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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1986 - 1993


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Giegerich / Philipp / Polakiewicz / Rädler / Zimmermann


660. STAATENLOSIGKEIT

Nr.93/3

Bei Ausübung des Einbürgerungsermessens nach §8 RuStAG gegenüber staatenlosen Bewerbern hat die Behörde das Wohlwollensgebot des Art.32 Satz 1 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28.9.1954 zu ihren Gunsten zu berücksichtigen. Dies hindert sie freilich nicht unbedingt, den Einbürgerungsantrag im Hinblick auf ein entwicklungspolitisches Interesse an der Rückkehr des Bewerbers in sein Herkunftsland abzulehnen.

When exercising its discretion under §8 of the Nationality Act on whether or not to naturalize stateless applicants the authority must take into account in favor of the applicants the obligation of sympathetic consideration pursuant to Art.32 clause 1 of the Convention relating to the Status of Stateless Persons of 28 September 1954. This does not necessarily prevent it from rejecting the application for naturalization in light of the state's development policy-related interest that the applicant return to his or her country of origin.

Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 23.12.1993 (1 B 61.93), StAZ 1994, 288

Entscheidungsauszüge:

      Die Klägerin beruft sich allein auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§132 Abs.2 Nr.1 VwGO). ... Die Klägerin hält die Frage für klärungsbedürftig, "wie das Einbürgerungsermessen auszuüben ist, wenn der seine Einbürgerung begehrende Ausländer aus einem Entwicklungsland stammt und zum Zwecke der Ausbildung in die BRD gekommen ist und wenn er zugleich staatenlos ist". ... [D]ie aufgeworfene Frage ... bedarf ... nicht der Klarstellung in einem Revisionsverfahren. Sie läßt sich aufgrund des Gesetzes und der dazu ergangenen Rechtsprechung des beschließenden Senats ohne weiteres beantworten.
      Nach der im Falle der Klägerin maßgeblichen allgemeinen Ermächtigung des §8 RuStAG steht die Einbürgerung bei Vorliegen der gesetzlichen Mindestvoraussetzungen im grundsätzlich weiten Ermessen der Behörde. Bei der Ausübung des Ermessens hat die Behörde darauf abzustellen, ob die Einbürgerung im staatlichen Interesse erwünscht ist. ... Im Rahmen ihres Ermessens darf die Behörde die entwicklungspolitischen Interessen des Staates dahin berücksichtigen, daß sie grundsätzlich der Einbürgerung solcher Ausländer entgegenstehen, die aus einem Entwicklungsland stammen und ihrem Aufenthaltszweck entsprechend in Deutschland eine Berufsausbildung, namentlich ein Hochschulstudium, erhalten bzw. erhalten haben. Dieses Interesse ist grundsätzlich darauf gerichtet, daß solche Ausländer in ihr Herkunftsland oder in ein anderes Entwicklungsland zurückkehren, um dort ihre Kenntnisse und Fähigkeiten einzusetzen. Auch das ist in der Rechtsprechung des beschließenden Senats anerkannt (BVerwGE 77, 164, 170 ...) und hat für staatenlose Bewerber ebenfalls zu gelten, denn es besteht kein Grund, sie von diesen Grundsätzen auszunehmen.
      Bei Einbürgerungsanträgen Staatenloser ist aber zugleich Art.32 Satz 1 des durch Zustimmungsgesetz vom 12.4.1976 in innerstaatliches Recht transformierten Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28.9.1954 (BGBl. 1976 II S.473/1977 II S.235) - StlÜbk - zu berücksichtigen. Danach erleichtern die Vertragsstaaten soweit wie möglich die Eingliederung und Einbürgerung Staatenloser. In Ausführung dieser Vertragsvorschrift sind keine nationalen gesetzlichen Bestimmungen darüber ergangen, inwiefern die Einbürgerung im einzelnen gegenüber den gesetzlichen Anforderungen und den allgemein praktizierten Ermessensgrundsätzen wegen der Staatenlosigkeit des Bewerbers begünstigt