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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1842.5. VERORDNUNG (EWG) NR.1612/68

Art.7 Abs.2

Nr.91/1

[a] Ein Anspruch auf Ausbildungsförderung ergibt sich für eine EG-Ausländerin aus Art.7 Abs.2 der Verordnung Nr.1612/68 nur bei einem inhaltlichen, thematischen Zusammenhang zwischen Studium und früherer Berufstätigkeit.

[b] War die EG-Ausländerin zwischen ihrer Berufstätigkeit und der Aufnahme des Studiums arbeitslos, so hat sie den Anspruch auf Ausbildungsförderung nur, wenn sie unfreiwillig arbeitslos geworden und durch die Arbeitsmarktlage zu einer beruflichen Umschulung in einem anderen Berufszweig gezwungen worden ist.

[a] Pursuant to Art.7 (2) of Regulation No.1612/68, a foreign EC national will be entitled to financial support for her university studies only if her studies have a substantive, thematic connection to her earlier employment.

[b] If the foreign EC national was unemployed for a period between her employment and the commencement of her studies, she will be entitled to financial support for her studies only if her unemployment was involuntary or she was forced by the job market to retrain in a new professional field.

Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 4.7.1991 (10 L 5218/91), InfAuslR 1991, 297 (ZaöRV 53 [1993], 428 f.)

Einleitung:

      Die Klägerin, eine französische Staatsangehörige, war in den Jahren 1979 bis 1981 in der Bundesrepublik als Bankangestellte beschäftigt gewesen. Nach Arbeitslosigkeit und Umschulung studierte sie seit 1984 Romanistik und Germanistik. Für dieses Studium erstritt sie in erster Instanz Ausbildungsförderung. Im Berufungsverfahren hob das Oberverwaltungsgericht die verwaltungsgerichtliche Entscheidung auf.

Entscheidungsauszüge:

