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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1842.60. ASSOZIIERUNGSABKOMMEN MIT DER TÜRKEI

Nr.92/2

Aus dem Assoziierungsverhältnis zwischen der EWG und der Türkei kann eine türkische Mutter keinen Anspruch auf das baden-württembergische Landeserziehungsgeld herleiten.

A Turkish mother cannot derive a claim to the Baden-Württemberg state education allowance from the Association relationship between the EEC and Turkey.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 18.12.1992 (s.1130-Europäische Sozialcharta [92/1])

Einleitung:

      Vgl. bei 1130 - Europäische Sozialcharta [92/1]

Entscheidungsauszüge:

      3. ... Mit dem Berufungsgericht ist davon auszugehen, daß der Klägerin ein Anspruch auf Landeserziehungsgeld auch nach dem Assoziationsrecht zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei nicht zusteht.
      a) Gemäß Art.10 Abs.1 des Beschlusses Nr.1/80 des Assoziationsrates über die Entwicklung der Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 19. September 1980 (... InfAuslR 1982, 33) räumen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft den türkischen Arbeitnehmern, die ihrem regulären Arbeitsmarkt angehören, eine Regelung ein, die gegenüber den Arbeitnehmern aus der Gemeinschaft hinsichtlich des Arbeitsentgeltes und der sonstigen Arbeitsbedingungen jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit ausschließt. Auf diese Regelung kann sich die Klägerin schon deshalb nicht berufen, weil sie nach ihrem unmißverständlichen Wortlaut nur das Arbeitsentgelt und die sonstigen Arbeitsbedinungen betrifft, wozu das hier streitige Landeserziehungsgeld mangels Anknüpfung an einen Arbeitsvertrag nicht gezählt werden kann. Die Vorschrift des Art.7 Abs.2 der Verordnung (EWG) Nr.1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft vom 15. Oktober 1968 (ABl. Nr.L 257, S.2 ...), durch welche nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs der Anspruch auf gleiche Arbeitsbedingungen auf alle sozialen Leistungen erstreckt wird, "die - ob sie an einen Arbeitsvertrag anknüpfen oder nicht - den inländischen Arbeitnehmern hauptsächlich wegen deren objektiver Arbeitnehmereigenschaft oder einfach wegen ihres Wohnsitzes im Inland gewährt werden und deren Ausdehnung auf die Arbeitnehmer, die Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaates sind, deshalb als geeignet erscheint, deren Mobilität innerhalb der Gemeinschaft zu erleichtern" (EuGH, Slg.1982, 33), kommt der Klägerin nicht zugute, weil die genannte Verordnung ausschließlich für Angehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft gilt. Gegenteiliges folgt auch nicht aus Art.12 des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei vom 12. September 1963 (BGBl.II 1964 S.509, 1959) sowie aus Art.36 des Zusatzprotokolls zu diesem Abkommen für die Übergangsphase der Assoziation vom 23. November 1970 (BGBl.II 1972, S.385/1973 II S.113). Das genannte Assoziationsrecht vermittelt türkischen Staatsangehörigen - selbst nach Ablauf der vorgesehenen Übergangsphase - keinen Anspruch auf die in Art.48 ff. des EWG-Vertrages vorgesehene Arbeitnehmerfreizügigkeit (... EuGH, Slg.1987, 3719 [3720, 3755]), so daß diese auch von daher nicht in den Anwendungsbereich der - auf Art.49 des EWG-Vertrages gestützten - Verordnung (EWG) Nr.1612/68 fallen.
      b) Entgegen der Auffassung der Klägerin verleiht ihr auch Art.3 Abs.1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr.3/80 vom 19. September 1980 (ABl. Nr.C 110 S.60) keinen Anspruch auf Landeserziehungsgeld. Die in Art.3 Abs.1 vorgesehene Gleichbehandlung gilt gemäß Art.2 zugunsten türkischer Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen. Der sachliche Geltungsbereich des Beschlusses Nr.3/80 erstreckt sich gemäß Art.4 Abs.1 und 2 auf "alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit" sowie auf die in den Mitgliedstaaten geltenden allgemeinen und besonderen "Systeme der sozialen Sicherheit". Schon mit Blick auf diese Regelungen findet der Assoziationsratsbeschluß Nr.3/80 hier keine Anwendung. Denn die vorgesehene Gleichbehandlung bezieht sich nur auf solche Leistungen, die der sozialen Absicherung von Arbeitnehmern und ihren Familien dienen. Das wird bestätigt durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu der Verordnung (EWG) Nr.1408/71 (ABl. Nr.L 149 S.2), die dem Beschluß Nr.3/80 inhaltlich entspricht und auf die dieser Beschluß in seinem Art.1 Buchstabe a) ausdrücklich verweist. Zu der genannten Verordnung hat der Gerichtshof entschieden, daß sie - im Unterschied zu Art.7 Abs.2 der Verordnung (EWG) Nr.1612/68 - ausschließlich die Gewährung von Leistungen regelt, die an die Eigenschaft des Leistungsempfängers als Arbeitnehmer anknüpfen oder die den Familienangehörigen wegen ihrer Eigenschaft als Angehörige eines Arbeitnehmers gewährt werden (vgl. Slg.1985, 1873). An einem solchen Zusammenhang fehlt es hier, da es sich bei dem Landeserziehungsgeld - wie dargelegt - um eine familienpolitische Leistung handelt, die nicht an eine Arbeitnehmertätigkeit anknüpft, also den Begünstigten unabhängig davon gewährt wird, ob sie Arbeitnehmer oder Familienangehörige von Arbeitnehmern sind.
      c) Der von der Klägerin herangezogene Art.39 Abs.3 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen gibt für eine Einbeziehung der Klägerin in den für den Bezug von Landeserziehungsgeld vorgesehenen Personenkreis schon im Ansatz nichts her. Bei den in Art.39 Abs.3 genannten "Bestimmungen" hinsichtlich der Zahlung von "Familienzulagen" geht es um solche, die der Assoziationsrat gemäß Art.39 Abs.1 des Zusatzprotokolls "auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer türkischer Staatsangehörigkeit" zu erlassen hat. Soweit der Assoziationsrat diesem Auftrag mit seinem vorstehend erörterten Assoziations[rats]beschluß Nr.3/80 nachgekommen ist, hat dies - wie dargelegt - einen Anspruch der Klägerin auf Gleichstellung mit den begünstigten EG-Staatsangehörigen nicht entstehen lassen.