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Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 1993


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Christiane E. Philipp


IV. Staatsangehörigkeit

1. Erwerb

       10. In seinem Beschluß vom 25.5.1993 (BVerwG 1 B 21.93 = InfAuslR 1993, 298 ff.) mußte sich das Bundesverwaltungsgericht mit § 8 Abs. 1 des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes (RuStAG)15 beschäftigen. Ein Einbürgerungsantrag gemäß § 8 Abs. 1 RuStAG könne von jeder Person gestellt werden, so das Gericht, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, mithin auch von Staatenlosen. In diesem Zusammenhang hatte das Bundesverwaltungsgericht die im Rahmen der Beschwerde aufgeworfene allgemeine Frage zu entscheiden, ob für die Annahme einer ausländischen (hier: palästinensischen) Staatsangehörigkeit vorauszusetzen sei, daß neben dem Vorhandensein eines Staatsvolkes und eines Staatsgebietes auch Staatsgewalt ausgeübt werde. Es könne, so das Gericht, dabei dahingestellt bleiben, ob diese Frage eine gemäß Art. 25 Satz 1 GG zum revisiblen Bundesrecht gehörende allgemeine Regel des Völkerrechts betreffe. Die Beschwerde zeige nicht auf, inwiefern es in einem Revisionsverfahren auf diese Frage ankomme. Die Ablehnung einer palästinensischen Staats- oder Mandatszugehörigkeit durch die Vorinstanzen beruhe auf Erwägungen, die das VG und das OVG in ständiger Rechtsprechung vertreten hätten. Danach scheitere die Annahme einer palästinensischen Staatsangehörigkeit nicht nur und nicht in erster Linie daran, daß es auch in den nicht von anderen Staaten annektierten Teilen Palästinas, namentlich im Gaza-Streifen, keine Staatsgewalt des Staates Palästina gegeben habe, sondern darüber hinaus und unabhängig hiervon auch daran, daß weder der Völkerbund noch die Vereinten Nationen, in deren Treuhandschaft die nicht an Israel gefallenen Teile des ehemaligen Mandatsgebietes nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichtes gefallen seien, den Einwohnern des Gaza-Streifens jemals eine Staatsangehörigkeit oder auch nur ein palästinensisches Bürgerrecht vermittelt hätten.

       11. Auch Enkelkinder sind Abkömmlinge im Sinne des Art. 116 Abs. 2 Satz 1 GG, entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 26.7.1993 (5 B 93.346, bestätigt durch Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.1.1994 – BVerwG 1 C 35.93; Urteil des Bayerischen VGH abgedruckt in StAZ Nr. 2 1994, 48 ff.).

       Kläger im vorliegenden Verfahren waren die in Brasilien geborenen Enkel der deutschen Eheleute jüdischen Glaubens E.W., geboren 1905, und R.W., geboren 1910, die 1932 nach Brasilien ausgewandert waren. Beide waren von der Vorschrift des § 2 a der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25.11.194116 betroffen. Diese Vorschrift besagte, daß Juden, die seinerzeit ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hatten, mit Wirkung vom 26.11.1941 die deutsche Staatsangehörigkeit verloren. Im Jahre 1990 hatte der Vater der Kläger im Namen der Kinder Anträge auf Wiedereinbürgerung nach Art. 116 Abs. 2 GG gestellt. Diese waren mit der Begründung zurückgewiesen worden, Abkömmlinge im Sinne des Art. 116 Abs. 2 Satz 1 GG seien nur unmittelbare Abkömmlinge, d.h. die Kinder, nicht aber die Kindeskinder.

       Der Verwaltungsgerichtshof führte aus, daß es dem üblichen und insbesondere dem juristischen Sprachgebrauch entspreche, unter Abkömmling im Sinne des Art. 116 Abs. 2 Satz 1 GG nicht nur die Kinder, sondern auch die Enkelkinder zu verstehen. Im juristischen Sprachgebrauch seien Abkömmlinge Verwandte absteigender Linie ohne Begrenzung auf die Zahl der sie vermittelnden Geburten. Die Verwandten 1. Grades absteigender Linie seien die Kinder (vgl. dazu § 1589 BGB). Seien die Abkömmlinge auch weiterer Grade gemeint, so sei es nicht üblich, "Abkömmlinge aller Generationen" zu sagen. Es genüge die Verwendung des Wortes Abkömmling. Auch der Zweck der Vorschrift spreche für eine derartige Auslegung. Mit der Einräumung eines Wiedereinbürgerungsanspruches habe das den Betroffenen von den nationalsozialistischen Machthabern aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen angetane Unrecht der Zwangsausbürgerung wiedergutgemacht werden sollen. Den Wiedereinbürgerungsanspruch hätten nicht nur die vom Unrecht unmittelbar betroffenen Ausgebürgerten erhalten sollen, sondern auch deren Abkömmlinge. Auch diese seien von der Ausbürgerung betroffen, soweit sie ohne die Ausbürgerung als deutsche Staatsangehörige geboren worden wären (vgl. § 4 RuStAG). Dies gelte sowohl für die Kinder als auch für die Enkel der Ausgebürgerten. Ohne die Einbeziehung der Enkel wäre die Wiedergutmachung nur teilweise verwirklicht. Schließlich spreche für eine derartige Auslegung die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zur 11. VO zum Reichsbürgergesetz (BVerfGE 23, 98 Leitsätze 2, 5 und 7, BVerfGE 54, 53, 68 = StAZ 1981, 108). Auch stehe die gefundene Auslegung nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes. Das Bundesverwaltungsgericht habe zwar in zwei Entscheidungen (BVerwGE 68, 220 = StAZ 1984, 160; BVerwGE 85, 108 = DVBl. 1990, 1061 = StAZ 1990, 337) den Leitsatz aufgestellt, daß die Rechte der Abkömmlinge nach Art. 116 Abs. 2 GG "nur Kindern eines Ausgebürgerten" zustehen, die zu ihm in einem rechtlichen Verhältnis stehen, an welches das Staatsangehörigkeitsrecht den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit knüpfe. Diesen Entscheidungen hätten aber andere Sachverhalte zugrunde gelegen.



      15 Vom 22.7.1913, RGBl. I, 583, in der im BGBl. III, Glied.Nr. 102–1, veröffentlichten bereinigten Fassung.

      16 Abgedruckt in RGBl. I, 722 ff.