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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


650. ANDERE STAATSANGEHÖRIGKEITEN

Nr.91/1

[a] Eine palästinensische Mandats- oder Staatszugehörigkeit besteht nicht.

[b] Ob eine Person die Staatsangehörigkeit eines fremden Staates besitzt, richtet sich nach dem Staatsangehörigkeitsrecht dieses Staates, wie es dessen Behörden und Gerichte auslegen und anwenden.

[a] There is no Palestinian mandate citizenship or Palestinian state citizenship.

[b] The question whether a person possesses the nationality of a foreign state must be answered according to the nationality law of that state, as it is interpreted and applied by its authorities and courts.

Oberverwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 12.6.1991 (OVG 5 B 44.90), OVGE 19, 171 (ZaöRV 53 [1993], 383 f.)

Einleitung:

      Im Rahmen einer Verpflichtungsklage auf Einbürgerung stellte sich u.a. die Frage, ob die 1980 in Berlin geborene Klägerin staatenlos ist. Ihre Eltern sind Inhaber libanesischer Reiseausweise für Palästinaflüchtlinge, in denen ihre Staatsangehörigkeit mit "Palästinenser" angegeben wird. Die Klage hat keinen Erfolg.

Entscheidungsauszüge:

      Die Klage ist unbegründet, weil die Klägerin (noch) keinen Anspruch auf Einbürgerung hat (§113 Abs.5 Satz 1 VwGO).
      Als Anspruchsgrundlage kommt Art.2 des Ausführungsgesetzes zu dem Übereinkommen vom 30. August 1961 zur Verminderung der Staatenlosigkeit und zu dem Übereinkommen vom 13. September 1973 zur Verringerung der Fälle von Staatenlosigkeit (Gesetz zur Verminderung der Staatenlosigkeit) vom 29. Juni 1977 (BGBl. I S.1101) - AusfG - in Betracht. Danach ist ein seit Geburt Staatenloser auf seinen Antrag einzubürgern, wenn er ... seit fünf Jahren rechtmäßig seinen dauernden Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat. ... Die Klägerin ist zwar ... staatenlos (I.), sie erfüllt aber (noch) nicht die Voraussetzung des fünfjährigen rechtmäßigen dauernden Aufenthalts im Geltungsbereich des Gesetzes ...
      I. Die im Geltungsbereich des Gesetzes geborene Klägerin ist staatenlos im Sinne des Art.2 AusfG. Nach Art.1 Nr.1 AusfG in Verbindung mit Art.1 Abs.1 des Übereinkommens vom 28. September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen (BGBl. 1976 II S.473) ist "Staatenloser" eine Person, die kein Staat aufgrund seines Rechts als Staatsangehörigen ansieht. ...
      Die Klägerin besitzt weder eine palästinensische Staats- oder Mandatszugehörigkeit (1.) noch die libanesische Staatsangehörigkeit (2.). Da eine sonstige Staatsangehörigkeit der Klägerin nicht ersichtlich ist, ist sie de-jure staatenlos.
      1. Wie der 4.Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin in dem ... Urteil vom 5. Dezember 1989 [InfAuslR 1990, 76] ... ausgeführt hat, ist die ursprünglich durch die Palestinian Citizenship Order (PCO) vom 24. Juli 1925 ... begründete palästinensische Mandatszugehörigkeit - deren mögliche Unvollkommenheit ... hier dahingestellt bleiben kann - durch die Mandatsrückgabe im Mai 1948 untergegangen. Diesen Ausführungen ... hat sich der Senat bereits in seinem Urteil vom 18. April 1991 (... InfAuslR 1991, 228) angeschlossen. Sie entsprechen der ganz einhelligen Ansicht in der Rechtsprechung ... und der Literatur ... .
      Die Einwände des Beklagten gegen diese Ansicht vermögen nicht zu überzeugen:
      Soweit der Beklagte geltend macht, das Verwaltungsgericht habe unberücksichtigt gelassen, daß der Ghaza-Streifen im Jahre 1948 lediglich unter ägyptische Verwaltung gekommen, nicht aber wie die übrigen Teile Palästinas von anderen Staaten annektiert worden sei, hat der 4.Senat des OVG Berlin ... dazu bereits ausgeführt, daß nach der Mandatsrückgabe durch Großbritannien der Ghaza-Streifen nicht mehr unter der Verwaltung der britischen Mandatsmacht stand. Es erscheine deshalb zutreffend, daß diese Gebiete in die Treuhandschaft der Vereinten Nationen als Nachfolgeorganisation des Völkerbundes zurückgefallen seien. Daraus resultiere aber nicht, daß für die Einwohner dieser Gebiete das palästinensische Bürgerrecht erhalten geblieben wäre; denn dieses sei aufgrund des Mandatsvertrages zwischen dem Völkerbund und Großbritannien allein von der Mandatsmacht Großbritannien vermittelt worden. Mit der Entäußerung des Mandats seien die Voraussetzungen dafür entfallen. Weder der Völkerbund noch die Vereinten Nationen hätten in der Folgezeit den Einwohnern des Ghaza-Streifens jemals eine Staatsangehörigkeit oder auch nur ein palästinensisches Bürgerrecht vermittelt.
