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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1842.60. ASSOZIIERUNGSABKOMMEN MIT DER TÜRKEI

Nr.86/1

Aus Beschlüssen des Assoziationsrats, die auf der Grundlage des Assoziierungsabkommens EWG-Türkei von 1963 und des Zusatzprotokolls von 1970 ergehen, können türkische Staatsangehörige keine in der deutschen Rechtsordnung unmittelbar wirkenden Rechte herleiten.

Turkish nationals cannot derive rights which have direct effect in the German legal order from decisions taken by the Association Council under the Agreement of Association between the EEC and Turkey of 1963 and the Additional Protocol of 1970.

Bundessozialgericht, Urteil vom 9.9.1986 (7 RAr 67/85), BSGE 60, 230 (ZaöRV 48 [1988], 81)

Einleitung:

      Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, der erstmals 1965 in die Bundesrepublik eingereist ist, erstrebt eine unbeschränkte Arbeitserlaubnis. Den 1982 gestellten Antrag lehnte die Beklagte ab, u.a. weil der Kläger nicht ununterbrochen in den letzten 4 bzw. 5 Jahren unselbständig erlaubt in der Bundesrepublik tätig gewesen sei. Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Mit der Revision machte der Kläger u.a. geltend, die begehrte Arbeitserlaubnis stehe ihm nach Art.6 des Beschlusses Nr.1/80 des Rates der Assoziation zwischen der EWG und der Türkei zu. Es genügten 4 Jahre ordnungsgemäßer, unselbständiger Beschäftigung. Die Beschäftigung brauche nicht ununterbrochen zu sein. Das BSG wies die Revision des Kl. als unbegründet zurück.

Entscheidungsauszüge:

