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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


470. STAATENIMMUNITÄT

Nr. 92/1

Die Immunität eines Staatsoberhaupts kann die Existenz des Staates, den er repräsentiert hat, nicht überdauern. Nach dem Untergang eines Staates können seine Repräsentanten daher der Strafverfolgung durch andere Staaten unterliegen.

The immunity of a head of state cannot outlast the existence of the state which he or she represented. After the extinction of a state its representatives can therefore be subject to the criminal jurisdiction of other states.

Bundesverfassungsgericht (3.Kammer des Zweiten Senats), Beschluß vom 21.2.1992 (2 BvR 1662/91 u.a.), DtZ 1992, 216 (ZaöRV 54 [1994], 489)

Einleitung:

      Der Ministerpräsident der untergegangenen DDR wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen gerichtliche Beschlüsse (u.a. Haftbefehl), die in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wegen der Todesschüsse an der innerdeutschen Grenze gegen ihn ergangen sind. Er rügt u.a. die Verletzung von Völkerrecht. Seine Verfassungsbeschwerde wurde mangels hinreichender Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung angenommen.

Entscheidungsauszüge:

      1. Die Rüge des Beschwerdeführers, seine strafrechtliche Verfolgung verstoße gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts, wonach Staatsoberhäupter bzw. führende Repräsentanten eines fremden Staates auch nach Ablauf ihrer Amtszeit vollständige Immunität für während ihrer Amtszeit vorgenommene Handlungen genießen würden, ist nach der Rechtsprechung des Senats zulässig (vgl. BVerfGE 58, 1 [34] ... 59, 63 [89] ... 77, 170 [232] ... EuGRZ 1985, 654). Der Beschwerdeführer wäre durch die angegriffene Entscheidung in seinem Grundrecht aus Art.2 Abs.1 GG verletzt, wenn das Kammergericht gegen eine gemäß Art.25 GG zu beachtende allgemeine Regel des Völkerrechts verstoßen hätte. Das ist indessen hier nicht der Fall. Das Kammergericht hat seine Auffassung, wonach der Beschwerdeführer keine Immunität genieße, darauf gestützt, daß die Immunität eines Staatsoberhaupts die Existenz des Staates, den er repräsentiert, nicht überdauern könne, weshalb nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland dem Beschwerdeführer keine Immunität mehr zustehe. Diese Auffassung des Kammergerichts steht im Einklang mit dem Sinn und Zweck der völkerrechtlichen Immunität, durch die die Souveränität eines fremden Staates und seiner Staatsorgane geschützt werden soll. Mit dem Ende eines Staates entfällt gleichzeitig der tragende Grund für die Gewährung der Immunität. Daß in einem solchen Fall eine Strafverfolgung wieder möglich ist, entspricht der im völkerrechtlichen Schrifttum durchgängig vertretenen Auffassung ...