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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1842.60. ASSOZIIERUNGSABKOMMEN MIT DER TÜRKEI

Nr.87/1

[a] Das Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und der Türkei gibt keinen Einwanderungsanspruch.

[b] Das Assoziierungsabkommen und das Zusatzprotokoll zwischen der EWG und der Türkei sind innerstaatlich nicht unmittelbar anwendbar, so daß türkische Staatsangehörige daraus kein Aufenthaltsrecht ableiten können.

[a] The Treaty concerning Establishment between the German Reich and Turkey does not create a right of immigration.

[b] The Association Agreement and the Additional Protocol between the EEC and Turkey are not directly applicable in Germany, so Turkish citizens cannot derive a right of abode therefrom.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27.10.1987 (1 C 19.85), BVerwGE 78, 192 (ZaöRV 48 [1988], 753 f.)

Einleitung:

      Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, begehrt die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis, die ihn zur unselbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt. Die beklagte Stadt lehnte den Antrag ab und drohte unter Fristsetzung die Abschiebung an. Seine Klage blieb (abgesehen von der Abschiebungsandrohung) erfolglos.

Entscheidungsauszüge:

      2. ... a) Das Niederlassungsabkommen zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik vom 12. Januar 1927 (RGBl.II S.76, 454/BGBl.1952 II S.608) - NAK -, ... engt das Ermessen der Beklagten nicht ein. Art.2 Satz 3 NAK gewährleistet türkischen Staatsangehörigen die Freiheit der Einreise und Niederlassung nur vorbehaltlich der nationalen Einwanderungsbestimmungen. Zu diesen Bestimmungen gehören die Vorschriften der §§2, 7 AuslG über die Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Die Ausländerbehörden sind folglich durch das Abkommen nicht gehindert, im Wege der Nichtverlängerung einer Aufenthaltserlaubnis Einwanderungen entgegenzutreten ... Art.4 NAK führt zu keinem anderen Ergebnis. Nach dieser Vorschrift sind die Staatsangehörigen der Vertragsstaaten berechtigt, im Gebiet des jeweils anderen Vertragsstaates jede Art von Industrie und Handel zu betreiben, sowie jede Erwerbstätigkeit und jeden Beruf auszuüben, soweit diese nicht den Deutschen vorbehalten sind. Diese Regelung ist berufsrechtlicher Art und setzt voraus, daß sich der Ausländer zu der von ihm beabsichtigten Tätigkeit im Bundesgebiet aufhalten darf. Sie schränkt deswegen das nach nationalem Recht für die Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bestehende behördliche Ermessen nicht ein. Sie wirkt als Ausdruck eines der Vertragszwecke lediglich dahin, daß türkische Staatsangehörige nicht generell von Erwerbstätigkeiten im Bundesgebiet aufenthaltsrechtlich ausgeschlossen werden dürfen, was auch nicht geschieht. Das alles entspricht ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. z.B. BVerwGE ... 74, 165 [166, 168]).
      b) Rechtsfehlerfrei ist ferner die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, daß die hier einschlägigen Vorschriften des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12. September 1963 (BGBl.1964 II S.509, 1959) und des Zusatzprotokolls zu diesem Abkommen für die Übergangsphase der Assoziation vom 23. November 1970 (BGBl.1972 II S.385/1973 II S.113) auf das innerstaatliche Aufenthaltsrecht nicht unmittelbar einwirken. Nach Art.12 des Abkommens haben die Vertragsparteien vereinbart, sich von den Art.48, 49 und 50 des EWG-Vertrages leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen. Nach Art.36 des Zusatzprotokolls wird die Freizügigkeit nach den Grundsätzen des Art.12 des Abkommens bis zum Ende des 22. Jahres nach dem Inkrafttreten des Abkommens schrittweise hergestellt; die hierfür erforderlichen Regeln legt der Assoziationsrat fest. Diese Vorschriften begründen keinen Anspruch auf Aufenthalt zur Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Sie sind ihrem Inhalt nach nicht unbedingt und genügend bestimmt, um innerstaatlich unmittelbar anwendbar zu sein. Fehlt es an diesen Voraussetzungen der unmittelbaren Anwendbarkeit, hat auch der während des Revisionsverfahrens eingetretene Ablauf der für die Herstellung