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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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1825. GEMEINSCHAFTSRECHTSKONFORME AUSLEGUNG DES DEUTSCHEN RECHTS

Nr.91/1

Soweit eine Richtlinie vom Gesetzgeber eines Mitgliedstaats nicht zutreffend umgesetzt wurde, kann dieser Umsetzungsmangel nicht durch eine dem Wortlaut und gesetzgeberischen Zweck widersprechende Auslegung von den Gerichten des Mitgliedstaats korrigiert werden.

If the legislature of a member state has not fully transposed a directive into national law, the member state's courts may not correct this deficit by interpreting a statute contrary to its wording and the legislative intent.

Bundesfinanzhof, Beschluß vom 18. April 1991 (V R 122/89), BFHE 165, 104, (ZaöRV 53 [1993], 425)

Einleitung:

      Das Finanzamt unterwarf den Kläger, der einen zum Betriebsvermögen seines Unternehmens gehörenden Personenkraftwagen zu 20% privat genutzt hatte, wegen Eigenverbrauchs nach §1 Abs.1 Nr.2 b UStG 1980 der Umsatzsteuer. Dabei bezog es in die Bemessungsgrundlage des Eigenverbrauchs u.a. die vom Kläger aufgewendete Kfz-Versicherung und Garagenmiete ein, obwohl diese Aufwendung ihrerseits nicht mit Umsatzsteuer belastet war. Das Finanzgericht kam nach Auslegung des deutschen Umsatzsteuergesetzes im Lichte von Art.6 Abs.2 der 6. Richtlinie zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerliche Bemessungsgrundlage - vom 17.5.1977 (77/388/EWG, ABl. Nr.L 145/1) zu dem Ergebnis, daß diese Aufwendung nicht in die Bemessungsgrundlage eingerechnet werden dürfe. Der Bundesfinanzhof hält die Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung des deutschen Umsatzsteuergesetzes für überschritten. Allenfalls durch eine unmittelbare Anwendung des Art.6 Abs.2 der 6. Umsatzsteuerrichtlinie lasse sich das Ergebnis des Finanzgerichts halten. Deshalb holt der BFH zur Auslegung der Richtlinienbestimmung eine Vorabentscheidung des EuGH ein.

Entscheidungsauszüge:

