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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1993


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Christiane E. Philipp


V. Fremdenrecht

       Die Darstellung klammert den aufenthaltsrechtlichen Status von EG-Ausländern aus; die diesbezügliche Rechtsprechung wird unter IX. berichtet.

      

1. Allgemeine Fragen der Einreise und des Aufenthalts

       17. In seinem Urteil vom 16.2.1993 (4 L 219/92 = InfAuslR 1993, 182 ff.) entschied das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht, daß ein auf Dauer erstrebter Aufenthalt (Einwanderung) eines Ausländers aus einem Nicht-EG-Staat die Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtige. Die Klägerin, eine türkische Staatsangehörige, die 1987 mit ihrer einjährigen Tochter in die Bundesrepublik Deutschland eingereist war, habe keinen Anspruch auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis. Ein solcher Anspruch bestehe weder aufgrund eines von ihrem Ehemann abgeleiteten Aufenthaltsrechtes (§ 13 Abs. 1 i.V.m. §§ 17 oder 18 Ausländergesetz27) noch habe sie einen Anspruch auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis aus einem eigenen Aufenthaltsrecht gemäß § 19 Abs. 1 AuslG. Das Verwaltungsgericht habe im Ergebnis richtig festgestellt, daß der Beklagte die beantragte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu Recht wegen Beeinträchtigung der Interessen der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 AuslG) versagt habe. Ein weiterer Aufenthalt der Klägerin im Bundesgebiet würde die Interessen der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 7 Abs. Nr. 3 AuslG beeinträchtigen, da er der ausländerpolitischen Grundsatzentscheidung, die Zuwanderung weiterer Ausländer aus Nicht-EG-Staaten zu begrenzen, zuwiderlaufe. Diese ausländerpolitische Grundentscheidung gehöre zu den Interessen der Bundesrepublik Deutschland. Die Gesamtkonzeption des Ausländerrechtes habe sich zwischen dem Ausländergesetz von 1965 und dem Ausländergesetz 1990 entscheidend geändert und der Gesetzgeber darüber hinaus in der amtlichen Begründung zu § 7 Abs. 2 deutlich gemacht, daß er eine beabsichtigte Einwanderung als Beeinträchtigung von Interessen der Bundesrepublik Deutschland ansehe. Da die Frage, ob eine Einwanderungsabsicht unter § 7 Abs. 2 Nr. 3 AuslG 1990 falle, sich aufgrund einer grammatischen Auslegung dieser Vorschrift nicht beantworten lasse, ebensowenig eine historische oder systematische Auslegung und ein Vergleich mit den Regelungen des Ausländergesetzes von 1965 diese Frage klären könnten, käme es in dieser Situation auf den erkennbaren Willen des Gesetzgebers an, wie er in erster Linie in der amtlichen Begründung Ausdruck gefunden habe. Die amtliche Begründung besage dazu, "zu den öffentlichen Interessen gehört, wie bereits durch die Rechtsprechung zur Negativschranke des § 2 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 geklärt ist, auch die ausländerpolitische Grundentscheidung, die Zuwanderung weiterer Ausländer aus Nicht-EG-Staaten zu begrenzen". Dadurch, daß diese Ausführung ausdrücklich zur Regelung des § 7 Abs. 2 AuslG 1990 gemacht werde, mache der Gesetzgeber deutlich, daß er die Einwanderungsabsicht als Regelversagungsgrund regeln wollte.

