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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1993


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Christiane E. Philipp


XII. Auswirkung von Sicherheitsratsentscheidungen nach Kapitel VII der VN-Charta

       96. Mit Urteil vom 8.4.1993 (2 BvE 5/93, 2 BvQ 11/93 = EuGRZ 1993, 168 ff.) lehnte das Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung gegen die Teilnahme deutscher Soldaten an Aufklärungsflügen zur Durchsetzung des vom UN-Sicherheitsrat verhängten militärischen Flugverbotes über Bosnien-Herzegowina ab.

       Hintergrund des Verfahrens war das vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit Resolution 781 vom 9.10.1992 verhängte Flugverbot für Militärflugzeuge im Luftraum über Bosnien-Herzegowina, das von der Schutztruppe der Vereinten Nationen (UNPROFOR) zu überwachen war. Die Mitglieder der Nordatlantik Pakt Organisation (NATO) übernahmen diese Aufgabe und setzten dazu AWACS-Fernaufklärer ein, in denen Soldaten verschiedener NATO-Mitgliedsländer als integrierte Einheit tätig waren. Etwa ein Drittel des militärischen Personals des AWACS-Verbandes waren Soldaten der Bundeswehr in verschiedenen Funktionen. Am 31.3.1993 verabschiedete der Sicherheitsrat sodann die Resolution 816, mit der die Mitgliedstaaten ermächtigt wurden, sieben Tage nach der Verabschiedung dieser Resolution im Auftrage des Sicherheitsrates einzeln oder durch regionale Organisationen oder Abmachungen im Falle weiterer Verstöße alle notwendigen Maßnahmen im Luftraum der Republik Bosnien-Herzegowina zu ergreifen, um die Einhaltung des Flugverbotes sicherzustellen.

       Mit Entscheidung vom 2.4.1993 erklärte sich die Bundesregierung sodann damit einverstanden, daß der NATO-AWACS-Verband nunmehr in Übereinstimmung mit Sicherheitsratsresolution 816 auch unter deutscher Beteiligung daran mitwirke, dieses Flugverbot durchzusetzen.

       Die Verfassungsmäßigkeit des Beschlusses der Bundesregierung war umstritten. Die FDP-Fraktion stellte einen Antrag beim Bundesverfassungsgericht mit dem Ziel, die Verfassungswidrigkeit dieses Beschlusses feststellen zu lassen. Mit diesem Antrag sollte ein Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung verbunden werden, um den Vollzug der Regierungsentscheidung zu verhindern. Die Bundesfraktion der SPD hielt den Beschluß der Bundesregierung ebenfalls für verfassungswidrig und beantragte den Erlaß einer einstweiligen Anordnung.

       Das Gericht führte aus, daß die Bundesrepublik Deutschland von Anfang an zusammen mit 11 anderen der NATO angehörenden Nationen den

       NATO-Frühwarnverband (AWACS-Verband) als voll integrierten Verband des Bündnisses unterhalten und betrieben habe. Gerade diesem Verband komme für die Durchsetzung des Flugverbotes eine Schlüsselrolle zu. Die Haltung der Bundesregierung zum AWACS-Einsatz beruhe maßgeblich auf der Tatsache, daß der Sicherheitsrat mit seiner Resolution 816 diese Maßnahme im Rahmen des Friedensauftrages nach Kapitel VII VN-Charta autorisiert habe und erwarte, daß die in ihr angesprochenen Mitgliedstaaten einzeln oder durch regionale Organisationen sich daran beteiligten. Die Grundlage dieser Erwartung sei die Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland in den Vereinten Nationen und in der NATO. Erginge eine einstweilige Anordnung gegen die Teilnahme deutscher Soldaten an diesen Aufklärungsflügen, müßte die Bundesrepublik Deutschland, indem sie ihre Mitwirkung an dem integrierten multinationalen Verband im Rahmen einer völkerrechtlich vereinbarten Friedenssicherungsaufgabe im Augenblick der Aktion abbreche, diese durch ihr bisheriges Verhalten begründete Erwartung enttäuschen.

       Angesichts der Unaufschiebbarkeit der Maßnahme könnte die Bundesrepublik Deutschland den ihr obliegenden Beitrag zur Friedenssicherung gerade jetzt nicht leisten, wo er gefordert sei.

       Ein Vertrauensverlust bei den Bündnispartnern und allen europäischen Nachbarn wäre unvermeidlich, der dadurch entstehende Schaden nicht wiedergutzumachen. Demgegenüber würden die Nachteile, die entstehen würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erlassen werde und sich die Mitwirkung deutscher Soldaten im nachhinein als unzulässig erweise, weniger schwer wiegen. Der einzelne Soldat trage auch kein rechtliches Risiko, wenn sich später die Verfassungswidrigkeit des Einsatzes ergeben sollte.

       Die Tätigkeit des Verbandes halte sich im Rahmen des Beschlusses des Sicherheitsrates vom 31.3.1993 und stehe im Einklang mit der Zielsetzung der Charta der Vereinten Nationen, den Weltfrieden, insbesondere die internationale Sicherheit zu gewährleisten, unabhängig von der abschließenden Klärung der Frage, ob die Bundesregierung seinen Einsatz anordnen durfte. Die Verantwortung für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser Anordnung würden nicht die an dem Einsatz beteiligten Soldaten, sondern die Bundesregierung tragen. Das Gesetz stelle die Soldaten von dieser Verantwortung frei (§ 11 Soldatengesetz).

