Hinblick darauf zulässig, daß die Zustimmung der Bundesregierung bestimmende Ursache der geltend gemachten Grundrechtsverletzung sein könnte. Mag diese Zustimmung auch der letzte von der deutschen Staatsgewalt gesetzte Mitwirkungsakt an einer - möglicherweise Grundrechte verletzenden - Richtlinie sein, so erreichen die Regelungen der Richtlinie den Grundrechtsträger doch erst durch einen selbständig angreifbaren Rechtsetzungsakt der deutschen Staatsgewalt.
      Nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin wird die zukünftige Richtlinie dem deutschen Gesetzgeber bei der Umsetzung allerdings keinen Spielraum lassen, was die tabaksteuerliche Gleichstellung von Feinschnittrollen mit fertigen Fabrikzigaretten angeht. Es ist jedoch geplant, der Bundesrepublik Deutschland eine Übergangsfrist bis 31.12.1998 einzuräumen, innerhalb deren sie Feinschnitt-rollen weiterhin wie Feinschnittabak besteuern darf. Bei der Entscheidung, ob und inwieweit von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht werden soll, ist der nationale Gesetzgeber an die Vorgaben des Grundgesetzes gebunden. In diesem Rahmen hat er die Möglichkeit, etwaigen verfassungsrechtlichen Rechtspositionen der Beschwerdeführerin Rechnung zu tragen. Die Frage, ob und inwieweit der Gesetzgeber diese Rechte beachtet hat, unterliegt nach Ergehen des deutschen Umsetzungsaktes in vollem Umfang verfassungsgerichtlicher Überprüfung.
      Soweit die Richtlinie den Grundrechtsstandard des Gemeinschaftsrechts verletzen sollte, gewährt der Europäische Gerichtshof Rechtsschutz entweder unmittelbar nach Maßgabe des Art.173 Abs.2 EWG-Vertrag oder im Wege der Vorabentscheidung nach Art.177 EWG-Vertrag. Gegebenenfalls kann auch einstweiliger Rechtsschutz gewährt werden (Art.185, 186 EWG-Vertrag). Wenn auf diesem Wege der vom Grundgesetz als unabdingbar gebotene Grundrechtsstandard nicht verwirklicht werden sollte, kann das Bundesverfassungsgericht angerufen werden.