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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


1843. NIEDERLASSUNGSFREIHEIT

Nr.92/1

Seit dem Beitritt Spaniens zu den Europäischen Gemeinschaften sind spanische Gesetze, die EG-Ausländern den Grunderwerb in besonders geschützten militärischen Zonen zum Zwecke der gewerblichen Niederlassung untersagen, wegen Verstoßes gegen Art.52 EWGV nicht mehr anwendbar.

Since the accession of Spain to the European Communities, Spanish laws which prohibit EC nationals from acquiring real property situated in specially protected military zones can no longer be applied because they violate Art.52 of the EEC Treaty.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 13.2.1992 (16 U 229/88), IPRax 1992, 314 mit Anmerkung von Bungert, ebd. S.296 (ZaöRV 54 [1994], 539) (rechtskräftig)

Einleitung:

      Der in Deutschland lebende Beklagte hatte mit dem Kläger im Mai 1986 einen Kaufvertrag über ein auf Menorca belegenes Hausgrundstück geschlossen. Er wollte dort ein Hotel betreiben. Nachdem der Beklagte die Erfüllung des Vertrages jedoch mit der Begründung verweigert hatte, daß der Vertrag wegen Verstosses gegen spanisches Recht nichtig sei, nahm ihn der Verkäufer aus §325 Abs.1 BGB auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung in Anspruch. Die Klage hatte in beiden Instanzen Erfolg.

Entscheidungsauszüge:

