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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1841. FREIER WARENVERKEHR

Nr.90/1

[a] Es stellt eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine Einfuhrbeschränkung im Sinne von Art.30 EWG-Vertrag dar, wenn aus einem anderen EG-Staat re- oder parallelimportierte Arzneimittel in der Bundesrepublik ein Zulassungsverfahren nach den §§21 ff. AMG durchlaufen müssen.

[b] Diese Maßnahme ist mit Erfordernissen des Gesundheitsschutzes im Sinne von Art.36 EWG-Vertrag jedenfalls dann nicht zu rechtfertigen, wenn die importierten Arzneimittel in ihrer Wirkstoffzusammensetzung mit im Inland zugelassenen Arzneimitteln identisch sind und nur in ihrer Bezeichnung geringfügig von diesen abweichen, weil diese Bezeichnung der in frankophonen Ländern üblichen Schreibweise angepaßt wurde.

[c] Die derzeitige Zulassungspraxis des Bundesgesundheitsamts, welche die auf Art.7 der Richtlinie 65/65/EWG beruhende Fristenregelung des §27 Abs.1 AMG für die Bearbeitung von Anträgen auf Zulassung eines Arzneimittels regelmäßig erheblich überschreitet, ist insoweit gemeinschaftsrechtswidrig, als Arzneimittel aus anderen Mitgliedstaaten betroffen sind.

[a] It amounts to a measure having equivalent effect to a quantitative restriction under Art.30 of the EEC Treaty, if pharmaceuticals entering the Federal Republic of Germany by way of re-imports or parallel imports must pass a license procedure according to §§21 et seq. of the German Act on Pharmaceuticals.

[b] This measure cannot be justified on grounds of the protection of health under Art.36 of the EEC Treaty in any case, if the imported pharmaceuticals are, in respect of the composition of their active ingredients, identical with pharmaceuticals licensed for use in Germany, and if their designation only slightly deviates from the desig-nation of the latter, because their designation has been adapted to the common spelling in French-speaking countries.

[c] The current licensing practice of the German Federal Health Authority which regularly, and by a considerable margin, exceeds the time limit set for the processing of applications for a license by §27 (1) of the Act on Pharmaceuticals, on the basis of Art.7 of the Directive 65/65/EEC, violates Community law to the extent pharmaceuticals from other member states are affected.

Verwaltungsgericht Frankfurt, Beschluß vom 24.4.1990 (V/2 H 2549/89), EuZW 1990, 291 (ZaöRV 52 [1992], 439)

Einleitung:

      Die Antragstellerin vertreibt im Bundesgebiet Arzneimittel, die aus anderen Mitgliedstaaten parallel- oder reimportiert sind. Diese sind in ihrer Wirkstoffzusammensetzung mit den in der Bundesrepublik von den Herstellern original vertriebenen Arzneimitteln absolut identisch. Sie führen jedoch geringfügig andere, der Schreibweise in frankophonen Ländern entsprechende Bezeichnungen, deren Abänderung der Importeurin aus warenzeichenrechtlichen Gründen unmöglich ist. Weil nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts solche geringfügigen Bezeichnungsabweichungen bei parallel- und reimportierten Arzneimitteln die Durchführung eines neuen Zulassungsverfahrens erforderlich machen (BVerwGE 82, 7 - 1841 [Nr.89/1]), untersagte der Antragsgegner der Antragstellerin das Inverkehrbringen der importierten Arzneimittel. Gegen die angeordnete sofortige Vollziehung dieser Untersagungsverfügung richtet sich der Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs (§80 Abs.5 VwGO).

Entscheidungsauszüge:

      Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hat ... [weitgehend] Erfolg, da nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zwangsläufig nur summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage davon auszugehen ist, daß der ... Bescheid des Antragsgegners rechtswidrig ist und daher an der Aufrechterhaltung der sofortigen Vollziehbarkeit ... kein öffentliches Interesse bestehen kann. Das Regierungspräsidium hat ... der Antragstellerin zu Unrecht gem. §69 Abs.1 Satz 2 Nr.1 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (AMG) vom 24.8.1976 (BGBl. I S.2445) in der hier maßgeblichen Fassung des 3. Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 20.7.1988 (BGBl. I S.1050) das Inverkehrbringen der ... Arzneimittel untersagt. Für das Inverkehrbringen dieser Arzneimittel, die hinsichtlich ihrer Wirkstoffzusammensetzung mit in der Bundesrepublik Deutschland ... zugelassenen Arzneimitteln identisch sind und sich lediglich geringfügig von den entsprechenden inländischen Arzneimitteln dadurch unterscheiden, daß die Importware hinsichtlich der warenzeichenrechtlichen Ausgestaltung der in den frankophonen Ländern üblichen Schreibweise angepaßt sind, bedarf es wegen dieser geringfügigen Abweichungen der Durchführung eines erneuten Zulassungsverfahrens für die Importware nicht. Die Forderung, für parallel- bzw. reimportierte Arzneimittel, für die bereits eine inländische (fiktive) Zulassung besteht, auch bei nur geringfügiger Bezeichnungsabweichung ein erneutes arzneimittelrechtliches Zulassungsverfahren gem. §§21 ff. AMG durchzuführen, läßt sich mit dem vorrangigen Recht der Europäischen Gemeinschaften nicht in Einklang bringen.
      Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 13.4.1989 ...[a.a.O.] ausgeführt, daß auch geringfügige Änderungen in der Bezeichnung eines Arzneimittels die Durchführung eines erneuten Zulassungsverfahrens erfordern. ... Diese Grundsätze sind dem Bundesverwaltungsgericht zufolge ohne Einschränkung auch auf Fälle des Parallelimports aus EG-Staaten anzuwenden. Für den Import von Arzneimitteln aus EG-Staaten mangele es an einer spezifischen gemeinschaftsrechtlichen Regelung. Eines besonderen Eingehens auf Art.30 EWGV bedürfe es nicht, weil das Zulassungserfordernis für parallelimportierte Arzneimittel bei Bezeichnungsabweichung gem. Art.36 EWGV zum Schutz der Gesundheit gerechtfertigt sei ...
      Entgegen der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Parallelimport von Arzneimitteln aus anderen EG-Staaten stellt der Verweis auf die Notwendigkeit, den Arzneimittelimport aus anderen EG-Staaten auch bei geringfügiger Bezeichnungsabweichung des importierten Arzneimittels von einer vorherigen Zulassung durch das Bundesgesundheitsamt abhängig zu machen, eine mit EG-Recht nicht zu vereinbarende Behinderung des freien Warenverkehrs innerhalb der EG dar.
      Dem Bundesverwaltungsgericht ist insoweit zu folgen, daß in der Tat eine spezifische gemeinschaftsrechtliche Regelung, sei es in Form einer EWG-Verordnung oder in der Form einer EG-Richtlinie, die eine Aussage über die gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit eines Zulassungsverfahrens für Re- oder Parallelimporte trifft, nicht existiert. Der diesbezüglich von der EG-Kommission dem Ministerrat am 2.6.1980 vorgelegte "Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der EG-Richtlinien 65/65 und 75/319 vom 20.5.1975 über die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten" (ABlEG Nr.C 143 v. 12.6.1980, S.8) ist von der EG-Kommission zurückgezogen worden, nachdem der Wirtschafts- und Sozialausschuß sowie das Europäische Parlament sich gegen die Annahme des vorgelegten Vorschlags ausgesprochen hatten.
      Der Umstand, daß keine gemeinschaftsrechtliche Spezialregelung existiert, läßt jedoch nicht den Schluß zu, daß das von dem Antragsgegner behauptete Zulassungserfordernis ohne weiteres mit EG-Recht vereinbar ist. Zwar bleibt es unter diesen Umständen den einzelnen Mitgliedstaaten unbenommen, nationale Regelungen etwa zur Kontrolle des Arzneimittelimports mit dem Zweck des Schutzes der Volksgesundheit aufrechtzuerhalten oder auch neu zu erlassen (vgl. z.B. EuGHE 1974, 837 [853] ...; EuGHE 1979, 649 [662] ...; EuGHE 1981, 995 [1024] ...; EuGHE 1984, 1111 [1120] ...; EuGH, NJW 1989, 2185 [2186] ...). Maßstab zur Beurteilung der Gemeinschaftsrechtskonformität solcher nationalen Maßnahmen sind jedoch auch dann weiterhin die durch Art.30 und 36 EWGV auferlegten Verpflichtungen (vgl. EuGHE 1979, 649 [662] ...; EuGHE 1979, 2555 [2565] ...; EuGHE 1974, 837 [853] ...; EuGH, NJW 1989, 2184). Art.30 EWGV enthält - vorbehaltlich der nachfolgenden Vorschriften des Vertrags - das Verbot mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen sowie aller Maßnahmen gleicher Wirkung. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung anzusehen (vgl. EuGHE 1974, 837 [852] ... - Dassonville ...). Die Forderung einer Zulassung für den Parallel- bzw. Reimport von im Bundesgebiet zugelassenen Arzneimitteln bei geringfügiger Abweichung der Produktbezeichnung der Importware stellt mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung dar. Durch dieses Zulassungserfordernis wird nämlich die Einfuhr von Arzneimitteln aus einem Mitgliedstaat in einen anderen behindert (vgl. z.B. EuGHE 1975, 843 [858] ...; EuGHE 1976, 613 [635] ...; EuGHE 1980, 2299 [2312] ...; EuGH, NJW 1989, 2185 [2186] ...).
