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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1841. FREIER WARENVERKEHR

Nr.89/1

Wenn ein aus dem EG-Ausland importiertes Arzneimittel mit einem im Inland zugelassenen Arzneimittel nur in der stofflichen Zusammensetzung, nicht jedoch in der Bezeichnung übereinstimmt, bedarf es der Zulassung. Dieses Zulassungserfordernis verstößt nicht gegen Gemeinschaftsrecht.

If a drug imported from another EC member state matches a drug licensed for use domestically only with regard to its material ingredients but not with regard to its designation it requires a license. This licensing requirement does not contravene Community law.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 13.4.1989 (3 C 11/86), BVerwGE 82, 7

Einleitung:

      Die Klägerin importiert Fertigarzneimittel aus dem EG-Bereich und veräußert sie in der Bundesrepublik Deutschland. Seit Frühjahr 1976 vertrieb sie die aus Italien eingeführten Fertigarzneimittel "Methotrexate 50mg Parenterale" und "Methotrexate 5mg". Die Präparate waren in ihrer Zusammensetzung identisch einschließlich der Konservierungsstoffe, mit denen sie in Verkehr gebracht wurden. Die Klägerin hatte beim Bundesgesundheitsamt - BGA - weder diese Arzneimittel angemeldet noch den Vertrieb angezeigt. Die deutsche Arzneimittelfirma C ... GmbH hatte die Präparate "Methotrexat 'Lederle' Trockensubstanz 5mg" und "Methotrexat 'Lederle' Trockensubstanz 5mg", die ursprünglich die gleiche Zusammensetzung aufwiesen wie "Methotrexate 50mg Parenterale" und "Methotrexate 5mg", beim BGA gemäß §21 Arzneimittelgesetz (Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln vom 16. Mai 1961 - BGBl. I S.533 -, zuletzt geändert durch das Futtermittelgesetz vom 2. Juli 1975 - BGBl. I S.1745 -; im folgenden "AMG 1961") zur Registrierung angemeldet. Die Firma C ... GmbH vertrieb seit Frühjahr 1976 ihre Arzneimittel nur noch ohne Konservierungsstoffe und zeigte dies mit Schreiben vom 6.Mai 1976 dem BGA an.
      Gemäß §69 Abs.1 Satz 2 Nr.1 AMG 1976 (im folgenden "AMG" = Art.1 des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts vom 24. August 1976 - BGBl. I S.2445 -, zuletzt geändert durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 20. Juli 1988 - BGBl. I S.1050 -; im folgenden "AMNG") wurde der Klägerin untersagt, die Fertigarzneimittel "Methotrexate 50mg Parenterale" und "Methotrexate 5mg" in die Bundesrepublik Deutschland einzuführen und hier in den Verkehr zu bringen. Die Zusammensetzung dieser Arzneimittel sei mit dem in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Originalpräparat "Methotrexat `Lederle'" nicht identisch, weil sie Konservierungsstoffe enthielten, die als wirksame Bestandteile im Sinne des §29 Abs.3 Nr.1 AMG anzusehen seien. Es sei deshalb eine Neuzulassung der Präparate beim BGA gemäß §29 Abs.3 Nr.1 AMG erforderlich.
      Die dagegen gerichtete Klage blieb bis in die Revisionsinstanz erfolglos. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts entfällt das Zulassungserfordernis nicht deshalb, weil vergleichbare Präparate der Firma C ... GmbH zum Vertrieb in der Bundesrepublik zugelassen seien. Auf eine bestehende Zulassung könne sich der Importeur nur bei Identität der Arzneimittel berufen. Eine arzneimittelrechtliche Identität sei aber selbst bei gleicher stofflicher Beschaffenheit dann nicht gegeben, wenn die Arzneimittel in ihrer Bezeichnung voneinander abwichen.

Entscheidungsauszüge:

