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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1841. FREIER WARENVERKEHR

Nr.92/1

Das Erfordernis einer Ausfuhrgenehmigung nach dem Kulturgutschutzgesetz verletzt nicht Art.34 EWG-Vertrag.

Requiring an export licence pursuant to the Act for the Protection of the Cultural Heritage does not violate Art.34 of the EEC Treaty.

Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Urteil vom 19.5.1992 (10 L 5248/91), NVwZ-RR 1993, 79 (ZaöRV 54 [1994], 538)

Einleitung:

      Nach dem Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6.8.1955 (KulturgutschutzG - BGBl. I S.501) können Kunstgegenstände durch Verwaltungsakt in das Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes eingetragen werden. Dadurch wird die Ausfuhr der betroffenen Kunstgegenstände einem Genehmigungsvorbehalt unterstellt. Die vorliegende Klage richtet sich gegen die Eintragung des im Eigentum des Klägers stehenden "Silberzimmers der Welfen". Sie blieb in zwei Instanzen erfolglos.

Entscheidungsauszüge:

      2. Das Kulturschutzgesetz verletzt nicht Art.34 EWGV vom 25.3.1957 (BGBl. II, 766) in der Fassung vom 28.2.1986 (BGBl. II, 1104). Diese Bestimmung kommt als höherrangiges Recht und auch deshalb in Betracht, weil §15 KulturgutschutzG besagt, daß Verpflichtungen aufgrund bestehender Verträge durch dieses Gesetz unberührt blieben. Nach Art.34 Abs.1 EWGV sind mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verboten. Ausfuhrverbote, d.h. das absolute oder mit einem Genehmigungsvorbehalt versehene, in allgemeiner Form erlassene, an den einzelnen gerichtete staatliche Verbot der Ausfuhr einer Ware, stellen die stärkste Form der mengenmäßigen Beschränkung, das sogenannte Nullkontingent, dar ... Nach Art.36 Satz 1 EWGV steht der Art.34 Ausfuhrverboten und -beschränkungen nicht entgegen, die zum Schutz des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert gerechtfertigt sind. Diese Verbote oder Beschränkungen dürfen nach Satz 2 der Vorschrift jedoch weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen.
      Im Gegensatz zu Art.226 EWGV enthält Art.36 EWGV, wie dies sein letzter Satz bestätigt, Tatbestände nicht wirtschaftlicher Art, die die Verwirklichung der in den Art.30 bis 34 EWGV aufgestellten Grundsätze nicht in Frage stellen können ... Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift ("nicht entgegenstehen") wird durch sie kein europarechtlicher Verbotstatbestand begründet, sondern ein nationalstaatlicher Verbotstatbestand vorausgesetzt ... Ausfuhrverbote oder -beschränkungen im Sinne von Art.36 EWGV müssen die Verwirklichung des mit dieser Vorschrift angestrebten Ziels gewährleisten, den künstlerischen, geschichtlichen oder archäologischen Kulturbesitz zu schützen. Sie stellen Ausnahmen von der Grundregel der Beseitigung aller Hindernisse für den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten dar. Ihre Anwendungsvoraussetzungen sind daher eng auszulegen. Um sich auf Art.36 EWGV berufen zu können, müssen die Mitgliedstaaten sowohl hinsichtlich des zu erreichenden Zwecks als auch hinsichtlich der anzuwendenden Mittel die durch diese Vorschrift gezogenen Grenzen einhalten ...
      Der EuGH scheint bisher dazu zu neigen, im Rahmen des Art.36 EWGV insoweit den Mitgliedstaaten freie Hand zu lassen und erst die Frage der Rechtfertigung nachzuprüfen. Es ist Sache der Mitgliedstaaten, in den durch den Vertrag gesetzten Grenzen zu bestimmen, in welchem Umfang sie den Schutz der in Art.36 EWGV geschützten Güter gewährleisten wollen ...