       18. In seinem Beschluß vom 17.3.1993 (VG 24 A 158.92 = InfAuslR 1993, 215 ff.) entschied das Verwaltungsgericht Berlin, nachdem die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt hatten, lediglich noch über die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen. Der Billigkeit entspreche es, dem Beklagten die Kosten aufzuerlegen, weil die Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung wahrscheinlich auch ohne die zur Erledigung führende Eheschließung des Klägers mit einer deutschen Staatsangehörigen zugunsten des Klägers zu entscheiden gewesen wäre, entschied das Gericht. Der Kläger habe als kubanischer Staatsangehöriger, der sich als Vertragsarbeitnehmer in der ehemaligen DDR aufgehalten habe, einen Status, dem nach ständiger Rechtsprechung der Berliner Verwaltungsgerichte eine Aufenthaltsbewilligung entspreche. So hätte ihm vor Ausreise und vor Ablauf eines Jahres seit Ausreise eine Aufenthalterlaubnis zwar nur in den Fällen eines gesetzlichen Anspruches oder wenn es im öffentlichen Interesse liegt, erteilt werden dürfen. Er dürfte aber, so das Gericht, einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bereits nach § 23 Abs. 1 Nr. 3 AuslG gehabt haben, obwohl er nicht das Personensorgerecht für das Kind, für das er die Vaterschaft anerkannt habe, besitze. Nach dieser Vorschrift sei dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen die Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des § 17 Abs. 1 AuslG "zur Ausübung der Personensorge" zu erteilen. Es begegne, so das Gericht, erheblichen Bedenken, den Begriff "Personensorge" mit "elterlicher Sorge" im Sinne von § 1705 BGB gleichzusetzen und das Innehaben dieser Rechtsposition als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in die Vorschrift hineinzulesen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (vgl. aus jüngerer Zeit, Beschluß vom 1.10.1992 – 2 BvR 1365.92) müßten die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die familiären Bindungen eines Elternteils zu seinem im Bundesgebiet lebenden Kind angemessen berücksichtigen. Dabei könne sich auch der nichteheliche Vater grundsätzlich auf den Schutz des Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG berufen, sofern er, wie hier, mit dem Kind und der Mutter zusammenlebe und damit die Voraussetzung für die Wahrnehmung seiner elterlichen Verantwortung gegeben sei. Es könne nicht festgestellt werden, daß der Gesetzgeber den Begriff "Personensorge" in § 23 Abs. 1 Nr. 3 AuslG enger als hier angenommen verstanden wissen wollte. Der amtlichen Begründung zufolge (Drs. 11/6321, 63) berücksichtige die Regelung, "daß Deutschen das Grundrecht auf Freizügigkeit im Bundesgebiet zusteht. Deshalb wird ... ausländischen Elternteilen minderjähriger Deutscher ohne weitere Voraussetzung ein Anspruch auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für den in § 17 Abs. 1 bezeichneten Zweck eingeräumt".

       19. In seinem nicht rechtskräftigen Urteil vom 25.6.1993 (1 S 408/92 = BWVP 1993, 284 ff. = InfAuslR 1994, 125 ff.) entschied der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, daß die längerfristige Obdachlosigkeit (§ 46 Nr. 5 AuslG) einen Ausweisungsgrund im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 1 AuslG darstelle, und damit die Aufenthaltserlaubnis in der Regel zu versagen sei. Obdachlos seien Personen, die nicht über eine ausreichende Unterkunft verfügten. Dies treffe auch auf diejenigen zu, die, wie der Kläger, von einer Gemeinde zur Vermeidung der Obdachlosigkeit in eine Unterkunft eingewiesen worden seien. Solange sie nicht über eine eigene Wohnung verfügten, seien sie obdachlos, auch wenn sie in einer gemeindlichen Unterkunft lebten. Die Dauer der Einweisung ändere hieran nichts. Die Einweisung in eine Obdachlosenunterkunft sei ihrer Natur nach stets vorübergehend; durch sie werde kein Besitzstand des Obdachlosen begründet. Sie diene der Überbrückung einer Notsituation, bis der Betroffene eine eigene Wohnung gefunden habe. Auch wenn die Unterbringung längere Zeit andauern würde, könne nicht davon ausgegangen werden, daß die Gemeinde eine Obdachlosenunterkunft auf Dauer überlasse oder überlassen wolle. Bereits das Vorliegen eines Ausweisungsgrundes löse aber die Regelversagung nach § 7 Abs. 2 AuslG aus. Mit der Regelung des § 7 Abs. 2 AuslG verfolge der Gesetzgeber das Ziel, Ausländern, die die dort genannten Vorausetzungen erfüllen, den Aufenthalt wegen der Beeinträchtigung öffentlicher Interessen und Belange grundsätzlich zu verweigern. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis komme nur dann in Betracht, wenn ausnahmsweise die Beeinträchtigung nicht zu schwer wiege. Im vorliegenden Fall seien besondere Umstände nicht ersichtlich, insbesondere könne von einer unverschuldeten Wohnungslosigkeit der Kläger nicht die Rede sein. Die Kläger lebten nun mittlerweile acht Jahre in dieser Unterkunft und ihr Vorbringen, es sei ihnen aufgrund einer angespannten Wohnraumsituation nicht möglich gewesen, eine eigene Wohnung zu finden, ändere hieran nichts. Es sei nicht belegt, daß sie sich ernsthaft und intensiv um eine eigene Wohnung bemüht hätten.

