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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1842.5. VERORDNUNG (EWG) NR.1612/68

Art.12

Nr.87/1

[a] Beim Hochschulzugang haben Kinder von in der Bundesrepublik Deutschland erwerbstätigen EG-Ausländern Anspruch auf Gleichbehandlung mit Deutschen; sie fallen daher nicht unter die Ausländerquote.

[b] Mangels unmittelbarer Anwendbarkeit des Assoziierungsabkommens und des Zusatzprotokolls genießen türkische Staatsangehörige entsprechende Rechte nicht.

[a] Children of EC citizens in gainful employment in the Federal Republic of Germany have an equal right with German citizens to be admitted to public universities. They may thus not be referred to the quota of university places reserved for foreigners.

[b] Turkish citizens do not have equivalent rights because the Association Agreement and Additional Protocol are not directly applicable.

Verwaltungsgericht Frankfurt, Beschluß vom 3.7.1987 (Fa 71 G 464/87 u.a.), InfAuslR 1987, 246 (ZaöRV 48 [1988], 750f.)

Einleitung:

      Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Hochschulzulassung für abgewiesene Bewerber des Faches Humanmedizin beanspruchen ein Niederländer und ein Türke die Inländergleichbehandlung. Das Verwaltungsgericht führt aus, ein Anordnungsanspruch, außerhalb der festgesetzten Studienkapazität zugelassen zu werden, stehe grundsätzlich nur Deutschen zu, da er sich nur aus dem Deutschengrundrecht des Art.12 Abs.1 Satz 1 GG in seiner Funktion als Teilhaberecht ableiten lasse. Der niederländische Bewerber, der sich als Kind von im Inland erwerbstätigen EG-Staatsangehörigen in der Bundesrepublik aufhalte, sei jedoch gleichzubehandeln.

Entscheidungsauszüge:

      Derartigen sogenannten EG-Ausländern steht wie Deutschen ein Anordnungsanspruch zu. Dieser ergibt sich aus Art.12 der Verordnung (EWG) Nr.1612/68 des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 15.10.1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. EWG Nr.L 257/2), wonach sog. EG-Ausländer unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen können. Art.12 der Verordnung (EWG) Nr.1612/68 ist als unmittelbar geltendes Recht gemäß Art.189 EWG-Vertrag zu beachten ...
      Das von diesem Antragsteller angestrebte Studium stellt eine Vorstufe für den Erwerb eines berufsqualifizierenden Abschlusses dar und gehört daher zur Berufsausbildung (... EuGH, Urt. v. 13.2.1985 - Rs.293/83 "Gravier" - in NJW 1985, 2085) auch im Sinne von Art.12 der Verordnung (EWG) Nr.1612/68. Dies folgt bereits aus der Gegenüberstellung von Lehrlings- und Berufsausbildung in dieser Vorschrift. Im übrigen ist kein sachlicher Grund für die Ausklammerung der universitären Berufsausbildung aus dem Regelungsbereich dieser Norm ersichtlich ... Das Gericht teilt nicht die Auffassung ..., daß nur die Ausübung des Studiums selbst und nicht bereits der Zugang zum Studium zur Berufsausbildung i.S.v. Art.12 der Verordnung (EWG) Nr.1612/68 gehört. Dagegen spricht, daß ansonsten der Begriff "teilnehmen" in dieser Vorschrift nur bedeuten würde, daß sog. EG-Ausländer nur während ihrer Berufsausbildung gleiche Rechte und Pflichten wie Deutsche hätten und ihre Ausbildung unter den gleichen Bedingungen ablegen dürften, jedoch den Zugang zu dieser Ausbildung nicht umfassen und insoweit sog. EG-Ausländer vom Gleichbehandlungsgrundsatz ausschließen würde ...
      Dagegen sprechen jedoch die Begründungserwägungen des Rates der Europäischen Gemeinschaften ... Ziel der Verordnung (EWG) Nr.1612/68 ist es danach, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu gewährleisten (1. Erwägung), die auch ein Grundrecht der Familien der Arbeitnehmer darstellt (3. Erwägung). Mit dieser Verordnung sollen alle mobilitätshemmenden Hindernisse beseitigt werden, und zwar insbesondere auch in bezug auf die Bedingungen für die Integration der Familie im Aufnahmeland (5. Erwägung). Für die Integration ist aber auch maßgebend, daß Kinder ausländischer Arbeitnehmer nicht erst im Laufe ihrer Ausbildung wie Deutsche behandelt werden, sondern auch schon zu gleichen Bedingungen ihre Ausbildung aufnehmen können, jedenfalls soweit sie zu einem berufsqualifizierenden Abschluß führt. Daher kann der Begriff "teilnehmen" in Art.12 der Verordnung (EWG) Nr.1612/68 nur umfassend in der Weise zu verstehen sein, daß dieser Antragsteller unter den gleichen Bedingungen wie Deutsche ein Studium aufnehmen können muß ...
      Dieses Ergebnis ergibt sich im übrigen auch aus Art.7 EWG-Vertrag, wonach im Anwendungsbereich des Vertrages jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit anderer Mitgliedstaaten verboten ist. Diesen Grundsatz konkretisierte die Verordnung (EWG) Nr.1612/68. Da der Antragsteller nur einen Anspruch auf Zulassung außerhalb der sog. ZVS-Kapazität gestellt hat, bedarf es keiner Überprüfung, ob die Ausländerquote (§24 Abs.1 Nr.1 VergabeVO) nach der Vergabeverordnung mit europäischem Vertragsrecht vereinbar ist, weil sie (ohne Differenzierung zwischen EG-Ausländern und sonstigen Ausländern) allein an die Staatsangehörigkeit des Bewerbers anknüpft. Die ausschließliche Verweisung eines EG-Ausländers auf die Ausländerquote würde eine Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und damit eine Diskriminierung im Sinne von Art.7 EWG-Vertrag bedeuten ...
