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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1993


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Christiane E. Philipp


II. Völkerrechtliche Verträge

       3. Das OLG Düsseldorf äußerte sich in seinem Beschluß vom 14.7.1993 (4 UF 66/93 = FamRZ 1994, 181 ff.) zur Frage des widerrechtlichen Verbringens oder Zurückhaltens von Kindern nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKiEntÜ) vom 25.10.1980, welches in Deutschland am 1.12.1990 in Kraft getreten ist6. Eine mit einem kanadischen Staatsbürger verheiratete Deutsche hatte die zwei gemeinsamen Kinder aus dieser Ehe 1993 zu einem Urlaub nach Deutschland gebracht und war ohne die Kinder nach Kanada zurückgekehrt, um dem Vater zu erklären, daß sie die Ehe für gescheitert halte und eine Vereinbarung im Hinblick auf Trennung und Scheidung zu treffen sei. Die Aufforderung des Vaters, mit den Kindern nach Kanada zurückzukommen, hatte sie abgelehnt. Daraufhin hatte der Vater beim kanadischen Gericht eine Entscheidung erwirkt, durch die ihm das vorläufige Sorgerecht für die Kinder übertragen wurde. Sein auf das Haager Übereinkommen, das auch von Kanada ratifiziert worden ist, gestütztes Rückgabebegehren bezüglich der Kinder hatte das Amtsgericht abgelehnt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Vaters gemäß § 8 Abs. 2 des Gesetzes zur Ausführung des HKiEntÜ und des europäischen Übereinkommens vom 20.5.1980 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgeverhältnisses (Sorgerechtsübereinkommens-Ausführungsgesetz, SorgÜAG vom 5.4.19907) erklärte das Oberlandesgericht für zulässig, jedoch in der Sache für unbegründet. Es könne nicht festgestellt werden, daß die Mutter die Kinder widerrechtlich im Sinne des Art. 3 lit. a und b des Übereinkommens von Kanada nach Deutschland verbracht ("entführt") habe oder hier zurückhalte. Sinn und Zweck des Haager Übereinkommens sei es nicht, die formale Rechtsposition (das Sorgerecht) eines Elternteils, sondern vielmehr das Recht der Kinder auf Beachtung ihres Lebensgleichgewichtes zu schützen. Insbesondere sei dafür zu sorgen, daß ihre emotionalen, sozialen und anderen Bedingungen, unter denen sich ihr Leben abspiele, tatsächlich nicht beeinträchtigt würden, es sei denn, die Stabilität einer neuen Situation würde aus rechtlichen Gründen gewährleistet. Die Nichtherausgabe der Kinder durch die Mutter werde schließlich nicht dadurch zu einem widerrechtlichen Zurückhalten im Sinne des Art. 3 des Haager Übereinkommens, daß sie die Kinder nach einer einstweiligen Anordnung des kanadischen Gerichtes an den Vater nicht herausgegeben habe, obwohl diesem das vorläufige Sorgerecht übertragen worden sei. Nach Sinn und Zweck des Haager Übereinkommens sei vielmehr auf den Zeitpunkt des "Verbringens" der Kinder an einen anderen Ort abzustellen. Sofern dieses Verbringen, wie hier, keine Entführung im Sinne des Übereinkommens darstelle, könne dessen Widerrechtlichkeit nicht durch eine spätere gerichtliche Entscheidung bewirkt werden. Gegenstand des Übereinkommens sei es, Situationen zu begegnen, die sich aus der Anwendung von Gewalt ergeben, um künstliche internationale Zuständigkeitsverbindungen mit der Absicht zu schaffen, das Sorgerecht für ein Kind zu erhalten. Unter den Tatbestand des Zurückhaltens fielen deshalb solche Fälle, in denen sich das Kind zunächst rechtmäßig bei einer nichtsorgeberechtigten Person in einem anderen Vertragsstaat befinde und infolge einer Veränderung der Situation, zum Beispiel durch das zeitliche Ende eines im Rahmen eines Umgangsrechtes erfolgten Besuches, herauszugeben oder zurückzuverbringen sei. Weigere sich die Person, bei der sich das Kind befindet, dieses Kind zum maßgeblichen Zeitpunkt herauszugeben oder zurückzuverbringen, so liege in diesem, hier nicht gegebenen Fall ein Zurückhalten im Sinne des Haager Übereinkommens vor. Vgl. zu ähnlicher Problematik auch Beschluß des OLG Bamberg vom 9.2.1993 (2 UF 10/93 = FamRZ 1994, 182 ff.), Beschluß des OLG Koblenz vom 27.5.1993 (11 UF 160/93 = FamRZ 1994, 183 f.) sowie Beschluß des Amtsgerichtes Darmstadt vom 22.7.1993 (53 F 925/93 = FamRZ 1994 Heft 3, 184 ff.).