der Arbeitnehmerfreizügigkeit vorgesehenen Zeitspanne nicht bewirkt, daß die Arbeitnehmerfreizügigkeit ohne weiteres in Kraft getreten und innerstaatlich zugunsten türkischer Staatsangehöriger unmittelbar anwendbar ist. Das hat der erkennende Senat in seinen Beschlüssen vom 20. Februar 1987 - BVerwG 1 A 93 und 94.86 - (Buchholz 402.24 § 7 AuslG Nr.26) bereits ausgesprochen (vgl. auch BSGE 60, 230 [232 ff.]). Der Europäische Gerichtshof vertritt dieselbe Auffassung. In seinem Urteil vom 30. September 1987 (Rs.12/86) hat er ausgeführt, daß Art.12 des Abkommens und Art.36 des Zusatzprotokolls im wesentlichen Programmcharakter haben und die Freizügigkeit der Arbeitnehmer nicht unmittelbar regeln; sie sind demgemäß keine in den innerstaatlichen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften unmittelbar anwendbaren gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften. Danach kommt in diesem Zusammenhang auch eine Anrufung des Europäischen Gerichtshofs nicht in Betracht. Ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art.177 Abs.3 EWG-Vertrag scheidet dem Zweck dieses Verfahrens entsprechend aus, wenn der Europäische Gerichtshof die in Rede stehende Rechtsfrage bereits geklärt hat und das nationale Gericht ihm in seiner Rechtsauffassung folgt (EuGHE 1982, 3415 [3429]). Anderes mag gelten, wenn sich neue Gesichtspunkte ergeben, die Zweifel begründen, ob der Europäische Gerichtshof bei erneuter Befassung mit der Rechtsfrage an seiner Rechtsprechung festhält. Dafür liegt jedoch hier nichts vor.
      c) Der Kläger kann auch aus dem Assoziationsratsbeschluß Nr.1/80..., auf dessen Art.6 er sich beruft, nichts für sich herleiten. Der Beschluß vermittelt türkischen Staatsangehörigen kein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland.
      aa) In Übereinstimmung mit der im Schrifttum herschenden Ansicht ... ist dem Berufungsgericht darin zuzustimmen, daß Assoziationsratsbeschlüsse der Umsetzung in innerstaatlich unmittelbar anwendbares Recht bedürfen, um Rechte zugunsten einzelner zu begründen. Das Vertragswerk für die Assoziation räumt dem Assoziationsrat nicht die Befugnis ein, in den Vertragsstaaten unmittelbar anwendbares Recht zu setzen. Es geht vielmehr in Art.22 Abs.1 Satz 2 des Abkommens und Art.2 des gemeinschaftsinternen Abkommens über die zur Durchführung des Assoziationsabkommens zu treffenden Maßnahmen und die dabei anzuwendenden Verfahren vom 12. September 1963 (BGBl.1964 II S.509, 1959) ausdrücklich davon aus, daß die Beschlüsse des Assoziationsrates nicht unmittelbar anwendbar sind, sondern dafür der Einführung in die internen Rechtsordnungen der Vertragspartner bedürfen, die auf Gemeinschaftsseite unter Umständen den Mitgliedstaaten obliegt (vgl. auch EuGHE 1982, 3641 [3663]). Abweichendes folgt nicht aus Art.36 Abs.2 des Zusatzprotokolls. Er bestimmt lediglich, daß der Assoziationsrat die Regeln für die Herstellung der Freizügigkeit festlegt, besagt damit aber nicht, daß der Assoziationsrat selbst die Freizügigkeit herstellt. Der Assoziationsrat ordnet den Maßstab an, nach dem die dafür zuständigen Vertragsparteien die zur schrittweisen Herstellung der Freizügigkeit erforderlichen Vorschriften erlassen. Gegenteiliges läßt sich auch nicht aus den einzelnen Vorschriften des Beschlusses Nr.1/80 ableiten, und zwar schon deswegen nicht, weil der Assoziationsrat nicht imstande ist, seinem Beschluß eine Wirkung beizulegen, die diesem nach dem Vertragswerk nicht zukommt. Für die hier maßgebenden Bestimmungen des Beschlusses Nr.1/80 über die Beschäftigung und Freizügigkeit fehlt es bisher an einer Umsetzung in unmittelbar anwendbares Recht, aus dem der Kläger aufenthaltsrechtliche Ansprüche herleiten könnte. Weder durch eine gemeinschaftsrechtliche noch durch eine deutsche Rechtsvorschrift ist bisher die innerstaatliche Anwendung vorgeschrieben worden. Im Wege einer bloßen Verwaltungsvorschrift sind die genannten Bestimmungen nach den Feststellungen des Berufungsgerichts lediglich den Arbeitsämtern zur Beachtung bei Entscheidungen über Arbeitserlaubnisse aufgegeben worden ..., nicht aber der Ausländerbehörde für ihre Entscheidungen.