      Jene Beschränkung des freien Warenverkehrs wäre jedoch dann gemeinschaftsrechtlich zulässig, wenn eine der Voraussetzungen des Art.36 EWGV eingreifen würde. Nach dieser Vorschrift stehen die Bestimmungen der Art.30 bis 34 EWGV Einfuhr-, Ausfuhr- und Durchfuhrverboten oder -beschränkungen nicht entgegen, "die aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert oder des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sind." Diese Verbote oder Beschränkungen dürfen jedoch weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen. In Betracht kommt vorliegend lediglich eine Beschränkung des freien Warenverkehrs zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind Beschränkungen der Einfuhr pharmazeutischer Erzeugnisse mit dem EWG-Vertrag nur vereinbar, "soweit sie für einen wirksamen Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen notwendig" sind. "Eine nationale Regelung oder Praxis fällt daher nicht unter die Ausnahmebestimmung des Art.36 EWGV, wenn die Gesundheit oder das Leben von Menschen genauso wirksam durch Maßnahmen geschützt werden kann, die den innergemeinschaftlichen Handel weniger beschränken" (EuGHE 1976, 613 [635] ...; ebenso EuGH, NJW 1989, 2185 [2186]; vgl. ferner EuGHE 1981, 995 [1025]). Mit Blick auf Art.36 EWGV ist nach der Rechtsprechung des EuGH der Verweis auf die Notwendigkeit, ein gesondertes Zulassungsverfahren durchzuführen, unbedenklich, sofern es sich bei dem im Inland bereits zugelassenen und dem parallelimportierten Arzneimittel um zwei verschiedene Arzneimittel handelt. Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn die zwischen beiden Arzneimitteln bestehenden Unterschiede therapeutisch relevant sind (vgl. EuGHE 1976, 613 [639]...; EuGHE 1981, 251 [266 f.] ...).
      Auf die therapeutisch relevanten Unterschiede von Arzneimitteln stellt auch die EG-Kommission in ihrer "Mitteilung der EG-Kommission über Parallelimporte von Arzneispezialitäten, deren Inverkehrbringen bereits genehmigt ist" (ABlEG Nr.C 115 v. 6.5.1982, S.5), ab. Zwar kommt dieser Mitteilung anders als etwa EWG-Verordnungen oder EG-Richtlinien keine unmittelbare rechtliche Verbindlichkeit zu, wie sich aus Art.189 Abs.5 EWGV ergibt ... Zu den Wirkungen einer auf Art.189 Abs.5 EWGV gestützten Empfehlung hat der EuGH (EuZW 1990, 95) jedoch entschieden, daß die nationalen Gerichte verpflichtet sind, derlei Empfehlungen bei der Entscheidung der bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten zu berücksichtigen, insbesondere dann, wenn die Empfehlungen Aufschluß über die Auslegung nationaler Rechtsvorschriften geben, die zu ihrer Durchführung erlassen worden sind, oder wenn sie die Ergänzung zwingender Gemeinschaftsvorschriften bezwecken. Diese Grundsätze sind auch auf Mitteilungen der EG-Kommission anzuwenden, in denen die Kommission - wie im vorliegenden Fall - zum Ausdruck bringt, in welcher Weise sie unter eigener Verantwortlichkeit die Vertragsregeln entsprechend der Auslegung des EuGH im Interesse der Aufrechterhaltung der Einheitlichkeit des Binnenmarktes der Gemeinschaft anzuwenden denkt. Der hier einschlägigen Mitteilung kommt daher zwar keine normkonkretisierende, wohl aber norminterpretierende Funktion zu ... Es handelt sich bei ihr demnach um nicht völlig unbeachtliches gemeinschaftsrechtliches "soft law".
      Nach dem gegenwärtigen Stand des Rechts der Europäischen Gemeinschaften ist demnach davon auszugehen, daß ein Zulassungserfordernis in erster Linie dann aufgestellt werden kann, wenn sich Arzneimittel hinsichtlich ihrer therapeutischen Wirksamkeit unterscheiden. Zumindest geringfügige Unterscheidungen in der Bezeichnung sind hingegen gemeinschaftsrechtlich unschädlich.
      Eine zwingende Notwendigkeit i.S. des Art.36 EWGV zur Untersagung des Re- bzw. Parallelimports der [hier betroffenen] Arzneimittel ist aus einem weiteren Grund zu verneinen: Zur Einfuhr von Arzneimitteln aus einem anderen EG-Staat durch Privatpersonen hat der EuGH in seinem Urteil vom 7.3.1989 (EuGH, NJW 1989, 2185 [2186]) im einzelnen ausgeführt: "Kauft eine Privatperson in einer Apotheke in einem anderen Mitgliedstaat ein Arzneimittel, das in dem Mitgliedstaat, in den sie es zum persönlichen Gebrauch einführt, zugelassen und rezeptfrei erhältlich ist, so stellt eine Bestimmung wie der für den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens maßgebende §73 AMG offensichtlich eine Maßnahme dar, die den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr beschränkt, ohne daß sie zum Schutz der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt wäre. Der Kauf des Arzneimittels in einer Apotheke in einem anderen Mitgliedstaat bietet nämlich eine Garantie, die derjenigen gleichwertig ist, auf die sich die Bundesregierung und die dänische Regierung berufen und die auf dem Verkauf des Arzneimittels durch eine Apotheke in dem Mitgliedstaat beruht, in den das Arzneimittel von einer Privatperson eingeführt wird."
