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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


490. TERRITORIALITÄTSGRUNDSATZ BEI AUSÜBUNG DER STAATSGEWALT

Nr.87/1

[a] Kraft des Weltrechtsprinzips kann ein Niederländer wegen Handels mit Betäubungsmitteln in den Niederlanden in Deutschland bestraft werden, ohne daß dem Völkerrecht entgegenstände.

[b] Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz des Völkerrechts, daß in derselben Sache ergangene ausländische Strafurteile einer Verfolgung im Inland entgegenstehen. (s.212 [87/1])

[a] Due to the principle of world-wide jurisdiction (Weltrechtsprinzip) a Dutch citizen can be prosecuted in Germany for dealing with narcotics in the Netherlands. This does not violate public international law.

[b] There is no general rule of public international law to the effect that a foreign criminal conviction precludes a new criminal prosecution for the same offence at home. (see 212 [87/1])

Bundesgerichtshof, Urteil vom 8.4.1987 (3 StR 11/87), BGHSt 34, 334 (ZaöRV 48 [1988], 723 f.) (s. 1051 [87/1])

Einleitung:

      Das Landgericht hat den Angeklagten, einen niederländischen Staatsangehörigen, wegen fortgesetzten Handels mit Betäubungsmitteln verurteilt. Nach den Feststellungen verkaufte er in Arnheim größere Mengen Haschisch an deutsche Staatsangehörige, die das erworbene Rauschgift über die Grenze nach Deutschland zu bringen beabsichtigten, was größtenteils gelang (Fälle IV 1-7). Weiter veräußerte er in den Niederlanden Haschisch an zwei ausländische Betäubungsmittelhändler, die es über die Grenze nach Deutschland brachten, wo es an verschiedene deutsche Abnehmer weiterverkauft wurde (Fall IV 8). Der Bundesgerichtshof hält deutsches Strafrecht für anwendbar.

Entscheidungsauszüge:

