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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


483. ANERKENNUNG AUSLÄNDISCHER LEGISLATIVAKTE

Nr.88/1

Der Inanspruchnahme eines Bürgen für Verbindlichkeiten seines Unternehmens (Hauptschuldnerin) steht der deutsche ordre public entgegen, wenn der ausländische Staat, welcher die Anteile des Bürgen an der in seinem Gebiet ansässigen Hauptschuldnerin entschädigungslos enteignet hat, zugleich die im Inland ansässige Gläubigerin beherrscht.

It is contrary to German public policy for a creditor to resort to a guarantor with respect to obligations of a principal debtor wholly owned by the guarantor if the creditor which is domiciled in Germany is controlled by a foreign state that has expropriated without compensation the guarantor's shares in the principal debtor which is domiciled in that state's territory.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.4.1988 (IX ZR 127/87), BGHZ 104, 240 (ZaöRV 50 [1990], 82)

Einleitung:

      Der Kläger, ein iranischer Staatsangehöriger im Exil, verlangte von der beklagten Bank die Auszahlung eines Festgeldguthabens. Die Beklagte ist eine Aktiengesellschaft deutschen Rechts, deren Kapital zu mindestens 85% dem iranischen Staat gehört. Sie rechnete mit einer Bürgschaftsforderung gegen den Kläger auf. Der Kläger hatte der Beklagten gegenüber eine Bürgschaft für Darlehensverbindlichkeiten einer iranischen Aktiengesellschaft (Sh.) übernommen, deren Alleinaktionär er war. Nach der Revolution enteignete der Iran die Anteile des Klägers an dieser AG entschädigungslos. Der BGH gab der Klage statt und ließ dabei die Aufrechnung wegen Verstoßes gegen den deutschen ordre public außer acht.

Entscheidungsauszüge:

      3. Die Beklagte kann deshalb keine Rechte aus der Bürgschaft herleiten, weil das im Ergebnis gegen den deutschen ordre public verstoßen würde.
      a) Das folgt entweder aus Art.30 a.F. EGBGB oder nach der Reform des Internationalen Privatrechts jetzt aus Art.6 EGBGB. Welche Vorschrift gilt, muß nicht beantwortet werden ..., weil beide in ihrem sachlichen Gehalt übereinstimmen ... Auch die erforderliche Inlandsbeziehung ist gegeben, weil die Beklagte ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland hat und die privatrechtlichen Folgen der Inanspruchnahme des Klägers aus der Bürgschaft wegen des bei ihr angelegten Festgeldes hier eintreten würden.
      Die genannten Vorbehaltsklauseln untersagen die Anwendung ausländischen Rechts, wenn das Ergebnis der Anwendung zu den Grundgedanken des deutschen Rechts und den ihm zugrundeliegenden Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, daß dies aus deutscher Sicht untragbar erscheint (BGHZ 75, 32, 43). Dabei hat die Rechtsprechung schon Art.30 a.F. EGBGB als die "Einbruchstelle" der Grundrechte in das Internationale Privatrecht verstanden (BVerfGE 31, 58, 72 ff., 86; BGHZ 60, 68, 78) wie es der Gesetzgeber nunmehr in Art.6 Satz 2 EGBGB niedergelegt hat. Von ihnen ist hier Art.14 GG einschlägig, der auch Ausländer, wie den Kläger als iranischen Staatsangehörigen, schützt ... und der entschädigungslose Enteignungen verbietet. Diese sind deshalb im Geltungsbereich des Grundgesetzes nicht anzuerkennen (BGHZ 31, 168, 171; 39, 220, 227; Urt. vom 28. Februar 1972 - III ZR 47/67, WM 1972, 394, 395).
      b) Zwar änderte die Enteignung der Anteile des Klägers an der Sh. auch unter dem Gesichtspunkt des ordre public an seiner Bürgschaftsverpflichtung grundsätzlich nichts. Allerdings konnte umgekehrt diese Enteignung wegen des Territorialitätsprinzips nicht das in der Bundesrepublik Deutschland belegene Vermögen des Klägers, also sein Festgeldguthaben erfassen. Genau diese Folge träte aber ein, wollte man der Beklagten den Zugriff hierauf im Wege der Inanspruchnahme aus der Bürgschaft durch Aufrechnung (§§387 ff. BGB) erlauben. Denn die Beklagte ist zwar eine juristische Person deutschen Rechts mit Sitz im Inland; ihr Aktienkapital hält jedoch ... zu mindestens 85% der iranische Staat. Die Bürgschaftssumme käme demzufolge gerade derjenigen Rechtspersönlichkeit zugute, die dem Kläger sein im Iran gelegenes Vermögen entschädigungslos weggenommen hat und ihm auch das dem Bürgen zustehende Rückgriffsrecht (§774 BGB) verwehrt. Das hat bereits der Berufungsrichter zutreffend erkannt und deshalb gemeint, bei dieser Sachlage mache es für den Kläger keinen Unterschied, ob dem iranischen Staat seine Festgeldanlage als Folge einer Enteignung oder über die Beklagte aufgrund deren Vorgehens aus der Bürgschaft zufließe.
      Der Beklagten war ersichtlich nur daran gelegen, das Guthaben des Klägers mittels seiner Inanspruchnahme als Bürge zu vereinnahmen, wie der weitere Verlauf zeigt ...
      c) Die Inanspruchnahme des Klägers aus der Bürgschaft und der damit einhergehende Verlust seiner Festgeldanlage käme nach alledem wirtschaftlich betrachtet dem iranischen Staat zugute, der so auf Vermögen zugreifen könnte, das ihm ohne dessen Anlage bei der von ihm beherrschten Beklagten verschlossen bliebe, und der damit die Wirkungen seiner entschädigungslosen Enteignungsmaßnahmen auf den Geltungsbereich des Grundgesetzes ausdehnen könnte. Ein solches Ergebnis ist mit der rechtlichen Ordnung der Bundesrepublik ebensowenig vereinbar, wie es die Anerkennung der entschädigungslosen Enteignung selbst wäre (BGHZ 34, 345, 348).