       20. Ausgangspunkt für das Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Nordrhein-Westfalen vom 31.10.1993 (17 A 1283/92 = InfAuslR 1994, 49 ff.) war die Klage von zwei türkischen Staatsangehörigen – Vater und Tochter. Sie erstrebten die Erteilung eines Visums an die geistig und körperlich behinderte Klägerin zum Zwecke der Familienzusammenführung. Die Klage hatte in zweiter Instanz Erfolg. Der Anspruch der Klägerin auf Erteilung eines Visums zum Zwecke der Familienzusammenführung finde seine rechtliche Grundlage in § 22 Satz 1 AuslG. Die rechtlichen Voraussetzungen dieser Anspruchsgrundlage lägen vor. Gleiches gelte für diejenigen des dort in Bezug genommenen § 17 AuslG. Rechtsfolge des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzung von § 22 Satz 1 i.V.m. § 17 AuslG sei, daß die Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen über die Erteilung des begehrten Visums zu entscheiden habe. Hierbei sei § 7 Abs. 2 AuslG zu beachten, wonach in den dort genannten Fällen die Aufenthaltsgenehmigung in der Regel zu versagen sei. Derartige Regelversagungstatbestände lägen hier jedoch nicht vor. Bei der Ausübung des durch § 22 Satz 1 AuslG eröffneten Ermessens sei ferner § 17 Abs. 5 AuslG zu berücksichtigen. Die in § 17 Abs. 5 AuslG genannten Umstände lägen jedoch ebenfalls nicht vor. Das durch § 22 Satz 1 AuslG eröffnete Ermessen sei mithin weder durch Regelversagungstatbestände noch durch den Rechtsgedanken des § 17 Abs. 5 AuslG zugunsten der Klägerin eingeschränkt. Vielmehr sei das Gegenteil der Fall. Mit Rücksicht auf die besonderen Umstände des Falles und wegen der aufenthaltsrechtlichen Bedeutung von Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei der Entscheidungsspielraum dahin reduziert, daß das begehrte Visum erteilt werden müsse. Vorliegend komme der familiären Bindung zwischen der Klägerin und ihren hier lebenden Angehörigen ein besonderes Gewicht zu, da sie krankheitsbedingt auf deren Lebenshilfe angewiesen sei. Bei dieser Sachlage erfülle die Familie im Kern die Funktion einer Beistandsgemeinschaft. Könne der Beistand nur in der Bundesrepublik Deutschland geleistet werden, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar sei, so dränge die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurück (vgl. dazu BVerfG, 3. Kammer des 2. Senates, Beschluß vom 12.12.989 – 2 BvR 377/88 –, NJW 1990, 895; vgl. ferner zu dieser Thematik ebenfalls Beschluß des VGH Baden-Württemberg vom 30.3.1993 – 1 S 2801/92 = BWVP 1993, 260 ff.).