      Das Zulassungserfordernis, das somit in einem Fall der vorliegenden Art nach deutschem Recht besteht, ist mit Gemeinschaftsrecht vereinbar.
      Eine spezifische Gemeinschaftsregelung besteht nicht. Die EG-Richtlinien betreffen nur Arzneispezialitäten (ebenso EuGH, Urteil vom 28. Februar 1984 - Rs.247/81 - Slg.1984, 1111, 1121). Sie können hier schon deshalb nicht eingreifen, da die streitgegenständlichen Arzneimittel Generica sind. Darüber hinaus enthalten die EG-Richtlinien keine besonderen Vorschriften über den Parallelimport und die dabei auftretende Möglichkeit von Bezeichnungsunterschieden. Zwar hatte die Kommission dem Rat einen Vorschlag für eine Richtlinie betreffend den Parallelimport vorgelegt (ABl. Nr.C 143/8 vom 12. Juni 1980); danach sollte in bestimmten Fällen des Parallelimports eine Registrierung statt einer Zulassung genügen (geplanter Art.10 A der Richtlinie 65/65/EWG). Die vorgeschlagene Richtlinie trat jedoch nie in Kraft. Es ist daher lediglich eine Mitteilung der Kommission über Parallelimporte von Arzneispezialitäten, deren Inverkehrbringen bereits genehmigt ist, ergangen (ABl. Nr.C 115/5 vom 6. Mai 1982, abgedruckt bei Kloesel/Cyran, aaO unter A2.32c). Diese Mitteilung hat keinen rechtsverbindlichen Charakter.
      Eines besonderen Eingehens auf Art.30 EWG-Vertrag bedarf es nicht, weil das Zulassungserfordernis für parallelimportierte Arzneimittel bei Bezeichnungsabweichung gemäß Art.36 EWG-Vertrag zum Schutz der Gesundheit gerechtfertigt ist. Aufgrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 20. Mai 1976 - Rs.104/75 - Slg.1976, 613 - Centrafarm; Urteil vom 28. Januar 1981 - Rs.32/80 - Slg.1981, 251 - Kortmann) steht fest, daß Gemeinschaftsrecht nicht entgegensteht der Berechtigung eines Mitgliedstaates, für das Inverkehrbringen parallelimportierter Arzneimittel eine Zulassung zu verlangen. Wie ein solches Zulassungsverfahren allenfalls auszusehen hat, braucht hier nicht entschieden zu werden. Im vorliegenden Verfahren geht es nur um das "Ob", nicht um das "Wie" der Zulassung. EG-Recht verbietet jedenfalls grundsätzlich kein Zulassungsverfahren in Fällen geringfügiger Bezeichnungsabweichung zwischen dem Originalpräparat und dem importierten Arzneimittel.
      Der Sachverhalt gab dem Senat allerdings Anlaß zu prüfen, ob die Zulassungspflicht für den Parallelimporteur dann gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wenn das inländische Präparat nur fiktiv zugelassen ist. Bei rein fiktiver Zulassung kann derjenige, der die Voraussetzungen des Art.3 §7 Abs.1 AMNG erfüllt, allein aufgrund einer Anzeige das Arzneimittel zwölf weitere Jahre lang in Verkehr bringen, während der Parallelimporteur ein Zulassungsverfahren durchführen muß, ohne daß auf Unterlagen des Erstanmelders Bezug genommen werden kann. Dagegen könnten aus der Sicht des Gemeinschaftsrechts Bedenken bestehen. Diese Bedenken werden nicht dadurch entkräftet, daß der Parallelimporteur in bestimmten Fällen eine eigene fiktive Zulassung durch Anzeige gemäß Art.3 §7 Abs.2 AMNG hätte erhalten können. Denn dies gilt nur für die Fälle, in denen der Importeur selbst die Voraussetzungen des Art.3 §7 Abs.1 AMNG erfüllt. Der etwaige Schutz des Parallelimports muß jedoch auch dann eingreifen, wenn der Parallelimporteur seine Tätigkeit erst nach den Stichtagen des Art.3 §7 Abs.1 AMNG aufgenommen hat. Das Unterlassen der Anzeige gemäß Art.3 §7 Abs.2 AMNG kann nicht zur Folge haben, daß deshalb der dem Parallelimporteur vom Gemeinschaftsrecht gewährte Schutz entfällt. Vergleicht man indes in diesem Fall die Belastung des Parallelimporteurs auf der einen Seite und den Gewinn für die Arzneimittelsicherheit auf der anderen Seite, so zeigt sich nach Auffassung des Senats, daß auch in diesem Falle die Belastung, die dem Parallelimporteur durch das Zulassungserfordernis auferlegt wird, im Sinne des Art.36 EWG-Vertrag durchaus verhältnismäßig ist. Zwar begnügt sich der deutsche Gesetzgeber beim Institut der Fiktivzulassung mit einem im Vergleich zu den §§21ff. AMG geringeren Grad von Arzneimittelsicherheit; zu berücksichtigen ist aber auch hierbei die besondere Situation beim Parallelimport. Wie bereits erwähnt, ist die Kontrolle der Parallelimporte wegen der häufigen Abweichungen der parallelimportierten Arzneimittel von den entsprechenden in der Bundesrepublik Deutschland zugelassenen Präparaten besonders wichtig. Bezeichnungsabweichungen der hier interessierenden Art nähren gerade den Verdacht, daß zwischen beiden Arzneimitteln therapeutisch relevante Unterschiede bestehen. Es ist deshalb ein dringendes Gebot der Arzneimittelsicherheit, Parallelimportpräparate, die in der Arzneimittelbezeichnung Unterschiede zu den bereits im Inland zugelassenen Originalpräparaten aufweisen, einem Zulassungsverfahren zu unterziehen, um feststellen zu können, ob in der Zusammensetzung therapeutisch relevante Unterschiede vorhanden sind. Dieses Bedürfnis wird nicht davon berührt, ob das inländische Produkt fiktiv zugelassen ist oder nicht. Auch für den Fall der Fiktivzulassung des inländischen Präparats kann in dem deutschen Zulassungserfordernis für das parallelimportierte ausländische Produkt eine unverhältnismäßige Diskriminierung nicht gesehen werden.
      Die Auslegung des europäischen Gemeinschaftsrechts gibt dem Zweifel keinen Raum. Eine Anrufung des Europäischen Gerichtshofs zu einer Vorabentscheidung gemäß Art.177 Abs.3 EWG-Vertrag ist nicht geboten.

Hinweis:

      Das Verwaltungsgericht Frankfurt/Main hielt in einem Beschluß vom 24.4.1990 das Erfordernis, auch bei nur geringfügiger Bezeichnungsabweichung eines aus einem anderen EG-Staat parallel importierten Arzneimittels ein neues Zulassungsverfahren durchführen zu müssen, für gemeinschaftsrechtswidrig (V/2 H 2549/89 - EuZW 1990, 291 - 1841 [90/1]).