      2. Das deutsche Strafrecht gilt nach §6 Nr.5 StGB, unabhängig von dem Recht des Tatorts, für den Vertrieb von Betäubungsmitteln, dessen sich ein Ausländer im Ausland schuldig gemacht hat. Die Anwendung dieser Vorschrift ist hier weder durch eine etwa gebotene restriktive Auslegung noch durch ein völkerrechtliches Verbot ausgeschlossen.
      a) Die Vorschrift ist Ausdruck des Weltrechtsprinzips, das ohne Bindung an die einschränkenden Kriterien der subsidiären stellvertretenden Strafrechtspflege in nationalen Rechten für bestimmte Delikte, sogenannte Weltrechtsverbrechen, anerkannt ist ... Der Senat hat bereits in BGHSt 27, 30 ... entschieden, daß es keinen allgemeinen Grundsatz des Völkerrechts gibt, der die Anwendung des Weltrechtsprinzips auf den unbefugten Vertrieb von Betäubungsmitteln verbietet. Das gilt auch unter Berücksichtigung des Prinzips der Nichteinmischung, das es jedem Staat untersagt, sich in Angelegenheiten einzumischen, die der inneren Jurisdiktion eines anderen Staates unterstehen. Wie der Senat in jener Entscheidung zum Ausdruck gebracht hat, neigt er allerdings dazu, daß es zur Ausdehnung der staatlichen Strafgewalt auf Auslandstaten ausländischer Straftäter eines legitimierenden Anknüpfungspunktes bedarf ... Er hat die innere Rechtfertigung für die Vorschrift des §6 Nr.5 StGB in dem Einheits-Übereinkommen von 1961 über Suchtstoffe (BGBl. 1973 II 1353; 1974 II 1211; 1977 II 111) gefunden. Aus dem Übereinkommen ergibt sich eindeutig, daß die Unterzeichnerstaaten, zu denen auch die Niederlande gehören, im Interesse der Gesundheit und des Wohls der Menschheit eine weltweite internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität für erforderlich halten. Dieses schon in der Präambel hervorgehobene Ziel läßt die in §6 Nr.5 StGB vorgesehene Anwendung des Weltrechtsprinzips im allgemeinen jedenfalls nicht als willkürliche Vindikation deutscher Strafbefugnisse erscheinen ...
      An diesem Ergebnis hält der Senat nach erneuter Prüfung grundsätzlich fest, auch wenn das Weltrechtsprinzip in dem Einheits-Übereinkommen von 1961 nicht vorgeschrieben ist (BGHSt 34, 1, 3 ...). Hiervon abzuweichen, besteht um so weniger Anlaß, als §6 Nr.5 StGB im Zusammenhang mit den einschlägigen strafprozessualen Vorschriften keineswegs unverhältnismäßig ist. Er wirkt in der Praxis nicht als starrer Grundsatz. Er zwingt die deutschen Strafverfolgungsbehörden nicht dazu, ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalls gegen den unbefugten Vertrieb von Betäubungsmitteln im Ausland einzuschreiten. Die Staatsanwaltschaft hat vielmehr ein Verfolgungsermessen, das auch Raum für Rücksichtnahme auf nationale Interessen des Auslandes läßt. ...
      b) Die Revision leitet ihre Einwendungen gegen die Anwendung des Weltrechtsprinzips im vorliegenden Fall insbesondere daraus her, daß der Angeklagte ... nicht etwa bei einer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland oder bei einem Aufenthalt dort ergriffen, sondern nach internationaler Fahndung zur Strafverfolgung von Spanien nach Deutschland ausgeliefert worden ist und daß er überdies wegen der Tat auf Grund der Verurteilung in den Niederlanden dort angeblich nicht mehr verfolgt werden kann. Diese Einwendungen schließen die Geltung des §6 Nr.5 StGB hier nicht aus (aa). Soweit sie die Ermessensausübung der Staatsanwaltschaft im Rahmen des §153c StPO betreffen könnten, sind sie der Nachprüfung durch das Revisionsgericht entzogen ...
      aa) Allerdings gilt das Weltrechtsprinzip, wie es in §6 Nr.5 StGB zum Ausdruck kommt, in ähnlich weitreichender Form in Westeuropa nur in wenigen Staaten ... Auch sind Ansätze nicht zu verkennen, die Geltung des Prinzips zu begrenzen ... Der Senat geht davon aus, daß §6 Nr.5 StGB trotz der weiten Fassung in der Regel nur in Fällen angewendet wird, in denen sich eine Inlandsberührung der Tat aus der Ergreifung des Täters im Inland ergibt. Doch braucht er die Frage, unter welchen rechtlichen Gesichtspunkten Einschränkungen des Gesetzeswortlauts geboten sein mögen, weder allgemein noch abschließend zu erörtern. Er kann weiter offenlassen, ob die Festnahme des Angeklagten im Inland nach rechtmäßiger Auslieferung aus dem Ausland für sich allein zur Begründung einer sachgerechten Inlandsberührung ausreichen kann. Selbst wenn man das Weltrechtsprinzip des §6 Nr.5 StGB generell unter dem Gesichtspunkt eines Verbots rechtsmißbräuchlicher Anwendung begrenzen ... und die Festnahme des Täters nach einer Einlieferung als Anknüpfungspunkt nicht ausreichen lassen würde, ist die Anwendung des deutschen Strafrechts in den Fällen IV 1-7 nicht und im Fall IV 8 nicht grundsätzlich zu beanstanden.
      Es wäre nicht sachgerecht, die Geltung des Weltrechtsprinzips unter Ausschluß anderer wichtiger Gesichtspunkte ausnahmslos auf Fälle zu beschränken, in denen der Täter ohne Auslieferungsersuchen in die Hand des aburteilenden Staats gelangt. Die Anwendung des §6 Nr.5 StGB ist hier nach den Feststellungen nicht rechtsmißbräuchlich. Sie bedeutet keine unerlaubte Einmischung in Angelegenheiten, welche der inneren Jurisdiktion nur eines anderen Staates unterstehen. Ein berechtigter Anlaß für die deutschen Strafverfolgungsbehörden, gegen den Angeklagten einzuschreiten, ist ... jedenfalls dem Gedanken des Schutzes berechtigter eigener Interessen zu entnehmen. Das Schutzprinzip ist völkerrechtlich anerkannt ... Es kommt in ausländischen Rechten zur Einschränkung des Weltrechtsgrundsatzes im Zusammenhang mit der Verfolgung von Betäubungsmitteldelikten vor ... Die Tat des Angeklagten hat deutsche Interessen nicht nur - wegen der allgemeinen Gefährlichkeit jeden unerlaubten Betäubungsmittelhandels ... - abstrakt gefährdet. Schutzwürdige Inlandsbelange sind vielmehr nachhaltig dadurch verletzt worden, daß er jahrelang in Arnheim, also unweit der niederländisch-deutschen Grenze, größere Haschischmengen, oft kilogrammweise, an deutsche Staatsangehörige oder - im Tatkomplex IV 8 - an ausländische Betäubungsmittelhändler veräußerte und das Rauschgift anschließend zum größten Teil in die Bundesrepublik eingeführt wurde. ... Die dargelegte Verletzung schutzwürdiger deutscher Interessen durch die Auslandstat des Angeklagten reicht zur Anknüpfung bei der Anwendung des §6 Nr.5 StGB jedenfalls insoweit aus, als er sie nach den Umständen erkannt hat oder zumindest unschwer hätte erkennen können.
      Das trifft nach den Feststellungen in den Tatkomplexen IV 1-7 zu, wie sich aus der Strafbarkeit der Tat auch in den Niederlanden, ihrer Dauer, der Grenznähe des Handels, des Umfangs der einzelnen Lieferungen, der deutschen Staatsangehörigkeit der Käufer sowie aus der Tatsache ergibt, daß der Angeklagte im Jahre 1976 bereits einmal wegen einer gleichen Tat von einem deutschen Gericht zu Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Im Tatkomplex IV 8, in dem das Urteil ohnehin aufzuheben ist, besteht eine Besonderheit insofern, als es dort um die Belieferung ausländischer Betäubungsmittelhändler ging. Ob der Angeklagte auch insoweit mit einer Einfuhr nach Deutschland rechnen mußte, wird der Tatrichter in der neuen Hauptverhandlung zu klären haben, falls es darauf noch ankommt.
      Die frühere Verurteilung des Angeklagten im Jahre 1981 in den Niederlanden schließt die Verfolgbarkeit der Tat nach deutschem Recht nicht aus. Nach dem Inhalt des §51 Abs.3 StGB und des §153c Abs.1 Nr.3 StPO sind Zweifel daran nicht möglich (vgl. auch Art.9 EuAlÜbk). Einen allgemeinen Grundsatz des Völkerrechts, daß in derselben Sache ergangene ausländische Strafurteile zu respektieren sind und einer erneuten Verfolgung des Täters im Inland entgegenstehen, gibt es nicht ... Das "Erledigungsprinzip", wonach von einem ausländischen Gericht abgeurteilte Auslandstaten im Inland nicht nochmals verfolgt werden sollen (vgl. §6 Abs.3 des Alternativentwurfs eines Strafgesetzbuchs), ist nicht Gesetz geworden. Von einem offenen Verstoß gegen das Nichteinmischungsprinzip kann im übrigen schon deshalb nicht die Rede sein, weil sich das deutsche Strafverfahren auf Einzelfälle erstreckt, die in dem niederländischen Urteil nicht erörtert werden.