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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


660. STAATENLOSIGKEIT

Nr.90/1

[a] Staatenlose haben nur dann einen Anspruch auf Erteilung eines Reiseausweises aus Art.28 Satz 1 des Übereinkommens vom 28. September 1954 über die Rechtstellung der Staatenlosen, wenn sie sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet des jeweiligen Vertragstaats aufhalten.

[b] Da weder das Staatenlosenübereinkommen noch andere völkerrechtliche Verträge Regelungen über die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts enthalten, richtet sich diese nach dem Recht des jeweiligen Vertragsstaats.

[c] Ein Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland ist grundsätzlich nur rechtmäßig, wenn der Staatenlose über eine Aufenthaltserlaubnis verfügt, nicht jedoch bei bloßer Duldung.

[a] Stateless persons can only claim a travel document according to Art.28 clause 1 of the Convention Relating to the Status of Stateless Persons of 28 September 1954, if they are lawfully staying in the territory of the respective state party.

[b] Since neither the Convention Relating to the Status of Stateless Persons nor other international treaties embody rules concerning the lawfulness of a stay, the latter is determined by the law of the respective state party.

[c] The stay in the Federal Republic of Germany will generally only be lawful, if the stateless person holds a residence permit, and not if this person's stay is only due to a deferment of deportation.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16.10.1990 (1 C 15.88), BVerwGE 87, 11 (ZaöRV 52 [1992], 375)

Einleitung:

      Der in Beirut geborene Kläger kurdischer Volkszugehörigkeit kam 1979 mit einem libanesischen Laissez-Passer in die Bundesrepublik. Er erhielt seit seiner Einreise befristete Duldungen, zunächst bis zum erfolglosen Abschluß seines Asylverfahrens und dann aus humanitären Gründen wegen der instabilen politischen Verhältnisse im Libanon; eine Aufenthaltserlaubnis wurde ihm jedoch verweigert. Nachdem sein Laissez-Passer abgelaufen war, beantragte der Kläger ohne Erfolg die Ausstellung eines Reiseausweises nach dem Übereinkommen vom 28.9.1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen.

Entscheidungsauszüge:

      Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsverstoß einen Anspruch des Klägers auf Erteilung eines Reiseausweises verneint.
      1. Der Anspruch ist nicht von vornherein deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger ihn aus einem völkerrechtlichen Vertrag, dem Übereinkommen vom 28. September 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen (BGBl. 1976 II S.473/1977 II S.235) - StlÜbk - herleitet. Mit dem Zustimmungsgesetz vom 12. April 1976 wurde das Übereinkommen in innerstaatliches Recht transformiert. Wie der Senat wiederholt ausgesprochen hat, führt die Transformation eines völkerrechtlichen Vertrages durch ein Zustimmungsgesetz zur unmittelbaren Anwendbarkeit einer Vertragsnorm, wenn sie nach Wortlaut, Zweck und Inhalt geeignet und hinreichend bestimmt ist, wie eine innerstaatliche Vorschrift rechtliche Wirkung zu entfalten, also dafür keiner weiteren normativen Ausfüllung bedarf (BVerwGE 80, 233 [235] ...). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Ziel des Übereinkommens ist, wie sich aus seiner Präambel ergibt, die Rechtsstellung der Staatenlosen zu regeln und zu verbessern. Zur Erfüllung dieses Zieles sieht das Übereinkommen unter den in den einzelnen Bestimmungen genannten Voraussetzungen verschiedene Vergünstigungen für Staatenlose vor. Es will nicht lediglich zwischenstaatliche Verpflichtungen begründen. Seine Vorschriften sind grundsätzlich auch so bestimmt, daß sie durch Behörden und Gerichte unmittelbar angewendet werden können, wie es für das inhaltlich weitgehend übereinstimmende Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S.559/1954 II S.619) ebenfalls anerkannt ist ... Das gilt namentlich für die Vorschriften über den Reiseausweis. Der Staatenlose kann daher nach Maßgabe des Art.28 StlÜbk die Erteilung eines Reiseausweises verlangen. Das schließt einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung ein, soweit Art.28 Satz 2 StlÜbk der Behörde einen Ermessensspielraum bei der Entscheidung einräumt ... Dieses Ermessen kann sich im Einzelfall nach allgemeinen Grundsätzen derart reduzieren, daß dem Betroffenen nach Satz 2 ein Anspruch auf einen Reiseausweis erwächst.
      2. Das Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen ist nach seinem Art.1 Abs.1 nur auf Personen anwendbar, die kein Staat aufgrund seines Rechts als Staatsangehörigen ansieht, also nur auf solche, die de iure staatenlos sind (Urteil vom 27. September 1988 - BVerwG 1 C 20.88 - Buchholz 130 §8 RuStAG Nr.36 S.41). Ob der Kläger zu diesem Personenkreis gehört, kann dahingestellt bleiben, da er jedenfalls nicht nach Art.28 StlÜbk die Erteilung eines Reiseausweises beanspruchen kann.
      3. Art.28 Satz 1 StlÜbk setzt einen rechtmäßigen Aufenthalt des Staatenlosen im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates voraus. Rechtmäßiger Aufenthalt im Hoheitsgebiet beinhaltet eine besondere Beziehung des Betroffenen zu dem Vertragsstaat durch eine mit dessen Zustimmung begründete Aufenthaltsverfestigung. Es genügt nicht die faktische Anwesenheit, selbst wenn sie dem Vertragsstaat bekannt ist und von diesem hingenommen wird. Die Notwendigkeit einer gewissen Aufenthaltsverfestigung ergibt sich nicht nur aus der sprachlichen Formulierung "rechtmäßig aufhalten", die zutreffend die nach dem Vertragstext verbindliche ... englische und französische Formulierung "lawfully staying" bzw. "résidant régulièrement" wiedergibt, sondern vor allem aus einem Vergleich zwischen Art.28 Satz 1 und Satz 2 StlÜbk. Nach Satz 1 stellen die Vertragsstaaten Reiseausweise den Staatenlosen aus, die sich in ihrem Hoheitsgebiet rechtmäßig aufhalten. Nach Satz 2 können sie auch anderen in ihrem Hoheitsgebiet befindlichen Staatenlosen einen solchen Ausweis ausstellen. Auf das rechtmäßige Befinden des Staatenlosen im Hoheitsgebiet stellt, worauf das Berufungsgericht hingewiesen hat, auch Art.26 StlÜbk ab. Weiterhin setzt Art.28 Satz 2 Halbsatz 2 StlÜbk voraus, daß ein Staatenloser, der sich im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates befindet, in einem anderen Land seinen rechtmäßigen Aufenthalt haben kann (vgl. auch §6 Abs.1 und 3 Anhang StlÜbk). Dem Vertragstext läßt sich mithin entnehmen, daß nicht schon jede (rechtmäßige) Anwesenheit eines Staatenlosen im Hoheitsgebiet bereits einen rechtmäßigen Aufenthalt darstellt. Was unter "aufhalten" im Sinne des Art.28 Satz 1 StlÜbk im einzelnen zu verstehen ist, ob und inwieweit insbesondere der Aufenthalt von Dauer sein oder gar zu einer ständigen Niederlassung geführt haben muß (so die Auffassung der Bundesregierung in der Denkschrift zum StlÜbk BR-Drucks. 536/75 S.36 zu Art.17), bedarf keiner abschließenden Prüfung, wenn der Aufenthalt im Sinne des Art.28 Satz 1 StlÜbk nicht "rechtmäßig" ist. So liegt es hier.