      Der dem spanischen Recht unterstehende Grundstückskaufvertrag vom 7.5.1986 ist auch nicht wegen Umgehung öffentlich-rechtlicher Beschränkungen für den Grundstückserwerb durch Ausländer gemäß dem Gesetz 8/1975 vom 12.3.1975 und der hierzu ergangenen Ausführungsverordnung, das Königliche Dekret 689/78 vom 10.2.1978, unwirksam. Nach diesen Vorschriften unterliegt der Erwerb von Grundeigentum durch Ausländer in bestimmten Zonen, die für die nationale Verteidigung von Interesse sind, Beschränkungen. Betroffene Zonen sind unter anderem alle Inseln, die der spanischen Souveränität unterstehen, also auch Menorca. Der Erwerb von Grundeigentum durch Ausländer in diesen Gebieten unterliegt in zweierlei Hinsicht Beschränkungen. Zum einen ist für den Erwerb eines Grundstücks eine militärbehördliche Genehmigung erforderlich. Zum anderen wird die Eintragung von Rechtshandlungen und Verträgen, durch die ein Ausländer Grundeigentum in den betreffenden Zonen erwirbt, im Eigentumsregister binnen einer Frist von 18 Monaten angeordnet. Nach Fristablauf ist der schuldrechtliche Vertrag nichtig ...
      Es bedarf keiner Erörterung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, ob nach dem Vertragstext in Ziff.13 Abs.3 eine Gesetzesumgehung vorliegt, die nach der Schlußbestimmung "Erstens" des spanischen Königlichen Dekrets über ausländische Investitionen in Spanien Nr.1265/86 die Nichtigkeit des Grundstückskaufvertrages nach sich ziehen könnte, oder ob der Vertrag nicht ohnehin wegen Ablaufs der Frist zur Eintragung in das Eigentumsregister nichtig wäre.
      Denn das Gesetz 8/75 vom 12.3.1975 und die hierzu ergangene Ausführungsverordnung 689/78 vom 10.2.1978 sind seit dem Beitritt Spaniens zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl [gemeint: zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft] von spanischen Behörden nicht anzuwenden, soweit dadurch EG-Ausländer benachteiligt werden. Die in diesen Vorschriften normierten formellen Erfordernisse für den Grundstückserwerb durch EG-Ausländer in bestimmten militärischen Zonen verstoßen nämlich gegen Gemeinschaftsrecht, insbesondere gegen das in Art.52 EWG-Vertrag geregelte Niederlassungsrecht.
      Das Recht der EG, insbesondere auch der Vertrag zur Gründung der EWG, ist seit dem Beitritt des Königreichs Spanien für dieses verbindlich. Der Beitritt Spaniens ist am 1.1.1986 wirksam geworden. Dies ist in Art.2 Abs.2 des Beschlusses des Rates der EG vom 11.6.1985 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl geregelt. Vom Zeitpunkt des Beitritts an sind die ursprünglichen Verträge und die vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte der Organe der Gemeinschaften aber für die neuen Mitgliedstaaten verbindlich (Art.1 Abs.2 des Beschlusses des Rates der EG vom 11.6.1985 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl in Verbindung mit Art.2 der Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik und die Anpassungen der Verträge). Eine Übergangszeit ist in Art.2 der Beitrittsakte nicht festgelegt, was auch in dem von der Bekl. zu den Akten gereichten Schreiben des Generalchefs des Generalstabes des spanischen Verteidigungsministeriums vom 8.1.1987 an die Notarkammer von Las Palmas de Gran Canaria so festgehalten ist. Jedenfalls fehlt aber für Spanien auf dem Gebiet des Niederlassungsrechts eine wesentliche allgemeine Übergangsmaßnahme ...
      Das somit seit dem 1.1.1986 für das Königreich Spanien verbindliche Gemeinschaftsrecht genießt Vorrang vor den nationalen Regelungen mit der Folge, daß dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehendes Recht zwar nicht nichtig, ungültig oder aufgehoben ist; gegen Gemeinschaftsrecht verstoßendes nationales Recht ist aber nicht anwendbar ...
      Das Gesetz 8/75 vom 12.3.1975 und das hierzu ergangene Königliche Dekret 689/78 vom 10.2.1978 sind nicht anwendbar, denn sie stehen im Widerspruch zu Art.52 EWG-Vertrag, soweit der Erwerb von Rechten an in bestimmten Zonen gelegenen Grundstücken durch Personen mit der Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedsstaates eingeschränkt oder von für spanische Staatsangehörige nicht vorgeschriebenen Voraussetzungen abhängig gemacht wird.
      Das Recht, im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedsstaates Immobilien zu erwerben, zu nutzen oder darüber zu verfügen, stellt nämlich die notwendige Ergänzung der Niederlassungsfreiheit dar. Dies folgt aus Art.54 Abs.3e EWG-Vertrag und auch aus dem allgemeinen Programm zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit vom 16.12.1961. Der Senat folgt hiermit den Ausführungen des EuGH in dem Urteil vom 30.5.1989 zu Az.305/87 in der Rechtssache der Kommission der EG gegen die Griechische Republik [Slg.1989, 1461]. Dieser Rechtssache lag ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Denn in der Griechischen Republik verbietet der einzige Artikel des Präsidialdekrets vom 22./24.7.1927 unter Androhung der absoluten Nichtigkeit des betreffenden Rechtsgeschäftes "... den Erwerb des Eigentums ... an Immobilien, die in als Grenzgebieten bezeichneten griechischen Gebieten gelegen sind, durch natürliche oder juristische Personen, die nicht griechische Staatsangehörige sind ...". Durch das Urteil vom 30.5.1989 hat der EuGH entschieden, daß die griechischen Rechtsvorschriften, die die Ausübung des Rechts zum Kauf und zur Nutzung von Immobilien durch Staatsangehörige der anderen Mitgliedsstaaten Beschränkungen unterwerfen, die für die eigenen Staatsangehörigen nicht vorgesehen sind, gegen Artt.52 und 59 EWG-Vertrag verstoßen.