       4. In seinem nicht veröffentlichten Beschluß vom 8.9.1993 nahm das Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerden (2 BvR 2121/92, 2 BvR 2122/92, 2 BvR 2123/92, 2 BvR 2125/92, 2 BvR 2126/92, 2 BvR 2128/92, 2 BvR 2129/92, 2 BvR 2130/92, 2 BvR 2131/92, 2 BvR 2132/92, 2 BvR 2133/92) gegen a) das Gesetz zu dem Vertrag vom 17.6.1991 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom 16.12.19918 in Verbindung mit dem Gesetz zu dem Vertrag vom 14.11.1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze vom 16.12.19919, sowie b) gegen die Unterlassung der Bundesrepublik Deutschland, ihre den Beschwerdeführern gegenüber bestehende Schutzpflicht auszuüben, nicht zur Entscheidung an.

       Die Beschwerdeführer seien durch Handlung oder Unterlassung von Organen der Bundesrepublik Deutschland in Zusammenhang mit dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit vom 17.6.1991 nicht in ihren Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt, führte das Gericht aus.

       Der deutsch-polnische Nachbarschafts- und Freundschaftsvertrag beeinträchtige die Beschwerdeführer nicht in ihrem Eigentumsgrundrecht. Ungeachtet der ersten Erwägung seiner Präambel, wonach der Vertrag dazu dienen solle, die leidvollen Kapitel der Vergangenheit abzuschließen, treffe er selbst keinerlei Regelungen in bezug auf das Eigentum von aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten vertriebenen oder geflohenen Personen und ihrer Erben. Im Hinblick auf die beide Vertragsparteien bindende Regelung in Art. 31 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Buchst. a des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23.5.196910 könne eine gegenteilige Auslegung des Vertrages ausgeschlossen werden. Angesichts der oft genug bestätigten Rechtsauffassung der Bundesregierung zu diesen Eigentumsfragen, die der polnischen Seite seit langem bekannt und während der Vertragsverhandlungen aufrechterhalten worden seien, bestünde auch keine Verwirkungsgefahr.

       Eine Grundrechtsverletzung liege ebensowenig darin, daß die Bundesrepublik Deutschland die von den Beschwerdeführern behaupteten Rechtspositionen gegenüber der Republik Polen nicht vertraglich oder in sonstiger Weise gesichert habe (vgl. dazu den Kammerbeschluß vom 5.6.1992 – 2 BvR 1613/91, siehe dazu P. Rädler, Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1992, ZaöRV 54 [1994], 476 ff.).

       Schließlich seien die Beschwerdeführer auch nicht dadurch in ihren Grundrechten verletzt, daß der deutsche Gesetzgeber keine Entschädigungsregelung zu ihren Gunsten getroffen habe. Soweit die Beschwerdeführer eine entschädigungspflichtige Aufopferung für das gemeine Wohl darin sehen würden, daß die Bundesregierung Rechte, die sie gegenüber der Republik Polen geltend mache, aus vorrangig erscheinenden außenpolitischen Gründen nicht durchsetze, könne ihnen aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht gefolgt werden. Die Bundesrepublik Deutschland schulde kraft Verfassungsrecht keine Entschädigung für die Unterlassung diplomatischer Vorstöße, die nach der vertretbaren außenpolitischen Einschätzung der Bundesregierung erfolglos bleiben müßten.



      6 BGBl. 1990 II, 207.

      7 BGBl. 1990 I, 701.

      8 BGBl. 1991 II, 1314.

      9 BGBl. 1991 II, 1328.

      10 BGBl. 1985 II, 926.