      4. Das Übereinkommen regelt weder in Art.28 Satz 1 noch an anderer Stelle, wann ein Aufenthalt rechtmäßig ist.
      a) Mangels eigener Bestimmungen im Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen oder in anderen einschlägigen völkerrechtlichen Abkommen ergibt sich die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts grundsätzlich aus den für die Aufenthaltnahme geltenden Rechtsnormen des jeweiligen Vertragsstaates (vgl. dazu BVerwGE 9, 83 [85]). Dies wird bestätigt durch §14 Anhang StlÜbk, wonach Gesetze und sonstige Rechtsvorschriften unberührt bleiben, die in den Hoheitsgebieten der Vertragsstaaten die Zulassung, die Durchreise, den Aufenthalt, die Niederlassung und die Ausreise regeln. Zwar bezieht sich §14 nach seinem Wortlaut nur auf den Anhang selbst. Art.28 Satz 1 Halbsatz 2 StlÜbk nimmt jedoch ausdrücklich auf diesen Anhang Bezug, der damit auch den Inhalt der hier in Rede stehenden Bestimmung des Art.28 StlÜbk verdeutlicht ... Für dieses Ergebnis spricht darüber hinaus die allgemeine Auslegungsregel des Art.31 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (BGBl. 1985 II S.926/1987 II S.757), und zwar unbeschadet dessen, daß sie nicht unmittelbar, sondern nur als Ausdruck allgemeiner Regeln des Völkerrechts auf das Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen anwendbar ist (vgl. Art.4). Nach Art.31 Abs.1 ist ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen. Nach Abs.2 bedeutet für die Auslegung eines Vertrages "Zusammenhang" außer dem Vertragswortlaut u.a. auch die Präambel und die Anlagen zu einem Vertrag.
      b) Eine für die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts grundsätzlich auf das jeweilige nationale Recht abstellende Betrachtung entspricht auch der Zielrichtung des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen. Die Vertragsstaaten haben sich in dem Übereinkommen verpflichtet, den sich in ihrem Hoheitsgebiet rechtmäßig aufhaltenden Staatenlosen einen Katalog besonderer Vergünstigungen zu gewähren, namentlich bei Aufnahme einer Erwerbstätigkeit oder eines freien Berufs (Art.17 ff. StlÜbk), im Bereich des Wohnungswesens (Art.21 StlÜbk), der öffentlichen Fürsorge (Art.23 StlÜbk), des Arbeitsrechts und der Sozialversicherung (Art.24 Abs.1 StlÜbk). Auch die Verpflichtung zur Erteilung eines Reiseausweises nach Art.28 Satz 1 StlÜbk gehört zu den besonderen Vergünstigungen, weil ein derartiger Reiseausweis nach §7 Anhang StlÜbk von den Vertragsstaaten anerkannt wird und nach §13 Anhang StlÜbk seinen Inhaber grundsätzlich berechtigt, während seiner Gültigkeitsdauer jederzeit in das Hoheitsgebiet des ausstellenden Staates wieder einzureisen. Die dadurch verbürgte Rückreisemöglichkeit erleichtert es anderen Vertragsstaaten, dem Staatenlosen mit einem solchen Reiseausweis die vorübergehende Einreise in ihre Hoheitsgebiete zu gestatten.
      Gleichzeitig haben sich die Vertragsstaaten aber durch das Erfordernis des rechtmäßigen Aufenthalts die Entscheidung über die Aufnahme des Staatenlosen vorbehalten. Die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts bildet mithin "die Schwelle der staatlichen Souveränität", die im Einzelfall überschritten sein muß, damit die an einen rechtmäßigen Aufenthalt geknüpften Gewährleistungen des Übereinkommens in Anspruch genommen werden können ... Auch der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) weist unter Bezugnahme auf die Entstehungsgeschichte der wortgleichen Bestimmung der Genfer Flüchtlingskonvention darauf hin, daß das Recht des Staates, über die Aufnahme nach eigenen Regeln souverän zu entscheiden, nicht habe geschmälert werden sollen und daß dementsprechend beide Konventionen "nicht eine Beschneidung des Rechts des souveränen Staates, sich gegen den unerwünschten Zuzug von Ausländern zu wehren", beinhalten (InfAuslR 1988, 161 [165]). ... [Eine] "Wechselwirkung" zwischen nationalem Recht und internationalem Vertragsrecht würde diesem dem Übereinkommen zugrundegelegten Vorrang des nationalen Rechts widersprechen. Auch der Einwand, mit der Verweisung auf das nationale Recht würden den Vertragsstaaten dem Gleichheitssatz widersprechende unterschiedliche Verpflichtungen auferlegt ..., ist verfehlt, weil das Übereinkommen insoweit gerade keine Verpflichtungen auferlegt, sondern mit der Verweisung auf das nationale Recht unterschiedliche innerstaatliche Regelungen in Kauf nimmt. Jeder Vertragsstaat kann daher die Anforderungen an die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts auf seinem Hoheitsgebiet selbst festlegen, also auch die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts von der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abhängig machen, deren Voraussetzungen regeln und im Einzelfall prüfen.
      Mit der den Vertragsstaaten belassenen Regelungsbefugnis über die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts dürfen freilich nicht die im Übereinkommen übernommenen Verpflichtungen umgangen werden. Dies wäre der Fall, wenn das Merkmal des rechtmäßigen Aufenthalts mit Blick auf die Ziele des Vertrages mißbräuchlich und damit nicht vertragskonform gehandhabt würde, etwa ein Vertragsstaat nach seinem Recht einem Staatenlosen von vornherein nicht die Möglichkeit zur Begründung rechtmäßigen Aufenthalts einräumen oder den rechtmäßigen Aufenthalt im Sinne des Übereinkommens gegenüber seinem allgemeinen Aufenthaltsrecht gesteigerten Anforderungen unterwerfen würde.
      5. In der Bundesrepublik Deutschland ist der Aufenthalt eines Ausländers und damit auch eines Staatenlosen (vgl. §1 Abs.2 AuslG) grundsätzlich nur dann rechtmäßig, wenn er von der zuständigen Ausländerbehörde erlaubt worden ist. Ausländer bedürfen nach §2 Abs.1 Satz 2 AuslG, sofern nicht besondere Befreiungstatbestände eingreifen, einer Aufenthaltserlaubnis. Ohne eine derartige Aufenthaltserlaubnis oder die Befreiung von diesem Erfordernis nach Maßgabe der §§2 Abs.2 und 3, 49 Abs.2 AuslG ist der Ausländer nach §12 Abs.1 AuslG verpflichtet, das Bundesgebiet unverzüglich zu verlassen. Sein Aufenthalt ist dann nicht rechtmäßig. Die bloße Anwesenheit des Ausländers, mag sie auch von der Behörde hingenommen werden, genügt mithin nach deutschem Recht unabhängig von ihrer Dauer nicht für einen rechtmäßigen Aufenthalt.
      Im vorliegenden Fall sind die danach erforderlichen Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt nicht erfüllt.
      a) Ein rechtmäßiger Aufenthalt folgt nicht aus dem Umstand, daß die Beklagte dem Kläger eine Duldung erteilt hat. Mit der Duldung wird, wie sich aus §17 Abs.1 AuslG ergibt, die Abschiebung eines Ausländers zeitweilig ausgesetzt. Das bedeutet, daß eine wegen rechtswidrigen Aufenthalts und Nichterfüllung der Ausreisepflicht nach §12 Abs.1 AuslG erforderlich gewordene Zwangsmaßnahme zur Entfernung des Ausländers aus dem Bundesgebiet nach §13 Abs.1 AuslG vorerst unterbleibt. Sinn der Duldung ist es, den nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Aufenthalt ohne strafrechtliche Sanktion (vgl. §47 Abs.1 Nr.2 AuslG) zu lassen, weil gewichtige, insbesondere humanitäre oder politische Gründe eine Abschiebung zeitweise hindern ... Aus diesen Gründen kann einem geduldeten Ausländer während der Dauer des Abschiebungshindernisses auch eine Arbeitserlaubnis zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes erteilt werden (vgl. §5 Abs.2 Arbeitserlaubnisverordnung). Mag danach auch die Duldung dazu dienen, den Ausländer vor der Illegalität zu bewahren, so genügt dies allein nicht, um aus ihrer Erteilung die Rechtmäßigkeit oder Ordnungsmäßigkeit des Aufenthalts abzuleiten ...
      Eine andere Beurteilung könnte sich unter Umständen dann rechtfertigen, wenn die Ausländerbehörde einem Staatenlosen eine Duldung erteilt, dessen Entfernung aus dem Bundesgebiet auf absehbare Zeit nicht in Betracht kommt ... Der Aufenthalt eines Ausländers, dessen Anwesenheit im Bundesgebiet sich auf lange Sicht nicht verhindern läßt, bedarf einer angemessenen ausländerbehördlichen Regelung. Die auf eine zeitweise Aussetzung der Abschiebung zielende Duldung ist dafür nicht ohne weiteres das geeignete Mittel. Wird die Duldung entsprechend einer vielfach geübten Verwaltungspraxis ... zum Zwecke langfristiger Aufenthaltsgewährung gleichsam als Vorstufe einer Aufenthaltserlaubnis erteilt, so mag darin unter Umständen eine auch die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts im Sinne des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen begründende "verkappte Aufenthaltserlaubnis" liegen ...
