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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


410. STAATSGEBIET

Nr.88/1

Die Luftsäule oberhalb der Staatsfläche gehört zum Staatsgebiet. Arbeitseinkünfte des Piloten eines Verkehrsflugzeugs unterliegen daher nach dem Doppelbesteuerungsabkommen mit Italien für die Zeitdauer, in der das Flugzeug sich im italienischem Luftraum befindet, dem Besteuerungsrecht Italiens.

The air space above a state's land surface is part of state territory. Therefore, according to the double taxation agreement with Italy, the income of the pilot of a passenger aircraft earned while the aircraft passes through Italian airspace is subject to Italy's right to tax.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.12.1988 (I R 148/87), BFHE 155, 374 (ZaöRV 50 [1990], 84)

Einleitung:

      Der Kläger ist Pilot bei einer Luftverkehrsgesellschaft. Er begehrt, den Teil seines Arbeitslohns, der auf die Zeiten des Überfliegens vom italienischem Territorium entfällt, gemäß dem Abkommen zwischen dem Deutschen Reiche und Italien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Regelung anderer Fragen auf dem Gebiete der direkten Steuern vom 31.10.1925 (RGBl. 1925 II, 1146) einkommensteuerfrei zu belassen. Das Finanzgericht hatte der Klage mit der Begründung stattgegeben, eine nichtselbständige Arbeit werde auch dann in Italien ausgeübt, wenn der Arbeitnehmer italienisches Staatsgebiet lediglich überfliege (EFG 1988, 61). Der BFH bestätigt diese Auffassung.

Entscheidungsauszüge:

      3. Die Frage, wann eine nichtselbständige Arbeit "in dem anderen Vertragsstaat" ausgeübt wird, hat der erkennende Senat schon ... für Art.15 Abs.1 des Abkommens der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Liberia zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ... nach völkerrechtlichen Grundsätzen entschieden. Für die Auslegung des Art.7 Abs.1 Satz 1 DBA-Italien muß entsprechendes gelten, auch wenn die Formulierung der Vorschrift eine geringfügig andere ist ("der Staat, in dessen Gebiet die persönliche Tätigkeit ausgeübt wird"). Dies ergibt sich einmal aus der Tatsache, daß die Vorschriften der Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) auf entsprechende völkerrechtliche Verträge zurückgehen. Soweit in diesen völkerrechtliche Begriffe wie Staat oder Staatsgebiet verwendet werden, spricht der Sachzusammenhang dafür, sie im völkerrechtlichen Sinne zu interpretieren. Für das DBA-Italien gilt dies auch deshalb, weil dieses die Begriffe "Deutsches Reich" und "Italien" erkennbar im staatsrechtlichen Sinne verwendet. Damit ergibt sich die hier vorgenommene Auslegung aus dem Wortlaut des DBA-Italien und aus der gewöhnlichen Bedeutung der verwendeten Begriffe.
      4. Völkerrechtlich zählt die Luftsäule oberhalb der Staatsfläche zum Staatsgebiet des jeweils betroffenen Staates. Dies entspricht seit dem Pariser Luft-rechtsabkommen vom 13. Oktober 1919 der ganz herrschenden und einhellig praktizierten Rechtsauffassung. ... Streitig ist, ob der Bereich des Luftraums, der der jeweiligen staatlichen Gebietshoheit untersteht, eine Begrenzung dort erfährt, wo nach der heutigen technischen Entwicklung Flugverkehr nicht mehr möglich ist... Zweifelhaft mag auch sein, ob den übrigen Staaten nicht gewisse Rechte im Lufthoheitsgebiet eines anderen Staates zustehen (z.B. das Recht zum friedlichen Durchflug). Auf diese Rechtsfragen kommt es indes im Streitfall nicht an, weil die Aufenthalte des Klägers in Italien nur den Teil des Luftraumes betrafen, der zweifelsfrei unter italienischer Lufthoheit im völkerrechtlichen Sinne stand. Daran ändert auch ein hier unterstelltes Recht der Bundesrepublik zum friedlichen Durchflug des italienischen Luftraums nichts.
      5. Die Auffassung des Finanzamts, für die Besatzung und die Insassen eines Flugzeuges gelte bis zur Landung auf ausländischem Staatsgebiet stets das Recht des Flaggenstaates, ist schon im Denkansatz fehlerhaft. Von der völkerrechtlichen Zuordnung der Luftsäule oberhalb einer Staatsfläche zum Staatsgebiet des jeweils betroffenen Staates ist die Frage zu unterscheiden, welches Recht (Zivil-, Straf-, Steuer- oder sonstiges Recht) für diesen Bereich anzuwenden ist ... Die Beherrschung des Luftraums durch den Bodenstaat hat keineswegs zur Folge, daß dessen materielles Landesrecht auch ohne weiteres für den Luftraum gilt. Insbesondere dann, wenn die Vorgänge im Luftraum fast ausschließlich die Interessen anderer Staaten und nicht die Interessen des Bodenstaates berühren, kann auch das Recht eines anderen Staates anzuwenden sein ... In der Bundesrepublik ist stets deutsches Steuerrecht anzuwenden. Zum deutschen Steuerrecht gehören auch die Vorschriften des DBA-Italien, weil sie durch das Zustimmungsgesetz vom 7. Dezember 1925 (RGBl II 1925, 1145) und den Notenwechsel zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Regierung am 20. November 1952 in Rom (BGBl II 1952, 986) in nationales Recht umgesetzt wurden. Der Streitfall betrifft damit ausschließlich die Frage, wann die Ausübung einer nichtselbständigen Arbeit "in dem Gebiet Italiens" i.S. des Art.7 Abs.1 Satz 1 DBA-Italien anzunehmen ist.
      6. Was zum "Gebiet Italiens" i.S. des Art.7 Abs.1 Satz 1 DBA-Italien zählt, ist nach völkerrechtlichen Grundsätzen zu bestimmen. Dabei kann zwischen der Ausübung der nichtselbständigen Arbeit in Italien im engeren Sinne und einer Reise zum Arbeitsort in Italien jedenfalls dann nicht unterschieden werden, wenn sich die Reise arbeitsrechtlich als Dienst- oder Geschäftsreise des Arbeitnehmers darstellt und er deshalb sein Gehalt auch dafür erhält, daß er sich zum Arbeitsort im engeren Sinne begibt. Dies gilt auch dann, wenn der eigentliche Arbeitsort außerhalb Italiens gelegen ist, jedoch die Reise dorthin ein Durchqueren Italiens notwendig macht. Die gleichen Erwägungen gelten, wenn ein Flugzeug der eigentliche Arbeitsort ist und die Arbeitstätigkeit darin besteht, bei der Beförderung dieses Flugzeuges von einem Flughafen zu einem anderen mitzuwirken.