       21. In seinem Beschluß vom 30.6.1993 (11 S 1090/93 = NVwZ-RR 1994, 179 ff.) entschied der VGH Mannheim im Hinblick auf § 7 Abs. 1 AuslG: Fehlen für den vom Ausländer verfolgten Aufenthaltszweck bzw. geltend gemachten Aufenthaltsgrund besondere, abschließende gesetzliche Bestimmungen über die Voraussetzungen zur Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung aufgrund eines Rechtsanspruches oder nach Ermessen, dann ermächtige und verpflichte § 7 Abs. 1 AuslG die Ausländerbehörde, auf Antrag über die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung zu diesem Aufenthaltszweck oder Aufenthaltsgrund nach Ermessen zu entscheiden. Insoweit enthalte § 7 Abs. 1 AuslG eine "vor die Klammer gezogene" Ermächtigungsgrundlage zu einer Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Ausübung des Ermessens könne durch andere gesetzliche Bestimmungen (z.B. §§ 7 Abs. 2, 8 AuslG) beschränkt oder ausgeschlossen sein oder durch bindende Verwaltungsvorschriften gelenkt werden. Die Vorschriften der §§ 15, 28 Abs. 1 Satz 1, 30 Abs. 1 AuslG räumten der Ausländerbehörde kein Ermessen ein, sondern definierten den Charakter der Aufenthaltsgenehmigung als Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltsbewilligung oder Aufenthaltsbefugnis. Somit komme für den vom Antragsteller verfolgten Aufenthaltszweck nur die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung als Aufenthaltserlaubnis (§ 15 AuslG), insbesondere nicht eine solche als Aufenthaltsbewilligung (§ 28 Abs. 1 Satz 1 AuslG), in Betracht, denn bei seiner unbefristeten selbständigen Erwerbstätigkeit als Geschäftsführer einer GmbH handele es sich nicht um einen seiner Natur nach nur vorübergehenden Aufenthalt erfordernden Zweck, für den die Aufenthaltsgenehmigung als Aufenthaltsbewilligung erteilt werde.

       22. In seinem Beschluß vom 10.2.1993 (11 S 2532/92 = InfAuslR 1993, 212 ff.) stellte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg fest, daß der Anspruch auf unbefristete Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 AuslG nicht davon abhänge, daß der Ausländer auch im Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruches minderjährig und auch die letzte Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis zu dem in § 17 Abs. 1 AuslG bezeichneten Zweck erfolgt sei. Soweit die Vorschrift auf die Minderjährigkeit des Ausländers und den in § 17 Abs. 1 AuslG bezeichneten Zweck abstelle, geschehe dies allein rückblickend in dem Sinne, daß es um die Verlängerung einer dem Ausländer ursprünglich als Minderjährigen zu dem in § 17 Abs. 1 AuslG bezeichneten Zweck erteilten Aufenthaltserlaubnis, auf die die zu verlängernde Aufenthaltserlaubnis zurückzuführen ist, gehen muß. Der durch den achtjährigen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis im Zeitpunkt der Vollendung des 16. Lebensjahres begründete Rechtsanspruch bleibe deshalb bestehen, selbst wenn er vom Ausländer nicht sofort geltend gemacht werde. Dies gelte dann aber auch für den zwischenzeitlich volljährig gewordenen Ausländer, dessen Aufenthaltserlaubnis ursprünglich zu dem in § 17 Abs. 1 AuslG bezeichneten Zweck erteilt worden sei. Seien die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 AuslG erfüllt, so stehe dieser Rechtsanspruch auf unbefristete Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis auch dem bereits vor dem Inkrafttreten dieser Regelung am 1.1.1991 im Bundesgebiet lebenden Ausländer zu, selbst wenn er bis dahin keinen vergleichbaren Anspruch gehabt habe. Denn mit der gesetzlichen Neuregelung sollte gerade auch den im Bundesgebiet geborenen oder frühzeitig eingereisten und sich im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Ausländergesetzes schon lange im Bundesgebiet rechtmäßig aufhaltenden Ausländern eine rechtlich gesicherte Möglichkeit eröffnet werden, die nächsthöhere Verfestigungsstufe ihres Aufenthaltsrechtes zu erreichen.



      27 siehe Anm. 24