       97. Mit Urteil vom 23.6.1993 (2 BvQ 17/93 = EUGRZ 1993, 326ff.) entschied das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die vorläufige Beteiligung der Bundeswehr am UNO-Einsatz in Somalia: "Bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache darf die Beteiligung der Bundeswehr an UNOSOM II gem. Nr. 1 des Beschlusses der Bundesregierung vom 21.4.1993 (Bulletin vom 23.4.1993, 280) nur aufrechterhalten und fortgeführt werden, wenn und soweit der Deutsche Bundestag dies beschließt; bis zu einem solchen Beschluß können die bisher verwirklichten Maßnahmen fortgeführt werden".

       Hintergrund des Verfahrens war der Beschluß der Bundesregierung vom 21.4.1993, mit dem den Vereinten Nationen für die Durchführung der Operation in Somalia (UNOSOM II) ein Kontingent der Bundeswehr zur Verfügung gestellt worden war. Die Antragstellerin (Fraktion der SPD im Deutschen Bundestag) rügte, daß der Einsatz der Bundeswehr in Somalia Rechte des Bundestages aus Artikel 24 Abs. 1, Art. 59 Abs. 2 und Art. 20 i. V. m. Art. 87a Abs. 2 und Art. 79 Abs. 1 und 2 GG verletze. Im Wege der einstweiligen Anordnung sollte die Durchführung des Beschlusses der Bundesregierung vom 21.4.1993 ausgesetzt und die Antragsgegner angewiesen werden, bis zur Entscheidung über den alsbald anzustrengenden Organstreit die bereits in Somalia befindlichen Soldaten zurückzuziehen und keine weiteren Soldaten nach Somalia zu entsenden.

       Das Bundesverfassungsgericht erklärte den Antrag auf Erlaß der Einstweiligen Anordnung für zulässig und begründet. Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich später aber die Mitwirkung deutscher Soldaten am UNO-Einsatz in Somalia ohne die beanspruchte Beteiligung des Bundestages als verfassungswidrig, so hätte der Bundestag sein Recht auf Mitwirkung bei der Entscheidung über die Entsendung deutscher Soldaten nach Somalia schlechthin nicht wahrnehmen können. Hinzu komme, daß hier – insoweit abweichend von dem der Entscheidung des Senats vom 8.4.1993 zugrundeliegenden Sachverhalt – nicht unerhebliche Gefahren einzuschätzen und zu bewerten seien, die den Soldaten bei der Erfüllung des UNO-Mandats in Somalia an Leib und Leben drohten. Auch stünde eine sich später als notwendig erweisende parlamentarische Beschlußfassung unvermeidlich unter dem Druck inzwischen geschaffener tatsächlicher Verhältnisse und etwa eingetretener Entwicklungen. Dementsprechend sei das Zusammenwirken von Bundesregierung und Bundestag mithin bis zur Entscheidung in der Hauptsache dahin zu bestimmen, daß die Initiative der Bundesregierung und die Zustimmung des Bundestages als konstitutiver Akt die UNO-Mission des deutschen Kontingentes nur gemeinsam tragen könnten. Um dem Bundestag die Wahrnehmung der ihm in der Zeit bis zur Entscheidung in der Hauptsache zufallenden Befugnisse und die parlamentarische Kontrolle der von ihm mitzuverantwortenden Vorgänge zu ermöglichen, sei die Bundesregierung gehalten, das Parlament laufend über den Fortgang der Maßnahme der Vereinten Nationen in Somalia sowie über die Einsatzbedingungen des deutschen UNOSOM II Kontingentes und die Erfüllung seines Auftrages zu unterrichten69.

       98. In seinem Beschluß vom 8.9.1993 (3 Ws 504-505/93 = RIW 1993, 1026 ff. = NJW 1994, 1079) entschied das Oberlandesgericht Düsseldorf: Das mit Resolution 757 vom 30.5.1992 durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegen Serbien und Montenegro verhängte Wirtschaftsembargo sei ebenso wie dasjenige der Europäischen Gemeinschaft (siehe Verordnung 1432/92) durch § 69h Außenwirtschaftsverordnung (AWV) in wirksamer Weise in nationales Recht umgesetzt worden.

       Dieses transformierte Recht sei gemäß § 34 Abs. 4 Alt. 2 Außenwirtschaftsgesetz (AWG vom 28.4.1961, BGBl. I, 481, 495, 1555) strafbewährt. Embargoverstöße seien daher mit Freiheitsstrafen von mindestens zwei Jahren sanktioniert.



      69 Vgl. zu den besprochenen Nummern 96 und 97 das Urteil des BVerfG vom 12.7.1994 = NJW 1994, 2207 sowie G. Nolte, Bundeswehreinsätze in kollektiven Sicherheitssystemen, in: ZaöRV 54/3–4 (1994), 652ff.