      Auch nach Maßgabe besonderen, für türkische Arbeitnehmer geltenden Arbeitserlaubnisrechts hat der Kläger keinen Anspruch auf eine Arbeitserlaubnis unabhängig von Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes.
      Das Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik vom 12.1.1927 (RGBl.II S.76 und 454; BGBl. 1952 II S.608) enthält keine entsprechende Anspruchsgrundlage. Nach Art.4 dieses Abkommens haben die Staatsangehörigen jedes vertragsschließenden Teils auf dem Gebiet des anderen Teils zwar das Recht, jede Art von Industrie und Handel zu betreiben und jede Erwerbstätigkeit und jeden Beruf auszuüben; indessen stehen diese Befugnisse unter der Einschränkung, daß die Landesgesetze und Verordnungen zu beachten sind und dieses Recht nicht Platz greift, soweit Industrie, Handel, Erwerbstätigkeiten und Berufe den eigenen Staatsangehörigen vorbehalten sind. Eine entsprechende Vorbehaltsregelung enthält jedoch §19 AFG, durch den grundsätzlich Arbeitnehmer, die nicht Deutsche sind, zum deutschen Arbeitsmarkt nur zugelassen werden, wenn der Vorrang der Deutschen beachtet worden ist. Es stellt sich daher nicht die Frage, ob der später als das Gesetz über den deutsch-türkischen Handelsvertrag und das deutsch-türkische Niederlassungsabkommen vom 15.3.1927 (RGBl.II S.53) erlassene §19 AFG als das jüngere Gesetz in seinem Anwendungsbereich Art.4 des Niederlassungsabkommens außer Kraft gesetzt hat, weil nach dem Wortlaut des §19 Abs.3 AFG zwar Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaften und §17 Abs.1 des Gesetzes über die Rechtsstellung heimatloser Ausländer, nicht aber abweichende Bestimmungen in völkerrechtlichen Verträgen unberührt bleiben.
      Ebenso lassen sich aus dem Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der EWG und der Türkei von 1963 und dem Zusatzprotokoll für die Übergangsphase der Assoziation von 1970 keine unmittelbaren Rechtsansprüche türkischer Staatsangehöriger auf eine Arbeitserlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland ableiten.
      Das Assoziationsvertragswerk ist nicht nur von den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft, sondern auch von der EWG selbst abgeschlossen worden. Ein solcher Abschluß als "gemischtes Abkommen" hat zur Folge, daß den Bestimmungen des Vertragswerkes innerhalb eines Mitgliedstaates nicht nur als jeweiliges nationales, sondern auch als gegebenenfalls gleichlautendes Gemeinschaftsrecht Geltungskraft zukommen kann; denn ein von der EWG abgeschlossenes Assoziierungsabkommen ist kraft dessen Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung (vgl. EuGHE 1974, 449, 460), und das Zusatzprotokoll hat der Rat durch Verordnung (EWG) Nr.2760/72 vom 19.12.1972 (ABlEG L 293/1) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt, die in allen ihren Teilen verbindlich ist und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gilt. Im vorliegenden Falle kann dahinstehen, ob die hier einschlägigen Bestimmungen des Assoziationsvertragswerkes über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer dem vorrangigen Gemeinschaftsrecht angehören oder dies etwa deshalb nicht der Fall ist, weil der Gemeinschaft für die Gewährung der Freizügigkeit an Angehörige dritter Staaten keine Kompetenz zusteht, vielmehr die Freizügigkeitsverpflichtungen allein die Mitgliedstaaten treffen und Rang und Wirkung des Assoziationsvertragswerkes insoweit nur nach den allgemeinen Grundsätzen über die Wirkungsweise völkerrechtlicher Verträge im nationalen Recht zu beurteilen sind ... Kraft Gemeinschaftsrechts könnte dem Kläger ein Rechtsanspruch nämlich nur zustehen, wenn das Assoziationsvertragswerk selbst ein Recht türkischer Staatsangehöriger begründet hätte, sich vor Gericht auf das Abkommen zu berufen, um Freizügigkeit im Rechtsraum der EWG bzw. im Rechtsraum eines Mitgliedstaates geltend zu machen. Das ist jedoch nicht der Fall.
      Die aufgeworfene Frage, für deren Beantwortung auf Wortlaut, Sinn und Aufbau des Vertragswerkes abzustellen ist, wäre zu bejahen, wenn klare, eindeutige und inhaltlich bestimmte Verpflichtungen bestünden, deren Erfüllung und Wirkung nicht von weiteren Rechtsakten abhängig wären, insbesondere weder einem ausdrücklichen noch einem stillschweigenden Vorbehalt der Gemeinschaft oder eines Mitgliedstaates unterlägen (vgl. EuGHE 1972, 1219, 1228 f.; 1976, 129, 141; 1982, 1331, 1350). Davon kann jedoch keine Rede sein, jedenfalls nicht für die hier allein maßgebende Rechtslage vor dem 1.12.1986, d.h. vor dem Ende des 22. Jahres nach dem Inkrafttreten des Abkommens, bis zu dem nach dem Wortlaut des Art.36 Abs.1 des Zusatzprotokolls die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und der Türkei hergestellt wird ... Eine Abrede, in der lediglich eine Regelung in Aussicht gestellt wird und von vornherein mehrere unterschiedliche Regelungen denkbar sind, die der Abrede entsprechen, genügt den Bestimmtheitsanforderungen nicht. So aber liegen die Dinge hinsichtlich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Assoziation.
