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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


470. STAATENIMMUNITÄT

Nr. 88/2

Im Bereich hoheitlicher Tätigkeit (acta iure imperii) genießen souveräne Staaten nach Völkergewohnheitsrecht uneingeschränkte Immunität, die auch die für sie handelnden Organe umfaßt. Diese dürfen daher insoweit grundsätzlich nicht zu einer Vernehmung als Zeuge geladen werden.

According to customary international law, sovereign states enjoy absolute immunity with regard to acts of state (acta jure imperii) which extends to organs acting on their behalf. Thus, the latter may as a rule not be summoned as witnesses with regard to acts of state.

Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 30.9.1988 (9 CB 47.88), Buchholz 310 §133 Nr.84 (ZaöRV 50 [1990], 77)

Einleitung:

      In einem Asylverfahren hatte der Kläger die Ladung des indischen Verteidigungsministers als Zeuge beantragt. Er sollte zu dem Vorgehen des indischen Militärs gegen die Tamilen in Sri Lanka aussagen. Das Bundesverwaltungsgericht billigte die Ablehnung dieses Beweisantrages, da er auf ein nicht erreichbares Beweismittel gerichtet sei.

Entscheidungsauszüge:

      Verfahrensfehler sind ferner nicht ersichtlich bei der Ablehnung des Beweisantrages, mit dem die Vernehmung des indischen Verteidigungsministers als Zeuge beantragt war. Ob mit den Beweisbehauptungen, "die nationale Ehre Indiens" erfordere die "wahllose Tötung von Tamilen" und das Ziel der Militäroperationen in Sri Lanka sei "die Auslöschung der Tamilen durch die indische Armee", eine politische Verfolgung (auch) des Klägers rechtserheblich dargetan wird, kann dahinstehen. Denn jedenfalls hat der VGH im Ergebnis zutreffend den indischen Verteidigungsminister als nicht erreichbares Beweismittel angesehen. Die Vernehmung eines ausländischen Zeugen im Ausland oder seine Ladung zu einer Vernehmung in der Bundesrepublik Deutschland auf Veranlassung eines Gerichts hat auch im Verwaltungsprozeß nach Maßgabe des §363 ZPO i.V.m. §98 VwGO und der dafür bestehenden völkerrechtlichen Regeln und Vereinbarungen zu erfolgen. Im Bereich hoheitlicher Tätigkeit (acta iuris [sic] imperii) genießen souveräne Staaten nach Völkergewohnheitsrecht, das gemäß Art.25 GG auch für deutsche Gerichte verbindlich ist (vgl. auch §20 Abs.2 GVG), uneingeschränkte Immunität, die auch die für sie handelnden Organe des Staates umfaßt ... Dies schließt auch Ladungen zu einer Vernehmung als Zeuge in bezug auf derartige hoheitliche Tätigkeiten grundsätzlich aus, es sei denn, es ist völkerrechtlich etwas anderes vereinbart ... Derartige spezielle zweiseitige oder mehrseitige völkerrechtliche Vereinbarungen über eine Beweisaufnahme im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Indien liegen nicht vor ... Ferner ist Indien dem Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 18. März 1970 (BGBl 1977 II S.1472) bisher nicht beigetreten ..., dessen entsprechende Anwendung auf Vernehmungen in Verwaltungssachen nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist ...
      Da sich hier der indische Verteidigungsminister nach dem gestellten Beweisantrag zum Einsatz der indischen Truppen in Sri Lanka, ihre politischen Motive und das Verhalten dieser Truppen beim Militäreinsatz und damit über unstreitig hoheitliche Betätigungen äußern soll, besteht weder eine völkerrechtliche Pflicht noch ein völkerrechtliches Gebot der "Courtoisie" zu einer entsprechenden Zeugenaussage. Daß der indische Staat auf die ihm zur Verfügung stehende Staatenimmunität verzichtet hätte, legt die Beschwerde nicht dar; dies ist auch sonst nicht ersichtlich. Eine Umdeutung des Beweisantrags dahingehend, den indischen Verteidigungsminister als Privatperson zu vernehmen, ist angesichts des unstreitig hoheitlichen Charakters des indischen Truppeneinsatzes in Sri Lanka unzulässig. Auch die unmittelbare Einholung einer schriftlichen Auskunft der Beweisperson kommt nicht in Betracht, weil der ausländische Staat auch darin einen Eingriff in seine Hoheitsrechte sehen kann ... Der Beweisantrag richtet sich nach alledem auf ein nicht erreichbares und damit jedenfalls untaugliches, wenn nicht bereits unzulässiges Beweismittel.