      Eine Vorlage an den EuGH zur Auslegung des Art.52 EWG-Vertrag ist angesichts dieser Entscheidung in einem gleichgelagerten Fall nicht geboten und auch nach Art.177 Abs.2 EWG-Vertrag nicht erforderlich.
      Die spanische Militärsondergesetzgebung, die das aus Art.52 EWG-Vertrag herzuleitende Recht des Klägers beschränkte, sich zur Aufnahme und Ausübung einer selbständigen Tätigkeit in einem anderen Mitgliedsstaat niederzulassen und dort zum Betrieb eines Hotels Grundeigentum zu erwerben, war somit auf den Grundstückskaufvertrag zwischen den Parteien vom 7.5.1986 nicht anwendbar. ...
      Der Rechtsauffassung der Beklagten, das Gesetz 8/75 vom 12.3.1975 und das Königliche Dekret 689/78 vom 10.2.1978 seien nach Art.56 EWG-Vertrag aus den übergeordneten Gründen der Landesverteidigung auch nach dem 1.1.1986 noch anwendbar gewesen, ist nicht zu folgen. Nach Art.56 Abs.1 EWG-Vertrag sind Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die eine Sonderregelung für Ausländer vorsehen und aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, anwendbar. Bei den Begriffen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit handelt es sich um gemeinschaftsrechtliche Begriffe, die als Ausnahmen von dem wesentlichen Grundsatz der Niederlassungsfreiheit eng auszulegen sind. Diese Auslegung verbietet es, Art.56 Abs.1 EWG-Vertrag als allgemeine Schutzklausel aufzufassen, die mit Verteidigungs- oder außenpolitischen Überlegungen auszufüllen ist. Sonderregelungen im Sinne des Art.56 Abs.1 EWG-Vertrag sind vielmehr im wesentlichen das Ausländerpolizeirecht mit seinen Vorschriften über die Ein- und Ausreise, das Meldewesen, Ausweisungen etc. ...
      Danach gehört zur öffentlichen Sicherheit zwar auch der Schutz der Allgemeinheit und des Einzelnen gegen Bedrohungen des Bestandes des Staates und seiner Einrichtungen sowie des Lebens, der Gesundheit, der Freiheit, der Ehre und des Vermögens des Einzelnen ... Die Berufung einer nationalen Behörde auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung setzt aber nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs immer dann, wenn damit Beschränkungen der Freizügigkeit von Personen gerechtfertigt werden sollen, die dem Gemeinschaftsrecht unterliegen, voraus, daß eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung besteht, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 18.5.1982 in der Rechtssache Adoui und Cornuaille/Belgien, 115 und 116/81 ... [Slg.1982, 1665]). Dabei ist immer von einem persönlichen Verhalten der betreffenden Person auszugehen. Generalpräventive Gründe genügen zur Berufung auf Sonderregeln nicht ... So kann ein Verhalten immer dann nicht als hinreichend schwerwiegend angesehen werden, wenn der Aufenthaltsstaat gegenüber dem gleichen Verhalten, das von eigenen Staatsangehörigen ausgeht, keine beschränkenden Maßnahmen ergreift ...
      Die Bestimmungen des Gesetzes 8/1975 und die hierzu erlassene Ausführungsverordnung sind somit nicht weiterhin als Sonderregelung im Sinne des Art.56 Abs.1 EWG-Vertrag anwendbar. Diese Auffassung stimmt mit der der spanischen Regierung überein, wie sie in dem Schreiben des Verteidigungsministeriums der Generalkapitänsschaft der Militärzone der Canaren vom 8.1.1987 niedergelegt ist. Dort heißt es, die vorgenannten Regelungen seien als aufgehoben zu betrachten. Zugleich wird darauf hingewiesen, daß in der Beitrittsakte keine übergangsweise Ausnahmeregelung enthalten ist.
      Das Gesetz 8/1975 vom 12.3.1975 und das Königliche Dekret 689/78 vom 10.2.1978 waren auch nicht auf der Grundlage des Art.224 EWG-Vertrag nach dem 1.1.1986 weiterhin anwendbar. Diese Vorschrift regelt Maßnahmen im Kriegsfall und ähnlichen Situationen. Sie ermächtigt die Mitgliedsstaaten, beim Vorliegen schwerwiegender innerstaatlicher Störungen in Abweichung von den allgemeinen Vorschriften des Vertrages die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen ersichtlich nicht vor.
      Der Frage danach, ob die Anwendung des Gesetzes 8/75 und des Dekrets 689/78 zusätzlich auch eine Vertragsverletzung der in Art.59 EWG-Vertrag normierten Dienstleistungsfreiheit nach sich ziehen würde, ist nicht nachzugehen. Der Verstoß gegen die Spezialregelung in Art.52 EWG-Vertrag macht auch einen Rückgriff auf Art.7 Abs.1 EWG-Vertrag entbehrlich. Denn diese Vorschrift ist nur unbeschadet der besonderen Bestimmungen des Vertrages anzuwenden.
      Wie bereits ausgeführt, sind das Gesetz 8/75 und das Dekret 689/78 wegen der Verletzung des Art.52 EWG-Vertrag unanwendbar. Sollten spanische Behörden dennoch, so wie die Bekl. dies behauptet, über sechs Monate nach dem Beitritt Spaniens zur EG hinaus das Gesetz und das Dekret angewendet haben und wäre davon auszugehen, daß sie auch den Kaufvertrag zwischen den Parteien vom 7.5.1986 diesen Regelungen unterworfen hätten, hätte der Kläger sich hiergegen vor spanischen Gerichten, letztendlich vor dem EuGH, unter Berufung auf das Gemeinschaftsrecht mit Erfolg zur Wehr setzen können. Der Grundstückskaufvertrag zwischen den Parteien vom 7.5.1986 ist somit wirksam.