      Im vorliegenden Fall trifft dies jedoch nicht zu. Dem Kläger wurde mit der ihm wiederholt erteilten Duldung nach §17 Abs.1 AuslG nicht in Wahrheit ein Aufenthalt im Bundesgebiet erlaubt. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts haben die Behörden seinem Aufenthalt im Bundesgebiet weder ausdrücklich noch stillschweigend zu irgendeinem Zeitpunkt zugestimmt. Die ihm in der Vergangenheit erteilten Duldungen erfolgten zunächst mit Rücksicht auf sein Asylverfahren ... und seit Ende 1983 aufgrund einer aus humanitären Gründen erteilten Weisung des Innenministeriums Baden-Württemberg, vorerst Abschiebungen in den Libanon nicht mehr vorzunehmen. Die Behörden haben den Kläger zu keiner Zeit im Zweifel über die vorübergehende Natur seiner Anwesenheit im Bundesgebiet gelassen. Die rechtliche Wirkung der Duldungen blieb mithin auf den Bereich des Vollstreckungsschutzes gegen eine Entfernung aus dem Bundesgebiet beschränkt, ohne einen rechtmäßigen Aufenthalt zu begründen.
      b) ... Asyl(folge)antrag und Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis haben zwar die Wirkung, daß der Aufenthalt nach Maßgabe der §§19 f. AsylVfG gesetzlich gestattet ist bzw. nach §21 Abs.3 Satz 1 AuslG als vorläufig erlaubt gilt. Der Aufenthalt wird aber nur "zur Durchführung des Asylverfahrens" (§19 Abs.1 AsylVfG) bzw. "bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde" (§21 Abs.3 Satz 1 AuslG) gewährleistet. Mit dieser allein durch die Antragstellung ausgelösten Vergünstigung soll dem Ausländer die Durchführung seines Verfahrens erleichtert werden. Der Aufenthalt ist auf diese Funktion begrenzt. Er kann deswegen nicht die mit einem für den Kläger positiven Abschluß des Verfahrens verbundene Wirkung einer Zustimmung zur Aufnahme bzw. zum Aufenthalt im Bundesgebiet vorwegnehmen und demgemäß nicht zu einem rechtmäßigen Aufenthalt im Sinne des Art.28 Satz 1 StlÜbk führen ...
      c) Der Kläger beruft sich ferner darauf, daß er bei Rückkehr in den Libanon Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt sei und deshalb nicht dorthin abgeschoben werden dürfe. Nach §14 Abs.1 Satz 1 AuslG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Entsprechendes gilt, soweit dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. Art.3 EMRK; BVerwGE 67, 184 [194]; Beschluß vom 3. Dezember 1986 - BVerwG 1 B 203.86 - Buchholz 402.24 §14 AuslG Nr.3). Diese Regelung bewirkt nicht mehr als Schutz vor Abschiebung, also vor einer im übrigen auf den Verfolgungsstaat beschränkten Vollstreckungsmaßnahme, ohne die generelle Ausreisepflicht des Ausländers nach §12 Abs.1 AuslG und damit die Rechtswidrigkeit seines Aufenthalts in Frage zu stellen. Einem etwaigen Abschiebungsschutz nach §14 Abs.1 Satz 1 AuslG käme daher keine weiterreichende Bedeutung zu als einem Verzicht auf Abschiebung aus humanitären Gründen mit einer dementsprechenden Duldung. Ob der Kläger den behaupteten Gefahren tatsächlich ausgesetzt ist, braucht unter diesen Umständen nicht geprüft zu werden.
      d) Eine etwaige faktische Unmöglichkeit, den Kläger abzuschieben, wenn Libanon als Land seines früheren Aufenthalts ihn ebensowenig aufzunehmen bereit ist wie irgendein dritter Staat, begründet ebenfalls nicht die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts, weil auch diese Frage sich unmittelbar nur auf der Ebene des Vollzugs von Maßnahmen zur Entfernung aus dem Bundesgebiet stellt.
      e) Der Aufenthalt des Klägers wird auch nicht allein durch dessen mittlerweile 11jährige Dauer rechtmäßig. Auf das Ausmaß der hier erreichten wirtschaftlichen oder sozialen Integration kommt es unter diesen Umständen ebensowenig an wie auf die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob er sich mit seiner vielköpfigen Familie im Libanon oder einem dritten Staat überhaupt noch integrieren könnte. Auch die vom Kläger mit Arbeitserlaubnis seit Jahren ausgeübte unselbständige Erwerbstätigkeit ändert an dieser Rechtslage nichts. Da eine Arbeitserlaubnis auch im Falle einer Duldung nach §17 Abs.1 AuslG erteilt werden kann, von deren Bestand sie abhängig bleibt, ist sie nicht einmal ein Indiz für einen rechtmäßigen Aufenthalt.