      Auch dem hat sich der Senat angeschlossen. Es kommt hinzu, daß es jedenfalls an einer im Ghaza-Streifen ausgeübten Staatsgewalt des Staates Palästina fehlt, die neben dem Vorhandensein eines Staatsvolkes und eines Staatsgebietes weitere Voraussetzung für die Annahme einer palästinensischen Staatsangehörigkeit wäre ...
      Entgegen der Ansicht der Berufung ist es unerheblich, ob die arabischen Staaten das Vorliegen einer palästinensischen Staatsangehörigkeit anerkennen und wie diese Frage gegebenenfalls von den übrigen Vertragsstaaten des Übereinkommens von 1961 beurteilt wird. Denn nach dem eindeutigen Wortlaut des Art.1 Abs.1 des Übereinkommens vom 28. September 1954 kommt es für die Frage der Staatenlosigkeit allein darauf an, ob ein Staat aufgrund seines Rechts die jeweilige Person als (seinen) Staatsangehörigen ansieht.
      Die Auffassung des Beklagten, ein Zeitraum von 40 Jahren sei im Völkerrecht nicht ausreichend, um allein durch Zeitablauf eine geklärte Situation annehmen zu können, liefe darauf hinaus, daß es neben der festgestellten Staatsangehörigkeit einer Person oder deren Staatenlosigkeit auch einen Rechtszustand der "ungeklärten" Staatsangehörigkeit gäbe. Zwar mag politisch die Situation in Palästina nach wie vor als ungeklärt bezeichnet werden, rechtlich kann es aber den Zustand der "ungeklärten" Staatsangehörigkeit nicht geben ... Lediglich für die Dauer eines Verwaltungsverfahrens kann im konkreten Einzelfall ungeklärt sein, ob und ggf. welche Staatsangehörigkeit eine Person besitzt. Läßt sich aufgrund aller Ermittlungen eine konkrete Staatsangehörigkeit nicht feststellen, ist der Betreffende staatenlos. Ein Dauerzustand der "ungeklärten" Staatsangehörigkeit, wie er ... hier bereits seit 40 Jahren bestehen soll, widerspricht im übrigen eklatant dem Sinn der völkerrechtlichen Übereinkommen von 1961 und 1973 zur Verhinderung bzw. Verminderung der Staatenlosigkeit, die von der Völkergemeinschaft generell als unerwünscht angesehen wird ...
      2. Die Klägerin ist ebensowenig wie ihre Eltern libanesische Staatsangehörige. Dies folgt ohne weiteres aus dem Umstand, daß ihnen der Libanon keine Nationalpässe, sondern lediglich Reiseausweise für palästinensische Flüchtlinge ausgestellt und dabei als Nationalität "Palästinenser" eingetragen hat. Dies zeigt, daß die libanesischen Behörden von einer palästinensischen Staatsangehörigkeit ausgehen und daher die Klägerin und deren Eltern - trotz der Geburt im Libanon - nicht als libanesische Staatsangehörige ansehen ... Soweit demgegenüber die 18.Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin [siehe 660 (90/2)] die Ansicht vertritt, für die im Rahmen der innerstaatlichen Rechtsanwendung zu prüfende Staatenlosigkeit sei das von den deutschen Gerichten aufgrund eigener Kompetenz festzustellende Staatsangehörigkeitsrecht der in Betracht kommenden Staaten und nicht dessen Anwendung durch deren Behörden und Gerichte maßgebend, vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen. Diese Ansicht läßt unberücksichtigt, daß es nach der Definition der Staatenlosigkeit in Art.1 Abs.1 des Übereinkommens von 1954 allein darauf ankommt, ob ein Staat aufgrund seines Rechts den Betreffenden als Staatsangehörigen "ansieht". Schon diese Wortwahl macht deutlich, daß es sich dabei um eine allein von dem betreffenden Staat zu entscheidende Frage handelt. Da im übrigen die Entscheidung eines deutschen Gerichts über das Bestehen der libanesischen Staatsangehörigkeit naturgemäß im Libanon keine rechtliche Bedeutung hat, läuft die Ansicht des Verwaltungsgerichts darauf hinaus, Personen wie der Klägerin die Anerkennung als de-jure-Staatenlose zu verweigern, obwohl ihnen von keinem anderen Staat die Staatsangehörigkeit rechtlich zugestanden wird, und damit im Ergebnis entgegen der Intention der Übereinkommen von 1961 und 1973 die Zahl der De-facto-Staatenlosen, die sich nicht auf den Schutz der Übereinkommen berufen können, künstlich zu erweitern. Der Senat vertritt daher ... die Ansicht, daß für die Beurteilung der Staatenlosigkeit die Auslegung des fremden Staatangehörigkeitsrechts durch die Behörden und Gerichte des jeweiligen Staates und nicht diejenige durch deutsche Behörden und Gerichte maßgebend ist.