      Der Senat ist ferner der Auffassung, daß es für die Frage, ob eine nichtselbständige Arbeit im Gebiet Italiens ausgeübt wird, nicht auf die Benutzung eines bestimmten Transportmittels ankommen kann. Auch unter Berücksichtigung der beim Abschluß des Abkommens bestehenden tatsächlichen Verhältnisse gibt der Wortlaut des Art.7 Abs.1 Satz1 DBA-Italien keine Handhabe für eine Unterscheidung danach, ob der Arbeitnehmer das Gebiet Italiens zu Lande, zu Wasser oder in der Luft bereist. Es kann auch keinen Unterschied machen, ob der Arbeitnehmer die Maschine einer deutschen oder einer italienischen Luftverkehrsgesellschaft fliegt bzw. benutzt oder ob er sich auf einem unter deutscher oder unter italienischer Flagge fahrenden Schiff aufhält. Schließlich wäre es auch willkürlich, wollte man dahin unterscheiden, ob der Arbeitnehmer unmittelbar von der Bundesrepublik aus zum Arbeitsort in Italien fliegt oder ob er sich mit einem anderen Verkehrsmittel nach Italien begibt und erst in Italien ein Flugzeug besteigt oder ob er auf der Reise zum Arbeitsort in Italien zwischenlandet oder ob er schließlich im Anschluß an einen Flug nach Italien dort noch ein anderes Verkehrsmittel nutzt. In allen Fällen sind die Bezüge der ausgeübten nichtselbständigen Arbeit zum Gebiet Italiens wertungsmäßig gleichartig. Dies zwingt dazu, in allen Fällen die Ausübung einer Arbeit im Gebiet Italiens i.S. des Art.7 Abs.1 Satz1 DBA-Italien anzunehmen.
      7. Von dem unter 6. dargelegten Grundsatz kann auch dann keine Ausnahme gelten, wenn der Arbeitnehmer italienisches Hoheitsgebiet überfliegt, ohne in Italien zu landen. Der Wortlaut des Art.7 Abs.1 Satz 1 DBA-Italien läßt eine Unterscheidung dahingehend, ob die Arbeit in Italien mit oder ohne Landung dort ausgeübt wird, nicht zu. In diesem Zusammenhang ist es von Bedeutung, daß die meisten der von der Bundesrepublik in der Nachkriegszeit abgeschlossenen DBA eine Sondervorschrift über die Besteuerung der Vergütungen für unselbständige Arbeit in der internationalen Seeschiffahrt und Luftfahrt enthalten (vgl. Art.15 Abs.3 des OECD-Musterabkommens - OECDMustAbk - 1963/1977 ...). Im DBA-Italien ist keine entsprechende Vorschrift enthalten. Deshalb gilt dort keine dem Art.15 Abs.3 OECD-MustAbk 1963/1977 entsprechende Regelung. Die Bundesrepublik und Italien haben insbesondere davon abgesehen, das DBA-Italien durch eine Übereinkunft i.S. des Art.31 Abs.3 Buchst. a des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 ... zu ergänzen. Deshalb gilt für die Besteuerung der Vergütungen für unselbständige Arbeit in der internationalen Luftfahrt im Verhältnis zwischen Italien und der Bundesrepublik die allgemeine Regelung des Art.11 Nr.1 Buchst. d i.V.m. Art.7 Abs.1 Satz1 DBA-Italien. Danach wird die nichtselbständige Arbeit in dem Vertragsstaat ausgeübt, zu dessen Hoheitsgebiet die Luftsäule gehört, in der sich das einzelne Luftfahrzeug aufhält. Würde die in der internationalen Luftfahrt ausgeübte nichtselbständige Arbeit nicht unter Art.11 Nr.1 Buchst.d i.V.m. Art.7 Abs.1 Satz1 DBA-Italien fallen, so wären alle DBA-Vorschriften überflüssig, die dem Art.15 Abs.3 OECD-MustAbk 1963/1977 entsprechen.
      8. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ... haben die DBA zum Ziel, schon die virtuelle, d.h. schon die nur denkbare Doppelbesteuerung zu vermeiden. Es kommt deshalb für die Entscheidung über den Streitfall nicht darauf an, ob die Einkünfte des Klägers in Italien besteuert wurden. Entgegen der Auffassung von Dziadkowski (Finanz-Rundschau - FR - 1988, 521) kann auch nicht von einer Unmöglichkeit der Besteuerung des Klägers in Italien ausgegangen werden. ...
      9. Der erkennende Senat kann die Rechtsfrage auch nicht deshalb anders entscheiden, weil ihm eine Besteuerung der im Streitfall interessierenden Vergütungen in der Bundesrepublik im Ergebnis "vernünftig" erscheint. Die DBA sollen das Recht, Einkünfte und Vermögen zu besteuern, zwischen den betroffenen Staaten nach einheitlich geltenden Grundsätzen gleichmäßig verteilen. Dieses Ziel läßt sich nur erreichen, wenn das einzelne DBA in beiden Vertragsstaaten einheitlich ausgelegt wird. Eine solche einheitliche Auslegung ist nur gewährleistet, wenn die Gerichte der Vertragsstaaten sich an dem Wortlaut des DBA in seiner gewöhnlichen Bedeutung und in seinem Sinnzusammenhang orientieren (Art.31 Abs.1 WÜRV). Es ist dagen nicht Sache der Gerichte, Vertragslücken durch ergänzende Regelungen auszufüllen. Eine derartige Lückenausfüllung ist ausschließlich den Vertragsstaaten selbst vorbehalten (Art.31 Abs.3 Buchst.a WÜRV, Art.16 DBA-Italien).
      Zwar schließt die Auslegung der DBA vorrangig nach ihrem Wortlaut es nicht aus, im Einzelfall auch andere Auslegungskriterien heranzuziehen. Es ist jedoch kein Anhaltspunkt dafür zu erkennen, daß die Anwendung des Art.7 DBA-Italien von den "wirtschaftlichen Auswirkungen" abhängen soll, die von der ausgeübten nichtselbständigen Tätigkeit "auf das Wirtschaftsleben eines der Vertragsstaaten" ausgehen. Insoweit kann auch nicht darauf abgestellt werden, daß die Vertragsstaaten am 31.Oktober 1925 im Zweifel die Entwicklung des Flugverkehrs bis zum Jahre 1984 nicht vorhersehen konnten. Jedes Gesetz und in diesem Sinne auch jedes DBA entfaltet, sobald es angewandt wird, eine ihm eigene Wirksamkeit. Diese geht regelmäßig über das hinaus, was der Gesetzgeber bzw. die Vertragsstaaten beabsichtigt hatten. Das Gesetz (DBA) greift in mannigfache und sich wandelnde Lebensverhältnisse ein, die der Gesetzgeber (Vertragsstaaten) nicht alle übersehen konnte(n). Eine solche Weiterentwicklung des Gesetzes (DBA) ist im Zweifel von dem Gesetzgeber (Vertragsstaaten) gewollt. Will der Gesetzgeber (Vertragsstaaten) sie nicht hinnehmen, muß er das Gesetz ändern.