      Diese Überlegungen, die im übrigen zwischenzeitlich zur Änderung des AMG geführt haben (vgl. §73 Abs.2 Nr.6a AMG i.d.F. des 4. Gesetzes zur Änderung des AMG v. 11.4.1990, BGBl. I S.717) sind in modifizierter Form auch für das vorliegende Verfahren von Bedeutung. Zum einen sind die im Bescheid des Antragsgegners genannten Arzneimittel zum Verkehr in anderen EG-Staaten zugelassen. Zum anderen erfolgt deren Abgabe im Inland ausschließlich durch Apotheker, die über die entsprechende Sachkunde verfügen. Auf diese Weise kann dem notwendigen Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und den gemeinschaftsrechtlich gleichfalls relevanten Belangen des Verbraucherschutzes ... in angemessenem Maße Rechnung getragen werden.
      Aus den dargelegten Gründen folgt zwar nicht, daß die Einfuhr solcher Arzneimittel, die in ihrer Wirksamkeit mit im Inland zugelassenen identisch sind und sich lediglich geringfügig in ihrer Bezeichnung voneinander abheben, generell ohne jegliche Kontrollen durch bundesrepublikanische Behörden zu gestatten wären. Mit EG-Recht zu vereinbaren wäre durchaus die zum Zwecke des Schutzes der Gesundheit gesetzlich zu verankernde und in ihren Wirkungen weniger einschneidende Verpflichtung desjenigen, der re- oder parallelimportierte Arzneimittel in den Verkehr bringt, Bescheinigungen über die Identität der importierten Arzneimittel mit den im Inland hergestellten vorzulegen, oder aber die Einführung einer Anzeigepflicht (vgl. dazu EuGHE 1976, 613 [635 ff.] ...; EuGHE 1979, 2555 [2565] ...; EuGHE 1981, 251 [267] ...). Die geringfügige Abweichung in der Bezeichnung eines re- bzw. parallelimportierten Arzneimittels, die keinerlei Einfluß auf die therapeutische Wirksamkeit eines Arzneimittels hat, rechtfertigt es jedoch aus der Sicht des EG-Rechts nicht, für den Re- oder Parallelimport von bereits in der Bundesrepublik zugelassenen und in ihrer Zusammensetzung identischen Arzneimitteln erneut die Durchführung eines umfangreichen und zeitaufwendigen Zulassungsverfahrens nach dem AMG zu fordern.
      Selbst wenn man aber - entgegen der Ansicht der Kammer - an sich die Durchführung eines Zulassungsverfahrens nach den §§21 ff. AMG ... im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ... für grundsätzlich zulässig erachten sollte, wäre dies im Hinblick auf die derzeitige Zulassungspraxis des Bundesgesundheitsamtes eine unverhältnismäßige Behinderung des freien Warenverkehrs innerhalb der EG und somit mit Art.30, 36 EWGV nicht zu vereinbaren. Beim Bundesgesundheitsamt bestand im Oktober 1989 ein Stau von über 8000 Zulassungsanträgen, deren Bearbeitung innerhalb der in §27 Abs.1 AMG geregelten Fristen von vier Monaten bzw. in Ausnahmefällen von insgesamt sieben Monaten nicht abgeschlossen werden kann ... Der Antragsgegner geht in der angefochtenen Verfügung selbst davon aus, daß ein Zulassungsverfahren mehr als fünf Jahre dauern kann. Die Fristenregelung des §27 Abs.1 AMG stellt eine bundesgesetzliche Umsetzung der Vorgaben des Art.7 der EG-Richtlinie 65/65 vom 26.1.1965 (ABlEG Nr.22 v. 9.2.1965) i.d.F. vom 22.12.1986 (ABlEG Nr.L 15 v. 15.1.1987) dar. Die Nichtbeachtung der Fristen im Zulassungsverfahren beinhaltet ebenso wie die nicht rechtzeitige Umsetzung einer Richtlinie in geltendes Recht eine unmittelbare Verletzung des EWG-Vertrages, sofern hiervon die Zulassung von Arzneimitteln aus anderen EG-Staaten betroffen ist. Zwar führt eine objektive Vertragsverletzung nicht zum unmittelbaren Anspruch auf Zulassung eines aus einem anderen EG-Staat importierten Arzneimittels zum inländischen Markt ohne die gem. §§21 ff. AMG erforderliche Zulassung. Zumindestens in Fällen wie den vorliegenden, in denen für ein Arzneimittel eine inländische Zulassung vorliegt ... und sich das importierte Arzneimittel in seiner Zusammensetzung und damit therapeutischen Wirksamkeit nicht von dem im Inland hergestellten und vertriebenen Arzneimittel unterscheidet, erweist sich aber unter den gegebenen Umständen der Verweis auf die Durchführung eines Zulassungsverfahrens nach §§21 ff. AMG als objektiv gemeinschaftsrechtlich unzulässige Beschränkung des freien Handels innerhalb der EG ... Ob sich das für sofort vollziehbar erklärte Verbot des Inverkehrbringens der [hier betroffenen] Arzneimittel bei diesen Gegebenheiten als rechtmäßig oder rechtswidrig erweist, bedarf jedoch hier keiner abschließenden Bewertung.

