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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


342. ORGANKOMPETENZ

Nr.87/1 [a] Die Mitwirkung der Bundesregierung beim Abschluß völkerrechtlicher Verträge ist kein tauglicher Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde.
[b] Das Grundgesetz gebietet keine ausdrückliche Entscheidung des Gesetzgebers über die Stationierung von Chemiewaffen.
[a] A constitutional complaint against the Federal Government's participation in the conclusion of an international treaty is inadmissible.
[b] The Basic Law does not require express legislative consent to the storage of chemical weapons.

Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 29.10.1987 (2 BvR 624/83 u.a.), BVerfGE 77, 170 (s. 343 [87/1])

Einleitung:

      Die Beschwerdeführer richteten ihre Verfassungsbeschwerden u.a. gegen die Mitwirkung der Bundesregierung beim Abschluß des Aufenthaltsvertrages vom 23.10.1954 (BGBl. 1955 II S.253) und dem Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut vom 3.8.1959 (BGBl. 1961 II S.1183, 1218). Dies hielt das Bundesverfassungsgericht für unzulässig.

Entscheidungsauszüge:

      B.I. ... 1. ... Die Mitwirkung der Bundesregierung an dem Abschluß dieser Verträge stellt sich als Verhalten auf der völkerrechtlichen Ebene dar, das noch keine innerstaatlichen Rechtswirkungen auszulösen vermochte. Diese werden erst durch die Zustimmungsgesetze zu den Verträgen bewirkt; sie erteilen den innerstaatlichen Rechtsanwendungsbefehl. Soweit der Bundesregierung Akte bei der Beratung, der Ausfertigung und der Verkündung der Zustimmungsgesetze (etwa über Art.58 GG) zuzurechnen sind, haben sie - im vorliegenden Zusammenhang - gegenüber dem Gesetzesbeschluß des Bundestages keine selbständige Bedeutung; es war dieser Gesetzesbeschluß, der das wesentliche normative Element der Zustimmung zur Stationierung für den Bereich des innerstaatlichen Rechts bildete. ...
      C.II. ... 1. Die Rüge der Beschwerdeführer, der Grundsatz des allgemeinen Vorbehalts des Gesetzes fordere eine ausdrückliche Entscheidung des Gesetzgebers über die Stationierung von C-Waffen in der Bundesrepublik Deutschland und eine eingehende Regelung der notwendigen Sicherheitsvorkehrungen, ist nicht begründet. Zwar verpflichtet der - in Art.20 GG verankerte - allgemeine Vorbehalt des Gesetzes den Gesetzgeber dazu, losgelöst vom Merkmal des Eingriffs, im Bereich der Grundrechtsausübung - soweit dieser staatlicher Regelung überhaupt zugänglich ist - alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen (BVerfGE 49, 89 [126]). Er bestimmt das "Ob" und das "Wie" gesetzgeberischen Handelns. Die Entscheidung über die Stationierung von C-Waffen im Bundesgebiet und die Sicherheitsvorkehrungen, unter denen die Lagerung und ein Transport dieser Waffen zu erfolgen haben, ist eine "wesentliche Entscheidung" im Sinne des Art.20 GG, die den Grundrechtsbereich betrifft.
      Es kann dahinstehen, ob die hiernach unter Art.20 GG bestehende Verpflichtung des Gesetzgebers, überhaupt tätig zu werden, durch Art.59 Abs.2 Satz 1 GG eingeschränkt wird. Dies wäre der Fall, wenn für das Verständnis des in Art.59 Abs.2 Satz 1 GG verwendeten Begriffs "Gegenstände der Bundesgesetzgebung", soweit der Bereich der Grundrechtsausübung betroffen ist, nicht vom allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes, sondern von den in den einzelnen Grundrechten enthaltenen Gesetzesvorbehalten oder von der "klassischen Lehre" vom Vorbehalt des Gesetzes auszugehen wäre. Einer näheren Prüfung dieser Frage bedarf es jedoch nicht; denn der Gesetzgeber ist im vorliegenden Falle durch die Zustimmung zum Aufenthaltsvertrag und zum NATO-Truppenstatut nebst Zusatzabkommen tätig geworden.
      Entscheidungserheblich ist demgegenüber, ob der allgemeine Vorbehalt des Gesetzes im Bereich des Art.59 Abs.2 Satz 1 GG insoweit gilt, als er Anforderungen an die Dichte der Regelung des vom Vertrag erfaßten Sachbereichs stellt. Diese Frage ist zu verneinen. Anderenfalls wäre die Bundesrepublik Deutschland von Verfassungs wegen gehalten, völkerrechtliche Verträge nur noch abzuschließen, wenn sie einen erheblichen Grad an Spezifizierung aufweisen. Da die Bundesrepublik Deutschland über den näheren Inhalt eines völkerrechtlichen Vertrages nicht einseitig bestimmen kann, würde eine Ausdehnung des allgemeinen Vorbehalts des Gesetzes auf Art.59 Abs.2 Satz 1 GG, soweit dieser das "Wie" einer gesetzlichen Regelung betrifft, im vertraglichen Bereich weithin die Gefahr außenpolitischer Handlungsunfähigkeit heraufbeschwören. Dies kann nicht der Sinn der Verfassung eines Staates in der Lage der Bundesrepublik Deutschland sein. Daher ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, daß der Gesetzgeber sich zur Stationierung gerade der hier in Rede stehenden Waffen und den Sicherheitsvorkehrungen, unter denen die Lagerung und ein Transport dieser Waffen zu erfolgen haben, nicht besonders geäußert hat, sondern durch die Vorschriften der Art.1 Abs.1 AV, Art.II Satz 1 NTS, Art.53 Abs.1 und 57 Abs.1 und 3 ZA-NTS seine Zustimmung in genereller Form erteilt hat.
      Davon unberührt bleibt, inwieweit der innerstaatliche Vollzug eines völkerrechtlichen Vertrages im Hinblick auf den Vorbehalt des Gesetzes weiterer gesetzlicher Regelung bedarf. Mit Rücksicht auf die Eigenart des hier betroffenen Sachbereichs wäre auch dann eine eingehendere gesetzliche Regelung nicht geboten gewesen (vgl. hierzu BVerfGE 49, 89 [134 ff.]; 68, 1 [98 ff.]).