      Daher vermag die Rechtsprechung (OVG Berlin, Beschl. v. 15.7.1986 in KMK-HSchR 1986, 1243 und BayVGH, Urt. v. 2.8.1982 in KMK-HSchR 1983, 43) nicht zu überzeugen, die die an sich eintretende Diskriminierung durch Verweisung eines EG-Ausländers auf die sog. Ausländerquote nach der VergabeVO-ZVS deshalb als überwunden ansieht, weil die sog. Ausländerquote ein für den Gleichbehandlungsgrundsatz beachtliches Merkmal für eine sachliche Differenzierung sei. Dagegen spricht, daß die VergabeVO, durch die die Ausländerquote eingeführt wird, für die Vergabe von Studienplätzen außerhalb der ZVS-Kapazität eine derartige Ausländerquote nicht vorsieht, mithin für den vorliegenden Fall keine Aussage enthält. Damit diese Ausländerquote als ein den Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz ausschließendes sachliches Differenzierungsmerkmal anerkannt werden kann, müßte sie in eine quantitative Beziehung zu den als Studienbewerbern in Betracht kommenden EG-Ausländern treten. Vielmehr ist völlig unklar, ob bei einer proportionalen Betrachtungsweise die auf 6% festgesetzte Ausländerquote im gleichen Verhältnis zu den Studienbewerbern aus EG-Ländern steht wie die Zahl der deutschen Studienbewerber zu der übrigen Quote; ebenso ist unklar, ob diese Proportion noch stimmig ist, wenn der Anteil der Nicht-EG-Ausländer an der Ausländerquote berücksichtigt wird. Somit ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, daß die in der Verweisung von EG-Ausländern auf die allgemeine Ausländerquote liegende Diskriminierung aufgrund einleuchtender Sachargumente ausgeräumt werden könnte. Die von den kleineren EG-Mitgliedsländern geltend gemachten und vom OVG Berlin (a.a.O.) für beachtlich gehaltenen Einwände im Sinne einer befürchteten Ausbeutung der eigenen Sozialleistungen durch EG-Ausländer hält das Gericht schon deshalb für unbeachtlich, weil es den Aufenthalt lediglich zu Studienzwecken - ohne gleichzeitige Anbindung an berufstätige Angehörige - nicht als von Art.12 der Verordnung (EWG) Nr.1612/68 privilegiert ansieht. Gegen eine solchermaßen befürchtete Ausbeutung spricht überdies, daß z.B. zusätzliche Anforderungen an Sprachkenntnisse (vgl. §35 Abs.8 S.3 HHG) oder die Auswirkungen im Ausland erworbener Hochschulzugangsberechtigungen auf den Hochschulzugang (vgl. §35 Abs.7 S.1, Abs.8 HHG) restriktiv wirken ...
      Eine unterschiedliche Behandlung von EG-Ausländern und Deutschen bei der Zulassung zu medizinischen Studiengängen kann allgemein auch nicht damit gerechtfertigt werden, daß nach Art.48 und Art.56 EWG-Vertrag die Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Gesundheit beschränkt werden kann. Zum einen ist die Zulassung im Rahmen der Ausländerquote nicht auf die medizinischen Studiengänge beschränkt, sondern unabhängig von dem jeweils angestrebten Studiengang auf den gesamten Anwendungsbereich der VergabeVO erstreckt (§1, §45 Abs.1 VergabeVO). Zum anderen soll aufgrund Art.48 und Art.56 EWG-Vertrag nicht der Gesundheitsbereich insgesamt von der Anwendung der Grundzüge der Freizügigkeit ausgenommen werden können, sondern nur eine Beschränkung der Einreise und des Aufenthalts von Personen möglich sein, die für sich allein eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellen ...
      Hingegen hat der Antragsteller Nr.350 als türkischer Staatsangehöriger keinen vergleichbaren Anordnungsanspruch, obwohl er Sohn von seit 1974 bzw. 1978 in der Bundesrepublik Deutschland erwerbstätigen türkischen Arbeitnehmern ist und eine deutsche Hochschulzugangsberechtigung besitzt ...
      Die Rechte aus Art.12 der Verordnung (EWG) Nr.1612/68 stehen ihm nicht zu, da die Türkei nicht Mitglied der Europäischen Gemeinschaft, sondern nur assoziiert ist. Die EG-Bestimmungen über die Arbeitnehmerfreizügigkeit und damit Art.12 der Verordnung (EWG) Nr.1612/68 gelten aufgrund der Assoziierungsvereinbarungen mit der Türkei (bisher noch) nicht für türkische Arbeitnehmer und deren Angehörige ... Nach Art.12 des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12.9.1963 (BGBl.1964 II S.509, 1959) haben die Vertragsparteien vereinbart, sich von den Artikeln 48 bis 50 EWG-Vertrag leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen. Nach Art.36 des Zusatzprotokolls zu diesem Abkommen vom 23.11.1970 (BGBl.1972 II S.385/1973 II S.113) soll die Freizügigkeit nach den Grundsätzen des Art.12 des Assoziierungsabkommens bis zum 1. Dezember 1986 schrittweise nach dazu von einem Assoziationsrat festgelegten Regeln hergestellt werden. Nach Kapitel II, Abschnitt 1, Artikel 9 des Beschlusses Nr.1/80 des Assoziationsrates über die Entwicklung der Assoziation (abgedruckt in InfAuslR 1982, 33ff.) werden türkische Kinder, die in einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft ordnungsgemäß bei ihren Eltern wohnen, welche dort ordnungsgemäß beschäftigt sind oder waren, unter Zugrundelegung derselben Qualifikation wie die Kinder von Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaates zum allgemeinen Schulunterricht, zur Lehrlingsausbildung und zur beruflichen Ausbildung zugelassen.