      In Art.12 des Assoziationsabkommens haben die Vertragsparteien lediglich vereinbart, sich von den Art.48, 49 und 50 des Vertrages zur Gründung der EWG leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen. Damit ist weder etwas letztlich Verbindliches über die vorzunehmenden Schritte noch darüber gesagt, wie die innerhalb der Assoziation zu gewährende Freizügigkeit schließlich aussehen wird. Auch das Zusatzprotokoll hat diese Fragen keiner endgültigen Lösung zugeführt. Art.36 Abs.1 des Zusatzprotokolls enthält lediglich einen Zeitplan, demzufolge die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und der Türkei nach den Grundsätzen des Art.12 des Assoziationsabkommens zwischen dem Ende des 12. und des 22. Jahres nach dem Inkrafttreten des Abkommens schrittweise hergestellt wird. Die hierfür erforderlichen Regeln enthält das Zusatzprotokoll nicht, diese legt nach Art.36 Abs.2 des Zusatzprotokolls vielmehr der Assoziationsrat fest. Daß das die Assoziation begründende Vertragswerk sich letztlich jeglicher verbindlicher Regelung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer enthalten hat, erhellt schließlich Art.38 des Zusatzprotokolls. Nach dieser Vorschrift kann nämlich der Assoziationsrat bis zur schrittweisen Herstellung der Freizügigkeit alle Fragen im Zusammenhang mit der geographischen und beruflichen Mobilität der Arbeitnehmer türkischer Staatsangehörigkeit, insbesondere die Verlängerung der Gültigkeitsdauer der Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen prüfen, um die Beschäftigung dieser Arbeitnehmer in jedem Mitgliedstaat zu erleichtern, und zu diesem Zweck Empfehlungen in die Mitgliedstaaten richten.
      Die die Freizügigkeit betreffenden Artikel der genannten Verträge berechtigen damit offensichtlich nicht die Gemeinschaftsangehörigen bzw. die Staatsangehörigen der Türkei. Angesichts dieses eindeutigen Befundes stellt sich nicht die Frage, ob der Senat ein die Auslegung der die Freizügigkeit betreffenden Bestimmungen des Assoziationsvertragswerkes berührendes Rechtsproblem dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art.177 des Vertrages zur Gründung der EWG vom 25.3.1957 -EWGVtr- ... vorlegen dürfte bzw. müßte ...
      Aus den gleichen Erwägungen kann ein Rechtsanspruch eines türkischen Arbeitnehmers auf Freizügigkeit innerhalb der Bundesrepublik Deutschland nicht aus dem Umstand abgeleitet werden, daß die für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften dem Abkommen durch Gesetz vom 13.5.1964 (BGBl.II S.509) und dem Zusatzprotokoll durch Gesetz vom 19.5.1972 (BGBl.II S.385) die nach Art.59 Abs.2 GG erforderliche Zustimmung gegeben haben. Zwar erschöpft sich die rechtliche Bedeutung solcher Zustimmungsgesetze nicht darin, daß von ihrem Erlaß das verfassungsgemäße Zustandekommen des völkerrechtlichen Vertrages abhängt; Gesetze dieser Art transformieren vielmehr zugleich den Inhalt des völkerrechtlichen Vertrages in innerstaatliches Recht, indem sie ihn sowohl für die staatlichen Organe als auch für den innerstaatlichen Rechtsunterworfenen verbindlich machen. Indessen können durch ein Zustimmungsgesetz nur solche völkerrechtlichen Vertragsbestimmungen in unmittelbar anwendbares Recht umgesetzt werden, die alle Attribute aufweisen, die einem Gesetz nach innerstaatlichem Recht anhaften müssen, um Ansprüche und diesen Ansprüchen entsprechende Verpflichtungen zu begründen. Die völkerrechtliche Vertragsbestimmung muß deshalb nach Wortlaut, Zweck und Inhalt geeignet sein, wie eine innerstaatliche Gesetzesvorschrift rechtliche Wirkungen auszulösen ..., woran es hier fehlt.
      Das Assoziationsabkommen und das Zusatzprotokoll mögen völkerrechtliche Rechte und Verpflichtungen für die Vertragsparteien, d.h. einerseits die Republik Türkei und andererseits die Gemeinschaft sowie die Mitgliedstaaten oder aber entweder die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft allein (vgl. dazu die auslegende Erklärung zur Bestimmung des Begriffs "Vertragsparteien" im Assoziationsabkommen, BGBl. 1964 II S.552) geschaffen haben, das Arbeitserlaubnisrecht von einem gewissen Zeitpunkt an in bestimmter Weise zu gestalten. Ein Rechtsanspruch des einzelnen türkischen Staatsangehörigen auf Erteilung einer entsprechenden Arbeitserlaubnis ist jedoch hierdurch nicht begründet worden ...