      f) Die Frage, ob für den Kläger mit Rücksicht auf die Umstände und die Dauer seines Aufenthalts die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Betracht kommt, ist grundsätzlich nicht in dem hier auf die Erteilung des Reiseausweises beschränkten Verfahren zu entscheiden. Erst mit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis wird die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts im Sinne des Art.28 Satz 1 StlÜbk begründet und damit die Voraussetzung für die Erteilung eines Reiseausweises nach dieser Bestimmung geschaffen. Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis kann zwar nicht bereits daran scheitern, daß der Staatenlose möglicherweise ohne den erstrebten Reiseausweis nicht seiner ihm nach §3 Abs.1 AuslG obliegenden Ausweispflicht genügen kann ...; diesem Mangel könnte und müßte die Ausländerbehörde, wenn sie nicht zugleich einen Reiseausweis erteilt, unter Umständen durch Ausstellung eines anderen den Anforderungen des §3 Abs.1 AuslG Rechnung tragenden Ausweispapiers, z.B. eines Fremdenpasses nach §4 Abs.1 AuslG, abhelfen. Im übrigen liegt die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde. Das Bestehen eines Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Erlaubnisantrag allein begründet aber noch nicht die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts.
      Es kann dahingestellt bleiben, ob eine abweichende Beurteilung geboten ist, wenn sich aufgrund besonderer Umstände das Ermessen der Behörde auf Null reduziert. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund einer Ermessensreduzierung ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Insbesondere schließen die Dauer der bisherigen Anwesenheit des Klägers und die von ihm geltend gemachten Abschiebungshindernisse ein Ermessen bei der Entscheidung über die Aufenthaltserlaubnis nicht aus. Zwar wird sich das Ermessen regelmäßig um so mehr verdichten, je länger der Aufenthalt eines Ausländers währt, dessen Abschiebung sich nicht verwirklichen läßt. Der bis zum Abschluß des Asylverfahrens des Klägers ... diesem gestattete Aufenthalt im Bundesgebiet konnte aber mit Rücksicht auf seine asylverfahrensabhängige Funktion noch nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null führen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wird der Aufenthalt des Ausländers seit 1983 mit Rücksicht auf die Verhältnisse im Libanon geduldet. Die seitdem bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der berufungsgerichtlichen Entscheidung im August 1987 mit weniger als vier Jahren verstrichene Zeit ist zu kurz, um anzunehmen, nach den gesamten Umständen des Falles sei die Ausländerbehörde nunmehr verpflichtet, den Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet durch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu regeln.
      6. Die Beklagte kann dem Kläger nach Art.28 Satz 2 StlÜbk einen Reiseausweis auch ohne rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet erteilen. Die Entscheidung darüber liegt in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Dieses Ermessen hat sich nach den Gegebenheiten des Falles nicht zugunsten des Klägers auf Null reduziert, so daß ihm aus Art.28 Satz 2 StlÜbk kein Rechtsanspruch auf Erteilung eines Reiseausweises zusteht. Eine Ermessensreduzierung scheidet hier jedenfalls deswegen aus, weil nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts die libanesischen Behörden über die Erneuerung eines libanesischen Reisedokumentes für den Kläger noch nicht endgültig entschieden haben. Deswegen ist nicht auszuschließen, daß der Kläger von den libanesischen Behörden noch ein derartiges Reisedokument erhalten kann. Hinzu kommt, daß die Beklagten dem Interesse des Klägers an einem zugleich das Reisen ermöglichenden Ausweispapier auch auf anderem Wege, nämlich durch die Erteilung eines Fremdenpasses Rechnung tragen könnte, was sie bei der Ermessensbetätigung berücksichtigen darf.

Hinweis:

      Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16.10.1990 (1 C 51.88), InfAuslR 1991, 76 (ZaöRV 52 [1992], 377) zur Auslegung des Art.28 Satz 2 StlÜbk.