      Assoziierungsabkommen, Zusatzprotokoll und Assoziationsratsbeschluß verleihen diesem Antragsteller jedoch nicht die Rechte aus Art.12 der Verordnung (EWG) Nr.1612/68 und führen nicht zu einer Gleichstellung mit deutschen Studienbewerbern.
      Kapitel II, Abschnitt 1, Artikel 9 des Beschlusses Nr.1/80 des Assoziationsrates ist nicht in der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar gültiges Recht. Zwar handelt es sich dabei um völkerrechtlich verbindliche Beschlüsse; diese bedürfen aber noch der Transformation in innerstaatliches Recht. Denn nach Art.36 des Zusatzprotokolls (s.o.) soll die schrittweise Herstellung der Freizügigkeit durch Beschlüsse des Assoziationsrates erfolgen. Dieser Assoziationsrat besteht nach Art.23 des Assoziierungsabkommens aus Mitgliedern der Regierungen der Mitgliedstaaten, des Rates und der Kommission der Gemeinschaft einerseits und Mitgliedern der türkischen Regierung andererseits; er kann nur einstimmige Beschlüsse fassen. Nach Art.22 Abs.2 des Assoziierungsabkommens kann der Assoziierungsrat nur zweckdienliche Empfehlungen zur Durchführung seiner Beschlüsse geben. Daraus folgt, daß die Beschlüsse des Assoziationsrates im Gegensatz zu Rechtsakten der EG-Organe (vgl. Art.189 EWG-Vertrag) nicht in den Rechtsordnungen der EG-Mitgliedstaaten unmittelbar gültig und anwendbar sind. Dafür spricht zudem, daß Art.2, 3 und 25 Abs.3 des Assoziierungsabkommens - um die Autonomie der EG-Mitgliedstaaten zu wahren - ausdrücklich - getrennt nach Zuständigkeit der EG-Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft - weitere Durchführungs- und Vollzugsmaßnahmen für die Anwendung der Beschlüsse und Empfehlungen des Assoziationsrates vorsehen ...
      Die Rechte aus Art.12 der Verordnung (EWG) Nr.1612/68 ergeben sich für diesen Antragsteller auch nicht unmittelbar aus Art.12 des Assoziierungsabkommens und Art.36 des Zusatzprotokolls, da diese Vertragsvorschriften - wie gerade Kapitel II, Abschnitt 1, Artikel 9 des Beschlusses Nr.1/80 des Assoziationsrates zeigt - nicht unbedingt und hinreichend konkretisiert sind. Nach Art.12 des Assoziierungsabkommens ist nur vereinbart worden, sich bei Herstellung der Freizügigkeit von Art.48 bis [50] EWG-Vertrag "leiten zu lassen". Art.36 des Zusatzprotokolls kennzeichnet die übernommenen Verpflichtungen - abweichend von dem am 9.7.1961 mit Griechenland geschlossenen Assoziierungsabkommen (BGBl.1962 II, S.1141) - nur als "Grundsätze". Nach völkerrechtlicher Beurteilung ... wird aber eine völkerrechtliche Vereinbarung in innerstaatliches, Rechte und Pflichten des Einzelnen begründendes Recht nur transformiert, wenn sie sich nach Wortlaut, Zweck und Inhalt zur unmittelbaren Anwendung eignet, was hier wegen der genannten Unbestimmtheit nicht der Fall ist ...
      Eine Einholung einer Vorabentscheidung nach Art.177 Abs.3 EWG-Vertrag hält die erkennende Kammer im Rahmen des Eilverfahrens wegen der Eilbedürftigkeit nicht für angezeigt. Überdies sind Fragen der Auslegung des Assoziierungsabkommens im Verhältnis zu den EG-Freizügigkeitsregelungen bereits Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens des Verwaltungsgerichts Stuttgart ... an den Europäischen Gerichtshof ..., so daß von dort in absehbarer Zeit weitere Klärung zu erwarten ist.

Hinweis:

      Abweichend zur unmittelbaren Wirkung des Assoziationsratsbeschlusses Nr.1/80 jetzt EuGH, Urteil vom 20.9.1990 (Rs.C-192/89 - Sevince), Slg.1990, S.I-3461; Urteil vom 16.12.1992 (Rs.C-237/91 - Kus), EuZW 1993, 96.