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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


610. DEUTSCHE STAATSANGEHÖRIGKEIT

Nr.92/1

Das staatliche Interesse der Bundesrepublik Deutschland an der Vermeidung von Mehrstaatigkeit besteht trotz der zwischenzeitlichen Weiterentwicklung des Völkerrechts und des innerstaatlichen Rechts grundsätzlich fort.

The Federal Republic of Germany's state interest in avoiding multiple nationality continues as a matter of principle notwithstanding intervening developments in public international law and municipal law.

Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 20.7.1992 (12 UE 2495/91), FamRZ 1992, 549 (ZaöRV 54 [1994], 481 und 495) (rechtskräftig)

Einleitung:

      Der seit 1984 mit einer Deutschen verheiratete Kläger begehrt seine Einbürgerung unter Beibehaltung seiner iranischen Staatsangehörigkeit. Der Iran hatte seine Entlassung aus der Staatsangehörigkeit von der Ableistung des Wehrdienstes abhängig gemacht, was der Kläger als unzumutbar ansah.
      Der Verwaltungsgerichtshof legt zunächst dar, daß die Bundesrepublik gemäß Nr.II des Schlußprotokolls zum deutsch-iranischen Niederlassungsabkommen (RGBl. 1930 II S.1006 [1013] i.V.m. BGBl. 1955 II S.829) gehindert sei, iranische Staatsangehörige ohne vorherige Zustimmung ihrer Regierung einzubürgern. Dieses Zustimmungserfordernis entfalle nur, wenn sich das Einbürgerungsermessen nach §8 RuStAG zu einem Anspruch verdichtet habe. Einer solchen Ermessensreduktion stehe das öffentliche Interesse an der Vermeidung von mehrfacher Staatsangehörigkeit entgegen.

Entscheidungsauszüge:

      Das Festhalten an dem Grundsatz der Vermeidung von mehrfacher Staatsangehörigkeit ist ... nicht durch die zwischenzeitliche Entwicklung des Völkerrechts oder des innerstaatlichen Rechts als überholt oder sonst ermessensfehlerhaft anzusehen. Zahlreiche westeuropäische Länder haben die Einbürgerung in den letzten Jahren wesentlich erleichtert, und zwar überwiegend unter Hinnahme der Beibehaltung der bisherigen Staatsangehörigkeit, ein Teil der Vertragsstaaten des Übereinkommens über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern (v. 6.5.1963, BGBl. 1969 II 1954) sieht unter bestimmten weiteren Voraussetzungen einen gesetzlichen Erwerb der Staatsangehörigkeit kraft Geburt auf dem Territorium des Aufnahmelandes vor, und eine Mehrheit der Vertragsstaaten räumt Ausländern der zweiten oder nachfolgenden Generationen darüber hinaus alternativ oder kumulativ besondere Optionsrechte ein, die an die Geburt im Inland und eine bestimmte Aufenthaltsdauer geknüpft sind, wobei regelmäßig die Beibehaltung der bisherigen Staatsangehörigkeit zugelassen wird, und diese Möglichkeit ist auch im Entwurf des "Zweiten Zusatzprotokolls" zu dem Mehrstaaterübereinkommen vorgesehen ...
      Unabhängig davon, welche Folgerungen aus dieser Staatenpraxis zu ziehen sind ..., muß jedoch berücksichtigt werden, daß der deutsche Gesetzgeber auch in den Vorschriften über die erleichterte Einbürgerung junger Ausländer und von Ausländern mit langem Aufenthalt im Bundesgebiet (§§85 Abs.1 Nr.1, 86 Abs.1 Nr.1 AuslG) an dem staatlichen Interesse festgehalten hat, Mehrstaatigkeit tunlichst zu vermeiden. Dementsprechend hat auch die zuständige Kammer des BVerfG in dem Beschluß vom 16.9.1990 (- 2 BvR 164/88 -) ausgeführt, Mehrstaatigkeit werde innerstaatlich und international als Übel betrachtet, das sowohl im Interesse der Staaten als auch im Interesse der Bürger nach Möglichkeit vermieden oder beseitigt werden sollte, und es auch für den Fall, daß wegen der Asylberechtigung und der Ehe des Bewerbers mit einem Deutschen ein staatliches Interesse an der Einbürgerung anzuerkennen ist, für verfassungsmäßig erachtet, eine Einbürgerung unter Hinweis auf das staatliche Interesse an der Verhinderung von Mehrstaatigkeit abzulehnen. Dementsprechend läßt auch die jüngste Rechtsprechung des BVerwG ein Abrücken von den dargestellten Grundsätzen nicht erkennen. Danach ist es weiterhin grundsätzlich nicht rechtsfehlerhaft, die Ermessenseinbürgerung nach §8 RuStAG zur Vermeidung von Mehrstaatigkeit von der Entlassung des Einbürgerungsbewerbers aus seiner bisherigen Staatsangehörigkeit abhängig zu machen ...