Hinweis:

      Die gegen die vorstehende Entscheidung gerichtete Beschwerde des Antragsgegners hatte beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof teilweise Erfolg (Beschluß vom 15.6.1992 - 11 TH 1647/90 - EuZW 1993, 72). Die a.a.O. abgedruckten Leitsätze des Gerichts lauten auszugsweise:
      1. "Mitteilungen" der EG-Kommission gehören nicht zu den Rechtsquellen des sekundären Gemeinschaftsrechts i.S. des Art.189 EWGV und sind daher von nationalen Gerichten bei der Auslegung innerstaatlichen Rechts nicht zu beachten.
      2. Verschreibungssicherheit ... ist zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen erforderlich. Wird sie bei parallel- oder reimportierten Medikamenten durch Bezeichnungsunterschiede beeinträchtigt, rechtfertigt dies als therapeutisch relevanter Unterschied im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Einfuhrbeschränkungen oder Maßnahmen gleicher Wirkung i.S. der Art.30, 36 EWGV ...
      3. Es bleibt offen, ob die Verschreibungssicherheit durch Bezeichnungsunterschiede zwischen importierten und den vom Hersteller im Inland vertriebenen Arzneimitteln bei vorhandener Stoffgleichheit auch dann beeinträchtigt wird, wenn diese Unterschiede sich offensichtlich für jedermann erkennbar auf andere Lautumschreibung oder das Anfügen einer nicht sinntragenden Endung beschränken, die durch "Übersetzung" der Bezeichnung zur Verwendung im benachbarten Ausland (hier: im frankophonen Gebiet der Europäischen Gemeinschaft) entstanden sind.