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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


482. ANERKENNUNG AUSLÄNDISCHER EXEKUTIVAKTE

Nr.87/1

Eine entschädigungslose Enteignung durch DDR-Behörden, die mit wesentlichen Grundsätzen der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland offensichtlich unvereinbar ist, wird nicht anerkannt. Hat jemand nach dem Recht der DDR an einem derart konfiszierten Gegenstand Eigentum erworben, so ist ihm die Berufung auf den Erwerb versagt, wenn er nicht gutgläubig war.

An expropriation without compensation by authorities of the German Democratic Republic which is manifestly incompatible with elementary principles of the legal order of the Federal Republic of Germany will not be recognized. A person claiming to have acquired ownership of an object confiscated in this manner will not be heard unless he acted in good faith.

Kammergericht, Urteil vom 29.9.1987 (17 U 492/87), NJW 1988, 341 (ZaöRV 48 [1988], 726 f.)

Einleitung:

      Der Kläger war in der DDR als Kunstsammler tätig gewesen. Nachdem er dort mit einer Erdrosselungssteuer belegt und wegen Steuerverkürzung bestraft worden war, kam er in die Bundesrepublik. Seine Kunstsammlung wurde von den DDR-Finanzbehörden beschlagnahmt, nach Durchführung eines Nachbesteuerungsverfahrens gepfändet und durch Verkauf an die Firma Kunst und Antiquitäten GmbH in Berlin (Ost) verwertet. Von dieser Firma erwarb die Beklagte, die in Berlin (West) als Kunsthändlerin tätig ist, eine Standuhr aus der Sammlung des Klägers. Dieser erhob Eigentumsherausgabeklage nach §985 BGB und obsiegte in beiden Instanzen. Das Kammergericht kommt nach den Regeln des interlokalen Privatrechts, die zu einer entsprechenden Anwendung der internationalprivatrechtlichen Grundsätze führen, zu dem Ergebnis, daß das Herausgabeverlangen sich nach dem Recht der Bundesrepublik richtet, die präjudizielle Frage dagegen, ob die Beklagte wirksam Eigentum an der Standuhr erworben hat, nach dem Recht der DDR. Das DDR-Recht führt danach zwar zur Annahme eines Eigentumsüberganges auf die Beklagte. Dieser Befund steht jedoch unter dem hier durchgreifenden ordre public-Vorbehalt (Art.30 EGBGB a.F. analog).

Entscheidungsauszüge:

      V. Der Beklagten ist die Berufung darauf, daß sie das Eigentum an der Standuhr nach dem Recht der DDR erworben hat, indes deshalb versagt, weil die Anwendung dieses Rechts durch die im Bereich des interlokalen Privatrechts entsprechend heranzuziehende Vorbehaltsklausel des Art.30 EGBGB a.F. ausgeschlossen wird ... Ein Verstoß gegen den ordre public ist anzunehmen, weil das gegen den Kläger durchgeführte Nachbesteuerungsverfahren, das zum Verlust seiner gesamten Kunst- und Antiquitätensammlung einschließlich der hier herausverlangten Standuhr geführt hat, bei angemessener Würdigung der Umstände, unter denen es eingeleitet und durchgeführt worden ist, eine entschädigungslose Enteignung darstellt, die in Widerspruch zu der in der Bundesrepublik geltenden Rechtsordnung steht ...
      1. Allerdings ist eine außerhalb der Bundesrepublik erfolgte Enteignung nach Internationalem Privatrecht grundsätzlich als wirksam anzuerkennen, sie entfaltet nur keine Wirkungen über die Grenzen des enteignenden Staates hinaus und ergreift nur das Vermögen, das zum Zeitpunkt der Enteignung der Gebietshoheit dieses Staates unterliegt ... Hier befand sich die Standuhr im Zeitpunkt ihrer Beschlagnahme und Verwertung auf dem Hoheitsgebiet der DDR, so daß diese Akte nach Internationalem Enteignungsrecht an sich auch im Inland anzuerkennen sind. Dieser Grundsatz gilt indes nicht ausnahmslos. Die nach dem Kollisionsrecht gebotene Anerkennung fremder Enteignungen besagt nicht, daß sie von den Gerichten der Bundesrepublik ungeprüft hingenommen werden müßten. Vielmehr schließt Art.30 EGBGB a.F. die Anerkennung fremder Enteignungen aus, wenn dies zu einem Ergebnis führen würde, das mit wesentlichen Grundsätzen unserer Rechtsordnung offensichtlich unvereinbar ist ... Allerdings setzt die Feststellung eines Verstoßes gegen den ordre public in diesen Fällen voraus, daß die Enteignung zumindest im Entscheidungszeitpunkt eine hinreichend starke örtliche Beziehung zur Rechtsordnung der Bundesrepublik (Inlandsbeziehung) aufweist. Davon ist hier indes auszugehen. Dabei kann dahinstehen, ob der Umstand ausreichte, daß die Standuhr nach erfolgter Enteignung nach Berlin (West) gebracht worden ist. Denn jedenfalls ist die Inlandsbeziehung schon deshalb gegeben, weil der Kläger Deutscher ist und beide Parteien ihren Wohnsitz bzw. Sitz innerhalb der Bundesrepublik haben ...
      2. Eine Enteignung im Sinne des Internationalen Privatrechts liegt nicht nur dann vor, wenn der staatliche Hoheitsakt als Enteignung bezeichnet wird. Vielmehr ist von einer unzulässigen, weil entschädigungslosen und deshalb nicht anzuerkennenden Enteignung auch bei hoheitlichen Akten auszugehen, die zwar nicht als Enteignung bezeichnet werden, ihr aber nach Tendenz und Wirkung gleichkommen ... Eine solche Enteignung läge vor, wenn die Behauptung des Klägers zuträfe, daß er während des Besteuerungszeitraums keinerlei Steuern hinterzogen habe, das Steuer- und Strafverfahren von den Behörden vielmehr ausschließlich zu dem Zweck gegen ihn eingeleitet worden sei, um seine wertvolle Kunst- und Antiquitätensammlung zu verwerten. Für die Richtigkeit dieser Darstellung sprechen auch in der Tat eine Reihe von Umständen ... Gleichwohl vermag der Senat aufgrund der Verhandlung nicht festzustellen, daß die Durchführung des Steuer- und Strafverfahrens auf reiner Willkür beruhte ...
      3. Eine Enteignung des Klägers liegt aber in dem Vermögensverlust, den er durch die Nachbesteuerung für die Zeit von 1972 bis 1981 in Verbindung mit der rechtskräftigen Verurteilung zur Zahlung einer Geldstrafe von 100.000 Mark erlitten hat. Das Einkommensteuerrecht der DDR steht schon als solches in Widerspruch zu rechtsstaatlichen Grundsätzen. Das Gebot der Gleichheit der Besteuerung ist ihm fremd. Die Besteuerung der Angehörigen freier Berufe richtet sich nach ihrer gesellschaftlichen Nützlichkeit. Der freie Unternehmer wird einem Sonderrecht unterstellt, das ihm härtere Lasten auferlegt als den anderen Bürgern. Ein solches Besteuerungssystem verstößt ganz offensichtlich gegen den Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit und gegen das Rechtsstaatsprinzip. Daher ist es mit der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland unvereinbar (BVerfG, NJW 1961, 653). Diesen rechtsstaatswidrigen Grundsätzen entspricht auch die Nachbesteuerung, der der Kläger für den Zeitraum von 1972 bis 1981 unterworfen worden ist ... Zwar geht das [Bundesverfassungsgericht] (BVerfG 30, 250 [271, 272]) in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß durch den Gesetzgeber auferlegte Geldleistungsverpflichtungen die Eigentumsgarantie des Art.14 GG grundsätzlich unberührt lassen. Dies gilt auch für Gesetze wirtschafts- und währungspolitischer Natur. Eine Ausnahme ist nur anzunehmen, wenn die Höhe der Steuer die Ausübung des Eigentumsrechts wirtschaftlich unmöglich macht oder wenn sie den Steuerpflichtigen übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigen würde. Eine solche Erdrosselungssteuer liegt aber nicht schon dann vor, wenn ein selbständiger Unternehmer seinen Betrieb unter ungünstigen Bedingungen oder bei unwirtschaftlicher Arbeitsweise aufgeben muß, sondern erst dann, wenn die unter normalen Umständen arbeitenden Steuerpflichtigen die Steuer nicht ohne wiederkehrende Eingriffe in die Substanz konkreter Eigentumsobjekte aufbringen können und ihr Betrieb dadurch zum Erliegen kommt; dann verstößt die Besteuerung gegen Art.14 I, 3 GG ...
      Ein solcher Tatbestand ist hier gegeben. Die festgesetzte Einkommen- und Vermögensteuer liegt bei einem Steuersatz von etwa 90%. Sie bleibt ... hinter dem während des Besteuerungszeitraums aus Handelstätigkeit erzielten Gewinn ... nur geringfügig zurück und läßt deshalb für die Auferlegung weiterer öffentlichrechtlicher Leistungen keinen oder nur noch einen geringen Spielraum. Gleichwohl führt dieses Besteuerungssystem bei Sachverhalten der hier in Rede stehenden Art zu dem Ergebnis, daß dem Steuerpflichtigen trotz des verbleibenden geringen Spielraums zusätzliche Abgaben in einer Größenordnung auferlegt werden, die den zu besteuernden Gewinn übersteigen. Es hatte hier zur Folge, daß ein den erzielten Gewinn erheblich übersteigender Betrag ... aus der Vermögenssubstanz aufgebracht werden mußte ...
      4. Die Anwendung des Rechts der DDR, soweit nach diesem Recht von einer wirksamen Beschlagnahme durch das Finanzamt und von einer ebenfalls wirksamen Weiterveräußerung der Standuhr auszugehen ist, steht i.S. des Art.30 EGBGB a.F. zu den tragenden Grundgedanken der entsprechenden inländischen Regelungen und der in ihnen liegenden Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch, daß seine Anwendung untragbar erscheint ... Diese Feststellung, die sich an einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalles zu orientieren hat, ist das Ergebnis einer Abwägung der beiderseitigen Interessenlage. Aus der Sicht dieses Prüfungsmaßstabes sprechen die weitaus überwiegenden Umstände zugunsten des Klägers ...
      c) Von entscheidender Bedeutung für die Anwendung des Art.30 EGBGB a.F. ist aber der Umstand, daß die Bekl. beim Erwerb der Standuhr nicht gutgläubig gewesen ist ...
      5. Hat die Anwendung des Rechts der DDR danach insoweit auszuscheiden, als aufgrund dieses Rechts von einer wirksamen Beschlagnahme durch das Finanzamt auszugehen wäre, so hat die deshalb zu treffende Feststellung, daß die Beschlagnahme unwirksam war, für die weitere Beurteilung des Falles zur Folge, daß die Beklagte das Eigentum an der Standuhr nicht erworben hat ...

Hinweis:

      Das vorstehende Urteil wurde durch Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22.9.1988 (IX ZR 263/87), RIW 1989, 61 (abgedruckt unter 482 [88/1]) aufgehoben.