      bb) Art.6 des Assoziationsratsbeschlusses Nr.1/80 betrifft zudem die aufenthaltsrechtliche Stellung türkischer Staatsangehöriger nicht. Nach dieser Vorschrift sollen türkische Arbeitnehmer, die dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehören, in diesem Mitgliedstaat in bestimmter Weise Zugang zu einer Beschäftigung haben. Ihrem Wortlaut nach legt die Vorschrift fest, daß türkischen Arbeitnehmern bestimmte Rechte auf dem Arbeitsmarkt einzuräumen sind, z.B. einen Anspruch auf Verlängerung der Arbeitserlaubnis oder nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder Beschäftigung. Sie knüpft damit - ebenso wie die Familienangehörige türkischer Arbeitnehmer betreffenden Bestimmungen der Artikel 7 und 9 ausdrücklich - an die aufenthaltsrechtliche Rechtsstellung an, die der Arbeitnehmer nach der Rechtsordnung des Mitgliedstaates besitzt, regelt diese aber nicht selbst und sichert demnach die Rechte auf dem Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates nicht durch ein (grundsätzliches) assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht ab. Die Anwendung des bisherigen Aufenthaltsrechts auf türkische Staatsangehörige im Bundesgebiet ist daher grundsätzlich nicht ausgeschlossen.
      Arbeitnehmerfreizügigkeit, gleich wie sie im einzelnen ausgestaltet wird, kann sich zwar nicht in bloßen arbeitsrechtlichen Ansprüchen erschöpfen, sondern muß das Recht geben, sich zur Ausübung einer Beschäftigung in einem anderen Staat aufhalten zu dürfen (vgl. Art.48 Abs.3 Buchst.c EWG-Vertrag). Der Assoziationsratsbeschluß Nr.1/80 stellt aber lediglich einen Schritt zur Schaffung der Arbeitnehmerfreizügigkeit dar, soll also diese noch nicht endgültig herbeiführen. Die sich aus dem Fehlen eines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts ergebende Unvollkommenheit der Rechtslage entspricht danach dem gegenwärtigen, in der Entwicklung befindlichen Zustand der Assoziation und zwingt daher - entgegen der Auffassung der Revision - nicht zu einer das Aufenthaltsrecht einschließenden Auslegung. Eine rechtliche Trennung zwischen dem Aufenthaltsrecht und dem Recht auf Beschäftigung ist auch dem Gemeinschaftsrecht nicht völlig fremd. Das wird für den gegenwärtigen Rechtszustand durch Art.11 der Verordnung Nr.1612/68 vom 15. Oktober 1968 (ABl. Nr.L 257 S.2) bestätigt, der zwar ein Beschäftigungsrecht gewährt, dafür aber ein Aufenthaltsrecht nach Maßgabe einer besonderen Regelung (Art.10 VO Nr.1612/68) voraussetzt (EuGHE 1985, 567 [590]). Im vorgenannten Sinne wird der Beschluß Nr.1/80 nicht nur in der ausländerbehördlichen Praxis, sondern auch sonst verstanden ...
      cc) Der Senat ist nicht verpflichtet, gemäß Art.177 Abs.3 EWG-Vertrag eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshof zu der rechtlichen Tragweite des Art.6 des Assoziationsratsbeschlusses Nr.1/80 einzuholen, wie es der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat beantragt hat. Eine Pflicht zur Anrufung des Gerichtshofs scheidet aus, weil das - aufenthaltsrechtliche Folgen zugunsten des Klägers ausschließende - Ergebnis der Auslegung des Assoziationsrechts aus den dargelegten Gründen derart offenkundig ist, daß kein Raum für einen vernünftigen Zweifel bleibt (BVerwGE 66, 29 [38]; EuGHE 1982, 3415 [3430]). Der Senat vermag angesichts der geschilderten Stellungnahmen in Schrifttum und Rechtsprechung nichts zu erkennen, was Zweifel an diesem Ergebnis rechtfertigte ... Die auf Art.36 Abs.2 des Zusatzprotokolls gestützte gegenteilige Ansicht des Landessozialgerichts Bremen (InfAuslR 1985, 171 [173]) greift ... auch deswegen nicht durch, weil sie Art.22 Abs.1 Satz 2 des Assoziierungsabkommens und Art.2 des gemeinschaftsinternen Durchführungsabkommens für das Freizügigkeitsrecht gegenstandslos werden läßt, ohne einen Anhalt für einen entsprechenden Vertragswillen aufzeigen zu können. Sie hat sich demgemäß in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung nicht durchgesetzt (BSGE 60, 230 [235 f.]).

Hinweis:

      Ebenso auch BVerwG, Beschluß vom 20.2.1987 (1 A 94.86), Buchholz 402.24 §7 AuslG Nr.26. Abweichend zur unmittelbaren Wirkung des Assoziationsratsbeschlusses Nr.1/80 jetzt EuGH, Urteil vom 20.9.1990 (Rs.C-192/89 - Sevince), Slg.1990, I-3461; Urteil vom 16.12.1992 (Rs.C-237/91 - Kus), Slg.1992, I-6781.