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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


500. ORGANE DES DIPLOMATISCHEN UND KONSULARISCHEN VERKEHRS

Nr.86/1

Die Immunität eines Sonderbotschafters bildet keinen persönlichen Strafausschließungsgrund, sondern lediglich ein Verfahrenshindernis. Sie hindert deshalb die Durchführung eines Strafverfahrens wegen außerdienstlich begangener Handlungen nur bis zur Beendigung der dienstlichen Tätigkeiten.

The immunity of a special envoy does not constitute a ground for personal exemption from punishment for a criminal offense but is only a procedural obstacle. With regard to acts falling outside an envoy's official functions, the immunity will thus not impede criminal proceedings beyond the termination of the envoy's official mission.

Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluß vom 20.3.1986 (1 Ws 1102/85), NJW 1986, 2204 (ZaöRV 48 [1988], 50)

Einleitung:

      Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, bei seiner Einreise in die Bundesrepublik Opium ohne Erlaubnis eingeführt zu haben. Das Landgericht verurteilte ihn deswegen zu einer Freiheitsstrafe. Der Bundesgerichtshof hob dieses Urteil auf und stellte das Verfahren ein. Seiner Auffassung nach bestand das Verfahrenshindernis der Immunität (§20 GVG), da der Beschuldigte als Sonderbotschafter des Iran in die Bundesrepublik eingereist war. Der Beschuldigte wurde zur persona non grata erklärt und verließ die Bundesrepublik. Kurz darauf leitete die Staatsanwaltschaft wegen desselben Sachverhalts ein neues Ermittlungsverfahren gegen ihn ein, und das Amtsgericht Düsseldorf erließ einen Haftbefehl. Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Haftbefehl hat die Strafkammer durch den angefochtenen Beschluß als unbegründet verworfen. Die hiergegen gerichtete weitere Beschwerde hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsauszüge:

      I. Dessen gegen die Einleitung eines neuen Strafverfahrens und den Erlaß des Haftbefehls vorgebrachten Bedenken greifen nicht durch.
      1. Unzutreffend ist seine Meinung, daß die ihm seinerzeit bei der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland als Sonderbotschafter der Iranischen Republik zustehende Immunität einen persönlichen Strafausschließungsgrund bewirkt habe mit der Folge, daß er auch weiterhin nicht verfolgt und bestraft werden könne. Die dieser Meinung zugrunde liegende materiell-rechtliche Auffassung von der Rechtsnatur der Immunität wird zwar von einem Teil des Schrifttums vertreten ..., überzeugt jedoch nicht. Ihr gegenüber steht die von der herrschenden Meinung vertretene und als richtig anzuerkennende prozeßrechtliche Theorie ..., die die Immunität lediglich als Verfahrenshindernis versteht. Diese in der Rechtsprechung (RGSt 52, 167; BGHSt 14, 137 [139]; ... BGHSt 21, 29 [32] ...) einhellig vertretene prozeßrechtliche Auffassung, die auch dem Beschluß des BGH ... (BGHSt 32, 275 ff. ...) zugrunde liegt, verdient den Vorzug, da nur sie dem Sinn und Zweck der bestimmten Personen im Einklang mit den Regeln des Völkerrechts eingeräumten Immunität entspricht.
      Die in den §§18 bis 20 GVG ausgesprochene Befreiung bestimmter Personen von der deutschen Gerichtsbarkeit, wozu nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts auch die Sonderbotschafter fremder Staaten zählen, ist Ausprägung einer gewohnheitsmäßig entstandenen Völkerrechtsnorm ..., die - soweit es die Mitglieder der diplomatischen Vertretungen anlangt - in dem Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18.4.1961 - WÜD - eine völkerrechtlich verbindliche und zwischenzeitlich allgemein anerkannte Kodifikation erfahren hat. Nach Art.39 Abs.2 Satz 1 WÜD entfällt die Immunität eines Mitgliedes der diplomatischen Vertretung nach Beendigung seiner dienstlichen Tätigkeit mit der Ausreise bzw. dem Ablauf einer hierfür gewährten angemessenen Frist. Nach Satz 2 bleibt sie indes weiter bestehen in bezug auf die von der betreffenden Person in Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit vorgenommenen Handlungen. Dementsprechend geht das völkerrechtliche Schrifttum übereinstimmend davon aus, daß Mitglieder der diplomatischen Vertretungen nach Beendigung der Mission wegen nicht in Ausübung ihres Dienstes begangener Handlungen von den Gerichten des Aufenthaltsstaates verfolgt und gegebenenfalls bestraft werden dürfen ... . Die Immunität nämlich wird den Mitgliedern diplomatischer Missionen nicht um ihrer selbst willen, sondern allein zur Sicherung und Erfüllung ihrer Aufgaben gewährt. Es soll dadurch vermieden werden, daß der Diplomat durch Einwirkungen der Staatsgewalt des Empfangsstaates in der Ausübung seines Amtes und der Wahrnehmung seiner Pflichten behindert wird. Nach Beendigung seiner dienstlichen Tätigkeit besteht für außerdienstlich begangene Handlungen - die dienstlich begangenen werden nicht ihm, sondern seinem Heimatstaat zugerechnet - kein Grund mehr für einen fortwirkenden Immunitätsschutz. Ein weitergehender als der für Mitglieder diplomatischer Vertretungen geltende Schutz vor der inländischen Gerichtsbarkeit steht nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts dem Beschuldigten als Sonderbotschafter nicht zu.
      Überdies deutet auch die Fassung der §§18 bis 20 GVG darauf hin, daß der Gesetzgeber die den begünstigten Personen zustehende Immunität lediglich als verfahrensrechtlich zu begreifende Freiheit vom Gerichtszwang, nicht aber von den Vorschriften des Strafgesetzes gewertet wissen wollte. Hätte er nämlich letzteres gewollt, wäre zu erwarten gewesen, daß er eine der Fassung des Art.46 Abs.1 GG bzw. §36 StGB entsprechenden Wortlaut gewählt hätte.
      Gegen das prozeßrechtliche Verständnis der Immunität als eines reinen Verfahrenshindernisses sprechen auch nicht die möglichen Schwierigkeiten, die sich gegebenenfalls bei der Abgrenzung der im Dienst von den nicht im Dienst begangenen Handlungen ergeben können. Wie die einzelnen Handlungen im Einzelfall voneinander abzugrenzen sind, kann dahinstehen. Es ist ... offensichtlich, daß die hier in Rede stehende unerlaubte und mit Strafe bedrohte Einfuhr von Betäubungsmitteln ohne Genehmigung des Empfangsstaates nicht zu den dienstlichen Obliegenheiten eines Sonderbotschafters gehört.