      Schließlich kann ein Rechtsanspruch eines türkischen Staatsangehörigen auf eine Arbeitserlaubnis unabhängig von Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes auch nicht aus den in den Anlagen zu den Runderlassen der Beklagten vom 15.7.1977 (ANBA 1977, 1089) und vom 24.11.1980 (ANBA 1981, 2) auszugsweise abgedruckten Beschlüssen des Assoziationsrates Nr.2/76 und Nr.1/80 vom 19.9.1980 abgeleitet werden. Insoweit fehlt es schon am Rechtsanwendungsbefehl eines für den Rechtsraum der EWG bzw. den Rechtsraum der Bundesrepublik Deutschland zuständigen Normgebers; denn weder hat die Gemeinschaft eine die ergangenen Beschlüsse in sekundäres Gemeinschaftsrecht umsetzende Verordnung erlassen noch haben die für die Gesetz- und Verordnungsgebung nach dem GG berufenen Körperschaften die getroffenen Regelungen in Bundesrecht transformiert. Eine Umwandlung der aus den Assoziationsratsbeschlüssen folgenden völkerrechtlichen Verpflichtungen der Gemeinschaft bzw. einzelner Mitgliedstaaten in Gemeinschafts- bzw. Bundesrecht wäre indes zur Annahme eines Rechtsanspruchs erforderlich; denn anders als den Verordnungen der EWG kommt den Beschlüssen des Assoziationsrates nicht die Wirkung zu, daß ihr Inhalt unmittelbar in jedem der Rechtsräume der an der Assoziation beteiligten VöIkerrechtssubjekte gilt.
      Die Qualität unmittelbar anwendbaren, innerhalb des Rechtsraumes der Assoziation geltenden Rechts könnte Beschlüssen des Assoziationsrates nur dann zukommen, wenn die Bundesrepublik durch die gemäß Art.59 Abs.2 GG ergangenen Gesetze zum Assoziationsabkommen und zum Zusatzprotokoll die Assoziation gemäß Art.24 Abs.1 GG ermächtigt hätte, mit unmittelbarer Wirkung im Inland Recht zu setzen, bzw. die EWG durch den Abschluß der beiden Vertragswerke Entsprechendes bewirkt hätte. Indessen kann ausweislich des Vertragswerkes von einer solchen Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen an die Assoziation keine Rede sein. Hinsichtlich der Verbindlichkeit der Beschlüsse des Assoziationsrates für die Vertragsparteien dürfte freilich zu unterscheiden sein, ob die Beschlüsse nur Empfehlungen enthalten (Art.22 Abs.1 Satz 3 Assoziationsabkommen), in Sonderheit, wenn ein gemeinsames Tätigwerden der Vertragsparteien erforderlich erscheint, die hierfür erforderlichen Befugnisse in dem Abkommen jedoch nicht vorgesehen sind (Art.22 Abs.3 Assoziationsabkommen), oder ob dem Assoziationsrat auch das Recht eingeräumt worden ist, Bestimmungen zu treffen (vgl. Art.8 Assoziationsabkommen). Was die Durchführung der Beschlüsse angeht, sieht Art.22 Abs.1 Satz 2 Assoziationsabkommen lediglich vor, daß jede der beiden Parteien verpflichtet ist, die zur Durchführung der Beschlüsse erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Eine Vorschrift, nach der Beschlüsse allgemein oder auf bestimmten Gebieten unmittelbar innerhalb des Rechtsraumes jeder Vertragspartei gelten, wie sie etwa Art.189 Abs.2 EWGVtr vorsieht, fehlt. Folgerichtig fehlt es auch an einer Regelung, daß und wo die Beschlüsse zur Begründung ihrer Geltungskraft für die Rechtsunterworfenen der Vertragsparteien zu veröffentlichen sind.
      Daß den Beschlüssen des Assoziationsrates keine unmittelbare Geltung im Rechtsraum der Gemeinschaft bzw. eines Mitgliedstaates zukommen sollte, ergibt sich schließlich aus dem Abkommen vom 12.9.1963, das die im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten der EWG über die zur Durchführung des Assoziationsabkommens zu treffenden Maßnahmen und die dabei anzuwendenden Verfahren geschlossen haben (BGBl. 1964 II S.558). Dieses Abkommen geht nämlich davon aus, daß Beschlüsse und Empfehlungen des Assoziationsrates zu ihrer Anwendbarkeit innerhalb der EWG bzw. innerhalb der Mitgliedstaaten weiterer Maßnahmen bedürfen. Art.2 des Abkommens sieht daher vor, daß die Anwendbarkeit der Beschlüsse und Empfehlungen des Assoziationsrates, die zur Zuständigkeit der EWG gehören, vom Rat nach Stellungnahme der Kommission ausgesprochen wird, während dann, wenn die Beschlüsse und Empfehlungen des Assoziationsrates ein Gebiet betreffen, das nicht zur Zuständigkeit der EWG gehört, die Mitgliedstaaten die für die Anwendung erforderlichen Maßnahmen treffen.