      Die meisten Mitgliedstaaten verfügen auch über eine Gesetzgebung, die darauf abzielt, wertvollen Bestand an Kunstwerken oder Zeugnissen aus früheren Zeiten dem Land zu erhalten, d.h. einer Ausfuhr entgegenzuwirken. Instrumente dieser Politik sind ein absolutes Ausfuhrverbot, ein Vorkaufsrecht zugunsten der staatlichen Museen oder das Erfordernis einer Ausfuhrlizenz ... Nicht gedeckt durch Art.36 EWGV ist dagegen eine Ausfuhrabgabe auf Kulturgüter, wie der EuGH zum italienischen Kulturgutschutzgesetz auf die Klage der Kommission hin entschieden hat (vgl. EuGH, Slg.1968, 634). Da das italienische Gesetz außer der Ausfuhrabgabe auch ein absolutes Ausfuhrverbot, ein Vorkaufsrecht des Staates und das Erfordernis einer Ausfuhrgenehmigung enthält und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften mit ihrer Klage die drei letztgenannten Maßnahmen nicht beanstandet hat, ist von der grundsätzlichen gemeinschaftsrechtlichen Zulässigkeit dieser Maßnahmen auszugehen.
      Wegen der Unschärfe der Begriffe des "nationalen Kulturgutes" und "... von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert" liegt es nahe, mit dem EuGH die Gemeinschaftskontrolle im wesentlichen darauf zu beschränken, ob die Beschränkungen gerechtfertigt sind, d.h. verhältnismäßig (notwendig, geeignet, milde) sind und weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen ...
      Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit liegt Art.36 Satz 2 EWGV zugrunde ... Es ist Sache der zuständigen nationalen Stellen, in jedem Einzelfall darzutun, daß die von ihnen erlassene Regelung erforderlich ist, um die in Art.36 EWGV genannten Rechtsgüter wirksam zu schützen ... Diese Beweislast für die Erforderlichkeit obliegt dem Mitgliedstaat, der sich auf ein Verbot beruft ...
      Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Dabei ist es ... nicht erforderlich, daß die Menge der schützenswerten deutschen Kulturgüter nach den Voraussetzungen des Kulturgutschutzgesetzes kleiner ist als die nach Art.36 Satz 1 EWGV. Denn Art.36 Satz 1 EWGV würde auch dann den Schutz deutschen Kulturbesitzes rechtfertigen, wenn die Menge der schützenswerten Kulturgüter nach beiden Rechtsquellen gleich wäre. Die Erforderlichkeit einer Ausfuhrgenehmigung nach dem deutschen Kulturgutschutzgesetz stellt auch ein notwendiges und geeignetes Mittel dar und ist gegenüber dem absoluten Ausfuhrverbot wie auch dem staatlichen Vorkaufsrecht das mildeste zulässige Mittel. Das Erfordernis einer Ausfuhrgenehmigung stellt ferner keine willkürliche Diskriminierung des Handels dar. Willkürlich ist eine Maßnahme bereits dann nicht, wenn sachliche Erfordernisse für eine unterschiedliche Behandlung sprechen ... Diese unterschiedliche Behandlung in der Sache ist bereits im EWG-Vertrag angelegt. Zwar sind nationale Kulturgüter von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert auch Waren im Sinne von Art.9 EWGV, weil sie Erzeugnisse sind, die einen Geldwert haben und deshalb Gegenstände von Handelsgeschäften sein können (EuGH, Slg.1968, 634 [642]). Sie unterscheiden sich aber sachlich von den übrigen Handelsgütern durch ihre zusätzliche Eigenschaft als nationales Kulturgut. Die konkrete Ausgestaltung des deutschen Kulturgutschutzgesetzes läßt durch die hierarchische Zweiteilung des Verfahrens in Eintragungsverfahren auf der Landesebene und Ausfuhrgenehmigungsverfahren auf der Bundesebene sowie die dabei jeweilige Anhörung eines aus fünf Experten bestehenden Sachverständigenausschusses keinerlei Willkür erkennen.
      Schließlich wird durch das deutsche Kulturgutschutzgesetz auch keine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten vorgenommen, abgesehen davon, daß neben dem Willkürverbot für diesen Mißbrauchstatbestand kaum ein eigenständiger Anwendungsbereich zu erkennen ist ...