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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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1846. ALLGEMEINES VERBOT DER DISKRIMINIERUNG AUS GRÜNDEN DER STAATSANGEHÖRIGKEIT

Nr.90/1

[a] Es verstößt nicht gegen das Verbot einer Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art.7 EWGV), wenn eine Aktiengesellschaft italienischen Rechts deswegen vermögensteuerrechtlich benachteiligt wird, weil sie ihren Sitz im Ausland hat.

[b] Obwohl Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten in aller Regel ihren Sitz nicht in Deutschland haben, kann darin auch keine indirekte Diskriminierung gegenüber deutschen Gesellschaften gesehen werden. Dies ist derart offenkundig, daß sich eine Vorlage nach Art.177 Abs.3 EWGV erübrigt.

[a] The prohibition of discrimination on account of citizenship (Art.7 of the EEC Treaty) is not violated, if a corporation established under Italian law suffers a disadvantage with respect to capital tax because it is domiciled abroad.

[b] Neither can this kind of disadvantage be qualified as an indirect discrimination against corporations from other member states vis-à-vis German corporations, even though the former will generally be domiciled in Germany. This is so obvious that a reference under Art.177 (3) of the EEC Treaty need not be made.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 31.10.1990 (II R 176/87), BFHE 162, 374 (ZaöRV 52 [1992], 437)

Einleitung:

      Die Klägerin ist eine Aktiengesellschaft italienischen Rechts. Sie wurde vom beklagten Finanzamt auf ihre Anteile an einer inländischen GmbH beschränkt als vermögensteuerpflichtig eingestuft (§2 Abs.1 Nr.2, Abs.2 VStG i.V.m. §121 Abs.2 BewG). Eine entsprechende inländische Gesellschaft wäre demgegenüber in bezug auf ihr gesamtes Vermögen, d.h. unbeschränkt, vermögensteuerpflichtig gewesen. Die Beschränkung der Vermögensteuerpflicht auf das Inlandsvermögen führt zum Verlust einiger gesetzlicher Vergünstigungen, welche nur unbeschränkt Vermögensteuerpflichtige genießen. Dem Bundesfinanzhof stellte sich die Frage, ob darin eine dem Art.7 EWGV (jetzt Art.6 EGV) widersprechende Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit liege.

Entscheidungsauszüge:

      3. Die Vermögensbesteuerung der von der Klägerin gehaltenen Anteile an der GmbH verstößt offenkundig nicht gegen das Verbot der Diskriminierung nach Art.7 EWGV.
      a) Diese Regelung des EWGV verbietet jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Unter dieses Verbot fallen auch sog. versteckte Diskriminierungen, bei denen benachteiligende Regelungen zwar unabhängig von der Staatsangehörigkeit gelten, deren Tatbestände jedoch ausschließlich oder regelmäßig nur von ausländischen Staatsangehörigen erfüllt werden (EuGH-Urteile vom 12. Februar 1974 Rs. 152/73, Sotgiou, EuGHE 1974, 153, 164 f.; vom 29. Oktober 1980 Rs. 22/80, Boussac, EuGHE 1980, 3427, 3436; EuGHE 1984, 2971).
      Im Streitfall ist es bereits zweifelhaft, ob die angegriffene Regelung über die beschränkte Steuerpflicht bei der Vermögensteuer überhaupt diskriminierenden Charakter haben kann. Denn eine Diskriminierung liegt nicht in jeder - möglicherweise neutralen - Differenzierung, sondern nur in einer unterschiedlichen Behandlung mit negativem Charakter. Wesensmerkmal der beschränkten Vermögensteuerpflicht ist es jedoch, daß im Unterschied zur unbeschränkten Vermögensteuerpflicht grundsätzlich nur das Inlandsvermögen zur Steuer herangezogen wird. Insofern bewirkt die von der Klägerin angegriffene Differenzierung im Grunde sogar eine steuerliche Besserstellung gegenüber der unbeschränkten Steuerpflicht. In Einzelregelungen ist die Besteuerung der beschränkt Steuerpflichtigen jedoch nachteilig, da einige der unbeschränkt Steuerpflichtigen gewährten Vergünstigungen für die beschränkt Steuerpflichtigen nicht bestehen. Das gilt beispielsweise für die Befreiungen nach §3 VStG, für die Gewährung des persönlichen Freibetrags nach §6 VStG, für die Zusammenveranlagung nach §14 VStG und vor allem auch für das im Streitfall bedeutsame sog. Schachtelprivileg nach §102 BewG. Für die Prüfung am Maßstab des Art.7 EWGV geht der Senat daher davon aus, daß die Regelung insgesamt (auch) negativen (benachteiligenden) Charakter hat.
      Gleichwohl ist Art.7 EWGV eindeutig nicht verletzt. Dieser verbietet eine Diskriminierung nur aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Die angegriffene Differenzierung knüpft jedoch nicht an die Staatsangehörigkeit, sondern an den Sitz einer Körperschaft (bzw. ihrer Geschäftsleitung) im Ausland. In dieser Regelung kann eindeutig auch keine mittelbare Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit gesehen werden. Eine solche liegt vor, wenn eine diskriminierende Regelung zwar formal an andere Unterscheidungsmerkmale anknüpft, tatsächlich aber zu dem Ergebnis einer Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit führt (EuGH 1974, 153/165). Eine Differenzierung, die an den tatsächlichen Sitz einer Körperschaft anknüpft, stellt zweifelsfrei auch keine derartige mittelbare Diskriminierung nach der Staatsangehörigkeit dar. Auch Art.58 EWGV stützt nicht die Rechtsansicht der Klägerin, daß die Ansässigkeit von juristischen Personen allgemein identisch sei mit der Staatsangehörigkeit von natürlichen Personen. Denn die Regelung des Art.58 EWGV gilt nach ihrem Wortlaut nur für das Kapitel über das Niederlassungsrecht. Durch Art.58 EWGV wird das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art.7 EWGV nicht erweitert. Ein Verstoß gegen die in Art.52 und Art.53 EWGV geregelte Niederlassungsfreiheit ist im Streitfall nicht erkennbar. ...
      c) Ein Verstoß gegen Art.7 EWGV kann sich auch nicht daraus ergeben, daß nach dem DBA-Frankreich sowie nach den Abkommen der Bundesrepublik mit anderen EG-Staaten zur Vermeidung der Doppelbesteuerung die Vermögensteuer von Anteilen an einer deutschen GmbH nur in dem Staat erhoben werden kann, in dem der Anteilseigner ansässig ist. Durch Art.7 EWGV ist die Bundesrepublik nicht gehindert, in den Doppelbesteuerungsabkommen zu den Staaten der EG unterschiedliche Vereinbarungen zu treffen. Einer sich möglicherweise insoweit aus Art.220 EWGV ergebenden Verhandlungspflicht ist die Bundesrepublik jedenfalls durch das inzwischen am 18. Oktober 1989 unterzeichnete neue DBA-Italien, das voraussichtlich zum 1. Januar 1991 in Kraft treten wird, nachgekommen. Durch diese neue DBA-Italien wird die anhängige Streitfrage für die Klägerin voraussichtlich im positiven Sinne bereinigt (vgl. Art.24 Abs.3 Buchst. a, letzter Satz DBA-Italien). Daraus ergeben sich jedoch keine Rückschlüsse auf die Rechtmäßigkeit der bis dahin geltenden Regelungen.
      4. Das Finanzgericht war, wie es zu Recht entschieden hat, nicht verpflichtet, gemäß Art.177 EWGV an den Europäischen Gerichtshof vorzulegen. Das FG ist, auch wenn die Revision gegen sein Urteil nur kraft Zulassung stattfindet, kein Gericht, dessen Entscheidung nicht mit Rechtsmitteln nach innerstaatlichem Recht angefochten werden kann (BFH-Beschluß vom 3. Februar 1987 VII B 129/86, BFHE 148, 489 ...). Der erkennende Senat schließt sich dieser vom Bundesverfassungsgericht und dem VII. Senat des BFH vertretenen Rechtsauffassung an, wonach die Nichtzulassungsbeschwerde ein Rechtsmittel nach innerstaatlichem Recht i.S. des Art.177 EWGV ist. ...
      5. Der Senat ist nicht nach Art.177 EWGV zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH verpflichtet. Soweit ersichtlich, war allerdings die Frage noch nicht Gegenstand einer Auslegung durch den EuGH, ob eine steuerliche Differenzierung, die an den Sitz einer Körperschaft anknüpft, gegen Art.7 EWGV verstoßen kann. Nach Wortlaut und Sinn des Diskriminierungsverbots nach Art.7 EWGV kann nach Auffassung des erkennenden Senats jedoch kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, daß die angefochtene Regelung nicht unter das allgemeine Diskriminierungsverbot fällt. Der Senat ist überzeugt, daß auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den EuGH die gleiche Gewißheit bestünde. Er hält daher eine Vorlage nach Art.177 EWGV nicht für veranlaßt.