      Ein Anspruch der Klägerin auf Ausbildungsförderung für ein Hochschulstudium gemäß §8 Abs.3 BAföG i.V.m. Art.7 Abs.2 der Verordnung Nr.1612/68 des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl.L 257, S.2) in der Auslegung, wie sie der EuGH in seinem Urteil vom 21. Juni 1988 - Rechtssache 39/86 (Lair) - (Slg.1988, 3190 ...) der Vorschrift gegeben hat, hängt von der Entscheidung der Frage ab, ob die Gewährung von Ausbildungsförderung als eine soziale Vergünstigung anzusehen ist, die mit der Arbeitnehmereigenschaft zusammenhängt. Der EuGH hat dazu ... im einzelnen ausgeführt (Grund 37), daß im Bereich der Hochschulausbildungsförderung ein solcher Zusammenhang zwischen der Arbeitnehmereigenschaft und einer Förderung, die für den Lebensunterhalt und die Ausbildung zur Durchführung eines Hochschulstudiums gewährt werde, jedoch eine Kontinuität zwischen der zuvor ausgeübten Berufstätigkeit und dem aufgenommenen Studium in dem Sinne voraussetze, daß zwischen dem Gegenstand des Studiums und der früheren Berufstätigkeit ein Zusammenhang bestehen müsse (erste Frage). Eine solche Kontinuität könne allerdings nicht verlangt werden im Falle eines Wanderarbeitnehmers, der unfreiwillig arbeitslos geworden sei und den die Lage auf dem Arbeitsmarkt zu einer beruflichen Umschulung in einem anderen Berufszweig zwinge (zweite Frage).
      Zur ersten Frage hat der EuGH den ... genannten Zusammenhang im Grund 37 Satz 1 dahin konkretisiert, daß zwischen dem 'Gegenstand' des Studiums und der früheren Berufstätigkeit ein Zusammenhang bestehen müsse. Im Urteil vom selben Tage - Rechtssache 197/86 (Brown) (Slg.1988, 3205) hat der EuGH in einem vergleichbaren Fall von Beschäftigungsverhältnis und (Universitäts-) Studium 'im selben Fachbereich' gesprochen (Leitsätze Nr.3 und 4 sowie Gründe Nr.20, 23 und 28). Der deutsche Gesetzgeber hat auf der Grundlage des Urteils des EuGH in der Sache Lair durch das 12.BAföG-Änderungsgesetz vom 22. Mai 1990 (BGBl. I S.936 ...), das am 1. Juli 1990 in Kraft getreten ist, §8 Abs.1 um eine Nr.6 ergänzt, wonach Ausbildungsförderung Auszubildenden geleistet wird, die die Staatsangehörigkeit eines anderen EG-Mitgliedstaates haben und im Geltungsbereich des Gesetzes vor Beginn der Ausbildung in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden haben; zwischen der darin ausgeübten Tätigkeit und dem 'Gegenstand' der Ausbildung muß grundsätzlich ein 'inhaltlicher Zusammenhang' bestehen. Diese Auslegung des Urteils des EuGH durch den deutschen Gesetzgeber gilt auch für die Zeit vor dem 1. Juli 1990, da Art.7 Abs.2 der Verordnung Nr.1612/68 bereits für den hier maßgeblichen Bewilligungszeitraum ab Wintersemester 1984/85 gemäß Art.189 EWG-Vertrag im Mitgliedstaat Bundesrepublik Deutschland unmittelbar geltendes Recht war. Das erkennende Gericht selbst hat auf der Grundlage der Entscheidung des EuGH in seinem Urteil vom 16. März 1989 ... (InfAuslR 1989, 220 ...) einen 'inhaltlichen, thematischen Zusammenhang' gefordert und diesen ... vor allem im Falle einer fach- bzw. branchenspezifischen Weiterbildungsmaßnahme gesehen, bei der sich der Zusammenhang bereits aus den Gegenständen von Berufstätigkeit und Weiterbildung objektiv einleuchtend ergibt. Es hat den gegenständlichen Zusammenhang zwischen einer früheren Berufstätigkeit als Bankkaufmann und einem wirtschaftswissenschaftlichen Fachhochschulstudium angenommen. In der Rechtsprechung zum Unterhalts- und Ausbildungsförderungsrecht ist in den sog. Abitur-Lehre-Studium-Fällen der Begriff des engen 'sachlichen' und zeitlichen 'Zusammenhangs' zwischen den einzelnen Ausbildungsabschnitten Lehre und Studium geprägt und ausgeführt worden, daß praktische Ausbildung und Studium 'derselben Berufssparte' angehören oder jedenfalls so zusammenhängen müssen, daß das eine für das andere eine 'fachliche Ergänzung, Weiterführung oder Vertiefung' oder daß die praktische Ausbildung eine sinnvolle Vorbereitung auf das Studium darstellt ...
      Nach diesen Grundsätzen, denen der jetzt für das Ausbildungsförderungsrecht zuständige erkennende Senat folgt, liegt ... der geforderte gegenständliche Zusammenhang zwischen der früheren Berufstätigkeit der Klägerin als Bankangestellter und dem Studium der Romanistik und Germanistik ... nicht vor. ...
      Selbst wenn ein gegenständlicher Zusammenhang zwischen der früheren Berufstätigkeit und dem Studium der Klägerin - noch - angenommen werden könnte, käme es darauf im vorliegenden Falle jedoch nicht an. Entscheidungserheblich ist nach Auffassung des Senats vielmehr die Beantwortung der zweiten Frage (Grund 37 S.2). Ausgehend von den Bedenken dreier Mitgliedstaaten, die im Verfahren Lair vor dem EuGH geltend gemacht haben, daß eine Person die Arbeitnehmereigenschaft verliere, an die die sozialen Vergünstigungen geknüpft seien, wenn sie im Aufnahmestaat ihre bisherige Berufstätigkeit oder, falls sie arbeitslos ist, die Suche nach einer Beschäftigung aufgebe, um dort eine Vollzeitausbildung aufzunehmen (vgl. EuGH [Lair], Grund 29 Satz 1), erscheint der Grund 37 dieses Urteils in einem anderen Licht. Danach gilt offenbar die Voraussetzung des gegenständlichen Zusammenhangs zwischen früherer Berufstätigkeit und Hochschulstudium nur für den Fall, daß die Berufstätigkeit bis zum Studium ausgeübt worden und wegen des Studiums aufgegeben worden ist ... Das Erfordernis des gegenständlichen Zusammenhangs mit der früheren Berufstätigkeit erscheint insoweit sinnvoll, um auszuschließen, daß über Art.7 Abs.2 der Freizügigkeitsverordnung letztlich ein allgemeines Recht auf Ausbildungsförderung für jedes beliebige Hochschulstudium geltend gemacht wird, das es aber nach Art.7 Abs.1 EWG-Vertrag grundsätzlich nicht gibt (vgl. Leitsatz Nr.1 und Grund 16 EuGH [Lair]). Grund 37 Satz 2 jedoch gilt danach für den Fall, daß die Berufstätigkeit nicht bis zum Studium ausgeübt worden ist, also Arbeitslosigkeit vorliegt. Demnach stehen Satz 1 und 2 des Grundes 37 nicht ... in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis, sondern sie behandeln zwei verschiedene Fallgestaltungen, die einander ausschließen. Da die Klägerin vor Aufnahme ihres Hochschulstudiums zum Wintersemester 1984/85 arbeitslos gewesen ist, kommt nur die zweite Alternative (Grund 37 Satz 2) zur Anwendung. Grund 37 Satz 2 lautet: 'Solche Kontinuität kann allerdings nicht verlangt werden im Falle eines Wanderarbeitnehmers, der unfreiwillig arbeitslos geworden ist und den die Lage auf dem Arbeitsmarkt zu einer beruflichen Umschulung in einem anderen Berufszweig zwingt.'
      Grund 38 erläutert, daß dieses Verständnis der Freizügigkeit der Wanderarbeitnehmer im übrigen einer aktuellen Entwicklung entspreche; kontinuierliche berufliche Laufbahnen seien seltener als früher. Es komme also vor, daß eine Berufstätigkeit durch Zeiten der Ausbildung, der Umschulung oder der Wiedereingliederung unterbrochen werde.
      Vorsorglich ist darauf hinzuweisen, daß auch die zweite Voraussetzung nicht vorliegt, da die Klägerin durch die Lage auf dem Arbeitsmarkt zu einer beruflichen Umschulung in einem anderen Berufszweig nicht gezwungen worden ist.