werden soll. Das zur Ausführung anderer völkerrechtlicher Verträge erlassene Gesetz zur Verminderung der Staatenlosigkeit vom 29.6.1977 (BGBl.I S.1101) ist im Falle der Klägerin nicht einschlägig (vgl. dazu z.B. BVerwGE 92, 116). Zu der inhaltlich entsprechenden Vorschrift des Art.34 Satz 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.1951 (BGBl. 1953 II S.559/1954 II S.619) ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, daß sie innerstaatlich nur im Sinne eines auf das Einbürgerungsermessen einwirkenden Wohlwollensgebots unmittelbar anwendbar ist. Wegen des gruppentypischen Schicksals des begünstigten Personenkreises wird ein staatliches Interesse an der Einbürgerung in dem Sinne anerkannt, daß diese - vorausgesetzt eine Eingliederung in die hiesigen Lebensverhältnisse ist gewährleistet - im Rahmen sachgemäßer Ermessensausübung nur abgelehnt werden darf, wenn überwiegende staatliche Belange entgegenstehen; im Zweifel ist also zugunsten des Antragstellers zu entscheiden (vgl. BVerwGE 75, 86, 89 ...). Diese Einengung des Ermessens hat ihren Grund darin, daß die Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Flüchtlingen, die sie aufgenommen hat, eine gewisse Fürsorge übernimmt, die eine angemessene Regelung der Staatsangehörigkeit einschließt ... Es ist nicht zweifelhaft, daß die dargelegten Grundsätze auch für Art.32 Satz 1 StlÜbk zu gelten haben, denn diese Vorschrift hat im Rahmen des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen dieselbe Aufgabe wie die erörterte Bestimmung im Rahmen des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge.
      Daraus folgt, daß die Einbürgerungsbehörde wie auch sonst, wenn öffentliche Interessen sowohl für als auch gegen die Einbürgerung des Bewerbers sprechen, im Rahmen ihres Ermessen aufgrund einer Abwägung der gegenläufigen Interessen zu entscheiden hat, ob sie die Einbürgerung im öffentlichen Interesse für erwünscht hält. ... Bei der Ermessensentscheidung kommt dem Wohlwollensgebot des Art.32 Satz 1 StlÜbk nicht schon deswegen Vorrang zu, weil es rechtssatzmäßig geregelt ist, während die entwicklungspolitischen Belange des Staates nicht in einer Spezialvorschrift des Einbürgerungsrechts ausdrücklich anerkannt sind ... Hieraus folgt nichts über das Gewicht der gegenläufigen Interessen, insbesondere nichts darüber, welches Gewicht ihnen unter den besonderen Gegebenheiten eines Einzelfalls rechtsfehlerfrei beigemessen werden darf.
      Ist, wie das Berufungsgericht hier angenommen hat, die Ausbildung des Staatenlosen entwicklungspolitisch erheblich, so ist es nicht grundsätzlich fehlerhaft, wenn sich die Behörde von den entwicklungspolitischen Belangen ausschlaggebend leiten läßt. Wird dem Staatenlosen der Aufenthalt für die Berufsausbildung, also zu einem vorübergehenden Zweck und damit in der Erwartung ermöglicht, daß er nach Abschluß der Ausbildung in sein Herkunftsland oder in ein anderes Entwicklungsland zurückkehrt, so hat die Bundesrepublik Deutschland ihn regelmäßig nicht in dem oben dargelegten Sinne aufgenommen mit der Folge, daß ihr eine Fürsorgeaufgabe dahin zugewachsen wäre, aus Gründen der Schutzbedürftigkeit - dem Aufenthaltszweck zuwider - die Eingliederung und schließlich Einbürgerung des Staatenlosen in Deutschland zu fördern ... Das schließt nicht aus, daß sich die Verhältnisse ändern und in der Folgezeit eine Ausreise zweifelhaft wird oder gar auszuschließen ist. Regelmäßig ist es aber nicht zu beanstanden, wenn die Behörde bis zum Abschluß der Ausbildung oder einige Zeit danach zuwartet, um aufgrund der dann gegebenen tatsächlichen Verhältnisse zu entscheiden, ob noch mit einer angemessenen Verwirklichung der entwicklungspolitischen Ziele gerechnet werden kann oder ob der Staatenlose dauerhaft in Deutschland verbleibt ...