Hinweis:

      Im Zusammenhang mit der Ablehnung einer Nichtzulassungsbeschwerde (§133 VwGO) führte das Bundesverwaltungsgericht im Beschluß vom 25.5.1993 (1 B 21.93 - InfAuslR 1993, 298 [299]) folgendes aus: "Die Beschwerde wirft ... die allgemeine Frage auf, ob für die Annahme einer ausländischen (hier: palästinensischen) Staatsangehörigkeit vorauszusetzen ist, daß neben dem Vorhandensein eines Staatsvolkes und eines Staatsgebietes auch Staatsgewalt ausgeübt wird. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Frage eine gemäß Art.25 Satz 1 GG zum revisiblen Bundesrecht gehörende allgemeine Regel des Völkerrechts betrifft ... Die Beschwerde zeigt nicht auf, inwiefern es in einem Revisionsverfahren auf diese Frage ankommt. Die Ablehnung einer palästinensischen Staats- oder Mandatszugehörigkeit durch die Vorinstanzen beruhte auf Erwägungen, die das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung in gegen den Beklagten gerichteten Einbürgerungsprozessen palästinensischer Volkszugehöriger vertreten hat. Danach scheitert die Annahme einer palästinensischen Staatsangehörigkeit nicht nur und nicht in erster Linie daran, daß es auch in den nicht von anderen Staaten annektierten Teilen Palästinas, namentlich im Gaza-Streifen, keine Staatsgewalt des Staates Palästina gibt, sondern darüber hinaus und unabhängig davon auch daran, daß weder der Völkerbund noch die Vereinten Nationen, in deren Treuhandschaft die nicht an Israel gefallenen Teile des ehemaligen Mandatsgebiets nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts gefallen sind, den Einwohnern des Gaza-Streifens jemals eine Staatsangehörigkeit oder auch nur ein palästinensisches Bürgerrecht vermittelt haben ..."