      II. Der erkennende Senat hält die Auslegung des §1 Abs.1 Nr.2 Buchst.b UStG 1980 durch das FG für rechtswidrig. Diese Beurteilung führt zum Erfolg der Revision des Finanzamts, es sei denn, Art.6 Abs.2 der 6.Richtlinie enthält im Fall der Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen, wenn dieser Gegenstand (wie hier) zum vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt hat, ein Verbot der Besteuerung derjenigen steuerbaren Aufwendungen für den verwendeten Gegenstand (wie z.B. Kfz-Versicherung, Garagenmiete), deren Inanspruchnahme den Steuerpflichtigen nicht "zum vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt" hatte, und der Steuerpflichtige kann sich vor den nationalen Gerichten auf dieses Verbot berufen.
      Hinsichtlich dieser Frage zur Auslegung des Art.6 Abs.2 der 6. Richtlinie ist ... die Vorlage an den EuGH gemäß Art.177 Abs.1 Buchst.b und Abs.3 ... EWGV geboten.
      1. Nach §1 Abs.1 Nr.2 Buchst.b UStG 1980 liegt steuerbarer Eigenverbrauch vor, wenn ein Unternehmer im Rahmen seines Unternehmens sonstige Leistungen der in §3 Abs.9 bezeichneten Art für Zwecke ausführt, die außerhalb des Unternehmens liegen.
      Der Wortlaut dieser Vorschrift sieht die Steuerbarkeit des Eigenverbrauchs ohne Rücksicht darauf vor, ob solche "sonstigen Leistungen" mit Hilfe von Leistungen ausgeführt werden, deren Inanspruchnahme den Unternehmer nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte.
      Die Vorschrift ist auch nicht etwa aufgrund eines anderen Zwecks des UStG 1980 gegen ihren Wortlaut auszulegen. ... Der deutsche Gesetzgeber entnahm ... der 6. Richtlinie ein Verbot der Eigenverbrauchsbesteuerung nur für die Fälle, in denen der Vorsteuerabzug des Unternehmers bei Bezug der Leistung nach §15 Abs.2 UStG (wegen Verwendung zur Ausführung steuerfreier Umsätze) ausgeschlossen war. ...
      Entgegen Wortlaut und gesetzgeberischem Zweck kann die Eigenverbrauchsbesteuerung nach §1 Abs.1 Nr.2 Buchst.b UStG 1980 nicht "richtlinienkonform" dahin ausgelegt werden, daß nicht vorsteuerbelastete Leistungen für Garagenmiete, Steuer und Versicherung u.ä. nicht erfaßt würden. Mit einem solchen Verständnis, mit dem das FG einem von ihm angenommenen Inhalt des Art.6 Abs.2 Satz 1 Buchst.a der 6. Richtlinie zur Geltung verhelfen will, setzt es sich über die der rechtsprechenden Gewalt zugewiesene Kompetenz hinweg ... Soweit eine Richtlinie, die sich nach Art.189 Abs.3 EWGV an den Mitgliedstaat richtet, von dessen Gesetzgeber nicht zutreffend umgesetzt wurde, kann dieser Umsetzungsmangel nicht durch Auslegung des entgegenstehenden Gesetzeswortlauts korrigiert werden. Etwas anderes läßt sich auch der Rechtsprechung des EuGH nicht entnehmen (vgl. ... EuGHE 1987, 3982 ...).
      2. Sollte der Eigenverbrauchstatbestand des §1 Abs.1 Nr.2 Buchst.b UStG 1980 Art.6 Abs.2 der 6. Richtlinie tatsächlich unzutreffend umsetzen, weil (wie das FG meint) die Regelung des Verwendungseigenverbrauchs in dessen Buchst.a auch die Besteuerung verbiete, soweit ein Vorsteuerabzug für Leistungen im Zusammenhang mit der Gegenstandsverwendung nicht in Anspruch genommen werden konnte, so könnte der Senat das im Streitfall nur berücksichtigen, wenn die Richtlinie eine Regelung zugunsten des Steuerpflichtigen enthielte, die vollständig, rechtlich in sich abgeschlossen und daher geeignet ist, daß sich der Steuerpflichtige vor den nationalen Gerichten darauf berufen kann (vgl. EuGH, Urteil vom 27.Juni 1989 Rs.50/88).
      Zwar hat der EuGH im vorbezeichneten Urteil vom 27. Juni 1989 Art.6 Abs.2 Satz 1 Buchst.a der 6. Richtlinie dahingehend ausgelegt, daß er es ausschließt, die Abschreibung eines Betriebsgegenstands als private Nutzung zu besteuern, wenn der Gegenstand (wegen Erwerbs von einem Nichtsteuerpflichtigen) nicht zum Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt hat. Wie der EuGH ausdrücklich dargelegt hat, enthält die Richtlinienbestimmung ein Verbot, die private Nutzung derartiger Gegenstände zu besteuern; darauf könne sich ein Steuerpflichtiger vor den nationalen Gerichten berufen. ... Die weiteren Ausführungen des EuGH ... geben nach Auffassung des Senats aber keinen eindeutigen Aufschluß darüber, wie nach Art.6 Abs.2 der 6. Richtlinie die Besteuerung der privaten Nutzung eines Gegenstands erfolgen soll, wenn zwar (wie hier) der Steuerpflichtige für die Lieferung des PKW die Umsatzsteuer abziehen konnte, aber für die Dienstleistungen, die er von Dritten zur Erhaltung oder zum Gebrauch des PKW in Anspruch nahm (z.B. Garagenmiete, Kfz-Versicherung), keinen Vorsteuerabzug hatte, weil die Dienstleistungen etwa steuerfrei oder nicht steuerbar waren.

Hinweis:

      Mit Urteil vom 25.5.1993 (Rs. C-193/91, EuZW 1993, 482) hat der Europäische Gerichtshof entschieden, Art.6 Abs.2 Buchst.a der 6. Richtlinie schließe die Besteuerung der privaten Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands insoweit aus, als diese Verwendung Dienstleistungen umfasse, die der Steuerpflichtige von Dritten zur Erhaltung oder zum Gebrauch des Gegenstands ohne die Möglichkeit zum Vorsteuerabzug in Anspruch genommen habe. Insoweit könne sich der Steuerpflichtige auch vor den nationalen Gerichten auf die Richtlinienbestimmung berufen.