      Auch die Beschlüsse des Assoziationsrates richten sich somit an die Vertragsparteien als Völkerrechtssubjekte und nicht an die Staats- bzw. Gemeinschaftsangehörigen der Vertragsparteien. Entgegen der in dem Urteil des LSG Bremen vom 21.6.1984 - L 5 Ar 7/84 - (Informationsbrief Ausländerrecht 1985, 171) vertretenen Auffassung hat auch das Zusatzprotokoll darin keine Veränderungen gebracht. Zwar dürfte Art.36 des Zusatzprotokolls die Befugnisse des Assoziationsrates erweitert haben. Nach Art.36 Abs.2 des Zusatzprotokolls legt nämlich der Assoziationsrat die Regeln fest, die für die schrittweise Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und der Türkei erforderlich sind, die nach Art.36 Abs.1 des Zusatzprotokolls nach den Grundsätzen des Art.12 des Assoziationsabkommens zwischen dem Ende des 12. und dem Ende des 22. Jahres nach dem Inkrafttreten des Assoziierungsabkommens hergestellt wird. Indessen folgt daraus lediglich, daß der Assoziationsrat nunmehr auch hinsichtlich der Freizügigkeit Regeln festlegen kann, das besagt jedoch nichts über die innerstaatliche bzw. innergemeinschaftliche unmittelbare Wirkung solcher Bestimmungen. Es gilt deshalb nach wie vor, daß Beschlüsse des Assoziationsrates nicht unmittelbar im europäischen Gemeinschaftsraum oder im Rechtsraum der Mitgliedstaaten gelten; sie bedürfen vielmehr einer Umwandlung durch Akte der EWG oder des einzelnen Mitgliedstaates ...
      Gegen die unmittelbare Anwendbarkeit der auf dem Gebiete der Freizügigkeit bisher ergangenen Beschlüsse Nr.2/76 und 1/80 sprechen im übrigen diese selbst. Abgesehen davon, daß keiner dieser Beschlüsse zur Begründung einer allgemeinen Geltungskraft für alle Angehörigen der assoziierten Staaten veröffentlicht worden ist, sehen beide Beschlüsse ausdrücklich in ihren Schlußbestimmungen vor, daß die Vertragsparteien jeweils für ihren Bereich die zur Durchführung der Beschlüsse erforderlichen Maßnahmen treffen (Art.12 Beschluß Nr.2/76, vgl. ANBA 1977, 1091; Art.29 Beschluß Nr.1/80, insoweit in der Anl. zum RdErl vom 24.11.1980, ANBA 1981, 2 nicht abgedruckt). Hinzu kommt, daß beide Beschlüsse die Festlegung der Einzelheiten der Vorschriften über den verbesserten Zugang eines türkischen Arbeitnehmers zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats, dem der Arbeitnehmer schon angehört, ausdrücklich einzelstaatlichen Vorschriften überlassen (Art.2 Abs.3 Beschluß Nr.2/76; Art.6 Abs.3 Beschluß Nr1/80) und den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft die Möglichkeit eröffnen, von der Anwendung dieser Vorschriften abzusehen, wenn der Arbeitsmarkt Störungen ausgesetzt oder von Störungen bestimmter Art bedroht ist (Art.6 Beschluß Nr.2/76, Art.12 Beschluß Nr.1/80). Im übrigen bedürfen die Beschlüsse schon angesichts der von ihnen verwendeten mehrdeutigen Begriffe (z.B. freier Zugang, kurzfristige Abwesenheit wegen Krankheit/Abwesenheit wegen langer Krankheit, unverschuldete Arbeitslosigkeit, Familienangehöriger, Kinder) einer präzisierenden Umwandlung, um innerhalb der EWG bzw. innerhalb der Mitgliedstaaten rechtsstaatlich angewandt werden zu können.
      Folgt hieraus, daß in Ermangelung anwendbaren Gemeinschafts- bzw. Bundesrechts dem türkischen Staatsangehörigen grundsätzlich keine gerichtlich durchsetzbaren Ansprüche auf die Maßnahmen zustehen, die die Assoziationsratsbeschlüsse auch für den deutschen Arbeitsmarkt vorgesehen haben, so kann der türkische Staatsangehörige gleichwohl einen Anspruch auf eine unbeschränkte Arbeitserlaubnis unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung (Art.3 GG) haben, wenn und soweit die Beklagte, um durch die Assoziation begründete Verpflichtungen der EWG bzw. der Bundesrepublik Deutschland zu erfüllen, türkischen Arbeitnehmern Arbeitserlaubnisse erteilt, obwohl nach Maßgabe des allgemeinen, für alle nichtdeutschen Arbeitnehmer geltenden bundesdeutschen Arbeitserlaubnisrechts eine Erlaubnis nicht erteilt werden kann. Das ist dann der Fall, wenn ihm eine Arbeitserlaubnis verweigert wird, die die Beklagte bei im übrigen gleichen Umständen anderen türkischen Arbeitnehmern zu erteilen pflegt. [Dies verneint das BSG.]

Hinweis:

      Die unmittelbare Anwendbarkeit von Regelungen der Assoziationsratsbeschlüsse Nr.2/76 und Nr.1/80 wird demgegenüber bejaht von EuGH, Urteil vom 20.9.1990 (Rs. C-192/89 - Sevince), Slg.1990, I-3461; Urteil vom 16.12.1992 (Rs. C-237/91 - Kus), Slg.1992, I-6781; Urteil vom 5.10.1994, DVBl. 1994, 1402.